Jean-François Martin/Ricore Text
Ben Affleck: Comeback im Hollywoodland
Ben Affleck, der einfühlsame Vater
Interview: Casey war die perfekte Wahl
Es ist Ben Afflecks erste Regiearbeit. Gleich bei seinem arbeitet er mit Ed Harris und Morgan Freeman zusammen. "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel" ist ein intimes, feinfühliges persönliches Drama um ein verschwundenes Mädchen. Parallelen zu aktuellen Fällen von verschwundenen Kindern wollte Affleck nicht herstellen. Der Zweck des Films sei, als Regisseur Fuß zu fassen, so der Schauspieler und Vater einer kleinen Tochter. Doch die eigene Vaterschaft hat auch den kühl wirkenden Ben Affleck verändert.
erschienen am 29. 11. 2007
Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Ben Afflecks Bruder Casey in der Hauptrolle
Ricore: Warum haben Sie sich diese Geschichte für Ihr Regiedebüt ausgewählt?

Affleck: Das war eine egoistische Wahl. Ich hatte das Gefühl, dass ich damit als Regisseur erfolgreich sein könnte. Ich wusste, dass ich den Film in einer Umgebung drehen kann, die ich kenne - in Boston. Das Drehbuch hatte zudem eine Struktur, so hatte ich das Gefühl, dass ich mich darauf verlassen konnte. Es war fertig, bereits konstruiert.

Ricore: Was hat Sie an der Vorlage fasziniert?

Affleck: Das Buch hat das gewisse Etwas, es ist eine Art fortschreitender Kriminalthriller. Aber dann führt es zu diesem kraftvollen Ende, das eine sehr provokative Frage stellt. Ich hoffe, dass die Menschen noch lange nach dem Film oder dem Buch darüber nachdenken und sich mit Themen wie Armut, Drogenkonsum und Abhängigkeit auseinandersetzen. Es stellt sich auch die Frage, ob es in Ordnung ist, jemand zu verurteilen oder vor der eigenen Verantwortung wegzulaufen. Ich dachte, der Stoff sei eine gute Bereicherung für das Genre.

Ricore: Welche Entscheidung würden Sie anstelle des Protagonisten treffen?

Affleck: Alles im Film läuft auf das Ende hin, wo sich das Publikum mit der Wahl des Protagonisten konfrontiert. Ich habe versucht, gute Argumente für beide Seiten zu finden, da es nicht nur eine Möglichkeit gibt. Ich wollte beiden Möglichkeiten gleich viel Gewicht geben. Ich habe mich aus dem Problem, wie ich mich entscheiden würde, stets rausgehalten und habe mich darauf konzentriert, wie ich beide Seiten glaubhaft mache, damit der Protagonist authentisch wirkt. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich werde diese Frage nicht beantworten.

Ricore: Sie haben selbst eine Tochter. Was würden Sie jetzt anders machen?

Affleck: Das ist schwierig zu sagen. Sicher ist, dass ich durch meine Familie viel sensibler und einfühlsamer geworden bin. Ich glaube jedoch nicht, dass ich die Geschichte oder irgendetwas im Film geändert hätte. Wahrscheinlich hätte mich alles mehr mitgenommen...
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Von Journalisten umzingelt
Ricore: Hat Sie Ihr jüngerer Bruder als Regisseur akzeptiert? Oder war es mehr ein brüderliches Verhältnis?

Affleck: Er hat mich akzeptiert, und ich ihn. Natürlich behandelt man einen Bruder anders, als einen Fremden. Aber das war's auch schon. Er hat dem Film gut getan, wir haben das zusammen durchgezogen. Ich kenne ihn sehr gut und weiß um sein Potential. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum er so gut ist. Ich schätze sehr, was er macht. Wir haben gemeinsam einen guten Job gemacht.

Ricore: Hatten Schauspieler wie Morgan Freeman oder Ed Harris Ihnen gegenüber als Regieneuling Vorbehalte?

Affleck: Ich bin davon ausgegangen, dass sie Vorurteile hätten. Ich glaube, dass jeder Schauspieler, auch wenn sie keine Legenden wie Morgan Freeman oder Ed Harris sind, Vorbehalte gegen Erstlingsregisseure haben. Ich würde sie jedenfalls haben. Ich gehe sogar soweit, dass ich sage, man muss diese Vorbehalte haben, da dieses Medium sehr Regiebezogen ist. Es ist ein harter Job und man weiß nie, ob derjenige ihn gut macht. Manchmal hat man Glück mit einem Debütanten und manchmal Pech. Das kann dann ein großes Desaster sein. Ich bin jedoch sehr glücklich, dass die beiden mitgemacht haben.

Ricore: Sie und Casey sind hauptsächlich Schauspieler. Gibt es zwischen Ihnen Konkurrenz?

Affleck: Nein, wir unterstützen uns gegenseitig. Ich bin sehr dankbar für alles, was er für mich getan hat. Er ist ein sehr intelligenter Junge und ein guter Schauspieler. Er hat mich letztlich auch zu einem besseren Mann gemacht. Seine Karriere geht gerade ab wie eine Rakete und das freut mich.

Ricore: Wie haben Sie sich vor der ersten Vorführung des Films gefühlt?

Affleck: Ich war sehr nervös, das war schrecklich.
Ricore: Was genau hat Sie nervös gemacht? Der Gedanke, dass die Leute den Film nicht mögen?

Affleck: Das erste Mal habe ich ihn Freunden gezeigt. Da war ich schon sehr nervös und habe mich gefragt, ob sie ihn wohl mögen. Aber dann hat sich herausgestellt, dass sie ihn gut fanden, da ging's mir gleich besser.

Ricore: Fühlten Sie sich vom Filmbusiness unter Druck gesetzt? Hatten Sie das Gefühl, beobachtet zu werden?

Affleck: Ich fühlte mich eigentlich ganz sicher und gut aufgehoben. Als ich den Film machte, hatte ich das Gefühl, von Hollywood und den Medien sehr weit weg zu sein, das war wunderbar.

Ricore: Wie lange hat es gedauert, die erste Szene zu drehen? Wie war die Atmosphäre?

Affleck: Die wichtigste Drehszene des ganzen Films war für mich die letzte Szene. Sie stand im Drehbuch von Anfang an drin. Das hat mich die ganze Zeit vorangetrieben. Mit der letzten Szene im Kopf sind alle anderen entstanden. Alles andere entstand aus dieser Idee, der Stil, die visuellen Eigenheiten, die Gefühle, die Musik.

Ricore: In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik an Ihren schauspielerischen Fähigkeiten. Aber Sie haben immer weitergemacht, was hat Sie dazu getrieben?

Affleck: Ich bin eben ein Kämpferherz.

Ricore: Hat Sie Dennis Lehane bei der Drehbuchadaption unterstützt?

Affleck: Nein, Dennis half uns bei der Romanadaption nicht, aber er war bei den Dreharbeiten dabei. Er hat uns in allen Fragen sehr geholfen. Ich glaube das nennt man "Praktische Adaption". Wir hatten das Skript und konnten ihm Fragen stellen. Es war super, dass er da war. Er war uns eine große Hilfe.
Walt Disney
Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel
Ricore: Die meisten Charaktere in Ihrem Film übernehmen keine Verantwortung für andere, sondern folgen ihrem eigenen Weg. Ist das ein genereller Charakterzug unserer heutigen Gesellschaft?

Affleck: Ich glaube, das ist keine schlechte Eigenschaft, die Sie sich herausgesucht haben. Ich glaube, ein Teil der Menschen übernehmen tatsächlich keine Verantwortung für ihre Kinder und andere Verwandte. Das Mädchen im Buch ist sich allein überlassen, niemand kümmert sich um sie. Aber, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was es in einem größeren Kontext bedeutet.

Ricore: Was ist von Ihrem eigenen Boston im Film? Haben Sie Freunde oder Bekannte für Nebenrollen gecastet?

Affleck: Nun ja. Ein Junge aus meiner Highschool, der übrigens ein guter Schauspieler ist, spielt jenen Pädophilen, der von Caseys Figur erschossen wird. Er ist ein supernetter junger Mann. Ich musste ihm sagen "Hey, es tut mir leid, alle werden dich nun auf der Straße hassen, aber du bist für die Rolle perfekt". Es waren auch noch andere Bekannte aus meiner Vergangenheit am Set, die mit mir, Casey und Matt in die Highschool gingen.

Ricore: Werden Sie nach diesem Film weiter als Regisseur arbeiten?

Affleck: Ja, auf jeden Fall!

Ricore: Warum?

Affleck: Ich weiß es nicht. Ich habe endlich mein Ding gefunden.

Ricore: Was gefällt ihnen so gut an der Regiearbeit?

Affleck: Es ist einfach wunderbar, das Beste was man tun kann. Auch wenn es manchmal frustrierend ist, ist es doch eine Arbeit, die mich unglaublich zufrieden stellt. Ich habe das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Es erfüllt mich mit Glück, Perspektiven zu suchen, alles bis ins Detail zu perfektionieren und am Ende sagen zu können: Ja, das ist es, danach habe ich gesucht.

Ricore: Haben Sie schon eine Idee für Ihr nächstes Projekt?

Affleck: Mir schwirren viele Dinge im Kopf herum, aber sie sind alle noch unreif.

Ricore: Was ist für Sie die größere Herausforderung? Regisseur oder Schauspieler zu sein?

Affleck: Das sind zwei verschiedene Dinge. So wie Tanz und Gesang.
erschienen am 29. November 2007
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Der von vielen Kritikern als talentfrei und wenig charismatisch beschriebene Ben Affleck träumt schon seit frühester Jugend von einer Schauspielkarriere. Mit acht Jahren lernt er Matt Damon kennen. Die Nachbarsjungen werden zu engen Freunden. Während sich Affleck mit Rollen in Independent-Produktionen durchschlägt, zieht es Damon an die Universität. Good Will Hunting" und werden mit Jennifer Garner einen Heiratsantrag. Noch im selben Jahr kommt Tochter Violet Anne Affleck zur Welt. Zuvor ist..
Mit seiner eindringliche Kidnapper-Geschichte "Gone Baby Gone" verursacht Ben Affleck eine Gänsehaut, denn er erweckt nicht einen Moment den Schein einer rein fiktiven Erzählung. Mit dramaturgisch brillanten Wendungen werden von Ben Affleck immer wieder neue, spannende Ebenen eröffnet. Sie erschüttern mit ihrer Ehrlichkeit und berühren durch die Tiefe ihrer Figuren.
2024