Wer mich liebt, nimmt den Zug

Wer mich liebt, nimmt den Zug

Originaltitel
Ceux qui m'aiment prendront le train
Regie
Patrice Chéreau
Darsteller
Delphine Schiltz, Nathan Kogen, Marie Daëms, Chantal Neuwirth, Thierry de Peretti, Olivier Gourmet
Kinostart:
Deutschland, am 27.08.1998 bei MFA+ Film Distribution
Genre
Drama
Land
Frankreich
Jahr
1998
FSK
ab 12 Jahren
Länge
122 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
7,8 (4 User)
Während sich unterschiedliche Menschen auf dem Pariser Bahnhof Gare d' Austerlitz auf ihre Abreise vorbereiten, hört man Jean-Baptiste Emmerichs (Jean-Louis Trintignant) Stimme aus dem Off. Er war wohl ein ziemliches Ekel. Ein Provokateur und Misanthrop, dem es aber mühelos gelang, seine Umwelt in seinen Bann zu ziehen. Der 70-jährige schwule Maler ist tot und sein letzter Wunsch ist eines Exzentrikers würdig. Diejenige, die ihn geliebt haben, sollen den Zug nehmen, um ihm den letzten Geleit zu geben. Der Wahlpariser wird in seinem Geburtsort Limoges beerdigt. 15 Freunde und Verwandte steigen in den Zug und begegnen sich in der Enge der Wagons. Währenddessen rast ein rostiger Kombi mit Jean-Batistes Sarg am Bord auf der Landstrasse neben den Schienen. Die Fahrt dauert lange und die Trauergesellschaft kommt sich näher, manchmal zu nah: sentimentale Erinnerungen, verbitterte Selbstoffenbarungen und verletzte Eitelkeiten fließen zusammen und münden in Diskussionen und Krawallen. Tumultartige Zustände bedrohen selbst den Frieden der Trauerfeier.
Regisseur Patrice Chéreau ("Die Bartholomäusnacht", "Intimacy") hat 15 widersprüchliche Charaktere zu einem höchst ansehnlichen Reigen verwoben. Alle Figuren haben ihre individuelle, zum Teil dramatische Geschichte zu erzählen. Keiner von ihnen ist besonders wichtig, aber keiner ist für die Story von marginaler Bedeutung. Die Trauergesellschaft in ihrer Mannigfaltigkeit steht im Mittelpunkt und sie ergibt in ihrer Buntheit ein wirres Geflecht, das Chéreau in einem fest strukturierten Tableau inszeniert. Zugfahrt, Beerdigung und Trauerfeier ergeben einen Dreiakter, in dem Motive der Trennung in unterschiedlicher Form thematisiert werden.

Das schwierige Unterfangen, eine inhomogene Gruppe fokussiert in Szene zu setzen ohne sich an Nebensächlichem aufzureiben, ist dem Regisseur auch dank eines großartigen Schauspielerensembles gelungen. Obwohl die Zuordnung der einzelnen Figuren zu Beginn unübersichtlich erscheint, geben die Darsteller nacheinander überzeugende Einblicke in die zum Teil verstörte Psyche ihrer Figuren. Die Kamera wird dabei nie aufdringlich. Sie begleitet einfach wie ein weiteres Familienmitglied die trauernden Gäste. Sehnsüchte, Zorn und Verzweiflung wirken dank ihrer unauffälligen Gegenwärtigkeit authentisch. Alles in allem ist "Wer mich liebt nimmt den Zug" eine anspruchsvolle und dennoch unterhaltsame Tragikomödie mit typisch französischem Touch.
Vincenzo Panza/Filmreporter.de
2024