Viktor Strasse
Bela B. Felsenheimer
"Ich will die BILD nicht sehen"
Interview: Idealist Bela B. Felsenheimer
Für seine Fans war Ärzte-Sänger Bela B. Felsenheimer schon immer zu gut, um von dieser Welt zu sein. In der Sci-Fi-Komödie "Paul - Ein Alien auf der Flucht" wird er nun auch für alle anderen zum Außerirdischen. Als Synchronsprecher leiht er dem wohl vorwitzigsten Alien seit ALF seine Stimme und bringt damit das Leben zweier Nerds gehörig durcheinander. Im Interview mit Filmreporter.de begründet der Künstler, warum auch er ein waschechter Nerd ist. Zudem verrät der idealistische Musiker, was er von der BILD-Zeitung hält. Für Promis, die Werbung für das Boulevardblatt machen, habe er kein Verständnis. Dabei ist Bela B. doch so ein Fan von Zombies...
erschienen am 13. 04. 2011
Universal Pictures International
Paul - Ein Alien auf der Flucht
Ricore: Heutzutage werden Sprechrollen gerne an Prominente vergeben. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Bela B. Felsenheimer: Das stimmt, Sprechrollen für animierte Figuren werden heute oft an prominente Personen vergeben. Das soll sicher der Vermarktung des Films zugutekommen. Dabei kann es aber auch schon mal zu so obskuren Sachen kommen, etwa dass ein Michael Schumacher eine Rolle spricht. Für jemanden, der viel mit seiner Stimme arbeitet ist das natürlich einfacher. Als Schlagzeuger ist es noch einfacher, weil man da ein gewisses Rhythmus-Gefühl hat. Bei jeder Sache, bei der man die Stimme jenseits des Gesanges einsetzen muss - ob Hörbuch oder Hörspiel - lerne ich, mit meiner Stimme umzugehen. Bei der Synchro-Arbeit zum Beispiel lernte ich viel über Sprachrhythmus.

Ricore: Was reizte Sie an dem Projekt?

Bela B.: Grundsätzlich suche ich mir meine Jobs jenseits der Musik danach aus, ob sie mir was bringen und ob sie mir Spaß machen. Außerdem bin ich ein großer Fan der Sachen, die Nick Frost und Simon Pegg machen. Das Thema war mir auch nicht fremd. Dabei interessierte mich weniger die Alien-Thematik als vielmehr die Tatsache, dass zwei Nerds einem Alien begegnen. Das war eine ziemlich lustige Ausgangsidee. Ansonsten muss ich zugeben, dass ich kein besonders großer Science-Fiction-Fan bin. Aber im Grunde ist "Paul - Ein Alien auf der Flucht" ja kein Science-Fiction-Film, auch wenn es um einen Außerirdischen geht.

Ricore: Würden Sie sich selbst als Nerd betrachten, im Sinne eines Kenners der Popkultur?

Bela B.: Ja, das würde ich so sehen. Was mich von einem Nerd vielleicht unterscheidet, ist die Hülle. Ich sage nur: Don't judge a nerd by its cover. Nerds haben ja einen bestimmten Dress-Code. Dem werde ich heute zwar nicht gerecht, aber auch ich habe meine "Nacht der lebenden Toten"-T-Shirts, die mich auf Anhieb als Nerd brandmarken würden. Außerdem definieren sich Nerds dadurch, dass sie unnützes Wissen sammeln. Diese Kultur kommt eigentlich aus Amerika, wobei es sie natürlich auch in Deutschland und anderswo gibt. Ich bin der deutsche Vertreter, Nick Frost der englische, und so weiter.
Universal Pictures
Witziges Duo: Nick Frost und Bela B. Felsenheimer
Ricore: Welche Unterschiede gibt es zwischen amerikanischer und deutscher Popkultur?

Bela B.: Bei den Amerikanern ist sie viel ausgeprägter. Sie glauben tatsächlich an die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit, etwa an die Existenz von Außerirdischen oder an bestimmte Verschwörungen. Den europäischen Nerds dagegen dürfte in wachen Momenten immerhin klar sein, dass bei bestimmten Sachen viel Wunschdenken und Fantasie mit im Spiel ist.

Ricore: Nerds oder Fans können einen ziemlichen Einfluss ausüben. Wie sehen Sie das?

Bela B.: Ich kann diese Frage nur aus meiner Sicht beantworten. Ich selbst würde mich als Fan bezeichnen. Ich mache meine Sachen, weil ich sie gerne mache. Ich liebe die Musik, deswegen beschäftige ich mich damit. Aus diesem Grund eifere ich bestimmten Idealen oder Vorbildern nach. Ab und zu treffe ich auch Leute, die ich verehre, um einfach mal kurz dieselbe Luft zu atmen wie sie. Das ist für mich mehr wert als irgendwelche materiellen Dinge. Während der Synchronarbeit haben wir uns auch mit dem Team darüber unterhalten. Dabei habe ich viele Sachen erfahren, die ich vorher nicht gewusst habe. Zum Beispiel gibt es Menschen, die tatsächlich klingonisch lernen. Bei der Synchronarbeit von "Paul" gab es im Studio einige Trekkies, die die Synchronisation genau beobachtet haben.

Ricore: Und wie haben die reagiert?

Bela B.: Wenn mal ein Wort falsch ausgesprochen wurde, haben sie sich furchtbar aufgeregt. Es gibt viele Beispiele, wo bestimmte Filme durchgefallen sind, weil sich die künstlerische Freiheit des Regisseurs nicht gegen die Fans durchsetzen konnte. Ich weiß nicht, ob das gefährlich ist, aber für die Kunst ist ein Franchise sowieso nicht gut. Der erste "Saw" war zum Beispiel ein guter Film. Dann entwickelte er sich zu einem Franchise und wurde immer schlechter. "Star Trek" fand ich als Serie super, die Filme waren nicht mein Ding.
Viktor Strasse
Bela B. im Synchronstudio für "Paul"
Ricore: Bei der Verfilmung von "Der Herr der Ringe" waren viele Fans zunächst ja auch sehr skeptisch.

Bela B.: "Der Herr der Ringe" ist ein Spezialfall. Das ist eine kultische Verehrung, die fast an Religion grenzt. J.R.R. Tolkien ist einfach unantastbar. Hier kann man sich kaum Abweichungen von der Vorlage trauen, ohne die Fans zu empören. Ich bin mal Christopher Lee begegnet, der ein wahnsinniger Verehrer dieser Bücher ist. Ich glaube, er wäre ebenfalls dagegen, wenn irgendwas verändert werden würde. Er hat sich auch im Namen des Buches darüber aufgeregt, dass seine Figur aus dem dritten Teil rausgeschnitten wurde. Ich persönlich finde - Asche auf mein Haupt - von Peter Jackson "King Kong" besser als "Herr der Ringe".

Ricore: Fühlen Sie sich manchmal als Musiker von den Fans unter Druck gesetzt?

Bela B.: In Zeiten des Internets kann man der Fanmeinung nicht entgehen. Nun spiele ich in einer Punkband und wir wären sicher nicht da, wo wir sind, wenn wir einer Masse hätten gefallen wollen. Wir versuchen, auf anderen Wegen den Fans entgegen zu kommen. Indem wir etwa die Eintrittspreise überwachen oder bei unseren Auftritten nicht schon nach 60 Minuten von der Bühne gehen. Manchmal erliegt man schon der Versuchung, auf die Kritik oder die Wünsche der Fans einzugehen. Aber es ist nicht gut für einen Künstler und die Kunst, wenn er die Fan-Meinung zu nah an sich heranlässt. In diesem Punkt kann die Nerd-Kultur durchaus gefährlich sein.

Ricore: Schafft man es heutzutage als Künstler noch, sich den äußeren Einflüssen zu entziehen und das umzusetzen, was man will?

Bela B.: Als wir damals mit den Ärzten anfingen, haben wir uns den gut gemeinten Ratschlägen und Wünschen der Plattenfirma entzogen. Teilweise mit Taktik, weil man als junge Band den Plattenvertrag natürlich nicht aufs Spiel setzen will. Genauso entziehen wir uns auch der breiten Meinung. Manchmal ist das auch schwierig, weil Fan-Clubs zum Beispiel untereinander vernetzt sind und man sich den Fan-Clubs nun wirklich nicht entziehen kann. Mit denen will man ja auch zu tun haben. Wenn man etwa Informationen an den Fan bringen will, ist das der kürzeste Weg. Aber wenn wir eine Platte machen, ziehen wir uns zurück und fragen wirklich niemanden. Wir sind unser eigener Maßstab und das ist auch unser eigener Anspruch, was so bleiben wird, solange es noch Platten gibt.
Viktor Strasse
Bela B. Felsenheimer
Ricore: Hatten Sie aufgrund der Popularität der Ärzte auch mit stalkenden Fans zu tun?

Bela B.: Klar, das gab es auch schon. Wir alle gehen mit diesem Star-Status nicht so um, wie das üblich ist. Wir laufen nicht mit Bodyguards rum, grinsen nicht in jede Kamera, die wir sehen und halten uns auch nicht an öffentlichen Plätzen auf, von denen wir wissen, dass Paparazzi warten. Insofern ist das relativ normal. Ich gehe alle zwei Wochen in ein Stadion mit 24.000 Zuschauern, um St. Pauli zu sehen und gehe da alleine hin. Es gibt ein paar unangenehme Begegnungen, aber für andere Menschen ist es unangenehm, um fünf Uhr morgens aufstehen zu müssen und das muss ich zum Glück nicht. So hat jeder Job seine Schattenseiten.

Ricore: Wie verhält sich das in Bezug auf die Medien? Wie mächtig ist etwa die BILD-Zeitung eigentlich und wie schwierig ist es, sich ihr zu entziehen?

Bela B.: Wir haben aus unserer Meinung zur BILD-Zeitung nie einen Hehl gemacht. Das haben wir auch mal in einem Song vor zwei Jahren zum Ausdruck gebracht. Es gibt Axel-Springer betriebene Radiosender, die diese Strophe rausgeschnitten haben. Wir haben dann per Anwaltsschreiben erwirkt, dass diese Songs wieder ungeschnitten gespielt werden. Ich empfinde die nicht als mächtig. Natürlich können die mir hin und wieder weh tun und das tun sie auch, doch sie werden nie mitkriegen, wann es mir weh tut und das ist meine Stärke. Ich muss nicht auf einer Kampagne meine Meinung zur BILD sagen, dabei so tun, als wäre ich kritisch und in Wirklichkeit Werbung für die machen. Die Öffentlichkeit, die die nun mal haben, brauche ich nicht zu nutzen. Wenn sie keine Macht über Leute wie mich und über viele meiner Freunde haben, dann ist das auch gar nicht so groß.

Ricore: Viele Prominente haben sich der Werbe-Kampagne scheinbar nicht entziehen können oder wollen…

Bela B.: Ich verstehe gewisse Leute nicht, die Opfer der BILD-Zeitung waren und dann trotzdem bei dieser seltsamen Kampagne mitgemacht haben, aber das müssen sie mit ihrem eigenen Gewissen vereinbaren. Dass ich ab und zu im Vorbeigehen jemandem etwas sage, der für die BILD-Zeitung arbeitet, passiert möglicherweise mal, etwa wenn ich auf einer Filmpremiere bin. Es ist mir aber egal und in dem Moment, in dem es einem egal ist, ist es auch nicht mehr gefährlich. Die BILD-Zeitung ist mir egal. Ich will sie nicht lesen, ich will sie nicht sehen und ich will für die nichts machen. Ich finde sie nur dann gefährlich, wenn sie Leute in tendenziöse Richtungen lenkt - Stichwort Rassismus.
Universal Pictures
Bela B. kennt den Vulkaniergruß
Ricore: Sie selbst setzen sich immer wieder gegen Rassismus ein. Wie frustrierend ist es für Sie, dass, wie man beispielsweise am Buch von Thilo Sarrazin sieht, der Rassismus nach wie vor so viel Nährboden findet?

Bela B.: Zur Sarrazin-Diskussion habe ich meinen Standpunkt. Es ist gut, wenn öffentlich diskutiert wird. Ich finde das Buch nicht gut und auch nicht, wie manche Leute dann meinten: "Endlich kann ich das auch mal laut sagen!". Die BILD-Zeitung schrieb dann so was wie: "Das muss man doch mal öffentlich sagen dürfen". Das fand ich natürlich furchtbar. Nichtsdestotrotz leben wir in einer Demokratie. Wenn solche Sachen gesagt werden, müssen sie auch öffentlich diskutiert werden. Ich habe keine Angst davor. Alles findet seinen Weg. Im Moment sehe ich sehr positiv in die nicht so rosige Zukunft der Atom-Lobby in Deutschland. Ich denke, wenn die einen laut sind, sind wir eben lauter. Die Stimme der Vernunft ist irgendwann immer die lauteste. Das ist sie nicht immer sofort und manchmal fragt man sich händeringend, wo sie ist. Am Ende kommt sie aber doch.

Ricore: Was steht bei Ihnen als nächstes an?

Bela B.: Ich habe eine Fernsehsendung auf ARTE, habe aber heute erfahren, dass sie aus Gründen der Sendeplanung verschoben wurde. Zwar wird die Pilotfolge noch dieses Jahr gesendet, aber leider nicht schon im April. Die Sendung heißt "Hotel Bela". Ich verbringe einen Tag im Hotel mit Menschen, die ich mir aussuche, Leute, die mir wichtig sind. In der Pilotfolge treffe ich George A. Romero, den Godfather der Zombies, was ein alter Nerd-Traum von mir ist. [lacht] Ich habe Musik gemacht und an "Paul" gearbeitet. Dieses Jahr habe ich eigentlich schon relativ viel gemacht und ich habe noch einiges vor.

Ricore: Haben Sie auch mit den Ärzten was vor?

Bela B.: Das möchte ich noch nicht sagen. [lacht]

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 13. April 2011
Zum Thema
Er ist das Multitalent im deutschen Showbiz. Bela B. Felsenheimer ist Schlagzeuger, Liedermacher und Sänger der deutschen Punk-Band Die Ärzte. Nebenbei betätigt er sich als Synchronsprecher und Schauspieler. Vor seiner beachtlichen Musik-Karriere versucht er sich in zahlreichen anderen Bereichen. So bricht er seine Polizeiausbildung vorzeitig ab. Von der Verkaufskette Dracula-Darsteller Bela Lugosi und Comicheld Barney Geröllheimer.
Auf einem Trip quer durch die USA stoßen die britischen Nerds Clive und Graham in der Militärbasis Area 51 auf einen Außerirdischen namens Paul. Kurzentschlossen helfen sie ihm bei seiner Flucht vor dem FBI. Mit der Komödie "Paul - Ein Alien auf der Flucht" ist Greg Mottola ("Superbad") eine humorvolle Hommage an das Science Fiction-Genre und seine Fans gelungen. Das Drehbuch stammt von den Hauptdarstellern Simon Pegg und Nick Frost.
2024