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Berlinale
Wichtigster deutsche Filmtrophäe: Goldene Bär
"Aloft", "To mikro psari" und "Bai Ri Yan Huo" im Wettbewerb
Einsame Helden in Berlin
Eine Mutter und ihr älterer Sohn, deren Verhältnis durch den Tod des jüngeren Bruders und eine Entscheidung der Mutter beeinträchtigt wird; ein einsamer Auftragsmörder, der in einem dahinsiechenden Griechenland der einzige ist, der sich noch ein Stück Gewissen bewahrt hat; ein chinesischer Polizist, der im Fall eines Serienmörders ermittelt und einer rätselhaften jungen Frau verfällt. Mit "Aloft", "To Mikro Psarii" (Festivaltitel: "Stratos") und "Black Coal, Thin Ice" zeigt die Berlinale gestern und heute Filme, die alle um unglückliche Helden kreisen.
12. Feb 2014: Der schwächste der drei Filme ist Claudia Llosas spanisch-kanadisch-französische Koproduktion "Aloft". Die Berlinale-Gewinnerin aus dem Jahr 2009 entfaltet ihre esoterisch angehauchte Geschichte auf zwei Zeitebenen. Verbunden werden sie von der Figur des Falkenzüchters Ivan. Als kleiner Junge (Zen McGrath) wird Ivans Leben durch die tödliche Krankheit seines jüngeren Bruders (Winta McGrath) überschattet. Ihre Mutter Nana (Jennifer Connelly) weiß sich nicht mehr zu helfen und wendet verzweifelt an einen Wunderheiler (William Shimell). In ihrer Sorge um den Jüngsten überlässt Nana den Älteren seiner eigenen Verantwortung. Als ein schrecklicher Unfall passiert, verlieren sich Mutter und Sohn aus den Augen.

Jahre später hat Ivan (Cillian Murphy) noch immer nicht die Vergangenheit überwunden, während Nana sich mittlerweile als Wunderheilerin betätigt und eine Reihe von Anhängern um sich gescharrt hat. Zu ihnen zählt auch Jannia (Mélanie Laurent), eine Dokumantarfilmerin, die einen Film über Nana drehen will. In ihren Recherchen wendet sich die junge Frau an Ivan. Der lässt sie erst abblitzen, entscheidet sich dann aber, ihr Richtung Nana zu folgen.

"Aloft" beeindruckt durch seine winterliche Naturkulisse, erzählerisch kommt das Drama allerdings nur schwer in Tritt. Dass Llosa regelmäßig zwischen zwei Zeitebenen wechselt, macht den Film noch schwerfälliger. Hinzu kommt, dass der Mutter-Sohn-Konflikt und die Figuren kaum Profil besitzen, sodass "Aloft" - abgesehen von einigen einnehmenden Szenen, in denen Cillian Murphy starke Auftritte hat - einen insgesamt diffusen Eindruck hinterlässt.

Yannis Economides überschlägt sich in "To mikro psari" zwar auch nicht gerade erzählerisch, doch im Vergleich zu "Aloft" entfaltet sein Gangsterfilm einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Stratos (Vangelis Mourikis), der tagsüber in einer Backfabrick arbeitet und nachts Menschen tötet. Als er von Auftraggebern, Komplizen und einem psyhopathischen Gangster immer mehr bedrängt wird, trifft er eine radikale Entscheidung.

Sichtlich von Jean-Pierre Melvilles Neo-Noir-Meisterwerk"Der eiskalte Engel" inspiriert, zeichnet Economides in seinem vierten Spielfilm ein sehr düsteres Bild von Griechenland. Er zeigt ein zum Stillstand gekommenes Land mit verwahrlosten öffentlichen Plätzen, ein Land, in dem Menschen wegen einer Kleinigkeit ihren Job verlieren und Mütter ihre Kinder an Gangster verkaufen. Die ökonomische und Sinnkrise Griechenlands ist in "To mikro psari" in jedem Bild zu spüren.

Economides untermauert seine Beobachtung mit einer adäquaten formalen Umsetzung. Wie der langsame Erzählrhythmus verharrt auch die Kamera ein ums andere Mal auf der Stelle. Die Hauptfigur mag ikonographisch dem Gangstertypus entsperchen - Stratos ist ein Profi, der seine Aufgabe effizient und präzise erledigt. Doch auch er ist eine Ausgeburt eines erlahmten und müde gewordenen Landes. Mit Vangelis Mourikis hat Ecomonides den perfekten Darsteller dieser Figur gefunden. Mourikis legt seinen Professional äußerlich so erbärmlich an, dass man sich nur darüber wundert, wie er es schafft, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Am befremdlichsten und faszinierendsten zugleich sind die Dialoge. Die Sprache ist weder schön, noch dient sie als Kommunikationsmittel. Die Figuren wiederholen ständig Sätze und Wörter oder kreisen mit dem Gesagten um das Gemeinte, ohne es doch zu treffen. 'Was für eine geile Show. Was für eine geile Show, Mann. Was für eine geile Show'. Die Schallplatte Griechenlands hat in "To mikro psari" einen Sprung, die Musik, die einst so schön geklungen hat in dem Land, erklingt nicht mehr.

Um einen einsamen Anti-Helden geht es auch in Diao Yinans Wettbewerbs-Beitrag "Black Coal, Thin Ice". Von seiner Freundin verlassen, stoßen der Polizist Zhang Zili und seine Kolegen auf einen rätselhaften Kriminalfall. Überall in einer Provinz im Norden Chinas werden in Kohlefabriken Leichenteile gefunden. Die Spur führt die Polizei zu einer jungen Wäscherei-Arbeiterin. Alle toten Männer standen mit der attraktiven Frau in Verbindung. Zhang beschattet sie und gerät zunehmend ihren Bann.

Erzählerisch und motivisch erinnert Diaos Drama an Economides' "To mikro psari". Wie der Grieche verstört auch der chinesische Regisseur durch eine langsame, keiner klassischen Dramaturgie verpflichteten Erzählweise. Wie jener ist auch er maßgeblich vom Film Noir beeinflusst, dessen Figuren Diao in die chinesische Wirklichkeit verankert, ohne freilich an die sozial-politischen Verhältnisse in seinem Land zu rühren.
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Stars
Yi'nan Diao Jean-Pierre Melville Vangelis Mourikis Yannis Economides Mélanie Laurent Cillian Murphy William Shimell Jennifer Connelly Winta McGrath Zen McGrath Claudia Llosa
2024