Constantin Film
Hotel Lux
Michael Herbig im Hotel Lux
Feature: Leander Haußmanns Geschichtsumschreibung
Dass man Geschichte als dehnbaren Stoff betrachten kann, den man nach Gutdünken formen und gestalten kann, hat unlängst Quentin Tarantino in "Inglourious Basterds" unter Beweis gestellt. Ohne sich um historische Korrektheit zu kümmern, ließ er seiner Fantasie freien Lauf, schrieb und deutete die Geschichte um und ließ seinen Widerstandskämpfern im Dritte Reich gelingen, was der Wirklichkeit verwehrt blieb: dem Führer Adolf Hitler samt seiner Schar von Anhängern und Begleitern den Garaus machen. Leander Haußmann hat eine historische Fußnote aufgearbeitet, die Geschichte des Moskauer "Hotel Lux"...
erschienen am 1. 10. 2011
Constantin Film
Leander Haußmann
Es gibt eine lange Liste von Filmen, die Geschichtsverfälschung im Sinne der künstlerischen Freiheit als Ausdruck kritischer Haltung oder einfach - wie im Fall Tarantino - um des wilden Fabulierens willens in Kauf nahmen. Sie reicht von Satiren wie Charles Chaplins "Der große Diktator" über Ernst Lubitschs "Sein oder Nichtsein" bis hin zu Farcen wie Dani Levys "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler". Was diese und etliche weitere Beispiele zeigen, ist die Tatsache, dass die Umdichtung der tatsächlichen Geschichte nur in Form einer Komödie funktioniert. Die historische Relativität ist nur dann möglich, wenn man sie aus einer Distanz heraus mit einer komischen Brille betrachtet - sei es, dass diese zeitlich bedingt ist oder (wie in den Fällen Lubitsch und Chaplin) durch das mangelnde Wissen über die tatsächlichen Dimensionen der Ereignisse.
Constantin Film
Hotel Lux
Einen ähnlich wilden Mix aus Tatsache und freier Fantasie legt nun auch Leander Haußmann vor. Mit größtmöglicher Flexibilität nimmt er in "Hotel Lux" bekannte Versatzstücke der Geschichte und spinnt um sie einen wilden Faden aus Spekulation und Fantasie. Da hat in dem historisch verbürgten Gebäude der spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht sein Quartier neben seinem späteren Hymnen-Dichter Johannes R. Becher. Da wird vor dem späteren bulgarischen Ministerpräsidenten und zeitweiligen Generalsekretär der Komintern Georgi Dimitrow salutiert. Da hat ein Geheimdienst-Chef seinen Sitz nicht nur im Hotel, er macht hier auch Jagd auf Trotzkisten und andere Konterrevolutionäre. Und selbst Josef Stalin kommt nicht zu kurz, der in seiner eigenen Villa vor dem Abhörapparat nicht sicher ist, reihenweise Dolmetscher erschießt und am Ende selber unter kuriosen Umständen im Lux landet.

Es ist nicht alles Erfindung, was Haußmann da präsentiert. Alle aufgeführten Personen fanden sich tatsächlich irgendwann auf ihrer Flucht vor den Nazis im Hotel wieder. Haußmanns Fantasie basiert durchaus auf Tatsachen. Doch die Verschiebung der historischen Konstanten und die personellen Konstellationen, die er sich hat einfallen lassen, sind doch kurios und in ihrem Einfallsreichtum überbordend.
Constantin Film
Michael Herbig in "Hotel Lux"
Auf die Ebene des Spiels und der Ironie passt auch Haußmanns intertextuelles Spiel mit Verweisen auf filmische Vorbilder. Die parodistischen Momente der Handlung (Stalin- und Hitler-Imitationen) rufen Erinnerungen an Lubitschs und Chaplins große Hitlerparodien wach. Wenn Haußmann die Verfolgung Zeisigs durch die Nazischergen in Schwarzweiß filmt und so die Tonlage des Films ändert, hat das nicht nur Wochenschaucharakter, sondern erinnert auch an die Slapstick-Ästhetik der 1920er Jahre. Trotz des halsbrecherischen Tempos, den "Hotel Lux" stellenweise anschlägt, ist der Film auch reich an ruhigen und ernsten Momenten. Die Konfrontation Zeisigs mit Stalin in dessen Bad gehört in ihrer Tiefe, aber auch in der inszenatorischen Qualität sicher zu den gelungensten Momenten des Films. Die düstere Hotelatmosphäre - ein Verdienst von Kameramann Hagen Bogdanski und der wunderbaren Ausstattung Uli Hanischs - hat etwas Trostloses und erinnert an die absurden Welten Franz Kafkas.

In den ernsten Momenten zeigt sich auch, dass Hauptdarsteller Michael Herbig die perfekte Wahl für die Besetzung des dem politischen Geschehen indifferent eingestellten Varieté-Künstlers gewesen ist. Mag es ein wenig dauern, bis man bei Herbig Bully vergisst und ihn als hedonistischen Halodri akzeptiert. Sobald man seine Vorbehalte abgelegt hat, entfaltet seine Darstellung durchaus ihre Wirkung. Ihm gelingt der schwierige Spagat zwischen Komik und Ernst, wobei er vor allem in der tragischen Dimension seines Charakters die nötige Zurückhaltung wahrt und so den optimalen Effekt herausholt. Für seine Karriere bedeutet "Hotel Lux" sicher eine Loslösung von dem rein Parodistischen hin zum ernsten Fach. Eine Richtung, in die er durchaus auch als Regisseur gehen könnte.
erschienen am 1. Oktober 2011
Zum Thema
Leidenschaft für Theater und Kino liegt bei Leander Haußmann in der Familie. Sowohl Großvater Erich, als auch sein Vater Ezard Haußmann haben sich als Schauspieler diverser Bühnenstücke und Spielfilme einen Namen gemacht. Bevor sich Leander an der Schauspielschule Sonnenallee" ist Haußmann als Regisseur gefragt wie nie. Es folgen weitere Regiearbeiten wie "Herr Lehmann" und "NVA". Letztere Komödie reflektiert auch eigene Erlebnisse, die er als junger Mann während seines Wehrdienstes gemacht hat.
Hotel Lux (Kinofilm)
1938 verlässt Komiker Hans Zeisig (Michael Herbig) überstürzt Berlin, nachdem er bei den Nazis in Ungnade gefallen ist. Seine letzte Hitler-Parodie hat nicht den Geschmack der Machthaber getroffen. So landet er im Moskauer Hotel Lux, einem beliebten Zufluchtsort kommunistischer Funktionäre. Dort trifft er auch auf seinen Bühnenpartner Siggi Meyer (Jürgen Vogel) und dessen Bekannte Frida von Oorten (Thekla Reuten). Die drei versuchen sich durch eine gefährliche Zeit zu mogeln. Leander Haußmann..
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