Kinowelt Filmverleih
Regisseur Rémi Bezançon
Kommunikation mangelhaft
Interview: Rémi Bezançon mag die Familie
Der französische Regisseur Rémi Bezançon überzeugt in seinem zweiten Film "C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben" mit einem einfühlsam erzählten und sehr intim geratenen Portrait einer fünfköpfigen Familie. Wir sprachen mit ihm über die schwindende Bedeutung der Institution Familie und das Rollenverhalten, das einem von der eigenen Familie aufgezwängt wird.
erschienen am 22. 04. 2009
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C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben
Ricore: Ihr Film ist in fünf Episoden unterteilt. In jeder Episode wird ein Tag von einem anderen Mitglied der Familie Duval erzählt. Wie entstand diese Erzählstruktur?

Rémi Bezançon: Zunächst ging es mir um die Zeit als eigenständige Größe. Ich wollte zeigen, wie Zeit vergeht. Anhand einer Familienstruktur kann man das gut anschaulich machen. Die fünf Tage in dem Film sind auf zwölf Jahre verteilt. Zwischen den einzelnen Episoden vergingen teilweise drei bis vier Jahre, die man praktisch nicht mitbekommt. So etwas wurde vorher noch nicht gemacht. Es hat mich interessiert, diese Art des Erzählens auszuprobieren.

Ricore: Das Thema Familie zieht sich durch Ihre Werke wie ein roter Faden. "C'est la vie" ist geradezu eine Liebeserklärung an die Institution Familie. Was bedeutet Familie für Sie?

Bezançon: Die Familie ist für mich prädestiniert, um die verschiedensten Dinge aufzuzeigen - nicht nur eben erwähnte Zeit. So viele Entwicklungen spielen sich im Lauf der Zeit in einer Familie ab. Ich denke gern an das Sprichwort: "Seine Familie sucht man sich nicht aus". Freunde kann man sich aussuchen, mit seiner Familie muss man leben. Insofern ist man auch gezwungen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Deshalb kann man eine ganze Palette von Emotionen und psychologischen Abläufen anhand einer Familie glaubhaft vermitteln. Das mit der Liebeserklärung habe ich noch gar nicht so gesehen. Doch ich muss zugeben, dass der Film für mich eine Möglichkeit war, meiner Familie zu zeigen, dass ich sie liebe.

Ricore: Was haben Ihre Eltern und Geschwister zu dem Film gesagt, war jemand beleidigt? Wir denken zum Beispiel an die Ehekrise zwischen Robert und Marie-Jeanne Duval, Sie sprechen explizit das Sexualleben an.

Bezançon: Meiner Familie hat der Film sehr gut gefallen. Es hat sich jedoch niemand darin wiedererkannt. Das liegt ganz einfach daran, dass es kein autobiographischer, sondern ein fiktionaler Film ist. Doch natürlich habe ich mich durch meine eigene Vergangenheit, meine Familie inspirieren lassen. Ich habe Gegenstände, Dialogfetzen oder sonstige Details aus meiner persönlichen, familiären Erfahrung genommen, und sie in den Film eingebaut. Doch den Großteil dessen, was in dem Film passiert, habe ich entweder in meinem Umfeld beobachtet oder mir ausgedacht. Was hingegen ein autobiographisches Element ist, das mich stark geprägt hat, sind die Super 8 Filmsequenzen. Solche Super 8 Filme gibt es auch aus meiner Kindheit.
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Szene aus "C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben"
Ricore: In Ihrem Film geht es auch darum, dass man innerhalb der Familie in Rollen gedrängt wird, so etwa Medizinstudent Albert. Dass man Erwartungen erfüllen muss. Haben Sie Vergleichbares erlebt? Bevor Sie zum Film gekommen sind, haben Sie Ingenieurwesen studiert.

Bezançon: Ich habe das schon ähnlich erfahren. Ich stamme aus einer Familie von Ingenieuren und Wissenschaftlern. Meine beiden größeren Bruder und auch meine jüngere Schwester haben ebenfalls in diesem Bereich studiert. Deshalb habe ich auch mit einem Ingenieursstudium angefangen, weil es irgendwo von mir erwartet wurde. Das habe ich zwei Jahre lang durchgezogen. Dann entschied ich mich etwas zu tun, was mir wirklich Spaß machte. Das war dann eben etwas Künstlerischeres. Natürlich war das schwer, es hat auch sehr lange gedauert. So habe ich ein umgangssprachliches Französisch gesprochen. Es waren harte Jahre, in denen ich sehr viel an mir arbeiten musste. Doch ich bin sehr zufrieden über diese Entscheidung und bereue sie nicht. Jetzt kann ich genau das machen, was ich schon immer machen wollte.

Ricore: Haben Sie eine Lieblingsfigur in diesem Film?

Bezançon: Das ist eine schwere Frage, in etwa so, als müsste ich mir eine Lieblingsperson aus meiner Familie aussuchen. Ich würde keiner den Vorzug geben, doch am ehesten finde ich mich in Raphaël wieder. Er ist wie ich auch das mittlere, das Sandwich-Kind. So habe ich mich in meiner Familie immer gefühlt. Insofern ist Raphaël sicherlich die Person, mit der ich mich am meisten identifizieren kann.

Ricore: Sie beschreiben ein sehr interessantes Verhältnis zwischen Großvater, Vater und Enkel. Zunächst wirkt es so, als würde der Großvater seinen Sohn verachten. Warum gibt es diese Konstellation, dass ein Großvater den Enkel dem Sohn vorzieht im Leben so oft?

Bezançon: Zunächst wird tatsächlich der Eindruck erweckt, dass der Großvater seinen eigenen Sohn verachtet. Erst gegen Ende des Films, als der Großvater stirbt, wird einem klar, dass er immer ein Foto von seinem Sohn im Geldbeutel - also in seinem Herzen - getragen hat. Das, was wie ein Mangel an Liebe wirkt, war in Wirklichkeit eine schlechte Kommunikation. Daran krankt es oft. Kommunikation in unseren Familien ist etwas, das häufig gestört ist. Ich kenne das aus meiner eigenen Familie; eine sehr protestantische Familie, in der man nicht gewöhnt ist, seine Gefühle auszudrücken, in der man an sich oft nicht sagt, wie gern man jemanden hat. Das kann man übrigens häufig beobachten, dass eine Familie ihre Gefühle nicht genug formuliert. Dann kommt eben genau die Situation zustande, die ich in meinem Film beschreibe. Einige Sachen überspringen eine Generation. Das symbolisiere ich in "C'est la vie" durch den Wein. In die Liebe zum Wein wird der Vater nicht einbezogen, sie springt vom Großvater direkt auf den Enkel.
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Mal sehen, was das Leben so bringt
Ricore: Gibt es in unserer geschäftigen Zeit überhaupt noch Raum für die Familie? Viele Familien essen nicht mal mehr zusammen, vom gemeinsamen Spieleabend ganz zu schweigen…

Bezançon: Ich gebe Ihnen da vollkommen Recht, es ist heutzutage sehr schwer, sich Zeit mit der Familie zu organisieren. Dazu kommt, dass man sich von seinen Eltern wie Geschwistern umso mehr entfernt, je älter man wird. In unserer Familie haben wir die Tradition entwickelt, uns alle zwei bis drei Monate zu treffen um Zeit miteinander zu verbringen. Das ist etwas, das mir gut gefällt. In der Familie, die ich im Begriff bin zu gründen, will ich das beibehalten. Dass man zumindest versucht, sich alle zwei bis drei Monate zu treffen, damit die Kontakte nicht völlig auseinanderbrechen.

Ricore: Der französische Originaltitel "Le premier jour du reste de ta vie" beruht auf einer Passage aus Sam Mendes' Sozialdrama "American Beauty", das Sie als Meisterwerk bezeichnen. Haben Sie einen Lieblingsfilm oder einen, der Sie besonders geprägt hat? Doch nicht etwa "Die glorreichen Sieben", der in "C'est la vie" ja auch erwähnt wird…

Bezançon: Das ist richtig, es handelt sich um eine Dialogzeile von Kevin Spacey, allerdings im Off. Um auf den Lieblingsfilm zu sprechen zu kommen: "Die glorreichen Sieben" ist sicherlich nicht mein Lieblingsfilm. Er erfüllt hier die Aufgabe, Erinnerungen zu wecken. Ich erinnere mich sehr stark an den Film, deshalb muss es auch ein sehr guter Film sein. Doch für mich geht es eher um die Bilder, die dadurch heraufbeschworen werden. Der nostalgische Wert, der den beiden Brüdern vermittelt wird, sie haben in ihrer Kindheit diesen Film des Öfteren gesehen. Für mich gibt es viele Auslöser, die längst vergangene Momente wieder aufleben lassen können. Bestimmte Filmsequenzen oder Musikstücke bieten sich hier natürlich an. Sie können Gefühle in konservierter Form noch einmal entstehen lassen. Die Frage nach dem Lieblingsfilm ist relativ schwer zu beantworten. Einen, den ich liebe, ist "Der unsichtbare Dritte" von Alfred Hitchcock. Diesen Film halte ich für perfekt. Ansonsten mag ich Stanley Kubrick sehr gerne.
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Voller Erwartung in "C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben"
Ricore: Sie wenden für jede ihrer Hauptfiguren viel Zeit auf. Sie portraitieren in einem Film fünf Personen auf einfühlsame Weise. Hatten Sie keine Bedenken, dass fünf zu viel sein könnten?

Bezançon: Die Gefahr war für mich nie da, weil ich versuche, auf sehr lockere Weise zu erzählen. Es wird immer wieder bewusst durch Situationen aufgelockert. Diese Struktur verhindert, dass der Film in irgendeiner Weise überladen wird. Man verbringt nie mehr als 15 Minuten konzentriert mit einer Person und die ist immer in Interaktion mit anderen. Außerdem gibt es für mich nur eine Hauptperson, und das ist die Familie.

Ricore: Können Sie uns etwas über Ihr nächstes Projekt sagen?

Bezançon: Ich adaptiere momentan einen Roman, "Ein freudiges Ereignis". Darin wird eine Schwangerschaft aus den Augen einer schwangeren Frau gezeigt. Es wird ein ähnlicher Ton angeschlagen, wie in meinen bisherigen Filmen. Es wird erneut eine Tragikomödie. Das Buch ist sehr unterhaltsam. Ein bisschen so, als wäre Woody Allen schwanger geworden.

Ricore: Abschließend eine sehr persönliche Frage: Würden Sie rückblickend sagen, dass Ihre Familie Ihnen eine glückliche Kindheit und Jugend ermöglicht hat?

Bezançon: Die grundsätzliche Antwort zu dieser Frage ist Ja. Meine Eltern waren relativ streng. Ich hatte eine Kindheit, in der die Basis für meine Zukunft gelegt wurde. Meine Familie hat mich später bei jeder Entscheidung unterstützt. Ich bin relativ früh von meiner Familie weggegangen, mit 17 Jahren, weil ich immer das Bedürfnis hatte, mich selbst zu erschaffen, selbst zu lernen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. April 2009
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Rémi Bezançon wächst als zweitjüngstes Kind in einer sechs-köpfigen Familie in Paris auf. Selbst bezeichnet er sich gern als "Sandwich-Kind". Aus einer Familie von Wissenschaftlern und Ingenieuren stammend, studiert Bezançon Ingenieurwesen. Nach zwei Jahren steigt er aus. Er will seinen Beruf und seine Leidenschaft verbinden. Folglich besucht Bezançon eine Filmhochschule und schreibt erste Drehbücher für Kurzfilme. Unzufrieden mit deren Adaptionen, inszeniert er selbst Kurzfilme. Immer wieder..
Rémi Bezançon seziert in "C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben" den Organismus Familie. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren begleitet er die Duvals. Die Kinder wachsen auf, emanzipieren sich, erleben die Ehekrise ihrer Eltern. Das ist gelegentlich etwas traurig, aber meist komisch. Besançon gelingt ein ergreifendes Familienportrait, das es so noch nicht gab. Ein besonderes Lob gebührt in dieser Liebeserklärung an die Familie den jungen Schauspielern.
2024