Ricore

Guest of Honour

Originaltitel
Guest of Honour
Regie
Atom Egoyan
Darsteller
David Thewlis, Luke Wilson, Laysla De Oliveira, Isabelle Franca, Rossif Sutherland, Tennille Read
Kinostart:
Deutschland, bei
Kinostart:
Österreich, am 07.08.2020 bei Filmladen
Genre
Drama
Land
Kanada
Jahr
2019
Länge
105 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
9,0 (Filmreporter)
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Geniales Drama um kleine und große Lügen
Veronica (Laysla De Oliveira) trauert um ihren Vater Jim (David Thewlis), der sich zu ihrer Überraschung ein christliches Begräbnis wünscht. In Gesprächen mit Pater Greg (Luke Wilson) bemerkt sie, wie wenig sie ihren Vater kannte. Das Verhältnis zwischen dem peniblem Hygenieinspektor, dessen Erscheinen in den von Einwanderern betriebenen Restaurants gefürchtet ist, und der Chorleiterin war seit dem frühen Tod von Veronicas Mutter angespannt.

Vor Jims Tod, der vereinsamt starb, war die Beziehung endgültig erkaltet. Veronica saß im Gefängnis, weil sie einen Schüler verführt haben soll. Ihr Vater tat zwar alles, um ihre Unschuld zu beweisen. Aber sie bestand darauf, für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat, die Strafe zu verbüßen. Sie begriff das als Sühne und Rache an ihrem Vater, von dem sie sich hintergangen fühlte.
Mit seinem intelligenten Drama um kleine und große Lügen, Geheimnisse und Missverständnisse kehrt der kanadische Filmemacher Atom Egoyan nach Ausflügen ins Genrekino zu seinen thematischen und ästhetischen Wurzeln zurück. Das bringt ihm nach der Premiere des Films auf dem Filmfest von Venedig leider keine guten Kritiken ein. Offensichtlich fällt es manchen Kritikern schwer, seine nonlineare Erzählweise zu erfassen.

Die von Egoyan selbst als 'prismatisch' bezeichnete Herangehensweise an sein Werk, sein Spiel mit dem bisweilen konfusen, assoziativen Vorgang des Erinnerns bringt schon beim Sehen seiner frühen Filme viel Vergnügen. Auf den ersten Blick unsystematisch, aber letztlich kongenial geplant, springt der Film zwischen verschiedenen Zeitebenen. Wie in einem Puzzle werden langsam die unterschiedlichen Erinnerungsfetzen von Vater und Tochter zu einem Gesamtbild zusammengesetzt, das den emotionalen Konflikt zwischen den beiden verständlich macht.

Hat der Vater die Hand der Musiklehrerin heimlich während eines Konzerts berührt, wie Veronica meint, als die schon von ihrer Erkrankung gezeichnete Mutter auf der anderen Seite neben ihm saß? Oder konnte er das gar nicht, weil er Veronica auf der Bühne filmte, wie er zu beweisen versucht? Wie so oft bei Egoyan treiben Fotos und Filme, die oft im Kontrast mit in uns abgespeicherten Bildern stehen, die Handlung voran. Sie können unser Erinnerung prägen, korrigieren oder täuschen

Der Umgang mit prägenden Erfahrungen und Erinnerungen ist ein Lebensthema des Regisseurs, der in Ägypten geboren wurde und früh mit seinen Eltern nach Kanada auswandert. Deren Trauma war der Holocaust an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 bis 1916, für das sich die Türkei bis heute nicht entschuldigt hat. Der Umgang mit Schuld und Sühne, diesem untrennbaren Paar, das zugleich immer die Möglichkeit einer Versöhnung offen lässt, ist auch in "Guest of Honour" eine der Triebfedern der Handlung.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
2024