Jean-François Martin/Ricore Text
Regisseur Robert Guédiguian
Lady Jane: Rache und exzessive Gewalt!
Interview: Moderner Film Noir
Das Gespräch zu "Lady Jane" entwickelt sich zu einer Abhandlung über Vergeltung und Gewalt. Warum eignet sich der Film Noir sich für dieses Thema so gut? Dabei kamen auch Fragen auf, welche Verantwortung Regisseur Robert Guédiguian bei der Stilisierung von Gewalt im Film hat. Heraus kam ein spannender Diskurs eines eingespielten Filmteams.
erschienen am 16. 02. 2008
Jean-François Martin/Ricore Text
Ariane Ascaride (Berlinale 2008)


Ricore: Steht die Vergeltung im Mittelpunkt?

Guédiguian: Ein Motiv ist natürlich Rache. Das sehen Sie ja auch am Ende in dem armenischen Sprichwort. Das ist ein archaischer Reflex, den wir alle haben. Es ist fast etwas Mechanisches im Gedanken der Rache erhalten. Wir sollten uns im öffentlichen Bereich vor solchen Haltungen schützen.

Ricore: Frau Ascaride, Sie spielen eine harte Frau. Wie haben Sie diese Rolle vorbereitet, in der Sie so wenig Emotionen zeigen dürfen, sie aber doch empfinden?

Ariane Ascaride: Sie spricht sehr wenig. Daher ist wichtig zu erkennen, dass alles was sie empfindet, über ihren Körper abläuft. Ich bin keine Schauspielerin, die viele Tricks beherrscht. Es ist eine Art Verfügbarkeit meinerseits, ich lasse es zu, dass die Persönlichkeit Besitz von mir ergreift. In diesem Fall war es nicht unbedingt eine Persönlichkeit, die mir gefallen hätte. Sie ist nicht sympathisch, aber trotz allem ist sie bewegend. Ich lasse die Dinge aus mir herauskommen.
Berlinale
Szene aus: Lady Jane (Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan)
Ricore: Herr Guédiguian, Sie arbeiten ja häufig mit denselben Schauspielern zusammen.

Guédiguian: Das stimmt. Wenn ich etwas schreibe, dann muss ich schon wissen, mit wem ich zusammen arbeite. Ich überlege mir das von Anfang an, wenn ich Drehbücher schreibe und weiß schon, welcher Schauspieler welche Rolle spielt. Das ist etwas, was ich vorweg nehmen kann. Ich weiß, wie sie sind.

Ricore: Sie sind Sohn einer deutschen Mutter und eines armenischen Vaters. Ist es auch in dieser Hinsicht ein Film mit einer politischen Aussage?

Guédiguian: Der Gedanke an Rache wird in Form von Staaten instrumentalisiert, das betrifft mich persönlich. Meine Ursprünge kommen aus einem Volk, das einen Genozid erlitten hat. Meine Großtante ist im armenischen Genozid in der syrischen Wüste umgekommen. Das ist etwas, das mich bewegt.

Ricore: Die Landschaften waren für den Film wichtig, da sie die Stimmungen der Protagonisten spiegeln. Ich würde gerne mehr über die Drehorte erfahren. Insbesondere die Marseiller Altstadt.

Guédiguian: Das sind alles Drehorte, die es noch gibt. Wir haben sie nur umgestaltet. Es wurden Mauern entfernt, Garagen gebaut. Schön, dass Sie darauf verweisen. Wir haben immer versucht dekorative Elemente zu verwenden, damit die Drehorte für sich selbst sprechen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Robert Guédiguian auf der Berlinale 2008
Ricore: können Sie noch etwas zu dem Umfeld, zu dem Milieu des Filmes sagen?

Guédiguian: Der französische Film Noir gefällt mir deswegen so gut, weil die Personen so wichtig sind. Es ist kein Action-Film, wie viele fälschlicherweise sagen. Ich mag besonders die Filme aus den 1950er Jahren. Diese Beziehung zu konkreten Dingen. Im Film Noir wird immer viel geraucht. Der französische Film Noir arbeitet mit Personen, die uns sehr nahe kommen, die wir zu kennen glauben.

Ricore: Die Erschießung des Jungen ist sehr brutal. Das ist ein Tabubruch, wenn man im Kino so frontal zeigt, wie ein Kind erschossen wird. Was ist ihre Konzeption bei der Inszenierung von Gewalt?

Guédiguian: Wir haben uns über dieser Szene viele Gedanken gemacht. Der Zuschauer muss sich in die Position der Mutter versetzen. Das Schlimmste was passieren kann, ist sein Kind zu verlieren. Das ist nicht die Ordnung der Natur. Das sagt Muriel ja auch, als sie ihr Kind begraben muss. Es gibt andere Schießereien und mehr Gewalt im Film. Manchmal ist es ein bisschen komisch. Zum Beispiel, wenn dieses Flashback gezeigt wird, in dem der Juwelier erschossen wird. Der Tod des Kindes musste sich von den anderen Todesfällen unterscheiden. Wir haben da mit dem Ton gearbeitet, das ist ein ganz spezieller Schuss. Der ist bearbeitet worden, damit er nachhallt. Er soll schockieren. Man kann nicht hinsehen, es ist unerträglich. Wenn man sich an jemanden rächen will, dann geht das nah. Es ist auch wahr, dass man sich die Frage der Gewalt im Kino jedes Mal neu stellt. Ich denke alle Filmemacher machen sich da Gedanken. Darin liegt unsere Verantwortung. In dem Augenblick, wenn man so einen Film macht, dann muss man eben vor Augen haben, welche Gefühle man im Zuschauer hervorrufen will.
erschienen am 16. Februar 2008
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Lady Jane (Kinofilm)
Die Vergangenheit holt die drei Jugendfreunde Muriel (Ariane Ascaride), René (Gérard Meylan) und François (Jean-Pierre Darroussin) ein. Vor Jahren haben sie einen Menschen umgebracht und beschlossen, unterzutauchen. Seit dem tragischen Vorfall haben sie sich nicht mehr gesehen. Nun braucht Muriel Hilfe. Ihr Sohn ist entführt worden. Regisseur Robert Guédiguian inszeniert einen Thriller in der Tradition des Film Noirs.
Der französische Regisseur Robert Guédiguian hat deutsch-armenische Vorfahren. Der Großteil seiner Filme dreht sich um die Einwanderungsthematik. Meist spielen seine Werke ist seiner Heimatstadt Marseille. Guédiguian engagiert häufig seine Freunde als Darsteller.
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