Universum Film
The Grandmaster

The Grandmaster

Originaltitel
Yi dai zong shi
Alternativ
The Grandmasters; Yi Dai Zong Shi (Arbeitstitel)
Regie
Wong Kar-Wai
Darsteller
Qiong Ning, Meixin, Qi Man, Ping Liu, Ke Liu, Libing Lin
Kinostart:
Deutschland, am 27.06.2013 bei Wild Bunch
Kinostart:
Österreich, am 28.06.2013 bei ThimFilm
Kinostart:
Schweiz, am 11.07.2013 bei Filmcoopi
Genre
Action, Biographie
Land
Hongkong, China, Frankreich
Jahr
2013
Länge
123 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Bildgewaltiges Martial-Arts-Epos von Wong Kar-Wai
Im Zentrum von "The Grandmaster" steht Ip Man (Tony Leung). Der Kung-Fu-Meister im Süden Chinas wird vom Meister des Nordens, Gong Baosen (Qingxiang Wang), zu einem entscheidenden Kampf herausgefordert. Gong hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will die Kung-Fu-Schulen des Nordens und die des Südens vereinen. Der Sieger des Duells soll das Projekt umsetzen. Ip Man ist dem Großmeister zwar überlegen, doch die politischen Wirren im Land vereiteln seine Ziele als Kung-Fu-Großmeister. Der Kaiser hat abgedankt und als die Japaner 1937 nach dem Norden auch den Süden des Landes besetzen, wird China zwischen Gewaltherrschaft der Japaner und Widerstandskämpfer, bestehend aus Nationalisten und Kommunisten, zerrieben. Der großbürgerliche Ip Man verliert in dieser desolaten Situation Haus und Familie und muss sich schließlich nach Hongkong absetzen.
"The Grandmaster": Comeback in neuem Gewand:
Mit "Ashes of Time: Redux" hat sich Wong Kar-Wai schon einmal an das im chinesischen Raum traditionelle wie populäre Marial-Arts-Genre herangewagt und bewiesen, dass Kung Fu nicht nur Kampf ist. Es ist eine mit viel körperlicher Akrobatik verkörperte Philosophie, eine Anschauung, welche die Einheit zwischen Körper und Geist sucht. Die Kämpfer in diesen Filmen tragen ihre Konflikte in den Lüften aus, die laufen übers Wasser oder balancieren auf dünnen Baumästen - so in Ang Lee meisterhaftem "Tiger & Dragon" oder Zhang Yimous "Hero". Das ist nicht pure, von der Realität enthobene Fantasy, sondern eine überhöhte Darstellung der höchsten Stufe von der Verschmelzung des Körperlichen mit dem Geistigen.

Nach den großen Melodramen der 1990er und 2010er Jahren, die im wunderbaren "In the Mood for Love" und dem virtuosen Genre-Mix "2046" gipfeln, kehrt Wong nun mit "The Grandmaster" zum Martial-Arts-Genre zurück. Auch wenn es bereits der zweite dieser Gattung ist, markiert der Film eine Zäsur im Werk des Regisseurs. Weil er mit seinen Melodramen und seinen Gangsterfilmen einen ästhetischen Endpunkt erreicht und mit "My Blueberry Nights" einen missglückten Ausflug ins internationale Filmschaffen unternommen hat, muss sich Wong neu erfinden. Das ist ihm mit "The Grandmaster" gelungen, auch wenn das virtuos inszenierte Martial-Arts-Spektakel in stilistischer und thematischer Hinsicht vieles aus seinen früheren Arbeiten wiederaufgreift, fortsetzt und gipfeln lässt.

Wongs Perfektionismus
Die Ursprünge von "The Grandmaster" gehen bis ins Jahr 1996 zurück. Damals dreht Wong in Argentinien "Happy Together", als er an einem Kiosk an einem Zeitschriftenfoto von Bruce Lee hängenbleibt. Fasziniert von der Tatsache, dass die Kung-Fu-Legende über 20 Jahre nach ihrem Tod noch immer eine so große Popularität genießt und entschlossen, einen Film über ihn zu machen, ändert sich Wong Focus im Laufe der Zeit. Je mehr er im Zusammenhang mit Lee über dessen Lehrer Ip Man lernt, je mehr wird er von Persönlichkeit, Leben und Epoche des Meisters gefesselt.

Wong stürzt sich in die Arbeit, bereitet "The Grandmaster" acht Jahre lang vor, studiert akribisch die biographischen und geschichtlichen Zusammenhänge, besucht historischen Paläste und die Milieus seiner Charaktere, sucht den Ratschlag alter Großmeister. Die Detailbesessenheit überträgt sich auch auf die Schauspieler. Tony Leung trainiert vier Jahre Kung Fu und Chen Chang, der die Rolle des Razors verkörpert, eignet sich die Kampftechniken so gut an, dass er 2012 bei einem nationalen Baji-Wettbewerb (Stilrichtung des Kung Fu) den ersten Platz belegt.

Unmittelbar vor der Berlinale 2012 wird "The Grandmaster" endlich fertiggestellt und unter großem Medieninteresse als Eröffnungsfilm aufgeführt. Vermutlich weil westliche Zuschauer das urchinesische Genre und die darin abgehandelten Themen nicht verstehen, wird eine für den westlichen Markt um zwölf Minuten gekürzte Fassung geschnitten. Gerüchten zufolge soll der ursprüngliche Schnitt knapp vier Stunden betragen haben.

Verbeugung vor dem Kämpfer
Die Detailverliebtheit und der enorme Aufwand, die typisch für Wong sind und in "The Grandmaster" neue Ausmaße erreicht haben, sind nicht nur dem Anspruch auf Authentizität geschuldet. Es spricht daraus auch eine respektvolle Haltung gegenüber dem Thema und den Charakteren. Schon der Prolog, in dem es Ip Man in dunkler und verregneter Nacht mit mehreren Gegnern aufnimmt und dabei jeden mit einer bewundernswerten Beiläufigkeit zur Strecke bringt, ist eine bildliche Umsetzung der Erhabenheit von Kämpfer und Kampfkunst. Zwar verhehlt Wong nicht, dass wir uns auf dem Boden der Realität befinden - Knochen und Gegenstände gehen durchaus zu Bruch. Doch wie der Regisseur mit seiner Bildästhetik aus kunstvoller Beleuchtung, extremen Großaufnahmen und vor allem Slow-Motion in das Geschehen eintaucht, ist nichts anderes als Sichtbarmachung der Essenz, des geistigen Kernes von Kung Fu.

Nicht umsonst spielen Regen und Schnee in den zentralen Kampfszenen von "The Grandmaster" eine entscheidende Rolle. Schon immer in Kunst und Filmkunst wurden diese atmosphärischen Elemente als Symbole für die Vermischung des Materiellen des Irdischen mit dem Immateriellen des Geistigen benutzt. Auch bei Wong nehmen sie diesen semantischen Platz ein, wobei der Regisseur sie darüber hinaus im Sinne seiner für ihn typischen Ästhetik des Schönen, Poetischen und Effektvollen dienstbar macht. Mit anderem Worten: das Kämpfen vor schauprächtigen Kulissen, bei Regen oder Schnee, hat bei Wong immer auch eine sinnliche Qualität. Wenn Gong Baosens Tochter Gong Er (Ziyi Zhang) und Ma San (Zhang Jin) in einer der schönsten Kampf-Szene des Films minutenlang vor einem vorbeirasenden Zug kämpfen, ist das nicht nur eine Handlung an der Schnittstelle vom Dies- zum Jenseits, dann befinden wir uns auch inmitten von Wongs Sinne betörenden Ästhetik.

Horizontal und vertikal
'Kung Fu - Zwei Wörter. Eins horizontal. Das andere vertikal' - dieser zentrale Satz Ip Mans fällt in einer signifikanten Stelle im Film, von dem Meister persönlich ausgesprochen. Wie diese auf das Wesentliche reduzierte Erkenntnis einer in Details vielfältigen Kampfkunst ist auch Wongs "The Grandmaster" von einer klaren und schlichten Struktur. Über große Strecken erscheint das Biopic weniger als eine Darstellung eines komplexen Lebens vor einem noch komplexeren historischen Hintergrund, sondern als ein Stationenfilm, der die Struktur des Kung Fu offenlegt. Nicht nur stehen sich lange Zeit mit dem nördlichen Stil des Xingyi und dem südlichen Bagua zwei gegensätzliche Kampfrichtungen gegenüber. Ip Man muss sich für seine Prüfung zudem mit den Meistern anderer Stile messen (Wing Chun, Baji), die er der Reihe nach besiegt, bevor er sein Können gegen den Großmeister unter Beweis stellt. Hier gipfelt die große Kunst der beiden schließlich im Kampf mittels Nicht-Kämpfen.

Kampf, Tanz und Liebe
Der Kampf in Martial-Arts-Filmen hatte in seiner choreografierten Ausführung schon immer eine Ähnlichkeit mit dem Tanzen. Wong geht über diese Affinität hinaus und erreicht mit der Verknüpfung von Kämpfen und Erotik bzw. - auf einer noch höheren Ebene - Liebe den Gipfelpunkt der Transzendierung seines Themas. Wenn Ip Man und Gong Er kämpfend zusammentreffen, dann ist das auch der körperliche und emotionale Akt zweier, die sich lieben, aber nicht lieben dürfen. Es ist eine Liebe, die in der Welt unmöglich ist, in einer Sphäre jenseits von Raum und Zeit sich aber verwirklichen kann. Spätestens mit diesem Motiv und einem charakteristischen melancholisch-elegischen Grundton knüpft Wong an seine früheren Melodramen an, in denen die Paare an der Liebe ohne Grundfeste verzweifelten.

Das Unglück des Individuums angesichts realgeschichtlicher Umstände gewinnt als Thema in der zweiten Hälfte von "The Grandmaster" zunehmend an Gewicht. Ip Man kann in den 1930er der Kampfkunst frönen, weil er ein unbeschwertes, von seinen Eltern finanziertes Leben führt. Die Besetzung Südchinas durch Japan leitet den gesellschaftlichen Fall des Kung-Fu-Meistes ein: Er verliert Geld, Haus und Familie und muss nach Hongkong fliehen, wo er sich als Lehrer verdingen muss. Damit greift Wong, der in Hongkong als Kind Shanghaier Einwanderer aufwuchs, einmal mehr eines der zentralen Motive seines Schaffens auf: Das Fehlen einer kulturellen und politischen Einheit und die Frage nach der nationalen Identität.

Chaotische Dynamik des Lebens
Den Zusammenbruch von Einheit und Harmonie, die Zeit des politischen, sozialen und persönlichen Chaos' übersetzt Wong direkt in Szenenauflösung und Bildaufbau. Auch wenn er sich in erster Linie für Kung Fu und den Menschen interessiert, so ist die historische Folie immer in den Bildern präsent. Das Durcheinander der Zeit, sowie die Entwurzelung des Individuums äußert sich dabei in einer zunehmend fragmentarischen und diffusen Formsprache. Wenn Wong die Figuren in den Kontext der Ereignisse stellt oder größere raumzeitliche Abstände zusammenzieht, dann vermeidet er zur Orientierung dienende Totalen, steigt direkt in die Szene ein. Selbst in den Kampfszenen gibt es immer seltener entlastende Distanzaufnahmen. Zudem spielen die meisten Szenen bei Dunkelheit oder diffuser Ausleuchtung in Innenräumen. All das ist nicht Ausdruck einer problemabgewandten, anthropozentrischen Weltanschauung, sondern ganz im Gegenteil: eine, die sich der realen Verhältnisse durchaus bewusst ist. Wie seine Figuren fühlt sich auch Wong angesichts der Verhältnisse in seinem Land unbehaglich. Wie sie sehnt er sich nach Harmonie und Einheit.

Am Ende landet Wong dort, wo "The Grandmaster" seinen Anfang genommen hatte. Als Ip Man seine neue Stelle als Kung-Fu-Lehrer antritt, zeigt die Kamera einen Schüler, der die Physiognomie des jungen Bruce Lee hat. Es ist nicht unbedingt ein versöhnlicher Schluss: Lee ging bekanntlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere in die USA und wurde - mit gerade mal 32 Jahren - aus dem Leben gerissen. Auch er war ein entwurzeltes und tragisches Individuum - wie so viele Protagonisten im Werk Wongs. Das Leben ist kein Kung Fu, will Wong sagen. Seine Dynamik ist nicht auf das Vertikale und das Horizontale zu beschränken.
Willy Flemmer, Filmreporter.de
China 1936. Ip Man (Tony Leung) ist ungeschlagener Kung-Fu-Meister Südchinas. Als der Vertreter der Kampfkunstschulen Nordchinas seinen Rücktritt...
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