Jean-François Martin/Ricore Text
Julie Delpy
Festivals sehr wichtig!
Interview: Julie Delpy setzt Prioritäten
Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin: Julie Delpy hat sich als vielseitige Künstlerin des internationalen Kinos etabliert. Dementsprechend widmete ihr das Filmfest München 2012 eine Hommage. Neben gefeierten Klassikern wie "Before Sunset" präsentierte Delpy ihre aktuellen Regiearbeiten "2 Tage New York" und "Familientreffen mit Hindernissen". Mit Filmreporter.de sprach sie auf dem Filmfest München über die Wichtigkeit von Festivals und die wichtigsten Dinge ihres Lebens.
erschienen am 7. 08. 2012
Paolo Woods/NFP marketing & distribution
In "Familientreffen mit Hindernissen" genießt Julie Delpy das Leben
Ricore: Wie fühlt es sich an, auf Festivals wie dem Filmfest München Ihre Filme vorstellen zu können?

Julie Delpy: Das ist großartig. Ich freue mich, den deutschen Zuschauern den sehr französischen Film "Familientreffen mit Hindernissen" und den nicht ganz so französischen Film "2 Tage New York" präsentieren zu können. Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren.

Ricore: Wie wichtig sind Filmfestivals für Filmschaffende, besonders im Falle von Independent-Filmen und kleinere Produktionen?

Delpy: Viele Filme haben nicht das Glück, in die Kinos zu kommen. Dementsprechend sind Festivals sehr wichtig, um mit Filmverleihern in Kontakt zu kommen.

Ricore: Wie schwierig ist es für Sie noch, einen Verleih zu finden, der Ihre Filme in die Kinos bringt und die kreative Kontrolle über Ihre Werke zu behalten?

Delpy: Ich habe die Freiheit, meine eigenen Ideen zu verwirklichen, aber ich weiß, dass ich bestimmte Regeln respektieren muss. Es ist nicht einfach, Filme zu realisieren. Ich habe nicht die Freiheit, alles zu machen, was ich will und muss nach wie vor um die Finanzierung kämpfen. Es ist kompliziert. Nur weil ich sage, dass ich einen bestimmten Film machen will, gibt man mir nicht das Geld, das Drehbuch zu schreiben.

Ricore: Gab es Projekte, die sie aufgrund der fehlenden Finanzierung nicht realisieren konnten?

Delpy: Ja, viele!

Ricore: War Ihnen eines besonders wichtig?

Delpy: Außer meinem Sohn gibt es nichts, das besonders wichtig für mich ist [lacht]. Meine Filme sind mir schon sehr wichtig, doch sie sind nicht das Wichtigste. Ich habe gelernt, den Dingen nicht so viel Gewicht zu verleihen. Wenn man als Filmemacher zu besessen an die Sache herangeht, kann man verrückt werden. Es ist also besser, es als Job zu betrachten, der wichtig ist, aber eben nicht so wichtig wie die Gesundheit und das eigene Leben. In gewisser Weise ist es auch besser für den Film. Man muss versuchen, sein Bestes zu geben, ohne sich selbst verrückt zu machen.
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Familientreffen mit Hindernissen
Ricore: Wo sehen Sie sich selbst in ein oder zwei Jahrzehnten?

Delpy: Es wird immer schwieriger, mit meinem Sohn zu reisen und bald wird es schwer sein, irgendwo anders als in Los Angeles Filme zu machen. Dementsprechend werde ich einige Jahre wohl eher dort Filme realisieren, damit ich meinem Sohn näher bin und nicht so viel reisen muss. Falls wir ein Jahr nach London ziehen, würde ich dort einen Film machen.

Ricore: Was ist mit Ihrer Heimat Frankreich?

Delpy: Ich besuche Frankreich immer wieder. Ansonsten würde ich die dortige Kultur vermissen. Es ist zu hart, zwei Jahre nur in Amerika zu sein. Wenn ich aber zu lange in Frankreich bleibe, hasse ich das auch. Deshalb ist es gut, dass ich viel reise.

Ricore: Was vermissen Sie besonders an Frankreich?

Delpy: In erster Linie vermisse ich das Land selbst, weil es so schön ist. Zudem hat es so viele Facetten. Der Norden Frankreichs hat Eigenschaften, der Süden ähnelt wiederum Italien und der Südwesten Spanien. Es fällt mir schwer, von dieser Schönheit Frankreichs getrennt zu sein.

Ricore: Was mögen Sie besonders an den Leuten?

Delpy: Ich mag nicht jeden in Paris [lacht]. Doch ich liebe es, dass die Leute stundenlang beim Essen sitzen und es genießen. Zudem haben Franzosen einen tollen Sinn für Humor. Das vermisse ich. Doch Amerikaner haben auch einen tollen Sinn für Humor, wobei ich mich dem jüdisch-amerikanischen oder italienisch-amerikanischen Humor eher verbunden fühle.

Ricore: Ihr Freund ist aus Deutschland. Was denken Sie über den deutschen Humor?

Delpy: Die Deutschen sind sehr nette Leute, doch von ihrem Humor weiß ich nichts [lacht]. Mein Freund sagt, dass man in Deutschland auf die Humor-Schule gehen muss [lacht].
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Lou Avarez als Albertine in "Familientreffen mit Hindernissen"
Ricore: Ist er nicht witzig?

Delpy: Doch, er ist ziemlich witzig - wenn er will [lacht]. Er hat einen guten Sinn für Humor. Doch Humor ist nicht gerade das Hauptmerkmal der Deutschen [lacht]. Sie sind sehr geradlinig und vertrauenswürdig, aber Humor ist nicht ihre größte Stärke, sorry... [lacht].

Ricore: Wie haben Sie Ihren Freund kennengelernt?

Delpy: Das war bei einer Orgie [lacht]. Nein, wir haben uns bei der Geburtstagsparty eines Freundes kennengelernt, ziemlich langweilig also [lacht]. Das war in Los Angeles. Er ist in München geboren, doch er lebt in Los Angeles, seit er 19 ist.

Ricore: Sprechen Sie mit ihm auch deutsch?

Delpy: Ich spreche nicht ein Wort Deutsch. Das einzige, was ich sagen kann ist [sagt es auf Deutsch] 'kleine Fische' [lacht].

Ricore: Inwiefern reflektiert "Familientreffen mit Hindernissen" Ihre eigene Familie?

Delpy: Manches davon ist fiktiv, doch viele Figuren basieren auf realen Personen meiner Familie, was nicht immer einfach ist. Manche Leute waren nicht sehr glücklich darüber. Die Figuren basieren vor allem auf Leuten, die ich als Kind kannte, wie sie miteinander sprachen, die Diskussionen, die politischen Ansichten. Meine Familie gehörte eher zur Arbeiterklasse, war aber auch nicht arm. Der Film wurzelt in vielerlei Hinsicht in diesen Aspekten meiner Familie.

Ricore: Und das kleine Mädchen Albertine basiert vor allem auf Ihrer eigenen Person.

Delpy: Ja, sie unterschiedet sich zwar in einigen Dingen von mir, doch sie basiert in erster Linie auf meiner eigenen Person.
Senator Film Verleih
Julie Delpy in "2 Tage New York"
Ricore: Wie haben Sie die Zeit erlebt, als Albertine befürchtet, dass die US-Raumstation Skylab auf Frankreich abstürzen könnte?

Delpy: Ich war zu der Zeit ein wenig jünger als Albertine, doch beim Film habe ich die Erinnerungen aus verschiedenen Sommern miteinander verwoben. Ich erinnere mich sehr gut daran, da meine Mutter deswegen sehr nervös war. Ich hatte Ferien und durfte zwei Wochen das Haus nicht verlassen, bis Skylab auf Australien fiel.

Ricore: Der Film ist Marie gewidmet, ist damit Ihre Mutter gemeint?

Delpy: Ja, ich wollte eine Hommage an meine Mutter machen.

Ricore: Welche Gemeinsamkeiten haben Sie mit Albertine?

Delpy: Sie macht sich Sorgen, denkt bereits viel über den Tod nach und denkt schon mit elf über Männer nach [lacht]. Auch ich dachte darüber nach. Ich denke, dass sie ein wenig romantisch ist und viele Träume hat. So war ich nicht, aber so ähnlich. Sie wird schnell erwachsen und ist kein Kind mehr.

Ricore: Wie denken Sie über den Tod? Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Delpy: Nein, natürlich nicht. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Das weiß ich mit Gewissheit, das kann ich Ihnen garantieren. Wenn mir einer das Gegenteil beweisen könnte, wäre ich sehr froh.

Ricore: Fällt es Ihnen leicht, Ihr Leben zu genießen?

Delpy: Nicht wirklich, nicht genug. Ich hatte eine Phase, in der ich mein Leben sehr genossen habe. Momentan befinde ich mich in einer Arbeitsphase, in der ich sehr fokussiert bin. Es ist schwierig mit einem dreijährigen Kind. Ich liebe mein Kind und liebe es, mit ihm zusammen zu sein. Doch ich arbeite viel und kann mein Leben momentan nicht allzu sehr genießen. Es ist ein Vergnügen, zu arbeiten und mich um meinen Sohn zu kümmern, doch es ist auch ziemlich anstrengend.

Ricore: Haben Sie Ihre existentielle Weltsicht von Ihren Eltern?

Delpy: Mein Vater hat mir Ingmar Bergman-Filme gezeigt, als ich sechs Jahre alt war. Das hat mich beeinflusst, weil ich anfing, mir philosophische Gedanken zu machen. Wenn man dem Kind statt dem Disney-Kanal Ingmar-Bergman-Filme zeigt, macht das natürlich einen Unterschied. Mein Vater hat mir auch Pasolini und Fassbinder gezeigt - als ich neun oder zehn Jahre alt war. Das fördert ein Denken, das etwas erwachsener ist, als dies bei Kindern gewöhnlich der Fall ist. Doch ich hab mir auch Zeichentrickfilme und andere Kindersachen angeschaut. Ich hatte von beidem etwas.

Ricore: Erinnern Sie sich an einen speziellen Augenblick in Ihrem Leben, in dem Sie die Kunst in Ihr Herz schlossen und wussten, dass Sie selbst kreativ werden wollen?

Delpy: Das ist so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnere, wann es passiert ist. Doch ich denke, das muss gewesen sein, als ich etwa zehn oder elf war. Vielleicht auch mit neun, als ich mit dem Schreiben von Geschichten anfing.

Ricore: Was waren das für Geschichten?

Delpy: Meist Science-Fiction [lacht].

Ricore: Wann werden wir Ihren ersten Science-Fiction sehen?

Delpy: Ich weiß es nicht, es ist schwer, gute Science-Fiction-Stoffe zu schreiben. Das wird wohl noch eine Weile dauern. Zudem ist es schwer, etwas Neues in dem Bereich zu machen. Man schreibt etwas und dann sieht man "Matrix" und denkt sich: 'Scheiße, ich habe das geschrieben. Zu spät, es wurde bereits gemacht.'

Ricore: Wie sieht es mit der Fortsetzung zu "Before Sunrise" und "Before Sunset" aus?

Delpy: Ich weiß nicht, ob es dazu kommen wird. Das hängt von den Produzenten ab und ob sie uns das nötige Geld geben werden, um den Film zu machen. Doch ich denke, dass wir jemanden finden werden, um den Film zu finanzieren.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 7. August 2012
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