Ann-Catherin Karg
Harald Krassnitzer, Ann-Kathrin Kramer
Österreichischer Sympathieträger
Interview: Winzerkönig bedient Hartz-IV-Empfänger
In "Freundschaften und andere Neurosen" stehen die Lebensgefährten Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer gemeinsam vor der Kamera. Sie spielen ein Ehepaar in Finanznöten, dessen Beziehungsfrieden durch den neurotischen Christoph M. Ohrt bedroht wird. In einem entspannten Interview unterhielt sich Filmreporter.de mit den beiden über die Zielgruppe der Hartz-IV-Empfänger und die Frage, warum keiner in den Nachbarländern Österreicher versteht.
erschienen am 5. 05. 2008
Reiner Bajo/ZDF
Harald Krassnitzer beim Musizieren
Ricore: Herr Krassnitzer, haben Sie schon einmal einem Freund auf die Nase gehauen?

Harald Krassnitzer: Freunden auf die Nase hauen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Nein, das habe ich noch nie gemacht. Ich bin ein gewaltfreier Mensch. Als Kind hatte ich einmal ein einschneidendes Erlebnis. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem nicht sehr sympathischen Gleichaltrigen. Der lag irgendwann am Boden, aber als es galt, den entscheidenden Knockout auszuführen, war ich dazu nicht in der Lage. Ich konnte nicht zuschlagen. Sobald er auf dem Boden lag, war für mich das Rennen gelaufen. Ich habe aber auch nicht damit gerechnet, dass der noch einmal aufsteht dann mir eine semmelt.

Ricore: In "Freundschaften und andere Neurosen" wird ihre Freundschaft mit Christoph M. Ohrt auf eine harte Probe gestellt. Was könnte eine richtige Freundschaft im wahren Leben zerstören?

Krassnitzer: Da gibt es wenig. Das müsste schon ein massiver Vertrauensverlust sein. Ich habe das bis jetzt erst ein Mal erlebt, dass ich mich in einem Mensch massiv getäuscht hatte. Da habe ich dann den Kontakt abgebrochen.

Ricore: Sie waren schon "Superbulle", "Amundsen der Pinguin", ein Gefängnis-Psychologe und sind Tatort-Kommissar. Suchen Sie die Abwechslung?

Krassnitzer: Abwechslung ist ein wesentlicher Teil meines Berufes. Man muss versuchen zu verstehen, was das für Menschen sind, die man spielt. Das macht in meinem Beruf am meisten Spaß und ist auch die schönste Herausforderung.

Ricore: Wie viel Einfluss haben Sie auf die Gestaltung einer Rolle?

Krassnitzer: Das ist unterschiedlich. Manche Regisseure konzentrieren sich in erster Linie darauf, die technische Abwicklung umzusetzen, die sehr entscheidend ist. Die schauen dann eher auf den Look, wie das Bild quadriert oder wie der Schnitt ist. Und dann gibt es Regisseure, die sich sehr intensiv mit den Schauspielern und der Psycholandschaft der Figuren auseinandersetzen. Da findet man sehr unterschiedliche Herausforderungen. Es gibt Regisseure, die sagen: "Hör' zu, ich habe dich engagiert weil du ein guter Schauspieler bist, als mache deinen Job und ich mache meinen." Und es gibt Regisseure, die sehr gerne und intensiv mit einem über Details diskutieren, und das macht auch Spaß.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Harald Krassnitzer
Ricore: Was ist Ihnen lieber?

Krassnitzer: Ich mag beides und habe auch die Abwechslung sehr gerne. Es nervt mich nur, wenn sich jemand einmischt der keine Ahnung hat. Dann bin ich meistens ein bisschen angepisst.

Ricore: Was verstehen Sie unter "keine Ahnung haben"?

Krassnitzer: Wenn du genau weißt, dass der Blödsinn redet, weil er die Szene davor nicht verstanden hat. Dann musst du ihm die Szene noch einmal erklären und dann sagt er: "Ah ja, stimmt eigentlich." Oder wenn dir der Regisseur eine Situation baut die hinten und vorne nicht stimmt, weil danach eine Szene mit ganz anderem Schwerpunkt kommt. Dann musst du auch eingreifen. Das passiert aber relativ selten. Dann diskutiert man darüber und findet einen Weg oder lässt sich selbst vom Gegenteil überzeugen. Das ist eine Sache der Diskussion und der Reibung, die innerhalb eines solchen Prozesses stattfindet.

Ricore: Werden Ihnen überwiegend Rollen angeboten, in denen Sie der Sympathieträger sind?

Krassnitzer: Ja, weil ich von Haus aus ein Sympathieträger bin.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Ann-Kathrin Kramer
Ricore: Nun eine Frage an Sie beide: Wie beurteilen Sie die Qualität des aktuellen Fernsehmarkts?

Ann-Kathrin Kramer: Ich glaube, dass sich da eine Schere auftut. Es gibt immer sehr ambitionierte und besondere Projekte. Da wird anderes Fernsehen gemacht und da ist das deutsche Fernsehen im europäischen Vergleich sehr gut. Aber das Mittelfeld verdünnt sich immer mehr und dann kommt das, was der Mehrheit gefällt. Sachen, bei denen die Leute sagen: "Ich habe den ganzen Tag gearbeitet und jetzt will ich keine Aufregung mehr. Ich setze mich jetzt vor den Fernseher und weiß genau, dass die sich am Schluss kriegen." Das wird sehr viel gemacht und endet in einem Einheitsbrei.

Krassnitzer: Ich würde das über einen längeren Zeitraum betrachten. Schauen Sie sich einmal an, was in den 1950er Jahren für Filme gedreht wurden. Da wurde der klassische deutsche Heimatfilm geprägt, der zum großen Teil die Flucht aus dem wahren Leben impliziert hat, mit schöner Landschaft und romantischen Gefühlen und Liebe. Und daneben gab es schon die ersten kritischen Filme. Es gab immer wieder Strömungen, die einen gewissen Anspruch hatten und Filme für ein breites Publikum.

Kramer: Es ist durchaus legitim zu sagen: "Ich möchte etwas sehen, um mich zu entspannen." Man darf das Medium nutzen, um runter zu kommen von den Ereignissen des Tages. Das hat auch seine Berechtigung.

Krassnitzer: Man muss sich auch die anderen europäischen Länder anschauen. Im englischen Fernsehen bekommt man ein gutes Programm nur über Pay-TV. BBC ist darauf spezialisiert, ab und an eine gute Serie zu machen, ansonsten ist der Sender aber nur noch im Doku- oder Infotainmentbereich tätig. Die Schweiz hat sich vollkommen vom Filmmarkt verabschiedet. Österreich hält Anteile am deutschen Markt, in Italien und Tschechien gibt es nur noch Trash, die Slowakei ist so gut wie nicht vorhanden. In Ungarn gibt es keine öffentlich-rechtlichen Anstalten mehr, die in der Lage wären, einen Film zu produzieren.

Ricore: Dann ist Deutschland also noch gut dran?

Krassnitzer: In Europa gibt es fast nur noch Trash-Fernsehen, da steht Deutschland wirklich noch sehr gut da. Zudem gibt es die Entwicklung, dass bestimmte Menschen an gewissen Lebensqualitäten keinen Anteil mehr haben. Das sind die Globalisierungs-Verlierer, die Hartz IV-Empfänger, Menschen, die aus bestimmten Gesellschaftsschichten ausgeschlossen sind. Die holen sich über Formen der Unterhaltung wie "Das Traumschiff", "Der Winzerkönig" oder andere Serien eine Welt ins Wohnzimmer, an der sie keinen Anteil mehr haben. Die machen einen Großteil der Quote aus und haben durchaus das Recht, zumindest in dieser Form noch Anteil zu nehmen. Ich wäre auch sehr irritiert, wenn wir in Deutschland nur mehr den Anspruch des Qualitäts- oder Autorenfilms hätten. Die Fernsehlandschaft ist eine Voraussetzung für die Kinolandschaft. Ohne das Fernsehen könnten sich viele junge Regisseure nicht ausprobieren. Sender wie Arte und 3Sat sind gerade für junge Regisseure eine Spielwiese, da ist das Angebot sehr groß.
Reiner Bajo/ZDF
Christoph M. Orth und Ann-Katrin Kramer
Ricore: RTL hat 2007 die Serie "Die Anwälte" produziert und nach den ersten schlechten Quoten abgesetzt. Warum bekommen deutsche Serien oft gar keine richtige Chance?

Krassnitzer: Das hat mit dem Paradigmenwechsel in der Medienlandschaft zu tun. Das wird in den nächsten Jahren auch massiv die deutsche Zeitungslandschaft betreffen. Viele Leute werden die Tageszeitung nicht mehr wahrnehmen, weil sie über elektronische Medien bedient werden. Wenn sie heute eine Tageszeitung in die Hand nehmen, ist die schon veraltet. Man ist überfüttert von den ganzen Informationen, über Radio, Fernsehen und Online. Es hat etwas mit Nervosität zu tun, weil keiner mehr weiß, in welche Richtung sich der Markt entwickelt. Solche Konzerne sind eben sehr auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Die stehen unter hohem ökonomischem Zwang und müssen sich schnell entscheiden, ob sie etwas weiter machen oder nicht.

Ricore: Frau Kramer, wie war es in der Wissens-Show "Das weiß doch jedes Kind?"

Kramer: Schrecklich war das, ganz schrecklich, ich habe gelitten! Es war natürlich auch schön, ich mag die Sendung und Cordula Stratmann ist klasse. Ich hätte gerne noch mehr für "Dunkelziffer" eingespielt, für die ich das gemacht habe. Alle Kandidaten haben gezittert, weil die Fragen wahnsinnig schwer waren. Es sind erste bis fünfte Klasse-Fragen, das Problem ist aber, dass es kein Multiple Choice ist. Man muss es also wirklich wissen. Ich muss mich nicht schämen, aber ich hätte es gerne ein bisschen besser gemacht.

Ricore: Sie waren schon als Kinderbuchautorin tätig, haben Sie neue Projekte?

Kramer: Ich bin sehr Kinderaffin und finde es klasse, etwas für Kinder zu machen. Diese "Pitzelpatz"-Geschichten sind ganz neu und kommen gerade erst auf den Markt. Es kann schon sein, dass wir davon noch mehr machen.

Ricore: Wie ist es, wenn man zusammen mit dem Partner einen Film dreht?

Kramer: Herrlich! Zum einen ist es schön, weil man sich kennt, zum anderen ist es aus den gleichen Gründen manchmal anstrengend.

Ricore: Wer passt in dieser Zeit auf ihren Sohn auf?

Kramer: Wir haben eine sehr gut funktionierende Familie und eine Kinderfrau, die einspringt. Das geht gut.
Reiner Bajo/ZDF
Szene aus "Freundschaften und andere Neurosen"
Ricore: Welche Konflikte ergeben sich aus Ihrer binationalen Beziehung?

Kramer: Welche Konflikte? Das kann man so nicht sagen. Aber es gab vor allen Dingen in den ersten Jahren immer wieder Momente, in denen ich mich gefragt habe: "Was meint er damit?" Man spricht zwar annähernd dieselbe Sprache, aber diese meint manchmal etwas ganz anderes. Man muss das richtig übersetzen. Mir fällt leider kein gutes Beispiel ein.

Krassnitzer: Ich bin definitiv der Meinung, dass österreichisch eine komplett andere Sprache ist. Es gibt ein gutes Beispiel aus "Der Kameramörder" von Thomas Glavinic. Darin wird in kurzen, prägnanten Sätzen der Ablauf eines Wochenendes von zwei Paaren beschrieben. Im Grunde können das Buch nur Österreicher richtig lesen. Wenn das ein Deutscher liest, erkennt er das dahinter nicht, die Sätze, die durchklingen. Das Gemeine, das Bissige, das Abgründige, Fatale oder Spießige wäre für einen Deutschen schwer verständlich, weil er die Synonyme nicht erkennt. Als Österreicher hast du immer das Gefühl, als würdest du zwei Bücher gleichzeitig lesen. Weil im Hintergrund immer die österreichische Sprache, der Dialekt durchklingt.

Ricore: Haben Sie dafür ein anschauliches Beispiel?

Krassnitzer: Es gibt zum Beispiel verschiedene Färbungen von Komplimenten, die durchaus das Gegenteil von dem Gesagten bedeuten können. Wenn in Wien heute jemand zu Ihnen sagt: "Sie schauen wunderschön aus, gnädige Frau", dann kann das bedeuten, dass Sie so scheiße aussehen, dass Sie gleich wieder nachhause gehen sollten. Je nach Intention und Intonation werden sie als geschulter Österreicher herausfinden, ob der Typ ein Arschloch ist oder nicht.

Ricore: Funktioniert das nicht überall?

Kramer: Ja klar, aber eben anders in den Tonarten und der Wortwahl. Das sind Feinheiten. Aber das hat man ja auch schon zwischen einem Hamburger und einem Bad Tölzer. Die stehen auch manchmal voreinander wie der Ochs vorm Berg.
Reiner Bajo/ZDF
Ann-Katrin Kramer in "Freundschaften und andere Neurosen"
Ricore: Ist es für Ihren Sohn eher abschreckend, dass Sie beide Schauspieler sind oder tendiert er in die gleiche Richtung?

Krassnitzer: Der sagt: "Igitt, geht weg!"

Kramer: Abschreckend? Er kriegt das schon mit, ist aber durch unsere Lebensweise wenig davon belastet. Er kann sich wie jedes Kind mit Glück die Zeit nehmen herauszufinden, was er einmal machen will und was er kann oder nicht. Er hat nicht das Bild: "Das ist toll, das will ich auch." Er ist entspannt, schaut es sich an und ist frei zu entscheiden.

Ricore: Herr Krassnitzer, treten Sie noch am Theater auf?

Krassnitzer: Es gibt immer wieder Angebote und Möglichkeiten, das scheitert aber oft am Zeitrahmen. Theater ist doch etwas aufwendiger. Es verpflichtet einen dazu, zwei bis drei Monate an einem anderen Ort zu verweilen und das ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden.

Ricore: Warum leben Sie in Wuppertal?

Krassnitzer: Weil es das Herz Deutschlands ist.

Kramer: Weil da meine Eltern leben und es ein kleines Dorf ist, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Da kann unser Sohn gut und in Ruhe aufwachsen. Es ist ein sehr guter Rückzugsort. Weit weg von den Städten in denen wir meistens drehen. Dahin kann man sich sehr gut verkrümeln und Ausruhen und ein ganz normales Leben führen. Es ist eine gute Erdung und eine Lebensform die uns gefällt.
erschienen am 5. Mai 2008
Zum Thema
Harald Krassnitzer ist ein Vollblutösterreicher. Zunächst hält es ihn in seiner Geburtsstadt Salzburg, wo er eine Schauspielausbildung macht und vier Jahre an der Elisabethbühne bleibt. Es folgen Engagements in Graz, Wien und Saarbrücken, dann zieht es Krassnitzer vor die Kamera. 1997 macht ihn die Rolle des Arztes Dr. Justus Hallstein in der Fernsehserie "Der Bergdoktor" bekannt. Ein Jahr später wird er zum österreichischen "Tatort"-Kommissar berufen. Krassnitzer lebt mit der Schauspielerin..
Ann-Kathrin Kramer kam erst spät zur Schauspielerei. Zuvor arbeitete sie als Schauwerbegestalterin, versuchte sich als Portraitmalerin und bewarb sich erfolglos an der Modeschule. Sie holte ihr Abitur nach, entschied sich dann aber gegen das angestrebte Physik-Studium und für die Schauspielerei. Kramer lebt mit ihrem Lebensgefährten Harald Krassnitzer und ihrem Sohn aus der Beziehung mit Jan Josef Liefers in Wuppertal. Seit 2005 ist sie auch als Kinderbuch-Autorin tätig.
Kann eine Freundschaft zwischen drei Menschen, von denen zwei verheiratet sind, gut gehen? Um diese Frage dreht sich die alberne Komödie von Mark Schlichter. Ferdinand (Harald Krassnitzer) und Roland (Christoph M. Ohrt) kennen sich schon aus der Schule. Sie wohnen in gegenüberliegenden Wohnungen und stehen durch PC und Kamerainstallierungen in ständigem Kontakt. Bei Geld und Frauen fangen die Unterschiede an. Jeder hat nur eins von beiden, und das führt zu einigen Komplikationen.
2024