Constantin Film
Hermine Huntgeburth
In jeder Zeit eine Berechtigung
Interview: Hermine Huntgeburth sieht starke Effi
"Effi Briest" von Theodor Fontane hat schon so manchen Schüler gequält. Regisseurin Hermine Huntgeburth hat sich an die vierte Verfilmung des Romanklassikers gewagt. In unserem Interview beantwortet sie Fragen über Individualität, gesellschaftliche Normen und Aktualität des Stoffes. Ob sie dabei eine Neuinterpretation vorgenommen hat, verrät sie uns ebenfalls.
erschienen am 15. 02. 2009
Constantin Film
Effi Briest
Ricore: Wie erkläre ich meinem Sohn was Effi Briest für unsere Zeit spannend macht?

Hermine Huntgeburth: Erst einmal ist es ein großer deutscher Roman. Es gibt viele junge Menschen, die von diesem Buch begleitet wurden. Für mich ist es vor allen Dingen eine Emanzipationsgeschichte. Die Geschichte von einer jungen Frau, die ihr Individuum entdeckt, ihre Leidenschaft und ihre Sexualität. Es geht eben auch um gesellschaftliche Zwänge und Rollenverhalten. Gleichzeitig hat Effi Briest viele Geschichten, die untergründig mitspielen. Wenn man das von seinem Lehrer gut vermittelt bekommt, kann das sehr spannend sein. Zum Beispiel die Dreiecksgeschichte zwischen Effis Mutter, deren Liebhaber und Effi. Da ist eine Mutter, die ihre Tochter an ihren Liebhaber verheiratet! Die Geschichten sind sehr vielfältig und aktuell. Es ist eine andere Art von Coming-of-age-Geschichte.

Ricore: Als sie den Film angeboten bekamen, waren das ihre ersten Gedanken?

Huntgeburth: Nein, ich kann das schon sehr gut nachvollziehen. Ich hatte auch keinen guten Deutschlehrer und als junger Mensch große Schwierigkeiten, das Buch zu lesen. Im Gegensatz zu Julia Jentsch, die die Geschichte gleich intuitiv begriffen hat. Sie hatte wahrscheinlich einen guten Lehrer, der ihr gezeigt hat, wie spannend und aktuell die ganze Problematik ist.
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Hermine Huntgeburth
Ricore: Als Germanist mochte ich die Geschichte. Ich lese Fontane gerne.

Huntgeburth: Ja, aber es ist schon kompliziert. Die Geschichte besteht ja auch aus Auslassungen. Es geht um die Langeweile, es geht um einen inneren Zustand der keinen Katalysator hat. Dann gibt es die Chinesen-Geschichte, die sehr abstrakt ist. Eine Geschichte von Angst und Begehren. Für uns war das so, dass der Chinese für Effis Angst vor Überschreitung steht. Deswegen muss sie den Innstetten wieder loswerden. Der Herr Gieshübler ist natürlich auch eine tolle Figur. Wenn man es genau liest, ist der homosexuell und hat einen schwarzen Liebhaber. Trotzdem hat er dadurch, dass er von seinem Wesen den Frauen näher steht, als die anderen, die engste Beziehung zu Effi. Er kann ihr zeigen, was Frauen darüber hinaus erleben können. Effi ist ja in einem Kokon, aus dem sie nicht heraus kann. Das ist ihre Triebfeder.

Ricore: Man denkt ja eigentlich, man kenne Effi Briest mittlerweile ganz gut.

Huntgeburth: Ja, Effi Briest ist ja nicht umsonst ein großer deutscher Roman, der lange Zeit überlebt hat. Er hat einfach etwas Allgemeingültiges. Es geht um Menschen in diesem Roman. Wir haben versucht, einerseits durch Maske und Kostüme in der Zeit zu bleiben, andererseits den Zugang zu den Figuren so offen als möglich zu lassen. Für mich ist wichtig, dass es nicht irgendwelche Betonfiguren sind, dass man ultragenau in der Werktreue ist. Es geht ja vor allem um den Menschen, der darstellt wird. Ich finde in jeder Zeit hat Effi eine Berechtigung.

Ricore: Sie wirken immer noch ganz beseelt und mitten in der Geschichte drin. Sind sie so eine Überzeugungstäterin?

Huntgeburth: Filme machen hat etwas mit Leidenschaft zu tun. Ich bin die Person, die diesen Film repräsentiert. Wenn ich nicht überzeugt bin von der Geschichte, kann ich auch niemanden anderen von der Geschichte überzeugen. Dadurch wird diese Geschichte zu meiner Geschichte.
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Julia Jentsch
Ricore: Sie betonen in dem Film die Loslösung Effis aus ihrem Elternhaus und aus den gesellschaftlichen Zwängen. Sie selbst kommen aus einem katholischen Elternhaus aus Paderborn. Gibt es trotzdem Parallelen?

Huntgeburth: Ich bin sehr katholisch erzogen worden und mein größter Wunsch war es, aus Paderborn wegzugehen. Das Kino war für mich ein Fluchtpunkt, ein Blick in die große weite Welt. Natürlich hat das auch etwas mit einer romantischen Vorstellung der Selbstverwirklichung zu tun. Dass man in der Provinz als Individuum wahrgenommen wird. Wo stehe ich, was bin ich und was will ich? Der Wunsch die Freiheit zu erreichen, ist nie abgeschlossen. Das hat eine ganz große Kraft.

Ricore: Als Regisseurin sind sie eine starke Persönlichkeit, sonst hätten sie den Produktionsprozess nicht unter Kontrolle. Sind sie privat genauso stark?

Huntgeburth: Da darf ich nicht so stark sein. Das Schöne ist ja, wenn man eine Familie hat, die gut funktioniert, dann kann man sich fallen lassen. Wirklich beurteilen, wie ich zu Hause bin, kann ich nicht. Manchmal komme ich vom Dreh nach Hause und werde aufgefordert wieder runter zu kommen. Das ist schon so. In meinem Beruf ist es sehr wichtig eine Erdung zu haben.

Ricore: Gegen Ende des Films geben sie Effi eine neue Nuance, während sie am Anfang relativ werkgetreu geblieben sind. Welche Absicht steckt dahinter?

Huntgeburth: Am Anfang fügt sich Effi ganz einfach, weil es sich so gehört für eine junge Frau. Der Roman ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, das ist ja eine Zeit des Aufbruchs. Die Gesellschaft war ja schon wahnsinnig marode und kaputt. Die Frauen waren nur dafür da, als Schmuckstück in der Ecke zu sitzen. Sie sollten Kinder kriegen, die ihnen weggenommen wurden und sonst taten sie gar nichts. Da haben sich die ganzen hysterischen Krankheiten und die Psychoanalyse entwickelt. Die Zeit schreit nach Rebellion und Individualismus. Die wirkliche Figur, Elisabeth von Arnim, wurde fast 100 Jahre alt.
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Hermine Huntgeburth und Sebastian Koch am Set
Ricore: Haben Sie mal recherchiert, wie Elisabeth von Arnim die letzten 50 Jahre ihres Lebens verbracht hat. Was für eine Frau sie war?

Huntgeburth: Ich weiß es nicht so genau. Aber sie hatte viele Kinder und ich glaube, sie war eine selbstbewusste Frau, die ihr Leben gelebt hat. Zu der vorigen Frage: Auch der Roman Effi Briest hat ein kräftiges Ende. Effi erkennt ganz klar ihre Situation, nachdem sie verstoßen wurde. Sie kann auch die Schuldigen genau benennen. Am Schluss siecht sie dahin und muss am Sterbebett sagen: Vielleicht habe ich ja doch Schuld gehabt. Das muss man der Moral der damaligen Zeit zollen. Zehn Jahre später hätte die Geschichte anders geendet.

Ricore: Wie viel Freiheit können Sie sich als Regisseurin bei der Interpretation eines Klassikers nehmen?

Huntgeburth: Im Prinzip darf man sich als Regisseur alle Freiheiten nehmen. Die Frage ist, was möchte ich und was nicht. Im Theater gibt es oft nur Rudimente eines klassischen Stoffes, die dann sehr experimentell und schroff mit Aktualisierungen verwoben werden. Von einem Filmregisseur wird verlangt, so authentisch und so nah wie möglich zu sein. Eine Interpretation des Stoffes wird ihm eher übel genommen. Ich finde die Erwartungen an Filmemacher manchmal spießig. Da sollte man eher vom Theater lernen, dass man auch mal frech und provokativ sein darf.

Ricore: Das Männerbild wurde ja nicht aktualisiert.

Huntgeburth: Doch, ich finde Baron Geert von Innstetten total aktualisiert. Gerade im Gegensatz zu den anderen Verfilmungen. In dem wir von Innstetten selbst als Opfer der gesellschaftlichen Umstände zeigen, dass er selber darunter leidet und auch ein Geheimnis hat, aktualisieren wir die Figur. Es gibt auch Interpretationen, dass Johanna die Geliebte von Instetten ist. Dadurch braucht er Effi nur für die Karriere und die reine Repräsentation.
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Mišel Maticevic in einer Szene aus "Effi"
Ricore: Welche Momente im Film haben Sie besonders bewegt?

Huntgeburth: Mir gefällt die Liebesszene zwischen Crampas und Effi sehr gut, weil ich versucht habe, keine reine Verführungsszene zu gestalten. Ich finde, dass es eine klare Entscheidung von Effi ist, diesen Ehebruch zu begehen. Besonders mag ich den Dialog zwischen den beiden, wenn sie sagt: "Ist das jetzt Liebe?" und Crampas antwortet: "Nein, das ist Freiheit." Das hat etwas mit dem Bewusstwerden der eigenen Individualität zu tun. Und eben auch mit dem Bewusstwerden der Umstände in denen man aufgewachsen ist. Die Theaterszene fand ich auch immer sehr schön. Die ganze Chinesen-Geschichte, die einem erst so rätselhaft erscheint, gefällt mir gut. Mir gefällt sehr viel an dem Film. Wie Juliane Köhler und Thomas Thieme die Eltern spielen zum Beispiel. Es war auch sehr interessant mit Sebastian Koch den verletzten Charakter zu entwickeln. Aber das Größte für mich war, mit Julia Jentsch drehen zu dürfen. Mit welcher Leidenschaft sie die Rollen entwickelt, ist wirklich eine wahre Freude.

Ricore: War Ihnen sofort klar, dass es zwischen Ihnen und Julia Jentsch funktioniert?

Huntgeburth: Für den Produzenten Günther Rohrbach und mich, war es schon klar, dass Julia Jentsch die Effi spielen muss. Ein Schauspieler muss einen so großen Film auch tragen können. Dafür braucht man ein großes Talent und sehr viel Charisma. Julia muss man mit Effi Briest identifizieren können, sonst hat das ganze Projekt ja keinen Sinn.
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Julia Jentsch und Mirko Lang
Ricore: Eine Frage zu der Dreiecksgeschichte zwischen Effis Mutter Luise, deren Liebhaber von Innstetten und Effi. Ich finde das sehr aktuell. Was hat sie daran besonders gereizt?

Huntgeburth: Es gibt verschiedene Formen der Leidenschaft und eine Leidenschaft kann eben auch das Indirekte oder der Voyeurismus sein. Anders als im Buch zieht Luise in Effis Zimmer ein. Von Innstetten und sie sind im ständigen Austausch. Luise führt sozusagen ein Stellvertreterleben. Das finde ich hoch spannend. Die tiefere Beziehung hat von Innstetten zu der Mutter und nicht zu der Tochter. Das ist Wahnsinn.

Ricore: Wann sind sie auf Sebastian Koch für die Rolle des Baron von Innstetten gekommen?

Huntgeburth: Ich wollte schon immer mal mit Sebastian Koch drehen. Ich finde er ist einer unserer großen Charakterdarsteller. Was an ihm interessant ist, dass es im Prinzip eine Gegenbesetzung ist. Dadurch entsteht eine Spannkraft. Mir war klar, dass dieser Mann eigentlich ein begehrenswerter sein soll. Das es nicht die äußere Erscheinung ist, die Effi in die Arme eines anderen Mannes treibt, sondern viel, viel mehr. Das es seine Unfähigkeit ist, eine Beziehung zu Effi aufzubauen, die sie von ihm wegtreibt. Sein Korsett aus gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, lässt ihn zu dem werden, der er ist. Dadurch hat er ein großes Geheimnis.
erschienen am 15. Februar 2009
Zum Thema
Schon mit ihrem ersten, für den NDR produzierten, Spielfilm "Im Kreis der Lieben" gewann Hermine Huntgeburth den Bundesfilmpreis in Gold. Seitdem geht es in ihren Werken immer wieder um das Umschlagen von Liebe in Hass oder Gleichgültigkeit. "Die weiße Massai" etwa handelt von den Schwierigkeiten der Liebe vor dem Hintergrund unterschiedlicher kultureller Erfahrungen. Huntgeburth lebt mit Mann und Tochter in Hamburg.
Effi Briest (Kinofilm)
Preußen im 19. Jahrhundert: Effi Briest (Julia Jentsch) ist ein ungestümer Teenager. Nach dem Willen ihrer Eltern (Thomas Thieme und Juliane Köhler) muss sie standesgemäß heiraten, doch ihre Wahl ist auf den viel älteren Baron von Innstetten (Sebastian Koch) gefallen. Effie reagiert auf ihre Weise. Hermine Huntgeburth legt in ihrer modernen Literaturverfilmung Effi als moderne, starke Frau an.
2024