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A World Not Ours
Heimatloser Mahdi Fleifel
Feature: Vom Schicksal der Palästinenser: "A World Not Ours"
Im 1948 gegründeten libanesischen Flüchtlingslager Ain El-Helweh nahe Sidon leben seit sieben Jahrzehnten fast 100.000 Palästinenser wie in einem Gefängnis. Mahdi Fleifel wuchs hier auf und kehrt immer wieder zurück, zu seinem Großvater und seinem Freund Abu Eyad, der längst jede Hoffnung verloren hat.
erschienen am 20. 08. 2014
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A World Not Ours
Im Libanon geboren und doch heimatlos
Weitab von aktivistischem Agitprop erzählt Mahdi Fleifel ganz intim und überragend seine persönliche Geschichte. Es ist die seiner Freunde und seines Volkes mit über Jahrzehnte gesammelten Privatmaterial und Aufnahmen aus wiederholten Besuchen in dem Lager. Entstanden ist ein reflektiertes Home Video, das bewegend, nachdenklich und sensibel hinter Stereotypen und Ideologisierungen blickt. Es ist ein bedrückendes Porträt des Lebens in schäbigen, engen Gassen.

Fleifel hat sein komplexes Projekt komplett selbst gestemmt und führt als Erzähler durch seine Vergangenheit. Dabei enthüllt er nach und nach jene der anderen und nebenbei die politische Historie - nicht nur mit Zwischentönen und ungewohnter Perspektive, sondern so subtil eindringlich und amüsiert melancholisch, dass es einen innerlich zerreißt. Er gewann verdient mehrere Preise, darunter den Friedenspreis der Berlinale 2013.

"Wir haben uns selbst ruiniert" sagt Abu Eyad, bevor er der Fatah, welche die unverputzte Betonwüste regiert, den Rücken kehrt. Korruption und Gewalt sind eine Sache, die andere, dass die Menschen weder nach Palästina zurück dürfen noch im Libanon eingebürgert werden. Sie sind wie Aussätzige in Ghettos verbannt und seit der Nakba - der großen Vertreibung - rechtlos, arbeitslos und unerwünscht. Abu Eyad ist im Libanon geboren und doch heimatlos.
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A World Not Ours
Wehmut über Hochzeitsfeiern
Sie sind Flüchtlinge ohne Land und werden wie Dreck behandelt, schimpft er desillusioniert und ist frustriert über Leute, die sich darin eingerichtet haben, die Realität zu verdrängen. Der Mann, der als Jugendlicher von der Fatah mit Elektroschocks gefoltert wurde, tobt über deren Ignoranz, Yasser Arafat immer noch als Verräter für dessen Friedensschluss zu betrachten. Ein Zeugnis trostlosen Stillstands. Nichts ändert sich. Auch nicht im Denken.

Als einer der wenigen sieht er diese Wahrheit und will fort. Seine exemplarische Leidensgeschichte schmerzt unendlich. Neben Mahdis Großvater und dessen zänkischem Mitbewohner Said - einst ein Idol, inzwischen zum Dorfidioten und traurigen Clown abgesunken - reflektiert der Regisseur seine eigene Rolle: Er fühlt sich als entfremdeter Außenseiter, als freier Gast bei Gefangenen, die langsam durchdrehen.

Das Disneyland seiner Kindheit ist einfach nur ein hässliches Schlammloch, wo noch Götzen sterben und selbst über Hochzeitsfeiern Wehmut und Abschiedsschmerz liegt. Er denkt nicht nur darüber nach, wie sein Leben wohl aussähe, wenn er das Camp nie verlassen hätte (nach Dubai, Dänemark und London). Als er auf einer Schulreise Israel besucht, bestürzt ihn die Verwirrung, sich als Fremder in einem fremden Land zu fühlen.

Im Holocaust-Museum denkt er an die israelische Broken-Bones-Policy und erkennt, dass er - analog zu Abu Eyad - Wünsche hegt, die nie wahr werden und seine Was-wäre-wenn-Träume von der Rückkehr in die Heimat nur Wunden sind, die nie verheilen. So reist er ab, nimmt Abschied von Kindheit und Erinnerungen, Abschied von Palästina, so meisterhaft inszeniert und voller Wehmut. "A World Not Ours" ist eine Doku, die erschüttert.
erschienen am 20. August 2014
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Saß bei der Revolution im Kino (um näher dran zu sein). Hat deshalb 9000 Filme intus.
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