Prokino
Shame
Studie eines Sexbesessenen
Feature: Michael Fassbender auf Abwegen
Nach "Hunger" inszeniert Steve McQueen mit "Shame" seinen zweiten Kinofilm. Michael Fassbender verkörpert einen Sexbesessenen, der Grenzen überschreitet, um seine Sucht zu befriedigen. Das Resultat ist ein Drama, das in seiner nüchternen Analyse einer 'Krankheit' verstörend und zugleich betörend schön ist.
erschienen am 19. 02. 2012
Frenetic
Michael Fassbender in "Shame"
Droge Sex
Brandon Sullivan (Michael Fassbender) ist ein erfolgreicher, gutaussehender Geschäftsmann in den besten Jahren. Seins Karriere ist jedoch nur Fassade. Denn Brandon ist ein Besessener. Jede Minute seines Lebens dürstet ihn nach Sex. Er macht alles, um seine sexuellen Befriedigung zu finden. Er bestellt Prostituierte in seine Wohnung, schaut sich Pornos im Internet an und schleppt Frauen für One-Night-Stands in Clubs ab.

Normale Beziehungen vermag er hingegen nicht einzugehen. Selbst seine Hilfe suchende Schwester Sissy (Carey Mulligan) stößt bei ihm auf wenig Interesse. Sie wurde von ihrem Freund verlassen und nistet sich in Brandons Wohnung ein. So sehr sie bemüht ist, die Zuneigung ihres Bruders zu gewinnen und ihn aus seiner Lethargie zu befreien, so sehr stößt sie bei diesem auf Ablehnung. In den Augen Brandons ist sie ein Störfaktor. Dabei steht sie ihm vor allem bei seinem exzessiven Sexleben im Weg. Es dauert nicht lange, bis die Emotionen eskalieren.
Frenetic
Michael Fassbender in "Shame"
Verstörendes Zeitbild
In seinem Regiedebüt "Hunger" erzählte Steve McQueen von einem IRA-Kämpfer, der sich im Gefängnis zu Tode hungert, wobei er den qualvollen Tod des Mannes als filmisch distanzierte Verhaltensstudie inszenierte. Ähnlich nüchtern geht der Regisseur auch bei "Shame" vor. Das Drama ist eine sachlich gehaltene Studie eines unter seiner extremen Sexualität leidenden Charakters. Psychologische Erklärungsmuster des Protagonisten verweigert McQueen konsequent. Auch wenn er sich im Presseheft selbst einen Moralisten nennt, manifestiert sich diese Haltung nicht im Film.

Das Verhalten seines Protagonisten wird nicht in einen moralischen Kontext gestellt, dem Zuschauer werden weder Sympathien noch Antipathien mit Sullivan gestattet. Motivationen und Wünsche werden allenfalls impliziert. Obwohl sich Brandon seiner "Krankheit" bewusst wird, stürzt er sich weiter in seine zerstörerische Obsession. Der Erotik hat McQueen jeden Anflug von Schönheit und Sinnlichkeit ausgetrieben, in der Darstellung des großartig aufspielenden Michael Fassbender bekommt sie eher diabolische Züge.
Prokino
Carey Mulligan in "Shame"
Unpersönliche Inszenierung
Ähnlich unpersönlich ist die Inszenierung des Films. Die Kamera registriert das Geschehen wie eine Überwachungskamera. Lange, oft starre Einstellungen schaffen ein visuelles Pendant für eine erstarrte Existenz. Von einer kalten Anonymität sind auch die Lokalitäten des Films geprägt. Die Wohnung des Sexbesessenen ist so leer wie sein Gefühlsleben. Brandon wechselt von ästhetisch profillosen, transitorischen Orten wie Arbeitsplatz, Bars, Clubs und Bahnhöfen. Online-Chats ersetzen persönliche Beziehungen. In den virtuellen, seelenlosen Räumen darf er sein, was er ist. Hier muss er sich nicht verstellen, hier findet er die Befriedigung, die er sucht.

Nur gelegentlich spürt man in "Shame" das Echo einer wärmeren Welt - etwa in der Musik Johann Sebastian Bachs, der Verletzlichkeit seiner Schwester, der implizierten Erinnerung des Protagonisten an eine intaktere Vergangenheit. Im Presseheft betont Fassbender, dass er sich mit McQueen vorgestellt hätte, Brandon wäre im früheren Leben ein ausgezeichneter Klavierspieler gewesen. Mit "Shame" hat McQueen nicht nur einen betörend schönen Film inszeniert, sondern auch ein verstörendes Zeitbild geschaffen. Allenfalls darin, in der Heraufbeschwörung einer besseren Welt, ist sein Moralismus zu finden."Shame" wird wie "Hunger" noch lange nachhallen.
erschienen am 19. Februar 2012
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Shame (Kinofilm)
Michael Fassbender verkörpert in Steve McQueens Drama "Shame" einen jungen Mann, dessen ganzes Streben nur auf Sex aus ist. Normale Beziehungen gelingen dem gut aussehenden und erfolgreichen Geschäftsmann schon lange nicht mehr. Er sucht flüchtigen Sex, befriedigt seine Lust mit Prostituierten oder surft auf einschlägigen Pornoseiten im Internet. Erst als seine jüngere Schwester (Carey Mulligan) in besucht, wird er sich bewusst, eine sexuelle Störung zu haben. Mit "Shame" ist McQueen und..
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