News: Festivalticker
La Bienale
George Clooney in Venedig 2005
Kontroverse Filme, Terrorgefahr und ein Skandal?
Venedig steckt voller Überraschungen
In diesen Tagen gleicht der Lido einer Hochsicherheitszone: Metalldetektoren säumen die Eingänge der Kinos, vor der Küste kreuzen Kriegsschiffe, Hubschrauber überfliegen den Luftraum und uniformierte Polizisten patrouillieren vor der Luxusabsteige Excelsio. Inmitten dieser Vorsicht sorgte Tsui Harks Eröffnungsfilm "Seven Swords" für Kontroversen, fielen Fans beim Anblick von George Clooney fast in Ohnmacht, und der Disney-Filmverleih zerstritt sich mit dem Bürgermeister der Lagunenstadt. Die 62. Biennale in Venedig hat begonnen - und mit ihr der ganz normale Festivalwahnsinn.
04. Sep 2005: Während man letztes Jahr mit Steven Spielbergs "Terminal" noch auf Unterhaltung mit Feel-Good-Belohnung setzte, überraschte der Hongkong-Chinese Tsui Hark am vergangenen Mittwoch die Besucher der Eröffnungsgala mit seinem blutigen Kampf-Epos "Seven Swords": Schon in der ersten Szene rollen Köpfe, spritzt das Blut - und das auch noch mit einer Realitätsnähe und Detailfreude, dass manch einer geschockt aus dem Kino flüchtete. Gewaltverherrlichung drinnen, Terrorangst draußen - das musste zu Kontroversen führen. "Seven Swords" spielt in der Qing-Dynastie um 1660, also in Zeit, in der die Machthaber aus Angst vor Aufständen ein Kopfgeld auf jeden Kampfkunstmeister aussetzten. Die Story um sieben Widerständler, die diesem Unrecht Einhalt gebieten wollen, erinnert in ihren Wirren um Freundschaft, Verrat und Vertrauen zwar stark an Filme wie Akira Kurosawas "Sieben Samurai" oder "Die Glorreichen Sieben", kann sich aber dank innovativer Schnitttechnik und präziser Inszenierung letztendlich behaupten. "Meine Gewaltszenen haben nichts Heroisches", wehrt sich der Regisseur gegen die laut gewordenen Vorwürfe. Das deutsche Publikum wird sich ab Januar 2005 seine eigene Meinung bilden können.

Schwule Cowboys - und beinahe ein Skandal
Für Aufsehen sorgte auch Regisseur Ang Lee ("Tiger & Dragon"), der Hollywoods Frauenlieblinge Heath Ledger und Jake Gyllenhaal in der Schwulenstory "Brokeback Mountain" übereinander herfallen lässt. Mit einfühlsamem Blick zeichnet der 50-jährige Taiwaner ein Psychogramm zweier amerikanischer Landeier, die sich im Sommer 1963 in den Bergen von Wyoming kennen und lieben lernen. Doch was verpönt ist, darf nicht sein - und so kämpfen die wortkargen Hobbycowboys in den kommenden Jahrzehnten gegen ihre wahren Gefühle an. Sie werden Ehemänner und Väter, und können doch nicht voneinander lassen. Offiziell verabredet man sich zum Fischen - trifft sich aber tatsächlich zum Sex. Beeindruckend ist neben der drastischen Darstellung amerikanischer Borniertheit vor allem die erstaunlich erwachsene Leistung von Gyllenhaal und Ledger - in den Bars auf dem Lido munkelte man schon von Oscarnominierungen. Im Rennen um den Goldenen Löwen galoppieren die beiden Cowboys ganz weit vorne mit - falls der Streit um Ledgers anderen Festivalfilm "Casanova" sie nicht in der Zielgerade ins Straucheln bringt. Denn für die Komödie um Venedigs Herzensbrecher unterstützte die Stadt die amerikanische Produktionsfirma Disney bei den Dreharbeiten mit zahlreichen Ausnahmegenehmigungen, Umbauten und Statisten. Dann aber wollte man in Amerika von der zugesagten Freiluftaufführung auf dem Campo San Polo aus Angst vor Raubpiraterie nichts mehr wissen. Bürgermeister Cacciari konterte mit venezianischem Stolz - und zog seine Genehmigung für die Premierenfeier im Dogenpalast zurück. Die Fete durfte schließlich doch noch steigen. "Wir haben uns geeinigt", hieß es auf unsere Nachfrage bei Disney.

Eine herbe Enttäuschung - und ein umjubeltes Comeback
Heath Ledger, der in diesem Jahr neben "Brokeback Mountain" und "Casanova" auch noch in "Brothers Grimm" bei den Filmfestspielen zu sehen ist, wird mit dem Trubel nur schwer fertig. "Für mich ist das alles sehr aufregend", stotterte der 26-Jährige und nestelte dabei nervös an seiner Baseballkappe. Kein Wunder: Seit Jahren will Ledger den Sprung vom Teenie-Star zum seriösen Schauspieler schaffen, und was ihm mit Hilfe von Ang Lee in "Brokeback Mountain" endlich zu gelingen schien, droht ihm nun ausgerechnet Regielegende Terry Gilliam zu verpatzen. Denn der Kritikerliebling ("Brazil") und Meister des Grotesken ("Fear and Loathing in Las Vegas") langte mit seinem aufwendigen Abenteuer-Märchen "Brothers Grimm" so gehörig daneben, dass es bei der ersten Pressevorführung Buh-Rufe hagelte. Zu wirr die Story, zu einfältig die Charaktere, zu unklar die Aussage. Im Zauberwald verliert der Meister offenbar den Faden und kann sein Talent nur in wenigen lichten Momenten beweisen. Anders Gilliams Kollege Cameron Crowe in seinem viel beachteten Film "Elizabethtown". Der Regisseur, der mit "Almost Famous" das Publikum verzauberte und mit seinem letzten Film "Vanilla Sky" einen ebenbürtigen Flop erzielte, hat aus alten Fehlern gelernt. Die zarte Romanze zwischen dem gescheiterten Karrieristen Drew (Orlando Bloom) und der quirligen Stewardess Claire (Kirsten Dunst) rührt zu Tränen - und besticht wieder einmal mit einem Soundtrack der Extraklasse. Selbst Orlando Bloom kann überzeugen - und liefert seine erste glaubwürdige Performance in einem zeitgenössischen Film.

Unfassbar: Einigkeit zwischen Kritikern und kreischenden Girls
In Sachen Massenhysterie kann Bloom dem Alt-Charmeur George Clooney allerdings nichts vormachen. Als der 44-Jährige am Lido einschwebte, um seine zweite Regiearbeit "Good Night, and Good Luck" vorzustellen, waren nicht nur kreischende Mädchenhorden aus dem Häuschen. Sein in Schwarzweiß gefilmtes Drama um Pressefreiheit und Intoleranz während der McCarthy-Ära hat zwar keine Aussichten auf einen Kassenerfolg, wird aber neben den schwulen Cowboys als heißester Favorit im offiziellen Wettbewerb gehandelt. Bis jetzt zumindest, denn noch sind die Würfel nicht gefallen. In der zweiten Festivalwoche könnte etwa Sir Anthony Hopkins mit "Proof" in den Wettstreit um die Löwen eingreifen. Auch Ralph Fiennes, der in "Der ewige Gärtner die Mörder seiner Frau aufspüren will und dabei auf ein Komplott stößt, das bis in Kreise der Regierung reicht wird sich noch dem Urteil von Kritikern, Jury und Publikum stellen. Ob "City of God"-Regisseur Fernando Meirelles die Gewaltszenen im "Gärtner" auf einem für alle erträglichen Niveau inszenierte? Auf dem Lido bleibt es spannend.
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