Pasolinis tolldreiste Geschichten

Mit rund einem Dutzend Spielfilmen, mehreren Kurz- und Dokumentarfilmen und wichtigen theoretischen Schriften zur Theorie des Films gehört Pier Paolo Pasolini zu den wichtigsten Filmemachern der Nachkriegszeit. Was außerhalb Italiens oft in Vergessenheit gerät, ist die Tatsache, dass er auch in anderen Bereichen aktiv war. Ob als Schriftsteller, Dichter, Theatermacher, Essayist oder Maler - sein Gesamtwerk umfasst weit mehr als sein filmisches Oeuvre. Als Künstler fühlte sich Pasolini nie nur der Kunst als solcher verpflichtet. Diese diente dem überzeugten Marxisten auch als Instrument, um den Menschen und die Verhältnisse, in der er lebte, zu thematisieren. Zugleich Realist und Idealist strebte er eine Einheit zwischen Kunst und Leben an. Die Kunst sollte das Leben und das Leben die Kunst imitieren, was sich im Werk Pasolinis ästhetisch vor allem in der Anknüpfung an die Welt der griechischen Mythologie niederschlug. Hier fand er das Ideal für Kunst und Leben.

"Pasolinis tolldreiste Geschichten" ist nach "Decamerone" und vor "Erotische Geschichten aus 1001 Nacht" der zweite Teil von Pasolinis "Trilogie des Lebens". Bei allen drei Teilen handelt es sich um literarische Adaptionen. Anders als das übrige Werk Pasolinis erfüllt die Trilogie am wenigsten den Anspruch des Regisseurs, mit den Mitteln des Erzählfilms politische Inhalte zu transportieren. Auch Pasolini selbst bezeichnete die Trilogie unmittelbar nach Erscheinen als unpolitisch. Später revidierte er seine Aussage jedoch und bezeichnete die Filme als seine politischsten überhaupt. Die Politik sei hier keine ideologische, sondern eine sexuelle. Er wollte darin den nackten menschlichen Körper feiern, einen jener wenigen Bereiche in unserer Gesellschaft, wie Pasolini meint, der noch nicht vom Kapitalismus ausgebeutet wurde.

Die "Trilogie des Lebens" gehört zu den kommerziell erfolgreichsten Filmen Pasolinis. Das mag daran gelegen haben, dass der Regisseur bei der Reihe mehr als sonst die Mittel des Unterhaltungsfilms bediente. Der für Pasolini typische ironisch-komödiantische Aspekt sowie nicht zuletzt die leichte Erotik, mit der der Filmemacher ästhetisch dem damals aufkommenden Softporno gerecht wurde, taten ihr Übriges für den Erfolg. Auch die Kritik nahm die künstlerisch wenig anspruchsvolle Trilogie sehr gut auf. 1971 wurde "Decameron" auf den Berliner Filmfestspielen mit dem Sonderpreis der Jury (Silberner Bär) ausgezeichnet. Ein Jahr später erhielt "Pasolinis tolldreiste Geschichte" auf demselben Festival den Goldenen Bären, während "Erotische Geschichten aus 1001 Nacht" 1974 den Spezialpreis auf dem Cannes Filmfestival erhielt.