Neue Visionen Filmverleih
Wie im echten Leben ("Le quai de Ouistreham", 2021)

Wie im echten Leben

Originaltitel
Le quai de Ouistreham
Alternativ
The Night Cleaner; Between Two Worlds
Regie
Emmanuel Carrère
Darsteller
Hélène Lambert, Louise Pociecka, Steve Papagiannis, Aude Ruyter, Juliette Binoche, Jérémy Lechevallier
Kinostart:
Deutschland, am 30.06.2022 bei Neue Visionen Filmverleih
Kinostart:
Österreich, am 30.09.2022 bei Filmladen
Kinostart:
Schweiz, am 03.03.2022 bei Frenetic Films
Genre
Komödie
Land
Frankreich
Jahr
2021
FSK
ab 6 Jahren
Länge
106 min.
IMDB
IMDB
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brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Emmanuel Carrère auf den Spuren Günter Wallraffs
Irgendwann landeten sie alle auf der Fähre in Calais. Ungelernte Arbeitslose, die jeden Job annehmen müssen. Frauen, die nach ihrer Scheidung die Familie ernähren müssen. Oder Zugewanderte. Für sie ist das nächtliche Putzen im Akkord auf den riesigen Fähren die letzte Hoffnung. Zu ihnen gehört Marianne (Juliette Binoche), die mehr als 20 Jahre in der Firma ihres Mannes arbeitete. Nach ihrer Scheidung findet sie jedoch nur noch einen Putzjob. Christéle (Hélène Lambert) hetzt für ihre drei Söhne von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten und hat keinen Blick für die Schönheiten der nordfranzösischen Küste. Marilou (Léa Carne) verlor ihre Arbeit, als die Fabrik schloss. Und da sind all die anderen Frauen, die die meisten Menschen erst bemerken, wenn sie nicht mehr da sind. Wenn auf den Schreibtischen der Büros noch der Kaffeebecher vom Vortag steht oder die zerknüllte Tüte liegt, die Klos nicht geputzt sind oder in den Kabinen der Fähren die Bettwäsche nicht gewechselt ist.

Marianne arbeitet und lebt sich schnell mit den anderen Reinigungskräften ein und wird Teil einer solidarischen Gemeinschaft, in der die Frauen füreinander einstehen. Sie bekommt ein verrostetes, altes Auto gespendet, damit sie flexibler wird. Dank der Fürsprache von Cristéle erhält sie den nächsten Job und vor allem seelischen Beistand. Sie lachen und leiden gemeinsam. Nur gibt es einen kleinen Unterschied zwischen Marianne und den Frauen. Marianne ist Schriftstellerin und macht den Job nur auf Zeit, um ein Buch über ihre Erlebnisse zu schreiben. Bald ahnt sie den Zwiespalt. Sie muss Geheimnisse und Gefühle von Menschen preisgeben, die ihr vertrauen.
Frankreichs erfolgsverwöhnter Autor Emmanuel Carrère schickt Weltstar Juliette Binoche bei einem seiner wenigen filmischen Ausflüge auf den Spuren von Günter Wallraffs "Ganz unten" zu den Arbeitskräften, an deren billige Dienste sich die westliche Gesellschaft gewöhnt hat und die sie mies entlohnt. Das Wagnis geht auf, weil sich die göttliche Binoche vollkommen in dieser Welt fallen lässt und sich nicht zu schade ist, verdreckte Klos zu putzen und Betten zu machen. Zum anderen geht sie ungeschminkt in dieser Gemeinschaft von starken Frauen auf, die sich selbst spielen. Sie werden gleichberechtigte Partnerinnen, bei denen der Zuschauer schon mal vergisst, wer der Profi ist.

Der Film schöpft seine Kraft aus dem ruhigen Erzählfluss und dem halbdokumentarischen Stil, der zu einem Blick durchs Schlüsselloch auf Mariannes neue Welt einlädt. Carrière lässt sich Zeit und nimmt den Zuschauer mit auf eine gemeinsame Entdeckungsreise auf Fähren, in nächtliche Büros oder auf leere Campingplätze, zu Chefs und Auftraggebern, die keinen Widerspruch dulden und pingelig die Akkordarbeit kontrollieren. Die körperliche und seelische Belastung durch den Stress und die schwere körperliche Arbeit spürt bald auch Marianne. Sie merkt, dass es in ihrem Buch mehr geht als um prekäre Arbeitsverhältnisse und miesen Lohn: Um Sichtbarkeit und Wertschätzung.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
Marianne (Juliette Binoche) arbeitete mehr als 20 Jahre in der Firma ihres Mannes. Nach ihrer Scheidung findet sie nur noch einen Putzjob.
 
Emmanuel Carrère schickt einen Weltstar putzen.
Neue Visionen Filmverleih
Hélène Lambert & Juliette Binouche in "Wie im echten Leben" ("Le quai de Ouistreham", 2021)
2024