Gudrun Schmiesing/Ricore Text
Johannes Heesters
100 ist kein Alter!
Retro Feature: Johannes Heesters singt weiter
"Kein Wunder wenn man so viel tut, dass man am Abend gerne ruht" - unzählige Male hat Johannes Heesters diese Zeilen gesungen. Es ist 'sein' Stück "Heut geh' ich ins Maxim", Graf Danilos Auftrittslied aus Franz Lehárs Operette "Die lustige Witwe". Die Auftritte sind in den letzten Jahren selten geworden. Manchmal singt er es noch einmal. Wie gewohnt trägt er dann den weißen Schal zum schwarzen Anzug. Es ist die Uniform seines Alterswerks. Auch sonst ist sich Heesters treu geblieben: locker, unterhaltsam, ein wenig seicht und unpolitisch.
erschienen am 17. 10. 2021
Film Revue
Traumpaar des deutschen Revuefilms: Johannes Heesters und Marika Rökk
Von der Bühne auf die Leinwand
Als Johannes Heesters zum ersten Mal die Bühne betritt, ahnt niemand, was noch kommen wird. Als 17-jähriger gibt er in Amsterdam sein Theaterdebüt. Dabei wird auch sein Gesangstalent entdeckt. Die Ausbildung zum Entertainer beginnt, der Grundstein für eine lange Karriere ist gelegt. Ein Jahrzehnt spielt er auf niederländischen Bühnen, bevor er erste Engagements in Deutschland annimmt.

1938 spielt er im Münchner Gärtnerplatztheater erstmals seine Paraderolle, den Grafen Danilo. Danach geht es steil bergauf: Schlager, Operetten, Ufa-Unterhaltungsfilme wie "Der Bettelstudent" und "Das Hofkonzert". Auch privat läuft es gut. 1930 heiratet Heesters die belgische Operettendiva Louise Ghijs, 1931 und 1937 kommen zwei Töchter (Schauspielerin Nicole Heesters und Pianistin Wiesje Heesters) auf die Welt. Bald ist er in Deutschland bekannter, als in seiner niederländischen Heimat.
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Im weißen Rößl
Nahtloses Comeback
Das deutsche Publikum gibt ihm liebevoll den Spitznamen 'Jopie', den er bis heute trägt. Nach dem Krieg knüpft er in der BRD und in Österreich nahtlos an seine Erfolge an. Er bleibt der leichten Unterhaltung treu. Heesters bekommt Hauptrollen in Kinofilmen, darunter die heutigen Klassiker "Die Csardasfürstin" und "Im weißen Rößl". Er tritt zudem in zahlreichen Fernsehshows und -serien auf. Und immer wieder spielt er den Grafen Danilo auf der Operettenbühne. Aus seinem Privatleben dringt zunächst wenig nach außen. Sieben Jahre nach dem Tod seiner Frau heiratet Heesters 1992 erneut. Die 45 Jahre jüngere Schauspielerin Simone Rethel wird seine zweite Frau.
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Johannes Heesters in "Die Csardasfürstin"
In Deutschland geliebt - in Holland verschmäht
Heesters macht in den dreißiger und vierziger Jahren keine politischen Filme. Dennoch ist er integraler Teil von Joseph Goebbels' Propagandamaschinerie. Seine Filme aus den Kriegsjahren sind in erster Linie eskapistische Fantasien. Sie sollen das Publikum ablenken, nicht aufhetzen. Nicht nur das Volk, auch die Reichsführung schätzt den Niederländer. Hitler etwa lobt Heesters' Auftritt in "Die lustige Witwe", seiner Lieblingsoperette. Goebbels setzt ihn persönlich auf die Gottbegnadetenliste unverzichtbarer Schauspieler, obwohl Heesters nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Der Entertainer leugnet später politische Intentionen. Mehr noch als sein Freund Heinz Rühmann, der kurzzeitig mit einem Auftrittsverbot belegt wird, ist Heesters für die Siegermächte unverdächtig. Keiner seiner Filme wird verboten. Beinahe nahtlos kann er seine Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen - zumindest in Deutschland. Doch der steile Aufstieg im Dritten Reich führt jetzt zum Bruch mit seiner Heimat. Als er 1964 am Amsterdamer Carré-Theater auftritt, wird er scharf angegriffen. 1976 macht ein niederländischer Journalist Heesters' Besuch im Konzentrationslager Dachau im Jahr 1941 öffentlich. Bis heute ist nicht geklärt, ob Heesters bei dieser Gelegenheit vor der SS-Lagermannschaft auftrat oder lediglich das Lager besichtigte.

Nach dem Auftritt von 1964 vergehen über 40 Jahre, bis er erneut in Holland auf der Bühne stehen wird. Als er 2008 schließlich in seinem Geburtsort Amersfoort ein Konzert gibt, gibt es erneut Proteste. 2011 wird er von einem Staatsbankett mit Königin Beatrix wieder ausgeladen - nachdem er zuvor öffentlich seine Freude über den Anlass ausgedrückt hatte.
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Johannes Heesters Edition
In Deutschland wird Heesters anders wahrgenommen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg findet er als Sänger und Schauspieler sein Publikum. Spätestens seit seinem 100. Geburtstag wird er in seiner Wahlheimat zu einem Maskottchen. Patricia Riekel, Chefredakteurin der Bunten, verspricht ihm 2007 für jedes weitere Jahr einen Ehren-Bambi. Am Anfang hat er ihn abgeholt, mittlerweile wird ihm der Preis gebracht.

Heesters öffentliche Auftritte werden jetzt seltener. Meist lässt er seine Töchter oder seine Frau für ihn sprechen - vor allem seit er 2009 erblindet ist. Gelegentlich macht er noch mit Kuriosem auf sich aufmerksam. So kündigt er 2010 im Alter von 106 an, das Rauchen aufzugeben. Er wolle sein Leben nicht unnötig verkürzen. Oder er macht sich öffentlich Sorgen, seine 45 Jahre jüngere Frau zu überleben. Seit 1997 führt ihn das Guinness-Buch der Rekorde als ältesten aktiven Schauspieler der Welt. Manchmal steht er auch heute noch auf der Bühne, zuletzt in Rolf Hochhuths "Inselkomödie" im Berliner Theater am Schiffbauerdamm.
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Johannes Heesters
Privatmensch im Hintergrund
Solch amüsanten Geschichten zum Trotz: der Privatmensch Heesters bleibt immer im Hintergrund. Der Höhepunkt seiner Karriere liegt lange vor der Paparazzi-Ära. Heute sind Prominente geschult, der Öffentlichkeit kontrolliert Einblick in ihr Privatleben zu geben. In den Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern, als Heesters sozialisiert wurde, war der Künstler zum Anfassen nicht gefragt. Die Stars seiner Zeit waren unnahbar, die Homestory war ein seltener, respektvoll zelebrierter Akt.

Die Bühnen-Persona des gut gelaunten Unterhalters hat Heesters perfektioniert. In dieser Rolle wirkt er verbindlich. Doch gerade das erschwert den Blick hinter die Fassade. "Ein Diplomat muss schweigsam sein", heißt es in "Heut geh' ich ins Maxim". Diese Schweigsamkeit hat er sich bewahrt, wenn es um Privates geht. Heesters spricht sehr melodisch, auch in Interviews singt er schon mal statt zu antworten. Meist stimmt er bei solchen Gelegenheiten einen alten Schlager an. Damit fühlt er sich am wohlsten.
erschienen am 17. Oktober 2021
Zum Thema
Johannes "Jopie" Heesters ist wohl jener Schauspieler, der die längste Karriere im Showgeschäft vorweisen kann. Mit weit über 100 Jahren steht er noch immer auf der Bühne. Geboren im holländischen Amersfoort, zieht es ihn in den 1930er Jahren nach Berlin. Aufgrund seines Gesangstalents wird er für Operetten und Musikfilme engagiert. Die Fledermaus". Nach langer Leinwandabstinenz ist er 2008 in Til Schweigers "1 1/2 Ritter - Auf der Suche nach der hinreißenden Herzelinde" erstmals wieder in..
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