Alamode Film
Asghar Farhadi
Weg ohne Arrangements
Interview: Asghar Farhadi auf schmalem Grad
Asghar Farhadi gehört zu jener Reihe mutiger iranischer Regisseure, die ihre Filme weder vom politischen Regime, noch von den Dogmen einer Religion diktieren lassen. Kuragiert und offen sprechen sie gesellschaftliche, politische und religiöse Verhältnisse im eigenen Land an. Während Filmemacher wie Jafar Panahi oder Mohammad Rasoulof für ihre künstlerische Konsequenz verurteilt wurden, kann Farhadi mit "Nader und Simin - eine Trennung" nicht nur auf Festivals Erfolge feiern. In einem Interview mit dem 39-Jährigen ist Filmreporter.de den Gründen für diesen Erfolg nachgegangen.
erschienen am 14. 07. 2011
Alamode Film
Nader und Simin - eine Trennung
Ricore: "Nader und Simin" zeigt auf eine differenzierte Weise die iranische Gesellschaft. Vor allem das Bild der Frau fordert die westliche Sichtweise auf den Iran heraus. Müssen wir unsere Vorstellung über Ihr Land überdenken oder ist die Situation doch kritischer?

Asghar Farhadi: Wenn wir von der iranischen Gesellschaft sprechen, dann meinen wir 70 Millionen Menschen mit verschiedenen Kulturen. Die Frauen auf dem Dorf unterscheiden sich von den Frauen in der Stadt. Dann gibt es wiederum große Unterschiede zwischen Frauen in der mittleren Schicht und denen der unteren Schicht. Leider konzentrieren sich die westlichen Medien nur auf ein Bild der Frau. Man geht hier davon aus, dass die Frau zu Hause sitzt, der Mann das Geld verdient und seiner Frau vorschreibt, was sie zu tun hat. Die Realität sieht zumindest in den Städten anders aus. Die Frauen sind in der Gesellschaft sehr viel präsenter als die Männer. Das bedeutet nicht, dass sie nicht mit der Unterdrückung ihrer Rechte konfrontiert und komplett frei sind. Dennoch sind sie trotz dieser Verhältnisse aktiver, als die Männer. So ist zum Beispiel die Frauenquote an den Universitäten viel höher als die der Männer. Insofern ist das westliche Frauenbild ein stark verzerrtes.

Ricore: Geht diese selbstbewusste Stellung der iranischen Frau innerhalb der Gesellschaft auf ihren eigenen Aktionismus zurück oder hängt das auch mit einer eher liberaleren Haltung des Mannes zusammen?

Farhadi: Die urbane Gesellschaft des Iran ist im Wandel begriffen. Die Menschen lernen zunehmend das moderne Leben kennen. Das führt dazu, dass die Frau immer stärker eine aktivere Rolle einnimmt. Dass man in meinem Film die Rollen von Mann und Frau so stark trennt, diese Erfahrung habe ich eher im Ausland gemacht. Im Iran habe ich das nicht erlebt.

Ricore: Ein wichtiger Aspekt der Handlung ist die Scheidung zwischen Mann und Frau. Wie verhält es sich mit Scheidungen im Iran? Sind die Menschen in diesem Punkt frei?

Farhadi: Leider hat Iran die weltweit höchste Scheidungsquote. In den Städten werden bis zu 30 Prozent der Ehen geschieden. Wenn sich beide Parteien einig sind, dann geht es mit der Scheidung sehr schnell. Der Richter fragt nicht einmal nach, warum sich das Paar scheiden lassen will. Aber sobald einer dagegen ist, kann diese Prozess viel länger dauern. Vor allem wenn der Mann seine Zustimmung nicht geben will.
Alamode Film
Leila Hatami in "Nader und Simin - eine Trennung"
Ricore: Die Dreharbeiten zu "Nader und Simin - eine Trennung" fanden im Iran statt. Hatten Sie mit Schwierigkeiten mit den Behörden?

Farhadi: Die Probleme, waren die typischen, die man mit jedem Film hat. Es gibt bestimmte Themen, die man einfach nicht anfassen darf. Sex- und Gewaltdarstellungen sind nicht erlaubt. Auch politische Themen darf man nicht direkt ansprechen.

Ricore: Mussten Sie im Nachhinein Änderungen vornehmen oder haben Sie die Einschränkungen schon während des Schreibprozesses mitberücksichtigt?

Farhadi: Ich mache meine Filme so, wie ich sie haben will. Trotzdem berücksichtige ich die Einschränkungen, damit ich im Nachhinein nicht mit Problemen konfrontiert werde. Durch meine langjährige Erfahrung als Filmemacher habe ich gelernt, wie man die Probleme umgehen kann, um den Film zu machen, den ich machen will.

Ricore: Wie ist der Film im Iran angekommen?

Farhadi: Der Film lief sehr erfolgreich im Iran. Er hatte die höchsten Besucherzahlen der letzten Jahre.

Ricore: Sie fassen in Ihren Filmen Themen sehr direkt an und scheuen sich nicht vor unbequemen Wahrheiten. Haben Sie Angst, dass Sie an Widerstände geraten wie einige Ihrer prominenter Kollegen?

Farhadi: Wenn man von außen auf die Situation der Filmemacher schaut, dann stellt sich diese anders dar, als wenn man mitten drin ist. Es ist, als würde man einen Eskimo fragen, ob ihm am Nordpol zu kalt ist. Ich habe keine Angst. Es gibt für mich keine Alternative. Ich möchte meine Filme im Iran machen. Ich habe meinen Weg gefunden, wie ich meine Filme trotz der Restriktionen machen kann. Wenn man ein Auto fährt, muss man in Kauf nehmen, dass eines Tages ein Unfall passieren kann.
Berlinale
Asghar Farhadi
Ricore: Damit haben Sie im Grunde meine nächste Frage beantwortet. Viele Menschen fragen sich, warum Sie nicht unpolitische Unterhaltungsfilme machen, statt politische?

Farhadi: Ich habe das Kino nicht aus Bequemlichkeit gewählt. Ich habe mich trotz der Probleme und Schwierigkeiten entschieden, die ich als Künstler in meinem Land habe. Das Risiko gehört zu meinem Beruf und das nehme ich in Kauf. Die Schwierigkeiten sind Teil meiner Existenz als Filmemacher. Ich möchte unter keinen Umständen, dass ich für meine Situation bemitleidet werde. Es gibt einem ein sehr gutes Gefühl, wenn man es schafft, im Iran trotz allem einen guten Film zu machen.

Ricore: Die Empörung angesichts des Falles Jafar Panahi ist weltweit sehr groß. Dennoch hat sich bis jetzt nicht viel in seiner Sache getan. Glauben Sie, dass der Druck aus dem Ausland irgendwas bewirken kann?

Farhadi: Bevor ich auf die Frage eingehe, möchte ich vorausschicken, dass Jafar Panahi mehrere Monate im Gefängnis verbracht hat. Jetzt ist er wieder frei und lebt wieder zu Hause. Er hat das Urteil angefochten und wartet auf die Revision. Gegen das Urteil haben auch viele iranische Filmemacher protestiert. Auf der einen Seite waren diese Proteste eine gute Sache, weil die Regierung solche Urteile nicht mehr so einfach fällen kann. Auf der anderen Seite hat die Empörung vielleicht dazu geführt, dass die Regierung umso sturer geblieben ist und trotz der Proteste ihr Urteil nicht zurücknehmen will.

Ricore: Für "Nader und Simin - eine Trennung" wurden sie auf der Berlinale mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Zwei Jahre vorher wurden Sie für "Elly..." mit dem Silbernen Bären für die beste Regie geehrt. Oft schwingt mit den Auszeichnungen der Verdacht mit, dass die Preise politische Statements der Festivals darstellen und weniger eine Würdigung der filmischen Qualität des Films.

Farhadi: Es gab tatsächlich welche, die den Verdacht hatten, dass die Preise symbolisch verliehen werden und weniger auf die filmische Qualität bezogen sind. Aber diese Stimmen kommen meistens von Leuten, die die Filme nicht gesehen haben. Ich bin bis jetzt noch keinem Menschen begegnet, der "Nader und Simin" gesehen hat und den Verdacht danach immer noch gehabt hätte.
Alamode Film
Peyman Moaadi verzweifelt in "Nader und Simin - eine Trennung"
Ricore: Trotz der gesellschaftlichen Präzision von "Nader und Simin" ist der Film vor allem auch ein Erzählfilm. Er schildert eine spannende Geschichte. Es handelt sich um ein Drama mit Elementen des Gerichts- und des Kriminalfilms. Wie wichtig ist für Sie das Erzählmoment in ihren Filmen?

Farhadi: Der Film hat verschiedene Aspekte und es ist dem Zuschauer überlassen, auf welchen er sich konzentriert. Ich habe den Film so konzipiert, dass auch ein Zuschauer, der nicht weiß, in welchem Land die Handlung angesiedelt ist, den Film versteht. Insofern ist "Nader und Simin" ein die Zuschauer einbeziehender Film, der universell ist und überall auf der Welt verstanden werden kann. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen im Film sind allgemeinverständlich. Ebenso moralischen Fragen, etwa die, wer Recht hat und wer Unrecht, überall auf der Welt zugänglich.

Ricore: Dabei lassen sie die Fragen des Films offen. Auch die Interpretation des Film-Endes überlassen Sie dem Zuschauer.

Farhadi: Wenn man von einem intelligenten Zuschauer ausgeht, kann man ihm keine Antworten vorgeben. In diesem Fall überlässt man ihm die Beantwortung der Fragen. Die heutige Welt braucht mehr Fragen als Antworten. Wenn man Antworten gibt, verhindert man das Denken. Die Frage ist der Anfang vom Denkprozess. Deshalb bin ich bestrebt, den Zuschauer mit Fragen aus dem Kino zu entlassen. Ich habe zwar eine Meinung dazu, wie sich die Tochter am Ende entscheidet. Aber mit dieser Meinung stelle ich mich nicht über den Zuschauer, d.h. ich weiß diesbezüglich nicht mehr als er. Das Ende ist kein Rätsel, sondern eine Frage, wobei jeder Zuschauer selber die Antwort darauf finden kann.

Ricore: Ihre Filme haben jedenfalls ein zwiespältiges Verhältnis zum konventionellen Erzählfilm á la Hollywood. Einerseits bedienen Sie die Mechanismen des Mainstream-Kinos, andererseits setzten Sie sie außer Kraft, etwa die dramaturgische Geschlossenheit durch ein offenes Ende.

Farhadi: Die Geschichte, die ich in "Nader und Simin" erzähle, ist im Grunde ein klassisches Drama. Wie dieses Drama im Einzelnen erzählt wird, ist allerdings modern. Das Zusammenwirken dieser beiden Aspekte ergibt eine völlig neue Form, die den Zuschauer packt. Man sieht es selten, dass diese beiden Stile nebeneinander im Film existieren.
Alamode Film
Leila Hatami in "Nader und Simin - eine Trennung"
Ricore: Ist das Ihr filmästhetisches Ideal? Mit den Mitteln des klassischen Erzählens und ihrer modernen Variation die Realität zu interpretieren?

Farhadi: Auf jeden Fall ist das ein Kino, auf das ich in Zukunft bestehen und in diese Richtung weitermachen werde. Ich möchte, dass sich diese Art von Filmemachen weltweit durchsetzt.

Ricore: Sie waren in letzter Zeit mehrfach in Berlin. Welchen Eindruck hatten sie von der kulturellen Situation dieser Stadt?

Farhadi: Nach dem Iran ist Deutschland das Land, in dem ich mich am häufigsten aufhalte. Berlin ist eine lebendige und junge Stadt. Es gibt hier viele Kunstprojekte, sodass mich Berlin sehr an New York erinnert. Die Ordnung, die in Deutschland und in der deutschen Gesellschaft herrscht, finde ich sehr interessant. Im Grunde kann ich mich nicht lange in einer fremden Stadt aufhalten. In Berlin kann ich das, weil ich hier das Gefühl der Fremdheit nicht spüre.

Ricore: Der iranische Film ist in Deutschland und Europa vor allem bei Kritikern sehr präsent. Wie sieht es mit der Wahrnehmung der deutschen Filmkultur im Iran aus?

Farhadi: Es gab mal eine Zeit, als im iranischen Fernsehen viele deutsche Serien gezeigt wurden, die bei der Bevölkerung sehr beliebt waren. Während des ersten Golfkrieges wurden im iranischen Fernsehen oft deutsche Kriegsfilme gezeigt. Die Kindheit meiner Generation ist voller Erinnerung an den synchronisierten deutschen Film. Unabhängig davon sind deutsche Filmemacher in cineastischen Kreisen, bei Filmemachern und Kritikern sehr präsent. Werner Herzog zum Beispiel ist eine sehr geschätzte Größe und ein Filmenthusiast kennt alle Filme von Wim Wenderss. "Das Leben der Anderen" war auch im Iran ein Film, der die Massen begeisterte. Die meisten dieser Filme laufen allerdings nicht im Kino, sondern man kann sie nur auf DVD sehen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. Juli 2011
Zum Thema
Der 1972 im Isfahan/Iran geborene Regisseur Asghar Farhadi entdeckt schon als Kind seine Leidenschaft für Literatur, Theater und Kino. Nach seinem Regiestudium an der Universität von Teheran inszeniert er zunächst einige TV-Episoden und arbeitet für das nationale Radio. Auch als Drehbuchautor aktiv, verfasst Farhadi 2002 die Vorlage zu Ebrahim Hatamikias Erfolg "Low Heights". Zwei Jahre später debütiert er mit "Dancing in the Dust". Großes Aufsehen erregt der Iraner mit "Elly...", für das er..
Simin (Leila Hatami) möchte sich von ihrem Ehemann Nader (Peyman Moaadi) trennen. Sie möchte mit ihrer Tochter den Iran verlassen. Nader kann wegen seines kranken Vaters das Land nicht verlassen. Als Nader die Pflegerin seines Vaters entlassen will, passiert ein Unglück. Er schubst die Frau unsanft aus der Wohnung, sodass die Schwangere eine Fehlgeburt erleidet. Nader droht eine Mordanklage. Mit "Nader und Simin" ist Regisseur Asghar Farhadi ein wunderschöner Film gelungen, der einerseits das..
2024