Wild Bunch
Harter Knochen: Colin Farrell in "Dead Man Down"
'Schönheit nicht mit Sprache erfassbar'
Interview: Colin Farrells harte Schale
In "Dead Man Down" spielt Colin Farrell einen Gangster, der von einer ungewöhnlichen Seite bedroht wird. Seine Nachbarin, gespielt von Noomi Rapace, übt eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Doch ihre Motivation ist fragwürdig. Sie hat den Nachbar bei einem Mord beobachtet und erpresst ihn nun. Er soll den Mann töten, der ihr Gesicht verunstaltet hat. Im Gespräch mit Filmreporter.de spricht Farrell über die Zusammenarbeit mit Rapace und sein Verständnis von Schönheit. Dabei verrät der irische Schauspieler, warum er sich für "Dead Man Down" körperlich in Form bringen musste.
erschienen am 3. 04. 2013
Wild Bunch
Colin Farrell mit Noomi Rapace in "Dead Man Down"
Ricore: "Dead Man Down" handelt von einem Gangster, der von einer Frau für ihre Rache instrumentalisiert wird. Wie weit würden Sie gehen?

Colin Farrell: Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht gut darin, Was-wäre-wenn-Fragen zu beantworten. Das ist Mist. Ich weiß nicht, ob irgendjemand mit Sicherheit weiß, wie er auf bestimmte Situationen wirklich reagieren würde.

Ricore: Sie machen nicht nur viele Filme, Sie schauen sich auch viele Filme im Kino an. Ist Ihre Herangehensweise an einen Filmcharakter anders, als wenn Sie sich eine Rolle als Schauspieler erarbeiten?

Farrell: Es gibt durchaus einen Unterschied zwischen dem Filme anschauen und dem Filmemachen. Ich liebe Filme und gehe zwei, drei Mal in der Woche ins Kino. Als Zuschauer hat man eine gewisse Objektivität, da man an einem Diskurs teilnimmt und sich fragt, wie man in bestimmten Situationen anstelle des Charakters reagieren würde. Wenn man selber eine Rolle spielt, wird man oft gefragt, ob man diese und jene Dinge tun würde. Wenn man sich aber als Schauspieler mit dieser Frage konfrontiert, entwickelt man Distanz zum Charakter. Dadurch bringt man den Charakter zu sich, was der falsche Weg ist. Man muss vielmehr sich selbst zum Charakter bringen.

Ricore: War es schwer, sich mit der Figur zu identifizieren?

Farrell: Es ist alles Fiktion. Ein Schauspieler sagte kürzlich in einem Interview, solange man selbst kein Elternteil sei, solle man in einem Film kein Elternteil spielen. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber ich bin nicht seiner Meinung.

Ricore: Ist das der Kern der Schauspielerei?

Farrell: Gewissermaßen (lacht). Ich kann mir vorstellen, dass der genannte Schauspieler eine intensive Erfahrung gemacht hat. Vielleicht hat er oder sie bereits ein, zwei oder drei Kinder. Ich als Vater verstehe das. Ich verstehe, dass es keine vergleichbare Liebe wie die zu seinem Kind gibt. Trotzdem: Liebe ist Liebe. Sicher gibt es verschiedene Abstufungen von Liebe, für welche die Griechen sogar verschiedene Bezeichnungen hatten. Dennoch: Auch wenn es viele Abstufungen der Liebe gibt, gibt es doch nur eine fundamentale, alles verzehrende Liebe.

Ricore: Die Liebe zu einem Freund ähnelt demnach der Liebe zu einer Frau?

Farrell: Nicht, dass Sie jetzt denken, dass ich in Sie verliebt bin (lacht). Ich meine nur, dass alle Beziehungen, die man im Leben hat, Formen der Liebe sind. Ich bin Vater, also könnte ich mich hinsichtlich der Vaterrolle fragen, was ich anstelle der Figur tun würde. Ich muss das aber nicht machen, weil es bereits in mir drin ist und so betrachte ich die Fiktion als Realität. Im Idealfall liest man als Schauspieler das Drehbuch so oft, bis man den Kontext einer Szene so reflektiert, dass man davon nachts träumt. Wenn man von seiner Rolle und der Handlung des Films träumt, dann ist man gut vorbereitet. Noomi hat vor mir angefangen zu träumen. Ich dachte nur: Charakter-Träume! Du Schlampe, jetzt schon - verdammt! (lacht)
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Colin Farrell und Noomi Rapace
Lagerfeuer und Musik mit Noomi Rapace
Ricore: Wie war es, mit diesem Typen zu leben?

Farrell: Ich erinnere mich an zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen bei der Arbeit am Film. Eine Erfahrung ist mit den Dreharbeiten in Philadelphia verknüpft. Wir haben viel auf dem Gelände der US-Marine gedreht. Da gab es ein großes Lager mit einem Parkplatz direkt am Wasser. Alles war abgesperrt. Kein Mensch war da, nur die Filmcrew mit den Wohnwagen. Mein Anhänger parkte gegenüber Noomis, dazwischen lagen etwa 18 Meter. In der Mitte machten wir Lagerfeuer und hörten Musik. Nomi bekam Besuch von ihrem Sohn, ich von meinen Kindern. Es war wie Urlaub - wirklich schön.

Ricore: Und die andere Seite der Medaille?

Farrell: Die Geschichte des Films hat nicht für gute Gefühle gesorgt. Es geht um ernste Themen und Victor ist kein glücklicher Mensch. Er unterdrückt seine Emotionen und ist sehr einsam. Trotzdem sitzt er nicht da und sagt 'oh Gott ich bin einsam'. Er führt das Leben eines Mönchs. Es ist eine klösterliche Existenz, die er führt, während sein Leben vom Tod anderer erfüllt ist. Das ist nicht schön.

Ricore: Rache-Geschichten gehören in Hollywood zu den klassischen Sujets. Haben Sie versucht, dem Charakter und der Geschichten neue Facetten abzugewinnen?

Farrell: Wenn man etwas Neues macht, nur um neu zu sein, fällt man irgendwann in ein Loch. Meiner Erfahrung nach ist es das Beste, man nimmt das Drehbuch, wie es ist. Auf dieser Grundlage sollte man mit Neugier an den Charakter herangehen und ihn sich zu Eigen machen. Ich weiß nicht, ob aus meiner Rolle etwas Originelles entstanden ist. Ich weiß aber, dass ich beim Lesen etwas gespürt habe. Die Beziehung zwischen Noomis und meinem Charakter war eines der Dinge, die diesen Film von ähnlichen Werken abhebt. Da gibt es eine Zärtlichkeit in dieser Beziehung. Das sind zwei verletzte, gebrochene Menschen, die zusammen kommen und voneinander erlöst werden wollen.

Ricore: Wie definieren Sie Schönheit?

Farrell: Schönheit kann man mit Sprache erfassen. Schönheit sieht man, wenn man sie sieht, fühlt man, wenn man sie fühlt und hört man, wenn man sie hört. Üblicherweise umfasst es einen, zwei, drei, vier - manchmal alle fünf Sinne. Sie kann nicht ohne diese sinnliche Erfahrung existieren. Ich glaube nicht, dass Schönheit messbar ist.

Ricore: Sie alle haben für den Film ein paar Tage geprobt. Hat die Chemie mit Noomi Rapace gleich gestimmt oder hat es Zeit gebraucht, um zueinander zu finden?

Farrell: Ich mag sie. Sie ist so cool, klug und talentiert. Wir haben so viel gemein. Dadurch, dass unsere Hotelzimmer nebeneinander waren, hatten wir immer die Möglichkeit, uns über den Film auszutauschen Wir schrieben uns eine SMS und haben uns für eine Tasse Kaffee verabredet oder haben uns auf dem Balkon getroffen, um den nächsten Tag noch einmal durchzugehen. Wir trafen uns also regelmäßig auf dem Balkon, sie saß auf ihrer Seite, ich auf meiner. Während unter uns der Verkehr rauschte, haben wir uns bei einer Tasse Kaffee und einer heimlichen Zigarette über den nächsten Arbeitstag ausgetauscht. Das war wirklich cool, eine sehr schöne Zeit.
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Dead Man Down
Ricore: Haben Sie sich für den Film körperlich in Form bringen müssen?

Farrell: Es ist immer leichter, das Hemd auszuziehen, wenn man trainiert ist. Der Grund, wieso ich für die Rolle trainiert habe, hat mit dem Charakter zu tun. Wie gesagt, Victor ist jemand, der eine klösterliche Existenz führt. Er meidet Freuden, die viele von uns genießen, wie etwa die Freuden der Fleischeslust. Ich glaube nicht, dass er sich sein Essen nach dem Geschmack kauft, oder mal eine Pizza isst. Er lebt in einer sterilen Welt, die voller Entbehrung ist. Er hat sich dafür entschieden, ein makelloser Mensch zu sein, ein makelloser Körper ist da nur konsequent.

Ricore: Wie haben Sie das geschafft?

Farrell: Ich hab vier Monate lang kein Zucker und nur sehr wenig Pizza gegessen (lacht). Ich bin so fit wie nie.

Ricore: Man hat den Eindruck, dass Sie sich in letzter Zeit etwas rarer gemacht haben. Sind sie wählerischer geworden, was ihre Rollenauswahl angeht?

Farrell: Ich habe viel gearbeitet. Sie haben meine Filme nicht gesehen, Sie Bastard! (lacht) In den letzten zwei Jahren habe ich locker zwei Filme pro Jahr gemacht.

Ricore: Gab es einen bestimmten Moment während der Dreharbeiten, als Sie gemerkt haben, dass ihr Charakter ein Arschloch ist?

Farrell: Nein, nicht wirklich, 'Arschloch' ['bad ass'] ist ein amerikanischer Begriff. Es gibt ein paar Dinge, bei denen ich eine kulturelle Blockade habe. Bei dem Begriff 'Arschloch' könnte ich kotzen. Oder wenn die Leute meinen, dass sie mich nur verarschen und ich denke nur: 'ach ja' du verarscht mich?

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 3. April 2013
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Colin Farrell entscheidet sich erst während eines einjährigen Australienaufenthaltes für eine Schauspielkarriere. Zuvor will er es seinem Vater gleichtun und Profifußballer werden. 1996 geht er mit seiner Schwester Catherine auf die Auf der Suche nach Finbar" feiert der irische Schauspieler sein Leinwanddebüt. Zwei Jahre später wird er von Kevin Spacey auf der Bühne entdeckt. Fortan spielt Farrell in zahlreichen amerikanischen Großproduktionen. Er selbst bezeichnet seine Titelrolle in Oliver..
Dead Man Down (Kinofilm)
Victor (Colin Farrell) ist Mitglied der Verbrecherbande von Alphonse (Terrence Dashon Howard). Als dieser von einem Unbekannten bedroht wird, machen sich Victor und sein Freund Darcy (Dominic Cooper) daran, den Fall aufzuklären. Gleichzeitig wird Victor immer stärker in den Bann seiner Nachbarin Beatrice (Noomi Rapace) gezogen. Die Frau möchte, dass Victor den Mann aufspürt, der sie einst überfahren und dabei ihr Gesicht verunstaltet hat. Mit "Dead Man Down" hat der dänische Regisseur einen..
2024