Jean-François Martin/Ricore Text
Martin Scorsese mit "Shine a light"
Von Little Italy nach Hollywood...
Starfeature: Leinwandprediger Martin Scorsese
Martin Scorsese ist zweifellos einer der einflussreichsten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Er ist aber auch der personifizierte amerikanische Traum. Seine Großeltern waren einfache sizilianische Bauern, die weder lesen noch schreiben konnten. Seine Eltern hatten einen Friseursalon im New Yorker Stadtteil Little Italy. Er selbst erkrankt als Kind an schwerem Asthma und schreibt bettlägerig erste Drehbücher. Trotzdem schafft er es an die Universität und studiert Film. Werke wie "Taxi Driver" (1976), "Casino" (1995) und "Departed - Unter Feinden" (2006) machen ihn in Hollywood bereits zu Lebzeiten zur Legende.
erschienen am 5. 04. 2008
Kinowelt
Shine a light
Eigentlich wäre Martin Scorsese gerne Priester geworden. Wegen einer Affäre mit einem Mädchen wird er allerdings aus dem Priesterseminar geworfen. So schlägt er eine akademische Laufbahn ein und erhält nach Abschluss seines Studiums Lehraufträge an der Universität von New York. Zu seinen Schülern gehören Oliver Stone und Jonathan Kaplan. Mit Arbeiten als Cutter und Autor finanziert er sich 1967 seinen ersten Spielfilm "Wer klopft denn da an meine Tür?" Die Dreharbeiten dauern vier Jahre und führen den Regie-Debütanten in den finanziellen Ruin.

Erst 1973 beginnt der gemeinsame Aufstieg der beiden Italo-Amerikaner Martin Scorsese und Robert De Niro. Das Drama "Hexenkessel" ist auch kommerziell ein voller Erfolg. Die nächsten Werke des Jungregisseurs "Alice lebt hier nicht mehr" (1974) und "Taxi Driver" (1976) werden mit einem Oscar für die beste Hauptdarstellerin beziehungsweise der Goldenen Palme beim Filmfestival von Cannes ausgezeichnet. Rückschläge folgen in Form von Drogenkonsum, wechselnden Affären und dem missglückten Versuch, ein Musical mit Liza Minnelli und Robert De Niro zu verfilmen. Die Zeit des Musicals ist vorbei, die Zeit Scorseses sollte aber noch kommen.
Der Regisseur hält an seinem Freund Robert De Niro fest und besetzt ihn 1981 für den Boxfilm "Wie ein wilder Stier". Das Schwarz-Weiß-Drama wird von den Kritikern geliebt, De Niro mit dem Oscar für den besten Hauptdarsteller bedacht. Der Filmemacher kann sich während der Dreharbeiten zu der Erfolgsproduktion, die sich optisch und thematisch vom fünf Jahre zuvor entstandenen "Rocky" deutlich absetzt, von seiner Kokainsucht befreien. In diese Zeit fällt auch seine Ehe mit der Schauspielerin Isabella Rossellini (1979-1983).

Seit Beginn seiner Karriere hat der ehemalige Priesteranwärter den Traum, einen Film über die Passionsgeschichte Jesu zu drehen. Anfang der achtziger Jahre scheint es so weit. Wegen Protesten christlicher Gruppen lässt sich das Projekt aber erst 1988 verwirklichen. Scorsese bedauert bis heute, kein größeres Budget für "Die letzte Versuchung Christi" bekommen zu haben. In einem Interview unterstreicht er die Bedeutung des Films mit den Worten: "Mein ganzes Leben besteht nur aus Film und Religion. Nichts sonst." Da hat er hat wohl die Musik vergessen...
Jean-François Martin/Ricore Text
Martin Scorsese lässt sich feiern
Schon seit dem Beginn seiner Karriere widmet er sich immer wieder Künstlerporträts. Begonnen mit einem Tourfilm über Elvis Presley ("Die Faust der Rebellen", 1972) über ein Porträt der Rockgruppe "The Band" (1978) bis hin zu "Bob Dylan - No Direction Home" (2005) versucht er immer wieder den musikalischen Trend der Zeit filmisch zu konservieren. 1987 entsteht unter seiner Regie das Musikvideo zu Michael Jacksons Popsong "Bad". Zwanzig Jahre später dreht er einen Konzertfilm über die Altrocker von den Rolling Stones ("Shine a light"). Mit der Musik von Mick Jagger und seiner Band hat Scorsese viele seiner Filme unterlegt.

Dass er spätestens nach seinem Gangster-Epos "GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia" (1990) zur absoluten Regieelite zählt, zeigt der Umstand, dass Steven Spielberg ihm 1993 die Regie beim Holocaustdrama "Schindlers Liste" anbietet. Scorsese schlägt vor, den Film von einem jüdischen Regisseur realisieren zu lassen. Erst nachdem auch Roman Polanski und Billy Wilder ablehnen, weil sie nahe Angehörige im Holocaust verloren haben, übernimmt Spielberg die Regie selbst.
Jean-François Martin/Ricore Text
Martin Scorsese
Für Scorsese kommen mit seinem neuen Lieblingsschauspieler Leonardo DiCaprio, der wie er und Robert De Niro italienische Vorfahren hat, späte Ehrungen. 2002 entsteht mit "Gangs of New York" eine Ode an die Heimatstadt und den Pioniergeist seiner Einwohner. Scorsese kann es sich leisten, auf drei Millionen Dollar Gage zu verzichten, weil er das Budget gnadenlos überzieht. So viel Opferbereitschaft für den Film wird belohnt. 2003 bekommt der 1,63 Meter kleingewachsene Regisseur einen Stern auf Hollywoods Walk of Fame. 2007 erhält er - nach sechs Nominierungen - endlich seinen ersten Oscar für "Departed - Unter Feinden". Es bleibt zu hoffen, dass es nicht sein letzter gewesen ist.
erschienen am 5. April 2008
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Der kleine Mann mit den buschigen Augenbrauen gilt als die Ikone jedes Cineasten schlechthin. Angeblich besitzt er das größte private Filmarchiv Amerikas. Ob wahr oder nicht, es gibt kaum einen manischeren Filmkenner und kaum einen einflussreicheren Regisseur als den nur 1,60 Meter großen Asthmatiker sizilianischer Abstammung.
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