Cannes
Palme D'Or
Es kann nur einer gewinnen - oder zwei?
Feature: Die Gewinner von Cannes
Es kann nur einer gewinnen - manchmal auch zwei. Dass alle Teilnehmer des Wettbewerbs mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurden, das gabs nur einmal. Im ersten Jahr des 1946 gegründeten Festivals erhielten alle elf Teilnehmerfilme die begehrte Auszeichnung, darunter Billy Wilders "Das verlorene Wochenende", "Begegnung" von David Lean und "Rom, offene Stadt" von Roberto Rossellini.
erschienen am 22. 05. 2006
Ottfilm
Volker Schlöndorff
Die Jury befand sich dermaßen im Gefühlstaumel der Neugründung, dass sie sich nicht für einen Gewinner entscheiden konnte. Seither mussten sich immerhin acht Mal zwei Filme die Goldene Palme teilen. Den Anfang machten 1951 Vittorio de Sica mit "Das Wunder von Mailand" und "Fräulein Julie" von Alf Sjöberg. Auf dem Fuße folgten 1952 "Für zwei Groschen Hoffnung" von Renato Castellani und "Othello" von Orson Welles. 1979 musste Volker Schlöndorff ("Die Blechtrommel") mit Francis Ford Coppola ("Apocalypse Now") teilen. 1982 wurden drei Regisseure für zwei Filme ausgezeichnet. "Vermisst" von Constantin Costa-Gavras sowie Serif Gören und Yılmaz Güney für "Yol - Der Weg".
Kinowelt
Elephant
Anspruchsvolles Kino - große Politik
Mit 15 Gewinnerfilmen sind die US-Amerikanischen Filme die erfolgreichsten in der 60-jährigen Geschichte von Cannes. Aber es sind nicht die großen Blockbuster, die an der Croisette die großen Erfolge verbuchen. Dies zeigte sich 1960, als nicht die Hollywoodmegaproduktion "Ben Hur" mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, sondern "Sonntags... nie!" von Jules Dassin. In der griechischen Komödie versucht ein amerikanischer Amateurphilosoph eine Prostituierte zu einem ehrbaren Leben zu bekehren. 1991 gewannen die Brüder Ethan und Joel Coen mit ihrem doch eher widerspenstigen Werk "Barton Fink" die Goldene Palme. 2003 erhielt Gus Van Sant für das umstrittene Teenagerdrama "Elephant" die Trophäe. Auch politische Themen sind gefragt, so wurde 2004 Michael Moore für seine Dokumentation "Fahrenheit 9/11" ausgezeichnet.
Ottfilm
Filmemacher Wim Wenders
Und der deutsche Film?
Das Festival hatte oft ein zwiespältiges Verhältnis zum deutschen Film. Bisher wurden nur zwei deutsche Regisseure mit der goldenen Palme ausgezeichnet. Volker Schlöndorff gewann 1979 für seine Verfilmung von Günter Grass' Roman "Die Blechtrommel", Wim Wenders 1984 für "Paris, Texas". 1993 bekam Wenders jedoch noch eine weitere Auszeichnung. Der Nachfolger zu "Der Himmel über Berlin" "In weiter Ferne so nah" erhielt den großen Preis der Jury.

Viele in Cannes ausgezeichnete Werke sind längst Klassiker der Filmgeschichte. Ein gutes Beispiel hierfür ist Quentin Tarantinos "Pulp Fiction", der sich durch eine besonders verschachtelte Erzählweise und die explizite ironische Distanz zu Gewalt auszeichnet. Gewalt ist ein Thema, das sich durch viele Preisträgerfilme zieht. 1976 wurde Martin Scorseses Amoklauf eines Taxifahrers geehrt. In "Taxi Driver" erträgt Vietnamveteran Travis die Gewalt in den Straßen New Yorks nicht mehr und beschließt, Selbstjustiz zu üben. Drei Jahre später setzte sich Coppola mit dem Vietnamkrieg in seinem Drama "Apocalypse Now" auseinander und erhielt wieder die Goldene Palme für die Gewaltorgie.
Dieser Anspruch lässt sich auch auf andere Art an einigen Filmen feststellen, die herkömmliche Sehgewohnheiten nicht einfach bedienen, sondern herausfordern. 1961 wurde Luis Buñuels "Viridiana" im Wettbewerb gezeigt. Im Zentrum der Handlung steht eine junge Novizin, die von ihrem Onkel begehrt wird. In seiner Bildkomposition verband Buñuel religiöse mit sexuellen Motiven. Von der Jury wurde er dafür mit der Goldenen Palme belohnt, von den spanischen Sittenwächtern mit dem Verbot des Films bestraft. 1991 präsentierten die Brüder Joel und Ethan Coen ihre bereits erwähnte Abrechnung mit Hollywood. In "Barton Fink" muss sich ein blockierter Autor mit seinem persönlichen Alptraum auseinandersetzen. Der Zuschauer wird sowohl auf bildlicher wie auch inhaltlicher Ebene in die Irre geführt. Neben der Goldenen Palme erhielt der Film noch zwei weitere Hauptpreise für den besten Darsteller und die beste Regie. Dies war und ist bisher keinem Teilnehmer gelungen. Im Jahr 2000 strapazierte Lars von Trier die Sehnerven der Zuschauer und bekam dafür die Goldene Palme. Sein komplett mit Handkamera gefilmtes Musical-Drama "Dancer in the Dark" erzählt die Geschichte der erblindenden Arbeiterin Selma in wackligen aber nicht minder eindrucksvollen Bildern. Zuvor hatte der Däne 1996 mit dem ebenso gefilmten Drama "Breaking The Waves" den Großen Preis der Jury gewonnen.

Es gibt auch Gewinnerfilme, die ihre Geschichte auf völlig unspektakuläre Weise erzählen. Hier liegt der Focus eher auf der inhaltlichen Ebene in Form von innerfamiliären Konflikten. 2005 gewann die belgische Produktion "L'Enfant" die begehrte Auszeichnung. Das Drama erzählt von dem schwierigen Weg eines jungen Mannes, sich mit seiner Vaterrolle zu identifizieren. 2001 zeigte Nanni Moretti in "Das Zimmer meines Sohnes" die Trauerarbeit eines verzweifelten Vaters

Filminteressierten Zuschauern gibt die Auszeichnung mit der Goldenen Palme die Sicherheit, einen kulturell wertvollen Film anzusehen. So wird auch kleineren Filmen aus fernen Ländern eine Plattform gegeben, auf der sie sich gegen die übermächtige Präsenz der Hollywoodblockbuster behaupten können.
erschienen am 22. Mai 2006
2024