Deutsches Filmmuseum
Helmut Käutner
Helmut Käutner: Regisseur der kleinen Leute
Retro Feature: Scharfrichter beim Film
Die Laufbahn vieler deutscher Filmschaffender endet mit dem Jahr 1945. In eben diesem Jahr erreicht die Karriere Helmut Käutners ihren Höhepunkt. Sein Drama "Große Freiheit Nr. 7" war zwar schon 1943 entstanden, scheiterte aber an der nationalsozialistischen Zensur. So war es gemeinsam mit Käutners Romanze "Unter den Brücken" erst nach dem Krieg zu sehen. Der deutsche Film ließ seine Chance auf einen Neubeginn verstreichen. Helmut Käutner auch. Nichts desto trotz haben Komödien wie "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) oder "Der Schinderhannes" (1958) viele Anhänger gefunden.
erschienen am 25. 02. 2022
Deutsches Filmmuseum
"Unter den Brücken" von Helmut Käutner
Familie von Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen
Mütterlicherseits stammt Helmut Käutner aus der Familie von Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen. Arzt will er trotz der edlen Gene nie werden. Der Junge aus Essen besucht stattdessen Schauspielkurse und macht in einer Laiengruppe erste Erfahrungen mit dem Schauspiel. Seine Eltern erleben sein Abitur nicht mehr. So wird der Theaterwissenschaftler Artur Kutscher sein Mentor. Bei ihm studiert er in München. Geld muss er sich durch journalistische Arbeiten dazuverdienen.

Aus dem Nebenjob wird schließlich ein Beruf. Käutner gibt sein Promotionsvorhaben auf und tritt als Kabarettist auf. Seine Truppe nennt sich Die Nachrichter. Der Name bezieht sich nicht auf ihre Botschaft, sondern den altertümlichen Begriff für den Henker. 1932 parodiert das vierköpfige Ensemble die blühende Musicalkultur. Ihr Programm "Hier irrt Goethe" wird in Münchens große Schauspielhäuser eingeladen, schließlich auch ins Berliner Renaissance-Theater. Kritiker Viktor Wittner lobt in der Kulturzeitschrift Der Querschnitt "die Erneuerung des Kabaretts aus dem Geist des Seminars". Das Publikum zeigt sich begeistert. Eine Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz folgt.
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Ilse Werner und Hans Albers in Helmut Käutners "Große Freiheit Nr. 7"
Ab 1933 unpolitische Wandertruppe?
Käutners Versuch, die Gruppe ab 1933 als unpolitische Wandertruppe weiterzuführen, gelingt nur, weil man sich von dem nicht-arischen Mitglied Bobby Todd trennt und der NS-Bühnengenossenschaft beitritt. Trotzdem wird das Programm der Nachrichter 1935 "wegen mangelnder Zuverlässigkeit und Eignung im Sinne der nationalsozialistischen Staatsführung" verboten. Nach verschiedenen Arbeiten als Autor arbeitet der junge Käutner mit "Kitty und die Weltkonferenz" 1939 das erste Mal als Regisseur. Dass eine Komödie über den Völkerbund im Kriegsjahr 1939 verboten wird, verwundert nicht. Daraufhin widmet er sich harmloseren Themen. Dass er sich trotzdem den Vorgaben des Propaganda-Ministeriums widersetzt, ist bemerkenswert. Als einer der ersten Farbfilme dreht er 1943 mit Hans Albers "Große Freiheit Nr. 7". Die Arbeiten müssen wegen Bombenangriffen auf Hamburg nach Prag verlegt werden. Das Drama wird erst nach Kriegsende uraufgeführt. Die nationalsozialistische Propaganda hat keinen Sinn für eine melancholische Liebesgeschichte.
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Helmut Käutners Klassiker: "Der Hauptmann von Köpenick"
Hörspiel beim NWDR
Nach Ende des 3. Reiches arbeitet Käutner als Regisseur für die Hamburger Kammerspiele und leitet die Hörspielabteilung beim NWDR, dem Vorgänger des NDR. Eine eigene Produktionsfirma geht nach Misserfolgen wie "Der Apfel ist ab" (1948) und "Königskinder" (1950) Konkurs. Thematisch ambitioniert und trotzdem erfolgreich ist die deutsch-jugoslawische Koproduktion "Die letzte Brücke" mit Hauptdarstellerin Maria Schell. Die Geschichte einer Ärztin, die mit den Partisanen kollaboriert, gehört zu den großen Kassenerfolgen des Jahres 1953. Sein Kriegsdrama "Des Teufels General" (1955) ist neben Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" (1946) einer der wichtigsten Beiträge zur filmischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik.

Käutner bleibt mit Dramen über die Deutsche Teilung ("Himmel ohne Sterne"), über NATO-Atombasen im Hunsrück ("Schwarzer Kies") ein politischer Regisseur. Ihm fehlt aber zeitlebens die Radikalität mit der die neuen deutschen Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff, Wim Wenders, Werner Herzog und Alexander Kluge für Furore sorgen. Käutner war nicht - wie viele ältere Kollegen - emigriert, sondern hatte sich schon während des Krieges thematisch ins Unverbindliche abdrängen lassen. Sein freiheitlicher Individualismus war zu kompromissbereit, als dass er jene Konfliktbereitschaft hätte aufbringen können, die zur Aufarbeitung der verbrecherischen Vergangenheit nötig gewesen wäre. Häufig werden seine Arbeiten mit dem poetischen Realismus in Verbindung gebracht, der sich für soziale Probleme interessiert, seine Aufmerksamkeit dem Milieu und seine Sympathie dem kleinen Mann schenkt.
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Helmut Käutners "Romanze in Moll" mit Marianne Hoppe
Sieben-Jahres-Vertrag bei Universal
Der profilierte Regisseur dreht in den 1950er und 60er Jahren mit Romy Schneider und Horst Buchholz, mit Curd Jürgens und Walter Giller. Mit O.W. Fischer entsteht der pompöse Streifen "Ludwig II. - Glanz und Elend eines Königs" (1954) mit Heinz Rühmann die Satire "Der Hauptmann von Köpenick" (1955). 1956 bekommt Käutner einen Sieben-Jahres-Vertrag bei den Universal Studios. Die Filme, die in Hollywood entstehen "Zu jung" (1960) und "Ein Fremder in meinen Armen" (1959) nennt er wegen ihrer Ähnlichkeit "unglückliche Zwitter".

Als er nach Deutschland zurückkehrt ist ihm das bundesrepublikanische Kino fremd geworden. Er arbeitet seit 1964 nur noch fürs Fernsehen. Unter der Regie von Hans-Jürgen Syberberg gelingt ihm 1974 ein später Erfolg als Schauspieler. Als Darsteller von Karl May in der gleichnamigen Filmbiografie erfährt er weithin Anerkennung. Drei Jahre darauf zieht er sich in sein Haus ins toskanische Castellina zurück, wo er am 20. April 1980 verstirbt. Im Gedenken an einen der bedeutendsten deutschen Regisseure vergibt die Stadt Düsseldorf seit 1982 den Helmut-Käutner-Preis an Persönlichkeiten, die sich um den deutschen Film verdient gemacht haben.
erschienen am 25. Februar 2022
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Helmut Käutner gehört zu den wenigen bedeutenden Regisseuren, die während des Nationalsozialismus in Deutschland blieben. Trotz Mangelwirtschaft und Zensur gelingen ihm zwei Filme, die Kritiker für seine besten halten: "Große Freiheit Nr. 7" (1944) mit Hans Albers und die Romanze "Unter den Brücken" (1945). Nach dem Krieg passt Käutner seinen Stil dem Geschmack des Publikums an. Er dreht seichtere Komödien und Kostümfilme. Seit Mitte der 1960er Jahre arbeitet er nur noch fürs Fernsehen.
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