Paramount Pictures
Jeremy Renner auf der Pressekonferenz zu "Mission: Impossible - Ghost Protocol" in Dubai (2011)
Mit dem Rücken zur Wand
Interview: Jeremy Renner stellt sich Ängsten
Wie schnell sich das Blatt im Leben wenden kann, weiß Jeremy Renner nur allzu gut. Vor gar nicht langer Zeit musste er sich noch ernsthaft Sorgen machen, genug Geld zum Überleben zu verdienen. Inzwischen wurde er zweimal für den Oscar nominiert und gehört in Blockbustern wie "Marvel's The Avengers" und "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" zur Riege der Hauptdarsteller. Bei letzterem hat er dafür gesorgt, dass Tom Cruise nicht vom höchsten Gebäude der Welt stürzt. Wie es ihm dabei ergangen ist und wie er mit seinen Ängsten fertig wird, erzählt Renner im Interview mit Filmreporter.de.
erschienen am 14. 12. 2011
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Mission: Impossible - Phantom Protokoll
Ricore: Wie froh waren Sie, dass Sie im Gegensatz zu Tom Cruise nicht an der Fassade des Burj Khalifa-Wolkenkratzers in Dubai klettern mussten?

Jeremy Renner: Ich hatte genug andere Herausforderungen zu bewältigen. Ich bin nicht mitten in der Nacht aufgewacht und habe gedacht: "Wie gern würde ich doch um dieses Gebäude herum schwingen." Aber es hat Spaß gemacht, zuzuschauen und von einem der besten lernen zu können.

Ricore: Sie sind also nicht so ein Adrenalin-Junkie wie Tom Cruise?

Renner: Ich weiß nicht, was ihn dazu antreibt, solche Dinge zu tun. Doch wenn man es will und körperlich in der Lage ist, ist es eine Gelegenheit, so einen Stunt in einem sicheren Umfeld durchzuführen. Die Stunt-Crew bereitet alles sehr gut vor. Es ist eine große, persönliche Herausforderung und es ist immer ein tolles Gefühl, wenn man Ängste überwinden kann.

Ricore: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie mit Tom Cruise die Szene im höchsten Gebäude der Welt gedreht haben?

Renner: Der Großteil unserer Arbeit spielte sich im Inneren des Gebäudes ab. Tom musste um das Gebäude herum schwingen, ich musste ihn quasi nur fangen. Für mich war das intensiv genug.

Ricore: Auf der Leinwand wirken sie immer sehr tough. Wie mutig sind Sie im wahren Leben?

Renner: Ich weiß nicht. Ich kann sehr schnell laufen und würde eher rennen, als zu kämpfen.
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Jeremy Renner rettet Tom Cruise in "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" (2011)
Ricore: Bereuen Sie etwas, das Sie aus Angst nicht gemacht haben?

Renner: Ich versuche, mich meinen Ängsten zu stellen. Auf diese Weise wird man mit ihnen fertig. Ich hatte zum Beispiel große Angst vor Haien. Also habe ich meine Tauchlizenz gemacht und bin mit ihnen getaucht. Ich habe zwar immer noch Angst vor Haien, doch ich verstehe diese Angst nun besser. Egal, ob es sich um spirituelle oder physische Dinge im Leben handelt, was uns Angst macht, ist das Unbekannte. Als ich das begriffen habe, verspürte ich keine Angst mehr in mir und wusste, dass mich nichts im Leben aufhalten kann.

Ricore: In Bezug auf Ihre Schauspielkarriere haben Sie auch nie aufgegeben. Was hat Sie dazu veranlasst, immer weiterzumachen, selbst als Sie Ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten?

Renner: Für mich gab es keinen Plan B. Die Schauspielerei machte mich glücklich, selbst in den schwierigsten Zeiten. Es gab Zeiten, in denen ich mir kaum eine Mahlzeit leisten konnte. Da habe ich mich selbst gefragt, ob ich glücklich bin und das war ich. Natürlich gefiel es mir nicht, zu hungern, doch meine Arbeit machte mich glücklich. Es verleiht große Stärke, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht und nicht des Geldes wegen schauspielert, sondern weil man es liebt.

Ricore: Arbeiten Sie momentan so viel, weil früher die Engagements ausblieben?

Renner: Nein, das hat sich momentan einfach so ergeben. Ich würde nie absichtlich fünf Filme direkt hintereinander drehen. Ich würde eher mehr Vorbereitungszeit haben wollen oder mir mehr Zeit für mich nehmen. Doch es hat sich so ergeben und ich nehme das als Herausforderung an. Will ich arbeiten? Auf jeden Fall. Doch ich brauche nicht so viele Filme auf einmal [lacht].

Ricore: Wie hat sich Ihr Leben durch die Oscar-Nominierungen und Ihren Star-Status verändert?

Renner: Der Grad an Aufmerksamkeit und Anerkennung hat sich verändert. Auch die Zahl von Rollenangeboten ist nun sehr viel größer, ich bekomme hochwertigere und größere Rollen. Davon abgesehen, ist alles beim Alten geblieben. Ich stehe jeden Tag auf und stelle mich den Herausforderungen, die vor mir liegen.
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Jeremy Renner in "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" (2011)
Ricore: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Rollen aus?

Renner: Ganz gleich, um welchen Film es sich handelt, für mich ist in erster Linie der Charakter ausschlaggebend. Das ist der Aspekt der Geschichte, bei dem ich als Künstler etwas beisteuern kann. Daher ist es mir wichtig, dass mein Charakter die Geschichte auf irgendeine Weise vorantreibt und dass es eine vielschichtige Figur ist. Es muss mich emotional oder physisch herausfordern. Ich möchte dazulernen und nicht etwas machen, das ich schon tausendmal gemacht habe.

Ricore: Sie scheinen gerne Charaktere zu spielen, die man zunächst schwer einschätzen kann.

Renner: Ich spiele gerne die Typen, bei denen der Zuschauer nicht weiß, ob es sich um den Guten oder Bösen handelt. Ich finde es toll, wenn man bei einer Geschichte solche zwielichtigen Charaktere hat. Ich liebe Anti-Helden, die komplex sind und menschliche Schwächen haben.

Ricore: Sie wollen einen Film über Steve McQueen produzieren, nicht wahr?

Renner: Ja, Steve McQueen ist eine Hollywood-Ikone. Er ist ein unglaublich vielschichtiger Charakter, männlich und selbstbewusst und doch unsicher. Für jede Eigenschaft, die man ihm zuspricht, findet man eine andere, die dem widerspricht. Er ist ein wirklich interessanter Mensch. Die Schwierigkeit besteht darin, für dieses komplexe Leben das passende Erzählformat zu finden.

Ricore: Würden Sie ihn gerne selbst spielen?

Renner: Ja, das wäre eine Ehre für mich.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Jeremy Renner (Venedig 2008)
Ricore: Mit dem Superhelden Hawkeye spielen Sie in "Marvel's The Avengers" ebenfalls einen ikonischen Charakter. Was hat Sie an der Figur angesprochen?

Renner: "The Avengers" war der erste wirklich große Film, für den ich unterschriebe habe. Ich habe für die Rolle aber nicht zugesagt, weil es sich um einen Superhelden handelt, sondern weil es in erster Linie um einen Menschen geht. Er kann nicht fliegen und hat keine seltsamen Superkräfte, er ist nur ein Mensch mit ausgeprägten Fähigkeiten. Damit kann ich mich identifizieren. Meine nächste Frage war, ob ich in engen, violetten Hosen herumlaufen müsste. Ich glaube nicht, dass ich darin gut aussehen würde. Nicht, dass ich das wissen könnte... [lacht]. Dann zeigte man mir, wie das Outfit stattdessen aussehen sollte und ich fand es gut. Zudem wird die ganze Welt diesen Film sehen. Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Ricore: Wie sind Sie mit Regisseur Joss Whedon an den Charakter herangegangen?

Renner: Ich kenne Joss schon seit etwa zwölf Jahren. Wir haben darüber nachgedacht, welchen Platz der Charakter innerhalb eines so großen Ensembles haben kann. Viele Dinge, über die wir gesprochen haben, haben es leider nicht ins Drehbuch geschafft, da die Geschichte eben sehr vielen Charakteren gerecht werden muss. Doch es hat sehr viel Spaß gemacht, diesen Film zu drehen.

Ricore: Joss Whedon ist dafür bekannt, dass an seinen Sets eine sehr familiäre Atmosphäre herrscht. Wie war das bei einem so großen Projekt wie "Avengers"?

Renner: Der Film fühlte sich wie ein Staffellauf an. Es sind so viele Leute darin involviert. Es gibt nur zwei Momente, in dem sich alle Charaktere im gleichen Raum aufhalten. Während des gesamten Drehs habe ich Robert Downey Jr. nur zweimal gesehen. Scarlett habe ich oft gesehen, da wir viele gemeinsame Szenen haben. Davon abgesehen, war es wie beim Staffellauf. Ich machte meine Arbeit und übergab das Zepter an jemand anderes, der wiederum seinen Teil erfüllte. Es fühlte sich also nicht so sehr wie eine familiäre Einheit an, doch wir kamen alle sehr gut miteinander aus und das ist das Wichtigste für mich.

Ricore: Demnächst wird man Sie auch im neuen Teil der "Bourne"-Reihe sehen. Wie würden Sie den Film mit "Mission: Impossible" vergleichen?

Renner: In beiden Fällen handelt es sich um Agenten-Filme. Ansonsten sind sie sehr verschieden, vor allem im Ton sowie in formaler Hinsicht. "Mission: Impossible" ist eher ein großes Spektakel, mit einer ikonischen Titelmelodie und lauter Gadgets. Der Spaß ist dabei sehr wichtig. "The Bourne Legacy" hat dagegen einen dokumentarischen Stil, ist sehr schnell und nicht gerade humorvoll. Es ist ein großer Film, aber im Stile eines kleinen Independent-Films gedreht, ohne diese massiven Stunts aus "Mission: Impossible".
Marvel. All Rights Reserved.
Jeremy Renner wird als Hawkeye zum Mitglied der Avengers
Ricore: "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" ist der erste Realfilm von Brad Bird. Wie hat er sich aus Ihrer Sicht geschlagen?

Renner: Seine Handschrift ist bei dem Film deutlich zu erkennen. Das ist auch bei seinen Animationsfilmen der Fall. Besonders "The Incredibles" hat Ähnlichkeiten mit "Mission: Impossible - Phantom Protokoll", sowohl was die Gadgets, als auch was den tollen Sinn für Humor betrifft. Der Film nimmt sich stellenweise selbst auf die Schippe, doch der Humor ist nicht albern, sondern resultiert aus dem Drama zwischen den Charakteren.

Ricore: Sie sind demnächst in einer Adaption von "Hänsel und Gretel" zu sehen. Wie nah ist der Film an der Märchenvorlage?

Renner: "Hänsel & Gretel: Hexenjäger" spielt 15 Jahre nach den Ereignissen im Märchen. Normallerweise enden Märchen mit einem Happy End. Doch bei Hänsel und Gretel ist es so, dass sie nach wie vor sehr wütend sind, weil die Hexe sie töten wollte. Daher sind sie nun Kopfgeldjäger und machen Jagd auf Hexen. Es ist also eine witzige Fortsetzung des Märchens.

Ricore: Sie halten jedes Jahr ihre Erlebnisse schriftlich fest, um zu sehen, welche Dinge sie besser machen könnten. Was haben Sie dabei über sich selbst gelernt?

Renner: Das ändert sich von Jahr zu Jahr. Was ich mir jedes Mal vornehme, ist mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, doch meistens muss ich sehr viel arbeiten. Als ich vor zehn oder elf Jahren mit dem Schreiben begann, realisierte ich, dass ich einige Dinge ändern müsste. Doch die Dinge, die ich in letzter Zeit über mich selbst gelernt habe, sind nicht mehr ganz so grundlegend.

Ricore: Ihr Nachname hört sich Deutsch an. Haben Sie deutsche Wurzeln?

Renner: Ja, mein Großvater stammt aus Deutschland. Ich weiß aber nicht, wo er genau herkommt. Er ist nach Amerika ausgewandert, als er noch jung war.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. Dezember 2011
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