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Édgar Ramírez spielt seinen Landsmann Carlos
Diplomat wird Terrorist
Interview: Édgar Ramírez ist Carlos
Der in Venezuela geborene Édgar Ramírez ist kosmopolitisch. Da sein Vater beim Militär war, lernte er früh die Welt kennen. Er beherrscht fünf Sprachen fließend. Vor seiner Schauspielkarriere wollte er Diplomat werden und arbeitete als Politikjournalist, bis ihn Alejandro González Inárritu für sein Regiedebüt "Amores perros" entdeckte. Allerdings blieb der Student damals seinen Karriereträumen treu und lehnte ab. Erst als "Amores Perros" mehrere internationale Auszeichnungen gewann, wechselte Ramírez zum Schauspiel. In dem Biopic "Carlos, der Schakal" spielt er einen Terroristen aus den 1970er Jahren. Warum er sich in München wohlfühlt und was er trotzdem aus seiner Heimat vermisst erzählt der Schauspieler Filmreporter.de im Interview.
erschienen am 6. 11. 2010
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Carlos, der Schakal
Ricore: Ramírez spielt Ramírez - ein Zufall?

Édgar Ramírez: Der Name ist bei uns verbreitet wie hier Müller oder Schmidt.

Ricore: Wie war es, als man Ihnen als Venezolaner die Rolle des berüchtigtsten Terroristen Ihres Landes angeboten hat?

Ramírez: Das passierte alles zufällig. Mein Wissen über Carlos war rudimentär. Ich wusste nicht mehr, als dass er ein verrückter Venezolaner war, der mit den Palästinensern gemeinsam kämpfte und einen Mythos um seine Person geschaffen hat.

Ricore: Also ist Carlos in seiner Heimat kein Thema mehr?

Ramírez: Nicht wirklich. Aber er existiert und ist Teil der Geschichte, aber nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt. Aber ich kann nicht sagen, dass er während meiner Kindheit besonders präsent war.

Ricore: Wie hat sich Ihr Blickwinkel auf Carlos im Zuge der Dreharbeiten und der Recherche verändert?

Ramírez: Zuerst hab ich viel gelesen. Beginnend mit historischen Texten, um einen Überblick über die Zeit zu verschaffen und dann Biographisches, "Die Verschwörung der Lügner" von David A. Yallop zum Beispiel. Außerdem hab ich mit Leuten aus seinem näheren Umfeld sprechen können, auch mit seiner Familie. Das waren alles Zutaten, aus denen ich dann den Charakter formte, den Regisseur Olivier Assayas angelegt hatte.
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Édgar Ramírez ist Carlos
Ricore: Was ist Carlos für ein Mensch?

Ramírez: Ein sehr widersprüchlicher und komplexer Charakter. Er verkörpert die Träume des Wandels und die Revolution der 1970er Jahre verbunden mit einer narzisstischen Machtbesessenheit. Ich glaube, dass Carlos eine Metapher zwischen Idealismus und Individualismus ist.

Ricore: Gab es während der Dreharbeiten Momente, in denen Sie sich in Carlos wiedergefunden haben?

Ramírez: Also ich kann nicht sagen, dass ich mich mit der Person identifiziert habe - aber das muss ich auch gar nicht. Wenn ich in eine Rolle eintauche, dann muss ich die Rolle verstehen und die Aktionen der Rolle rechtfertigen können, es geht nicht um uns. Ich kann nicht versuchen, meine Ideen und Vorstellungen der Welt mit Hilfe meiner Rolle durchsetzten, das ist nicht meine Aufgabe als Schauspieler.

Ricore: Die Faszination für Waffen, die neben Frauen im Vordergrund steht, ist das nachvollziehbar?

Ramírez: Nein, überhaupt nicht. Ich mag keine Waffen und das war auch mein erster Kontakt mit ihnen. Gewalt gegen Frauen lehne ich ganz entschieden ab. Der Umgang mit den Frauen im Film und wie ich sie behandeln musste, war schwer für mich. Ich konnte mich da überhaupt nicht identifizieren, aber das ist auch das Faszinierende an meinem Beruf. Solche Sachen konfrontieren mich mit mir selbst und ich kann mein Wissen über die menschliche Natur vertiefen.

Ricore: Sie arbeiten für eine Organisation namens 'No Dispares', was ist Ihre Rolle hierbei?

Ramírez: Sie gehört zu Amnesty International und ist eine Kampagne mit der wir in Venezuela vor allem Jugendliche dazu bewegen wollten, ihre Waffen abzugeben.

Ricore: Ist das ein großes Problem in Ihrer Heimat?

Ramírez: Ja - wie in ganz Lateinamerika.
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Édgar Ramírez als Terrorist in "Carlos, der Schakal"
Ricore: Waren Sie als Jugendlicher auch mit diesem Thema konfrontiert?

Ramírez: Persönlich nicht. Aber viele machen diese Erfahrung.

Ricore: Was geht in einem Schauspieler vor, wenn er eine Rolle wie Carlos in einer so großen Produktion angeboten bekommt. Viel mehr kann man sich doch nicht wünschen, oder?

Ramírez: Es war eine tolle Erfahrung für mich. Ich kann mir den Film jetzt anschauen und bin glücklich darüber. Für mich war es ein großes Privileg, mitwirken zu dürfen und ich glaube, dass wir einen Klassiker geschaffen haben.

Ricore: Wie sind Sie mit den hohen Anforderungen, auch körperlicher Art, bei den Dreharbeiten zurecht gekommen. Sie mussten beispielsweise mehrfach zu- und wieder abnehmen.

Ramírez: Das war von Anfang an klar, dass die Figur durch diese physischen Transformation gehen wird. Ich denke die Gewichtveränderung ist auch eine Metapher, um den emotionalen und ideologischen Niedergang zu zeigen. Anfangs sieht man einen jungen Mann in Europa, der sehr charismatisch ist. Zum Schluss ist er deprimiert und von Macht und Drogen abhängig, dem Wahnsinn nahe.

Ricore: Was würde der echte Carlos über den Film sagen?

Ramírez: Ich habe keine Ahnung.
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Édgar Ramírez mal gewichtig, mal weniger in "Carlos, der Schakal"
Ricore: Haben Sie tatsächlich zu- und abgenommen, in Doris Dörries "Die Friseuse" wurde die Hauptdarstellerin am Computer dicker gemacht.

Ramírez: Ja, ich habe wirklich zugenommen, ich musste das machen und es war auch wichtig für mich. Es war eine tolle Möglichkeit, neue, spanende Erfahrungen zu machen.

Ricore: Renée Zellweger hat sich laut eigenen Aussagen für "Bridget Jones" nur von Schlagsahne ernährt, was war Ihr Trick um schnell zu zunehmen?

Ramírez: Viel Essen. Drei Monate hab ich mich nur von Pasta ernährt. Nach den Dreharbeiten musste ich dann sechs Monate eine Diät und viel Sport machen.

Ricore: Waffen lehnen Sie ab, aber wie sieht es mit den Idealen aus, die Carlos zumindest nach außen vertritt, antikapitalistisch, revolutionär?

Ramírez: Ganz ehrlich, meine Rollenauswahl hat überhaupt nichts mit meinen persönlichen Ideologien zu tun. Im Gegenteil, ich suche Rollen, die mir überhaupt nicht entsprechen, damit ich mehr erleben und lernen kann. Ich denke, dass "Carlos" ein Film ist, bei dem man über Politik und Ideologie diskutieren kann, aber der Film selbst ist weder ideologisch noch politisch.

Ricore: Sie waren während ihres Studiums als politischer Journalist tätig, sind Sie ein politischer Mensch?

Ramírez: Aus dem Grund habe ich kein Interesse an Politik und Ideologien.

Ricore: Besteht nicht die Gefahr, dass durch Ihr sympathisches Auftreten und Ihr Aussehen der echte Carlos zum Sympathieträger verklärt werden könnte?

Ramírez: Das glaube ich nicht. Das Ziel war ihn menschlicher zu zeichnen. Das heißt nicht ihn positiv oder negativ darzustellen, sondern facettenreicher. Jeder Mensch hat dunkle, helle, groteske und widersprüchliche Seiten.
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Nora von Waldstätten und Édgar Ramírez in "Carlos, der Schakal"
Ricore: Sie sprechen fließend Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch, wie man auch in "Carlos, der Schakal" hören kann, wie kam es dazu?

Ramírez: Ich habe in Österreich gelebt, deswegen fühle ich mich auch in München sehr wohl, die Sprachmelodie ist sehr ähnlich und das macht es für mich natürlich einfacher.

Ricore: Warum haben Sie in Österreich gelebt?

Ramírez: 1992 habe ich als Austauschschüler ein Jahr in Graz gelebt.

Ricore: Wie war diese Erfahrung für Sie?

Ramírez: Es war super. Es hat vieles in meinem Leben verändert und darum bin ich sehr froh.

Ricore: Und die anderen Sprachen?

Ramírez: Englisch habe ich gelernt, weil meine Familie einige Zeit in den USA gelebt hat. In Kanada habe ich Französisch gelernt und Italienisch hab ich in der Schule gelernt. Ich liebe eben das Reisen.

Ricore: Wann haben Sie entschieden, Schauspieler zu werden?

Ramírez: Ich habe ein großes humanistisches Interesse. Eigentlich wollte ich Diplomat werden oder eine Tätigkeit im Bereich der Sozialwissenschaften. Aber dann habe ich in meinem letzten Jahr auf der Uni in einem Kurzfilm mitgespielt. Alejandro González Inárritu hat mir daraufhin eine Rolle in einem mexikanischen Film angeboten. Aber ich hatte andere Pläne. Nach zwei Jahren, ich hatte schon als Journalist gearbeitet, kam der Professor nach Venezuela, aber nicht aus Mexiko, sondern aus Cannes vom Filmfest. Der Film, in dem ich hätte spielen sollen, war "Amores perros", ich wäre der Bruder von Gaël García Bernal gewesen. Danach hab ich mich entschieden.
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Édgar Ramírez in "Carlos, der Schakal"
Ricore: Inwiefern hat das Austauschjahr in Graz Ihr Leben verändert?

Ramírez: Ich war damals 15 Jahre alt und habe eine ganz andere Sprache und Kultur kennengelernt. Es hat mein Verständnis der Welt total geändert.

Ricore: Aber wie war das, als Lateinamerikaner im gemütlichen österreichischen Graz, haben Sie da nie Probleme gehabt?

Ramírez: In den ersten drei Monaten habe ich gedacht, ich würde nie Deutsch lernen. Ich habe überhaupt nichts verstanden und es war furchtbar kompliziert. Damals konnte ich noch kein Englisch, nur Spanisch. Deutsch war meine zweite Sprache, so wie man als Kind Sprachen lernt. Jedes Mal, wenn ich in einem deutschsprachigen Land bin, kommt das Vokabular zurück, das ich seit Jahren nicht mehr benutzt habe.

Ricore: Neben der Sprache sind auch die Essgewohnheiten anders, als in Venezuela, mussten Sie sich daran gewöhnen?

Ramírez: Die Küche war super, da hab ich Wiener Schnitzel für mich entdeckt. Generell esse ich alles, deswegen war die Umstellung nicht schwierig. Auch die Gewichtszunahme für den Film war leicht, ich bin nicht wählerisch, wenn es ums Essen geht.

Ricore: Sind Sie oft in Ihrer Heimat?

Ramírez: Ich wohne dort. Aber meist bin ich im Flugzeug, weil ich immer unterwegs bin.

Ricore: Was vermissen Sie am meisten, wenn Sie unterwegs sind?

Ramírez: Meine Familie und Arepas, das sind pikante Törtchen, die wir in Venezuela gerne essen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 6. November 2010
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Édgar Ramírez wird 1977 in San Cristóbal, Venezuela, geboren. Weil sein Vater Filiberto Offizier beim Militär ist, zieht die Familie immer wieder um. Dank dieses Umstands lernt Édgar mehrere Sprachen. Die erste Fremdsprache lernt er allerdings in Graz bei einem Schüleraustausch im Jahr 1992. Es folgen Englisch, Italienisch und Französisch. Um seinem Karrierewunsch als Diplomat nachzugehen, studiert er Kommunikationswissenschaften und Politikwissenschaften. Während dem Studium arbeitet er als..
Olivier Assayas schildert den Werdegang von Ilich Ramírez Sánchez, der unter seinem Kampfnamen Carlos zum meistgesuchten Terroristen der Welt wurde. Das Drama zeigt unter anderem, wie er im Auftrag der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Anschläge verübt und nach einigen Jahren eine selbstständige Organisation zu gründen versucht. Der Regisseur zeichnet das packende Portrait eines Menschen, der voller Widersprüche steckt. Neben dem logistischen Aufwand und der dicht erzählten..
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