Rupert Everett in: Stage Beauty
Rupert Everett über das Ende seiner Karriere
Interview: Ich höre auf
Um Charakterschauspieler Rupert Everett ist es still geworden. Anstatt sich auf der Leinwand zu zeigen, jettet er um die Welt, schreibt seine Biographie und will jetzt sogar seine Schauspielkarriere an den Nagel hängen. Letzte Amtshandlung ist "Stage Beauty", ein Historienfilm über die Tücken von Ruhm und Erfolg. Was es mit der plötzlichen Lebensumstellung auf sich hat, verriet uns der 46-jährige im Berliner Hotel Adlon.
erschienen am 1. 10. 2005
Ist "Stage Beauty" Rupert Everetts letzte Rolle?
Ricore: Mr. Everett, zum wiederholten Male verbringen Sie einige Woche in Berlin. Warum zieht es Sie immer wieder in die deutsche Hauptstadt?

Rupert Everett: Weil der Kapitalismus in Berlin noch nicht wirklich die Chance hatte, alles zu belagern. Fast alle Städte sind heutzutage wie Geburtstagskuchen. Bis ins letzte Detail poliert und teuer. Ich bin ein Wanderer, der ständig unterwegs ist. Egal ob New York, London oder Los Angeles: Jeder arbeitet hart, um sich das Leben leisten zu können, und die Stimmung wird automatisch aggressiver. In Berlin lebt es sich angenehmer, und deshalb verbringe ich fast jeden Sommer hier. An jeder Ecke tummeln sich Freaks, Maler, Künstler oder auch Tagträumer. Für mich ist diese Stimmung sehr inspirierend. Zumal ich gerade an meiner Biographie arbeite.

Ricore: Sind Sie dafür nicht etwas zu jung?

Everett: Ich bin 46 Jahre alt. In meinen Augen ist das sogar relativ spät. Der eigentliche Grund ist aber, dass ich gerade eine Zäsur in meinem Leben brauche. Ich werde die Schauspielerei an den Nagel hängen und brauche etwas, das mich für längere Zeit beschäftigt. Das Schreiben erschien mir als sinnvollste Alternative. Ich habe es schon immer gemacht. Es ermöglicht mir, über mich selbst nachzudenken.

Ricore: So wollen Ihre Schauspielkarriere ernsthaft beenden?

Everett: Ja, ich gebe auf. Es langweilt mich zu Tode. Es interessiert mich einfach nicht mehr so wie vor einigen Jahren.

Ricore: Sie haben sich als seriöser Charakterschauspieler einen Namen gemacht...

Everett: In all den Jahren habe ich mir nur immer die Projekte ausgesucht, die von all den Angeboten noch den höchsten Anspruch hatten. Ich war und bin eigentlich nicht sonderlich interessiert an Kostümfilmen, aber es war einfach die beste Alternative. Aber jetzt? Es ist wie bei einer Liebesaffäre, bei der einfach die Luft raus ist. Ich habe keine Lust mehr auf Castings und auf die Schauspielerei an sich. Und an dem ganzen Hollywood-Trubel will ich mich erst Recht nicht mehr beteiligen. Die Konkurrenz ist so stark geworden, dass du all das oberflächliche Geplänkel mitspielen musst, damit du zu deinen Rollen kommst. Du musst das Spiel spielen, damit du Teil der Branche bist. Das kann nun alles gerne ohne mich stattfinden.

Ricore: Der amerikanische Schriftsteller John Updike beschrieb Ruhm als "Maske, die sich in dein Gesicht frisst".

Everett: Und damit haben Sie genau den Grund erfasst, warum ich meinen aktuellen Film "Stage Beauty" noch gedreht habe. Er führt dem Zuschauer eine messerscharfe Tatsache vor Augen: Ein begnadeter Schauspieler definiert sich nur über die Bühne, er braucht den Applaus. Man fragt sich oft, warum in unserer Branche so viele Beziehungen in die Brüche gehen. Für mich ist die Erklärung ganz einfach: Wenn ich vor der Kamera zu jemandem sage, dass ich ihn liebe, tue ich das mit einer dermaßen starken Intensität, dass das wirkliche Leben anschließend nichts weiter ist als eine simple Probe. Schauspielerei und Ruhm fressen sich nicht nur in dein Gesicht, sie nehmen deine ganze Persönlichkeit ein. Das normale Leben verkommt zu einem langweiligen Abklatsch.
Rupert Everett in: Ernst sein ist alles
Ricore: Seit Ende der 20er-Jahre der Starkult in Hollywood Einzug gehalten hat, steigt der Einfluss von Prominenten konsequent...

Everett: Wir leben in einer Gesellschaft, die sich über Prominente definiert. Ein Produkt wird über Stars verkauft. Eine verquere, kranke Art, sein Leben zu leben. Ich mache da nicht mehr mit...

Ricore: Stecken Sie vielleicht gerade in Ihrer Midlife-Crisis?

Everett: Mag sein, aber eigentlich finde ich mein Alter wesentlich angenehmer als meine Jugendjahre. Mein Leben war früher durchtränkt von Krisen, in meinen Zwanzigern stolperte ich von einer in die nächste. Es war verstörend, hat mich fast aus der Bahn geworfen...

Ricore: Was genau hat Sie damals bedrückt?

Everett: Ich stand am Anfang meines Lebens und wollte etwas erreichen. Diese Sehnsucht nach mehr impliziert, dass man mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden ist. In mir tobte ein innerer Konflikt zwischen dem, was ich war und dem, was ich sein wollte. Ehrgeiz - so gut er manchmal sein kann - ist korrupt. Er hindert dich daran, deinen Jetzt-Zustand zu genießen. Der Augenblick wird zu deinem größten Feind. Er erinnert dich daran, was du nicht bist. Ich musste mir über die Jahre erst darüber im Klaren werden, was mich und meine Person ausmacht.

Ricore: Und das ist Ihnen nun gelungen?

Everett: Zumindest bin ich mit meiner jetzigen Situation ganz zufrieden. Aber die andauernde Kategorisierung von Dingen empfinde ich als negativ. Sie führt nur dazu, dass du zwangsläufig versagst. Sobald du dir Gedanken darüber machst, ob du zu einem anderen Zeitpunkt glücklicher warst als heute, hast du schon verloren. Ich versuche nur noch, für den Moment zu leben und die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen. Krankheit und Tod? Auch damit werde ich irgendwann in naher oder ferner Zukunft klarkommen müssen. Es bringt nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, dies und das zu sein. Dieses Streben ist so schrecklich ermüdend.

Ricore: Kann man ohne Ambitionen überhaupt leben?

Everett: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe nur gemerkt, dass Ambitionen ein nie endender Prozess sind. Sobald man eine hat, die in Erfüllung zu gehen scheint, will man automatisch mehr und wird wieder unzufrieden. Ambitionen kann man nicht erreichen. Es ist wie bei reichen Leuten: Je reicher du wirst, desto ärmer fühlst du dich. Es ist wie ein Zwang.
erschienen am 1. Oktober 2005
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Geboren wird Rupert Everett in Norfolk, England, als Sprössling einer wohlhabenden und privilegierten Familie. Der etwas arrogant auftretende Intellektuelle erweist sich früh als freier Geist. Bereits mit sieben Jahren wird seine Erziehung in die Hände von Mönchen des Benediktiner-Ordens gelegt. Dort fällt er allerdings mehrmals aufgrund seiner rebellischen Art auf, bis er mit 15 Jahren die Schule verlässt und nach London geht.Julia Roberts spielt er deren schwulen Freund und Lebensberater.The..
Stage Beauty (Kinofilm)
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2024