JHM
Das Labyrinth der Wörter

Das Labyrinth der Wörter

Originaltitel
La tête en friche
Regie
Jean Becker
Darsteller
Jérôme Deschamps, Gilles Détroit, Régis Laspalès, Anne Le Guernec, Jean-Luc Porraz, Bruno Ricci
Kinostart:
Deutschland, am 06.01.2011 bei Concorde Filmverleih
Kinostart:
Österreich, am 29.04.2011 bei Filmladen
Kinostart:
Schweiz, am 21.04.2011 bei JMH
Genre
Drama
Land
Frankreich
Jahr
2010
Länge
77 min.
IMDB
IMDB
Homepage
http://www.labyrinth-derfilm.de
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Einfühlsamer Film über die Poesie des einfachen Le
Leben in seiner Einfachheit, aus dem poetisierenden Blick eines für die Schönheit der Existenz empfindlichen Künstlers, der Mensch in seiner natürlichen Verbundenheit mit der Natur. Das ist der Stoff, aus dem die Filme von Jean Becker sind. Von einer bescheidenen Einfachheit ist auch die Ästhetik, die Beckers Welt zusammenhält. Eine dramaturgische Gestaltung des Stoffes findet nur unmerklich statt. Die Filme des französischen Regisseurs sind vielmehr eine Aneinanderreihung von Beobachtungen und Impressionen, die zusammengenommen seine poetische Welt ausmachen. Becker ist Jahrgang 1933, seine Weltsicht und Ästhetik somit die eines an Erfahrung und Erkenntnissen reichen Mannes, während deren Einfachheit eine von Überfluss bereinigte Reduktion ist.

Beckers Alter ist auch der Grund, dass er vornehmlich ältere Figuren in den Mittelpunkt seiner Erzählungen stellt. Am liebsten beschäftigt er sich mit Figuren, die ihre Tage mit Gesprächen über die Kleinheit des Alltags oder die Ganzheit des Seins verbringen. Das war so in dem wunderbaren "Dialog mit meinem Gärtner" und das ist so in Beckers "Das Labyrinth der Wörter". Darin spielt Gérard Depardieu den einfach gestrickten Germain. Der Mann besitzt keine Bildung, geht mehreren Beschäftigungen nach und seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seinen Freunden in einer naheliegenden Kneipe. Gemeinsam mit seiner deutlich jüngeren Freundin Annette (Sophie Guillemin) wohnt Germain in bescheidenen Verhältnissen in einem Campingwagen gegenüber seine streitsüchtige Mutter (Claire Maurier). Auf einem seiner Streifzüge durch den Park lernt er jedoch Margueritte (Gisèle Casadesus) kennen. Neben der zierlichen und klugen alten Frau wirkt der einfache Arbeiter wie ein Elefant im Porzellanladen. Die Unterschiede gleichen die beiden durch gemeinsame Interessen aus. Sie verbringen ihre Tage fortan im Park, wo sie sich über Gott und die Welt unterhalten. Marguerittes große Leidenschaft ist die Literatur und so liest sie ihrem neuen Freund ihre Lieblingslektüre vor. Für den ungebildeten Mann offenbart sich eine neue Welt.
Wie in "Dialog mit meinem Gärtner" ist die Welt auch in "Das Labyrinth der Wörter" von einer betörenden Heiterkeit durchdrungen, eine Stimmung, die nicht nur die Gelassenheit des Regisseurs widerspiegelt, sondern auch die des Protagonisten. Germain hat sich trotz kleinerer und größerer Traumata im Leben seine Unschuld bewahrt. Weder sein Lehrer, der ihn regelmäßig vor seinen Mitschülern wegen seiner vermeintlichen Dummheit demütigte, noch seine ihn sträflich vernachlässigende Mutter konnten seine Weltsicht trüben. Mit seiner Naivität und seinem Blick für das Wesentliche läuft er durchs Leben und findet seine Erfüllung in den einfachsten Dingen. Das gilt etwa für die Pflege seines Gartens oder dem Spaziergang im Grünen. Becker vernachlässigt bei all den Impressionen und subtilen Beobachtungen nicht die psychologische Seite seines Charakters. Annette möchte von Germain ein Kind haben, gegen das sich dieser jedoch vehement stemmt. Er hat Angst, er könne dem Kind kein würdiger Vater sein. Trotz aller Unschuld und Naivität ist er ein gebrochener Charakter, an dem die Demütigungen des Lebens nicht spurlos vorüber gegangen sind. Allenfalls seine Freundin sieht das Gute in ihm. Das Gute ist schön, das wussten schon die alten Griechen, und diese Schönheit ist es, die Annette an den äußerlich plumpen Mann bindet und ihre Beziehung letztlich glaubwürdig macht.

Von einer anderen Richtung wird Germain von der betagten Margueritte in seinem Selbstbewusstsein gestärkt. Mit ihr entdeckt er die Schönheit einer in Sprache verdichteten Welt. Er könne kaum lesen, sagt er der alten Frau, während diese ihm versichert, dass auch das Zuhören Lesen sei. Becker reichert die 'literarischen' Passagen nicht nur mit Reverenzen an Ray Bradburys "Fahrenheit 451" und der gleichnamigen filmischen Adaption von François Truffaut an, er verdichtet sie auch zu einer Hommage an die Literatur und die Imagination des Lesens. Wie in den genannten Vorbildern finden sich auch in "Das Labyrinth der Wörter" Passagen eines nahe am Analphabetismus lesenden Mannes, der die Magie des literarischen Wortes für sich entdeckt. Gleichzeitig bricht Becker diese 'Standardsituation' ironisch, indem er Germain die Absurdität seines neuen Vorhabens erkennen lässt. Zu tief sitzt bei ihm das Gefühl der Unzulänglichkeit, das ihm seine Umwelt eingetrichtert hat.

Das Schlusswort gebührt Hauptdarsteller Gérard Depardieu. Dieser ist angesichts seiner physischen Präsenz für die Rolle des naiven Poeten großartig geeignet. Mit seinem zurückhaltenden und sensiblen Schauspiel passt sich der erfahrene Mime der subtilen Inszenierung seines Regisseurs kongenial an.
Willy Flemmer, Filmreporter.de
Germain (Gérard Depardieu) ist ein einfach gestrickter Mann, der seine Freizeit am liebsten mit seinen Freunden in der Kneipe verbringt und im Park...
 
Jean Becker inszenierte mit "Das Labyrinth der Wörter" einen einfühlsamen Film über die Poesie des einfachen Lebens und schuf damit gleichzeitig...
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Das Labyrinth der Wörter
2024