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Andreas Dresen bei der Arbeit
Andreas Dresen, der deutsche Woody Allen?
Interview: Tod in schönen Momenten
In unserem Gespräch anlässlich seines neuen Films "Whisky mit Wodka" spricht Regisseur Andreas Dresen über Masken, Fehler, Konkurrenz und Tod. Themen, die zum Leben gehören, und auch in "Whisky mit Wodka" eine bedeutende Rolle spielen. Eine besondere Herausforderung waren die Dreharbeiten mit einem "Doppel-Team". Trotzdem hat er sich bei den Dreharbeiten oft wie der Papa gefühlt und mit Corinna Harfouch und Henry Hübchen Überstunden gemacht.
erschienen am 1. 09. 2009
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Henry Hübchen in "Whisky mit Wodka"
Ricore: "Whisky mit Wodka" ist ein Film, den auch Woody Allen hätte machen können...

Andreas Dresen: Ich glaube, vor so etwas hätte er wenig Scheu. "Whisky mit Wodka" hat mit seinen vielen menschlichen Facetten durchaus etwas mit Woody Allen gemeinsam. Er hat zwar meistens einen scharfen Plot in seinen Geschichten. Diesen nutzt er aber oft dazu, um nach allen Seiten auszubrechen, um dann mit seinen Figurenkonstellationen über alle menschlichen Lüste und Unwegbarkeiten, verschüttete Träume und Sehnsüchte zu erzählen. Insofern fand ich, dass "Whisky mit Wodka" eine ähnliche Tonalität wie zum Beispiel "Hannah und ihre Schwestern" hat. Daran musste ich beim Drehen manchmal denken. Filme dieser Art schätze ich sehr.

Ricore: Was hat Sie an diesem Stoff am meisten gereizt. Vielleicht, dass Sie Ihre eigene Branche aufs Korn nehmen konnten?

Dresen: Nein, ganz im Gegenteil. Als ich die Geschichte zum ersten Mal las, fand ich zwar, dass sie auf den ersten Blick in einer amüsanten Konstruktion viel über die Filmbranche erzählt. Aber dies sollte nicht das Thema des Films sein. Unter der Oberfläche verbirgt sich etwas ganz anderes: Es ist ein Gruppenbild von Menschen, von denen jeder in seiner Einsamkeit gefangen ist. Sie müssen mit ihren ungelebten Wünschen und Sehnsüchten fertig werden, sind auf der Suche und tappen oft daneben. Das hat mich sehr gerührt.

Ricore: Was ist das Besondere an Otto?

Dresen: Otto Kullberg surfte bis zuletzt auf der Erfolgswelle. Plötzlich stellt er fest, dass er seit jeher falsche Prioritäten gesetzt hat. Dass er neben seinem Leben in der Scheinwelt des Films versäumt hat, sich ein reales Leben aufzubauen. Er hat keine Familie, keine Kinder. Als ihn sein Vater am Sterbebett fragt "Wer bin ich?", kann er immerhin antworten "Du bist mein Vater". Was er von sich selbst nicht sagen kann. Da ist eine große Leere. Deswegen haben wir den Film mit einem Hinterkopf ohne Gesicht angefangen. Otto hat immer in Masken gelebt. Deswegen sitzt er zu Beginn vor einem Spiegel und bekommt eine Maske aufgesetzt. Man erkennt noch nicht das Gesicht hinter der Maske und möglicherweise kennt er es selbst nicht.

Ricore: Gab es in einem Ihrer Filme nicht eine ähnliche Schlaganfallszene wie in "Whisky mit Wodka"?

Dresen: Bei "Sommer vorm Balkon" stirbt eine alte Dame beim Akkordeon spielen.
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Am kalten Set von "Whisky mit Wodka"
Ricore: Wie ist Ihr Verhältnis zum Älterwerden und Tod?

Dresen: Das gehört zum Leben dazu und ich finde es gut, dass Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase dies in seine Geschichten integriert. Der Tod trifft uns alle irgendwann. Manchmal ganz unerwartet, in schönen Momenten. Wie zum Beispiel beim Akkordeon spielen. Oder in einem erwarteten Augenblick, wenn man im Krankenhaus an den Maschinen hängt. Aber der Tod ist Teil unserer Lebensrealität und ich finde es wichtig, dies auch in Filmen zu zeigen. In "Whisky mit Wodka" ist es für mich ein sehr wichtiger Moment. Da er, abgesehen vom Ausflug in den Landgasthof, der einzige Moment ist, der in der realen Welt stattfindet, fernab von diesem Zirkus, der bei den Dreharbeiten im Seebad veranstaltet wird. Das erdet die Geschichte, was sehr wichtig ist. Otto Kullbergs Vater ist zeitlebens als Briefträger im wirklichen Leben unterwegs. Wie Otto so schön sagt: "Er hat sich eine Menge Wege gemacht". Daran muss sich auch Otto messen lassen, der sich zwar auch Wege gemacht hat, aber in einer Welt, die überwiegend aus Pappmaché besteht.

Ricore: Glauben Sie, dass Konkurrenz nicht nur das Geschäft belebt, sondern auch den Menschen?

Dresen: Ich glaube, dass Konkurrenz auch sehr gefährlich sein kann, weil sie Menschen unter enormen Druck setzt. In "Whisky mit Wodka" gibt es eine sehr zynische Konstruktion. Es ist ja ungewöhnlich, dass zwei Schauspieler für dieselbe Rolle besetzt werden. Wenn ich nicht wüsste, dass es in der Realität stattgefunden hätte, würde ich es für unmöglich halten. Aber es ist wirklich passiert, bei einem alten Defa-Film 1957, wenn auch nur zwei Wochen lang. Was Otto Kullberg in seiner großen Rede sagt, trifft mich mitten ins Herz. Weil es etwas beschreibt, was unserer Gesellschaft immanent geworden ist: man darf keine Fehler mehr machen. Wir müssen alle wie auf Schienen laufen. Du hast zu funktionieren. Wenn du nicht funktionierst, wirst du ausgetauscht. So ist die Konkurrenz. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Aber es ist gnadenlos, wenn man einen Menschen für einen Fehler sofort bestraft. Dies beklagt Otto zu Recht, da er es als würdelos empfindet. Die gesamte Situation ist ziemlich würdelos, ebenso wie sich das Team dazu verhält. Eigentlich müsste man aufstehen und sagen: "Freunde, das geht so nicht", aber keiner, außer der Regieassistentin, tut es. Einmal sagt der Kameramann: "Man kann alles mit jedem machen." Das ist ein schöner Kohlhaase-Satz und er ist leider Realität geworden.

Ricore: Otto, der betrunken ans Set kommt, ist auch eine Art Diva. Wie gehen Sie mit starken Schauspielerpersönlichkeiten um? Sind Sie toleranter?

Dresen: Dass man sich am Set nicht besaufen darf, sollte klar sein. An jedem normalen Arbeitsplatz würde man schließlich dafür auch rausfliegen. Ich habe schon mal Alkohol am Set verboten, nicht nur bei Schauspielern, sondern beim gesamten Team. Bei meinem allerersten Film hatte ich das Problem. Es gibt ja die sogenannten Schnapsklappen. 33.3, die 3. ist zum Beispiel eine Schnapsklappe. Und immer, wenn eine geschlagen wird, wird sie auf einen vom Team geschlagen. Dann muss derjenige für alle einen ausgeben. Oft werden mehr Schnapsklappen geschlagen, als man einlösen kann, und gegen Ende des Films häufen sich die Uneingelösten. Bei meinem ersten Film hatte ich nachts einen Dreh in einer Kirche. Es war saukalt draußen, minus 15 Grad, auch in der Kirche war's nicht besser. Irgendwann fiel mir auf, dass während des Drehs immer wieder Leute in einen Raum hinter dem Altar verschwanden. Dort hatten sich die Flaschen aus den nicht eingelösten Schnapsklappen angesammelt, die nun geöffnet wurden. Und nach und nach war das ganze Team angetrunken! Inklusive meines Kameramannes.
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Sylvester Groth gibt Regieanweisungen
Ricore: Nein!

Dresen: Sowas ist bedenklich, vor allem, wenn man eine große Szene mit vielen Kleindarstellern hat. Ich finde das verantwortungslos, besonders, wenn auch noch der Schärfe-Assistent betrunken ist. Als ich's bemerkt hatte, habe ich ein Riesentheater gemacht und das ganze Zeug rigoros wegschließen lassen. Das Team hat mich dafür gehasst. Aber in so einem Fall muss man hart durchgreifen. Mit Schauspieldiven hatte ich jedoch noch nicht zu tun. Ich habe aber Schauspieler gehabt, bei denen ich feststellte, dass ich sie nicht leiden kann und sie mich auch nicht.

Ricore: Was geschieht dann?

Dresen: Man muss sich arrangieren und später darf man mit der Person eben nicht wieder arbeiten. Es gibt immer wieder Schauspieler, die sich weniger gegenüber dem Regisseur, sondern eher gegenüber anderen Beteiligten, wie beispielsweise dem Requisiteur oder der Maskenbildnerin, nicht zu benehmen wissen. Sie führen sich dann auf wie kleine Götter. Wenn ich so etwas mitkriege, reagiere ich sehr empfindlich. Ich habe sowas mal mit einem Schauspieler erlebt. Ihm habe ich dann gesagt, dass ich ihn nie wieder besetzen werde, weil ich so ein Verhalten nicht dulde. Das kommt zum Glück nicht häufig vor. Selbst bei "Whisky mit Wodka", wo ja ein paar Stars mitgewirkt haben, gab es keine Probleme. Das Drehen war unkompliziert und die meisten Schauspieler sind tolle Menschen. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Ricore: Wie holen Sie das Maximum aus Ihren Schauspielern heraus?

Dresen: Man erarbeitet viel gemeinsam, und es gehört Vertrauen dazu. Ich glaube, Corinna Harfouch hat sich am Set sehr wohl gefühlt. Ich habe mich mit ihr auch sehr wohl gefühlt. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Dann wird es ganz einfach, weil man die Suche des anderen nicht als Misstrauen begreift. Wir haben über die Szene im Landgasthof oft gesprochen, weil ich sie sehr wichtig fand. Am Ende eines Drehtags, nachdem alle anderen schon weg waren, sind Corinna und Henry dann noch geblieben und wir haben vier bis fünf Stunden an der Szene geprobt, um herauszufinden, wie wir sie am nächsten Tag drehen werden. Sie wurde etwas anders, als im Drehbuch beschrieben, härter, was für den Film wichtig war. So etwas kann man nur mit Schauspielern machen, die viel Leidenschaft mitbringen. Für mich war es die reinste Freude, mit diesem Ensemble zu arbeiten. Sie sind große Komödianten und große Charakterdarsteller. Ein Geschenk für einen Regisseur.

Ricore: Wollten Sie von Anfang an, dass Corinna Harfouch und Henry Hübchen die Hauptrollen spielen?

Dresen: Ja, ich hatte sie von Anfang an im Kopf. Mit Henry habe ich sogar vorher noch Probeaufnahmen gemacht. Natürlich nicht, um ihn als Schauspieler auszutesten. Wir wollten uns vergewissern, dass wir eine gemeinsame Tonlage finden. Aber auch um zu sehen, ob das mit der Darstellung der Trunkenheit funktioniert, da Henry selbst fast nichts trinkt. Außerdem versuche ich immer herauszufinden, ob die Konstellationen passen. Ich habe zum Beispiel auch Probeaufnahmen zwischen Henry und Markus Hering gemacht.
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Regisseur Andreas Dresen und Ursdula Werner schauen sich Videomaterial an
Ricore: War es kompliziert, mit zwei Teams zu drehen? Sie haben im Film ein Team, das ein Film-Team spielt.

Dresen: Ja, das war ein bisschen absonderlich. Bei "Wolke Neun" waren wir am Set nur zu viert, sehr intim. Es gab keine strikte Aufgabenverteilung, jeder hat alles gemacht. Ich habe den Tonangler und die Fotos gemacht und bin Auto gefahren. Dann kommt man plötzlich an ein Set, wo 50 Leute vor der Kamera herumlaufen und dahinter nochmal 50. Das ist eine ganz andere Nummer. Da musste ich schon den Zirkusdirektor spielen. Es hat aber auch Spaß gemacht. Bis auf den Kameramann war es ja auch dasselbe Team wie bei "Wolke 9". Die Leute, die bei "Wolke 9" fast alles allein gemacht hatten, mussten bei " Whisky mit Wodka" 20 bis 30 Leuten anleiten. Das zeigt auch, dass sie gute, professionelle Arbeiter sind.

Ricore: Was war das besondere für Sie daran?

Dresen: Nun ja, ich habe versucht, spielerisch damit umzugehen, verschiedene Realitätsebenen vor der Kamera zu haben. Schauspieler, die in unterschiedlichen Spieltechniken agieren: mal im historischen Kostüm und mit 20er Jahre Tonfall sprechen, dann wieder in der Gegenwart agieren. Und darüber hinaus, das Absurde: einen zweiten Drehstab zu haben. Das war organisatorisch eine Herausforderung. Man musste zum Beispiel darauf achten, dass nicht die falsche Lampe ins Bild gestellt wird. Welche gehört jetzt ins Bild und welche hinter die Kamera? Das hat man oft nicht sofort gemerkt.

Ricore: Ist es wahr, dass Sie mit "Whisky mit Wodka" nicht nach Cannes wollten, nach dem Rummel um "Wolke 9" beim letztjährigen Festival?

Dresen: Nein, nicht deswegen. Wir hatten das Gefühl, "Whisky mit Wodka" ist nicht der richtige Film für Cannes. Wir wären gern nach Berlin gegangen, da hat man uns das Panorama Spezial angeboten. Das wollten wir aber nicht, wir wollten lieber in den Wettbewerb. Stattdessen haben wir beschlossen, im Sommer zu den Festivals zu gehen, die in Startnähe stattfinden. Wir haben uns für München und Karlsbad entschieden. Wie die Reaktionen gezeigt haben, war das für den Film das Richtige.

Ricore: Wenn Henry Hübchen zu Beginn des Films an den Set kommt, stehen viele Autogrammjäger herum. Es gibt in Deutschland kaum Autogrammjäger, die nach Autogrammen von Leuten in seinem Alter Ausschau halten. Ausnahme ist Harald Juhnke. Ist er damit gemeint?

Dresen: Wenn Sie Henry Hübchen bei der Premiere gesehen hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass einige Autogrammjäger hinter ihm her waren. Die Geschichte "Whisky mit Wodka" hat mit dem Leben Harald Juhnkes gar nichts zu tun. Natürlich drängt sich der Vergleich auf, weil er der einzige Schauspieler ist, bei dem man weiß, dass es am Set wegen seines Alkoholismus Querelen gegeben hat. Es gibt aber durchaus Schauspieler mit Alkoholproblemen. Das liegt auch daran, dass sie sich oft nahe am Abgrund bewegen. Manchmal sind die Ängste so groß, dass sie sie mit Alkohol zu kompensieren versuchen. Jeder, der an einen Drehort kommt, hat Versagensängste.
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Andreas Dresen bespricht Arbeitsabläufe mit Nadja Uhl bei "Sommer vorm Balkon"
Ricore: Sie auch?

Dresen: Ich auch. Man kommt mit vielen Ängsten und Komplexen daher und muss mit dem Geld fremder Menschen umgehen. Man möchte diese Menschen nicht enttäuschen, man möchte sich selbst nicht enttäuschen, man möchte alles gut machen. Dann ist es meine Aufgabe, das beiseite zu schaffen, eine möglichst angstfreie Atmosphäre zu schaffen, bei der sich alle frei fühlen. So dass sich alle trauen, Vorschläge zu machen und - was das wichtigste ist - auch Fehler. Das ist wichtig, weil der Irrweg ein Teil des Prozesses ist. Man muss ihn als Teil der Suche begreifen, dafür braucht es eine gewisse Offenheit. Wenn man diese Offenheit schafft, dann fassen die Schauspieler Vertrauen und machen ungewöhnliche Dinge. Weil sie wissen, wenn sie etwas riskieren, werden sie nicht bestraft. Ich wünsche mir, dass sie etwas riskieren. Dieser Take zum Beispiel, wo Henry mit der Flasche herumhantiert, das war der erste Take, das gab's nur einmal, wo er diese Nummer bis zum Wahnsinn ausgespielt hat. Laut Drehbuch sollte er nur zweimal auf den Tisch hauen. Er hat es aber viel öfter gemacht. Er fühlte sich frei, und ich fand's gut und hab mitgedreht. Auch wenn wir noch andere Varianten gedreht haben. Das hat mit Offenheit zu tun, sich auf Vorschläge des anderen einzulassen.

Ricore: Der Regisseur im Film, gespielt von Sylvester Groth zeigt, dass ein Regisseur ständig am Rotieren ist. Ist es bei Ihnen ähnlich, wenn Sie selbst sagen, Sie müssen dafür sorgen, dass sich alle frei fühlen?

Dresen: Man muss als Regisseur versuchen, allen gerecht zu werden. Dabei wird man oft zwischen den Fronten hin und hergeworfen. Man muss für alle da sein. Man muss die Linie finden. Da kommt jemand mit einem Vorschlag und man muss überlegen, passt der in den roten Faden oder nicht. Nur so selektiert sich, was am Ende gedreht wird. Man kann ja nicht alles machen. Nicht jeder noch so tolle Vorschlag passt zum Film. Man braucht auch psychologische Qualitäten. Wenn man einen Vorschlag ablehnt, darf man einem Menschen nicht das Gefühl geben, dass ihre Idee total daneben war. Vielleicht hat er am nächsten Tag einen Einfall, der genau richtig ist. Deswegen ist Offenheit sehr wichtig. Aber es kann einen schon fertig machen. Wenn ich am Ende eines Drehtags nach Hause oder ins Hotel komme, mag ich meist nicht mehr reden. Ich bin dann erschöpft, weil ich ja für alle am Set auch so eine Art Papa bin. Ich muss für alle da sein und immer ein gutes Wort haben. Das macht mir zwar Spaß, aber es ist auch anstrengend.

Ricore: Woran merken sie, ob der Film gelingt?

Dresen: Das ist schwer zu sagen. Ehrlich gesagt, ich weiß es jetzt noch nicht einmal. An der Reaktion der Zuschauer sieht man meistens, ob die Dinge ankommen. Bei der ersten Vorführung von "Whisky mit Wodka" war eine großartige Atmosphäre im Saal. Es wurde an den richtigen Stellen gelacht, und dann auch wieder still. Das ist schon die halbe Miete, über sowas freut man sich. Gerade bei einem Film, der oberflächlich gesehen, auch lustig sein soll, ist es peinlich, wenn bei Gags keiner lacht. Eine Komödie ist ein gefährliches Terrain. Für mich stellt sich aber erst mit einigem Abstand heraus, ob die Dinge wirklich funktionieren. Ich sehe manchmal Stellen, bei denen ich regelmäßig das Gefühl habe, hier stimmt es einfach nicht. Das war bei "Whisky mit Wodka", aber auch bei "Wolke 9" so. Man schafft eben nicht den perfekten Film. Es gibt ja schönen Satz von Beckett: "Immer versucht, gescheitert, einerlei. Wieder versuchen, wieder scheitern - besser scheitern." Man versucht, beim nächsten Mal nicht wieder dieselben Fehler zu machen und macht dafür andere. Nach einem Drehtag werde ich manchmal um zwei oder drei Uhr nachts wach und lasse mir die Szene des Vortags durch den Kopf gehen. Dabei fällt mir dann manchmal ein, dass ich Fehler gemacht oder etwas vergessen habe. Im Nachhinein versuche ich dann noch, dies zu korrigieren. Am Ende ist der Film halt so, wie er ist, und man kann es nicht mehr ändern. Dann muss man etwas Abstand dazu gewinnen, den nächsten drehen und dabei andere Fehler machen.
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Regisseur Andreas Dresen
Ricore: "Wolke 9" war sehr erfolgreich, ist in Cannes gelaufen war beim Publikum beliebt. Hat sich dadurch in Ihrer Arbeitsweise etwas verändert? Haben sich Ihnen dadurch Türen geöffnet?

Dresen: Es war schon bei "Wolke 9" leichter, weil wir davor "Sommer vom Balkon" und "Halbe Treppe" gedreht hatten. Wir hätten "Wolke 9" sonst nicht machen können. Da wir dafür kein Drehbuch hatten, hätten wir keine Finanzierung bekommen. Aber inzwischen haben die Geldgeber mitbekommen, dass man sehr wohl auch ohne Drehbuch einen Film drehen kann. Sie hatten das Vertrauen, dass wir das hinkriegen, sie hatten sogar mehr Vertrauen als ich! Ich hatte ein paar Diskussionen mit meinem Produzenten wegen "Wolke 9", weil ich nicht wollte, dass das Budget zu groß wird. Kaum zu glauben, aber ich habe gekämpft, um ein kleineres Budget zu bekommen, weil weniger Geld oft auch mehr innere Freiheit gibt. Man hat weniger Verantwortungsdruck, deswegen bin ich überhaupt nicht scharf darauf, immer größere Budgets zu erhalten. Je sparsamer man dreht, desto mehr Möglichkeiten hat man, wirklich etwas zu riskieren. Fremdes Geld lastet auf den Schultern. Nicht, dass man dann automatisch anfängt, Kompromisse machen. Man bekommt aber größere Ängste, als man sonst schon hat.

Ricore: Aber bedeutet es nicht auch größeres Vertrauen, mit größeren finanziellen Mitteln?

Dresen: Ja, stimmt schon, mit größerem Erfolg genießt man auch größeres Vertrauen. Aber man weiß auch, dass sich das jederzeit ändern kann. Nichts ist wankelmütiger als die Branche. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg und nichts ist so schlimm wie der Misserfolg. Bei Misserfolg wird man sofort hinaus gekickt, das sieht man am Beispiel unseres Films sehr gut.

Ricore: "Sommer vorm Balkon" hatte eine Million Besucher. Sind sie jetzt dem Druck ausgesetzt, mit "Whisky mit Wodka" diesen Erfolg zu wiederholen?

Dresen: Nein. Ich weiß zwar nicht genau, was der Verleih erwartet. Es wird schon kalkuliert, aber ein Filmstart hängt von so vielen Faktoren ab. Deswegen lässt sich das schwer berechnen. Ich könnte nicht sagen, wie viele Leute diesen Film ansehen werden. Ich kann nur hoffen, dass es möglichst viele sind. Nicht nur, damit er möglichst viel Geld einspielt und wir die Fördermittel zurückzahlen können, sondern damit möglichst viele Leute diese Geschichte sehen. Ich halte nicht viel von angeblichen Branchenkennern, die genau zu wissen glauben, was das Publikum will. Wenn ich so denken würde, hätte ich einen Film wie "Wolke 9" nie gedreht, denn so etwas ist ja Kassengift: Ältere Menschen, Improvisation, kein Drehbuch, keine Musik, kein klassisches Happy End, unbekannte Schauspieler. Wer will denn sowas sehen? Dann haben immerhin eine halbe Million Menschen diesen Film gesehen, das hätte ich nie für möglich gehalten. Für mich war es ein experimenteller Film. Und was "Whisky mit Wodka" betrifft, ich weiß es nicht. Man sagt immer, keiner will Filme über die Filmbranche sehen. Aber dafür gibt es auch Gegenbeispiele. Außerdem ist es eine interessante Geschichte über die Filmbranche hinaus. Geschichten, die jeden angehen - und das hoffentlich mit einem hohen Unterhaltungswert.

Ricore: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
erschienen am 1. September 2009
Zum Thema
Andreas Dresen, Wolfgang Kohlhaase und Conny Ziesche kehren nach dem gefeierten "Sommer vorm Balkon" mit einer neuen Produktion zurück. "Whisky mit Wodka" erzählt die tragikomische Geschichte eines alternden Filmstars (Henry Hübchen), der seine Einsamkeit mit Alkohol bekämpft. Deshalb vergisst er ab und an schon mal seinen Text und behindert die Dreharbeiten seines neuen Films. Als das Maß voll ist, greift der Produzent zu einem ungewöhnlichen Trick, um sein Paradepferd wieder auf Kurs zu..
Sie passen gut zusammen, Andreas Dresen und seine Filme. Auf den ersten Blick eher unscheinbar, erweisen sie sich dem genaueren Beobachter rasch als mutig, klug, zugleich bodenständig und fantasievoll, zudem von einem feinen Sinn für die Abgründe und Absurditäten des Alltäglichen durchzogen. Andreas Dresen ist ein Abenteurer - einer, der seine Schwächen und Ängste gut genug kennt, um sie immer wieder neu herauszufordern. Seit "Nachtgestalten" hat Dresen nicht nur das Publikum begeistert,..
2024