Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Alan Menken
Musik ist wie ein Gefühl
Interview: Alan Menken über den Schlüssel zum Erfolg
Manchmal zieht der achtfach prämierte Oscarpreisträger und Komponist Alan Menken schon recht kuriose Vergleiche. So bezeichnet er sich selbst als Chamäleon, die Komposition eines Musikstückes mit der Choreographie eines Tanzes. Trotz seiner ausgefallenen Gegenüberstellungen ist klar, was Menken sagen will. In unserem Gespräch verrät der leidenschaftliche Musiker außerdem, warum er es hasst, sich zu wiederholen und welche Musik ein Komponist bei schlechter Laune hört.
erschienen am 20. 12. 2007
Walt Disney
Verwünscht
Ricore: Was war die größte Herausforderung bei der Komposition zu "Verwünscht"?

Alan Menken: Die größte Herausforderung lag für mich in der Komposition des Liedes "True Love's Kiss", eine Aufgabe, die ich auch sehr genossen habe. Voraussetzung war, dass wir die Atmosphäre des Disney-Märchens "Snow White" im Stil der 1940er Jahre in der Musik halten. Die Melodie unseres Liedes wurde von allen Mitarbeitern als eine authentische Wiedergabe dieser Periode bestätigt. Sie fanden es sehr melodisch und passend. Die Hauptschwierigkeit lag am Lied selbst, denn die Personen, die es singen, ändern sich mehrfach. Es hat mehrere Monate gedauert, bis wir den Song endlich soweit hatten, dass er im Studio aufgenommen werden konnte. Die größte Herausforderung war die Balance zu halten, zwischen dem eigentlichen Erzählen einer Geschichte und zur selben Zeit Kevin Limas Ansprüchen zu genügen, der das Lied für verschiedene Szenen brauchte. Man könnte den Prozess mit der Choreographie eines Tanzes vergleichen. Am Ende waren wir alle mit dem Ergebnis zufrieden.

Ricore: Da der Prozess einen Song zu komponieren viel Kreativität erfordert, frage ich mich, ob Sie dafür vielleicht einen speziellen Raum oder eine besondere Umgebung haben, wo Sie besonders kreativ sein können?

Menken: Ich arbeite hauptsächlich in meinem Studio. Wenn ich weiß, dass Steven Schwartz donnerstags um 11:45 Uhr vorbeikommt, schreibe ich einen Song. Wenn Steven um 15:15 wieder geht, haben wir ein Demoband fertig. Dann gehe ich nach Hause und arbeite an etwas anderem.

Ricore: Arbeiteten Sie für "Verwünscht" immer mit Kevin Lima zusammen? Oder ist es eher umgekehrt und das Team sagt Ihnen, was für Ideen es im Kopf hat?

Menken: Das ist unterschiedlich und im Grunde treffen beide Vorgehensweisen zu. Ich arbeite jedenfalls immer mit einem Texter zusammen, meistens mit Steven Schwartz. Ich ziehe es ohnehin vor, mit dem Team nah beieinander zu arbeiten. Ich finde es gut, wenn wir auch in den dramaturgischen Filmprozess involviert sind. Wir müssen ja über die Art des Erzählens und die Struktur der Geschichte Bescheid wissen, damit wir bei den Kompositionen genau einschätzen können, wie sich der Regisseur die Musik vorstellt. Wir können diesen natürlich jederzeit fragen, wenn wir bei bestimmten Sachen unsicher sind. Normalerweise pflegen wir den regelmäßigen Kontakt mit dem Regisseur während eines derartigen Arbeitsprozesses. Sobald wir ein Demoband fertig haben, schicken wir es ihm und er sagt uns seine Meinung dazu.

Ricore: Betrachten Sie Ihre Arbeit, Musik für animierte Filme oder Musicals zu komponieren, als eine besondere und ungewöhnliche Aufgabe?

Menken: Es ist eine besondere Arbeit, die mir sehr viel Spaß bereitet. Man muss jedoch den Unterschied zwischen den verschiedenen Filmkomponisten verstehen. Es gibt Komponisten, die Filmmusik komponieren und es gibt welche, die Lieder für einen Film schreiben. Ich mache beides. Durch diese Prozesse habe ich die einzigartige Möglichkeit, vollständig in das jeweilige Projekt einzutauchen. Ich mache nicht nur Sachen für den Hintergrund, sondern auch Sachen, die dem Zuschauer auffallen. Ich bin von Anfang bis Ende involviert. Wenn ich mich noch mal für einen Beruf entscheiden müsste, würde ich mich wieder für diesen entscheiden. Aber ich arbeite auch gerne am Theater. Übrigens denke ich, dass Animation und Realfilm sich fast wie zwei ganz unterschiedliche Medien gegenüber stehen. Deshalb war "Verwünscht" eine ganz besondere Herausforderung.
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Alan Menken bei der "Verwünscht"-New York Premiere 2007
Ricore: Gibt es etwas, das Ihnen in Ihrem Beruf wirklich schwer fallen würde?

Menken: Ich fände extrem schwierig, sollte ich mir selbst ein Märchen aussuchen, das ähnlich wie "Die kleine Meerjungfrau" oder "Die Schöne und das Biest" sein soll. Das würde ich schon fast als Folter bezeichnen, weil ich mich nicht wiederholen möchte. Außerdem will ich nicht die Form eines Stückes willkürlich verändern müssen, nur um mich nicht zu wiederholen. Die Möglichkeiten, die sich mir bei "Verwünscht" boten, waren Perspektiven, die ich dringend brauchte, um mit meiner Arbeit weitermachen zu können.

Ricore: Wenn Sie Musik komponieren, was haben Sie da zuerst im Kopf? Eine bestimmte Melodie oder eine Szene des Films?

Menken: Das erste, das ich beachte, ist die Aufgabenstellung. Zunächst müssen alle Besonderheiten in Betracht gezogen werden. Wer singt das Lied, wo wird es gesungen, zu welchem Zeitpunkt, wo soll die Figur am Anfang des Liedes stehen, wo am Ende des Liedes, warum soll gerade dieser Moment für ein Lied genutzt werden, in welchem Stil soll die Musik sein und so weiter. Erst nachdem all diese Dinge zusammengetragen wurden, beginnt meine Arbeit. Denn ich will ja dass das Publikum folgen kann und die Musik versteht. Unter all diesen Vorgaben beginne ich zu arbeiten. Das Wichtigste sind wirklich die Parameter in denen ich arbeite, vielleicht kommt mir vorab noch ein Titel in den Sinn. Ich lasse die Musik wortwörtlich in eine bestimmte Form fließen. Mir ist es am liebsten, wenn ich mit meinen Mitarbeitern in einem Raum arbeiten kann. So kann ich sie jederzeit nach ihrer Meinung fragen. Im Endeffekt fühlt man schließlich einfach, wenn die Musik richtig klingt.

Ricore: Wie kann man in Ihrer Branche erfolgreich werden?

Menken: Für mich ist die Grundvoraussetzung zum Erfolg, dass ich mir selbst nicht im Weg stehen darf. Ich muss davon überzeugt sein, den Figuren und der Geschichte regelrecht zu dienen. Ich muss mich selbst, den Alan Menken in mir und den Alan Menken mit seinen Koffern voller Lieder, vergessen können. Wenn ich höre, wie jemand erzählt, dass er einen bekannten Song in einem Film sehen wollen würde und es geschafft hat, dass dieser Song angenommen wird, dann bin ich der Meinung, dass es so nicht funktioniert. Wenn jemand seine Musik auf diese Weise verkauft, ist das vielleicht in Ordnung für diese Person. Für mich wird so beim normalen Arbeitsprozess gemogelt. Es ist damit vergleichbar, aufgewärmtes Essen einem frisch zubereitetem unterzumischen. Ein neues Projekt wird immer aus dem Nichts geschaffen.

Ricore: Was bedeutet für Sie Disziplin? Glauben Sie, Disziplin ist vielleicht der Schlüssel zum Erfolg?

Menken: Sicherlich ist die Disziplin bei der Arbeit auch ein Schlüssel zum Erfolg. Sich eine Aufgabe zu stellen und diese bis zum Ende durchzuführen ist immer ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Doch meiner Meinung nach ist der beste Schlüssel zum Erfolg die eigene Persönlichkeit. Wenn man eine Person ist, die gerne am Klavier sitzt und Songs komponiert, stehen die Chancen ganz gut, dass man das bis zum Ende seines Lebens macht. Jemand, dessen Interessen viel weit reichender sind, der vielleicht gerne schauspielert, Geschichten schreibt und Musik macht, wird es viel schwieriger haben, beruflich das richtige Gebiet zu treffen. Das ist möglicherweise auch eine Art von Disziplin oder es entspricht einfach der Natur des Menschen.
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Alan Menken mit Kollegin Judy Kuhn
Ricore: Wo liegen Ihre musikalischen Wurzeln? Wurden Sie von Bach, Beethoven oder Mozart stark beeinflusst oder eher von Musicals?

Menken: Die Essenz eines guten Komponisten ist in erster Linie, ein guter Zuhörer zu sein. Ein Komponist muss Musik lieben, um neue Musik aus dieser Liebe erschaffen zu können. Ich betrachte mich selbst gerne als eine Art musikalisches Chamäleon. Die meisten Komponisten beginnen, indem sie Stimmen imitieren. Imitation als erster Schritt gehört aber, das glaube ich zumindest, zu jeder Kunstform. Auch Sänger oder Schauspieler beginnen auf diese Weise. Ob es sich nun um Bach oder die Beatles handelt, ich betrachte alles als ernstzunehmende Musik - genau wie ich jede Aufgabe als ernstzunehmend betrachte. Das ist einfach mein Job. Wenn Sie mich jetzt aber an ein Klavier setzen und mir sagen würden, ich solle irgendetwas spielen, wüsste ich so spontan auch nicht, was es sein würde. So etwas wäre von meiner Stimmung abhängig. Und das ist eben die andere Seite der Musik. Sie ist definitiv von der jeweiligen Stimmung abhängig. Wenn ich gutgelaunt im Auto sitze, höre ich vielleicht die Rolling Stones, Aerosmith oder das neue Album von Bruce Springsteen. Wenn ich nicht gut gelaunt bin, höre ich vielleicht einen alten Song aus den 1960er Jahren, den ich früher mal geliebt habe. Damit kann man zu den Emotionen zurückkehren, die man früher mit dem Lied verbunden hat.

Ricore: Sie sehen also keine Unterschiede zwischen "ernster" und Unterhaltungsmusik?

Menken: Ich kann Musik nicht hierarchisch einordnen - auf der anderen Seite gibt es schon musikalische Hierarchien. So wie Strawinski ein besserer Komponist ist als jeder Pop-Komponist, was jedoch nicht bedeutet, dass ich die Musik des Pop-Komponisten nicht eines Tages vorziehen würde. Es ist wahrscheinlich sogar einfacher, die Musik von Strawinski oder Mozart nachzuspielen, als die von Bob Marley. Bob Marley war ein sehr einflussreicher Künstler, dessen Arbeiten noch heute sehr wichtig sind, auch wenn sie recht einfach gestrickt sind. Es ist eben eine Art von Volkskunst.

Ricore: Was denken Sie über die Musik von "Snow White", die Disney-Produktion mit welcher der Film "Verwünscht" am meisten verbunden ist.

Menken: "Snow White" ist ein wundervoller Film, vor allem für die Ära, in der er entstand. Für "Verwünscht" wurde es zu unserer Aufgabe, all die kleinen Nuancen herauszufiltern und sie anders einzusetzen, so dass Komponist und Zuschauer damit zufrieden sind und es genießen können. Die Aufgabenstellung ist oftmals viel wichtiger als die eigentliche Ausführung. Und das führt uns wieder zurück zur Disziplin. Du fängst erst an zu schreiben, wenn du wirklich weißt was du zu schreiben hast.
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Susan Sarandon als böse Schwiegermutter in "Verwünscht"
Ricore: Wie wissen Sie, wann der Punkt erreicht ist, um mit dem Schreiben zu beginnen?

Menken: Normalerweise läuft es bei mir folgendermaßen: Ich stelle eine Idee meinen Mitarbeitern vor. Während ich noch davon erzähle, hat einer meiner Mitarbeiter schon eine konkretere Idee, wie sich das Lied oder die Musik anhören könnte. Für uns Komponisten bestehen die besten Songs aus verschiedenen Ebenen. Je erfahrener ein Komponist ist, umso schneller bekommt er ein Gefühl für diese verschiedenen Ebenen.

Ricore: Wie erklären Sie Ihr Interesse an Märchen oder Kindergeschichten?

Menken: Zunächst einmal mag ich Dinge, die ursprünglich sind. Die sind nicht an eine spezielle Zeit oder einen bestimmten Platz gebunden und man kann dabei noch einiges verändern. Viele Filme für die ich die Musik geschrieben habe, waren keine Märchen. Auch "Verwünscht" benutzt Märchen nur in einem bestimmten Maße. Dennoch muss ich zugeben, dass ich wohl mittlerweile an genug Märchen gearbeitet habe. Aber es ist nicht so, dass ich speziell nach Märchenfilmen suche, für die ich die Musik komponieren kann.

Ricore: Was würden Sie gerne als nächstes machen?

Menken: Ich würde gerne richtig herausgefordert werden und möchte am liebsten etwas sehr Schwieriges machen. Kennen Sie Damon Runyon vom Film "Guys and Dolls"? Damon Runyon war ein New Yorker Autor der 1940er und 1950er Jahre. Er schrieb in einem bestimmten Slang über seine Stadt. Kurz bevor er starb, wollten wir gemeinsam einen Film namens "Big Street" machen - eine sehr ungewöhnliche und düstere Geschichte, vergleichbar mit einer modernen Fabel. Der Film gehört zu den Sachen, die ich nie hinbekommen bzw. abgeschlossen habe. Das wäre eine schwierige Aufgabe, die ich endlich abschließen wollte. Manchmal sind die schwierigsten Sachen auch die gewöhnlichsten. So ähnlich geht es mir auch jetzt mit der Musicalversion von "Sister Act". Es ist eine wirklich schwierige Aufgabe, den Film zu verbessern. Ich arbeite gerne mit guten und fähigen Leuten in Bereichen, in denen ich vorher noch nie gearbeitet habe.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 20. Dezember 2007
Zum Thema
Alan Menken wird am 22. Juli 1949 in New Rochelle, New York geboren 1986 macht er mit dem Soundtrack zu "Der kleine Horrorladen" nachdrücklich auf sich aufmerksam. 1989 arbeitet er für "Arielle, die Meerjungfrau" erstmals mit Die Schöne und das Biest", "Aladdin" und "Pocahontas". Alan hat mit siener Frau Janis Menken zwei Kinder.
Verwünscht (Kinofilm)
Königin Narissa (Susan Sarandon) verbannt Giselle (Amy Adams) aus dem Märchenland. Die Prinzessin landet in New York. Dort trifft sie auf Anwalt Robert (Patrick Dempsey), der ihr aus dem ersten Schlamassel hilft. Hilfe naht auch aus dem Märchenland. Prinz Edward kämpft sich seinen Weg durch den Großstadtdschungel, um Giselle zu retten. Kevin Lima kombiniert Realfilm mit Trick und Animation, bleibt dem Stil typischer Disneyfilme aber treu.
2024