Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Tom Schilling
"Ich bin exzentrisch und schrullig"
Interview: Tom Schilling über die Liebe
Mit seinen 26 Jahren kann Tom Schilling eine beachtliche Filmographie vorweisen. Mit 14 Jahren steht er erstmals fürs Fernsehen vor der Kamera, der Durchbruch als Schauspieler kommt im Jahr 2000 mit dem Jugenddrama "Crazy". Wer ihn in der umstrittenen Komödie "Schwarze Schafe" gesehen hat, weiß, dass der Berliner in seiner Rollenauswahl nicht zimperlich ist und gerne außergewöhnliche Charaktere verkörpert. Kinobesucher können ihn im August 2008 in Leander Haußmanns Komödie "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" sehen. Darin verliebt er sich als hipper Videospieldesigner in eine wesentlich ältere Reinigungsangestellte. Mit uns sprach der 26-Jährige über die Faszination der Liebe und seine bisher schwerste Rolle - Adolf Hitler.
erschienen am 23. 08. 2008
Delphi Filmverleih
Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe
Filmreporter.de: Robert Zimmermann verliebt sich in eine wesentlich ältere Frau. Wie wichtig ist das Alter in der Liebe?

Tom Schilling: Ich finde, dass diese Begriffe gar nichts miteinander zu tun haben. Wenn man über Liebe spricht, dann spricht man über die Kraft, die man im Prinzip nicht erklären kann. Diese Kraft bringt einen dazu, sich um jemand anderen zu sorgen, jemand anderen zu vermissen, sich nach jemandem zu sehnen und sich für jemanden aufzuopfern. Das hat für mich nichts mit dem Alter zu tun. Es ist egal, wie alt man ist. Solange es sich im gesetzlichen Rahmen bewegt.

Filmreporter.de: Könnten Sie sich vorstellen, sich in eine wesentlich ältere Frau zu verlieben?

Schilling: Ja, absolut.

Filmreporter.de: Robert verliebt sich in der Reinigung auf den ersten Blick in Monika. Haben Sie sich schon einmal auf den ersten Blick verliebt?

Schilling: Selbstverständlich! Ja. Ich bin immer auf den ersten Blick verliebt. Dann stellt sich später heraus, dass es vielleicht eine Projektion war. Aber wenn es gut geht, dann wächst daraus eine ganz starke Liebe. Ich habe mich immer auf den ersten Blick verliebt.

Filmreporter.de: In der Gesellschaft wird es akzeptiert, dass ältere Männer jüngere Frauen haben. Warum funktioniert es anders herum nicht so gut?

Schilling: Ich denke nicht, dass es gesellschaftlich akzeptierter ist. Denn die Beziehung zwischen einem älterem Mann und einer jüngerer Frau impliziert oft älterer, solventer Herr mit dickem Bankkonto und eine junge, etwas dumme, hübsche Frau. Das hat nicht besonders viel mit Liebe zu tun, sondern mit Berechnung oder einer Zweckgemeinschaft. Ältere Frau und junger Mann hingegen ist ungewöhnlicher, weil es keine Zweckgemeinschaft ist. Sondern die Leute denken: "Dass muss wirklich Liebe sein. Was für eine Leidenschaft". Es kommt vielleicht auch ein bisschen Neid dazu.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Tom Schilling
Filmreporter.de: Es ist aber auch denkbar, das der junge Mann die Frau nimmt, weil sie auch schon gefestigter im Leben und reich ist.

Schilling: Ich denke, dass gibt es nicht so häufig. Aber so habe ich das immer empfunden.

Filmreporter.de: Gibt es denn Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und Robert Zimmermann?

Schilling: Wenig. Mir fallen auf Anhieb keine ein. Robert ist ein bisschen exzentrisch oder schrullig. Das bin ich auch.

Filmreporter.de: Sie sind überhaupt kein Computer-Freak. Im Film spielen Sie einen Computerspiel-Entwickler. Woher kommt es, dass Sie der neuen Technik so kritisch gegenüberstehen?

Schilling: Erstens der Mangel an Interesse für die Technik. Ich kann mich nicht für technische Neuerungen oder ähnliches begeistern. Ich bin auch nicht der erste, der ein I-Phone oder ein Navigationssystem hat. Dann kommt hinzu, dass es auch eine gewisse Form von Ablehnung oder Protest ist. Dagegen, dass man diktiert wird, dass die Kommunikation schneller werden müsste. Es wird gesellschaftlich erwartet, dass man Emails beantwortet und eine Stunde am Tag damit verbringt, am Computer zu sitzen. Dafür ist mir mein Tag zu kurz und zu schade. Bevor ich eine Stunde am Computer sitze, lese ich lieber Zeitung.

Filmreporter.de: Im Film sind einige Lieder von "Element of Crime". Sie wurden extra dafür gemacht. Wie finden Sie, dass sich das so zusammenfügt?

Schilling: Ich war total begeistert, als ich "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" vor ein paar Tagen gesehen habe. Ich habe zum ersten Mal die Musik zum Film gehört. Diese Musik hält den Film wunderbar zusammen: Diese Reise von Robert und die unterschiedlichen Elemente, die im Film eigentlich sehr weit auseinander sind. Es gibt die Liebesgeschichte, die Familiengeschichte, es gibt so viele Nebenschauplätze, und dafür ist die Musik von "Element of Crime" einfach wunderbar. Außerdem finde ich es rührend, wenn Bands extra für Filme Musik komponieren. In der Tradition von "Die Reifeprüfung" von Simon and Garfunkel. Oder wie Cat Stevens bei "Harold und Maude". Das fand ich wunderbar.
Verschwende deine Jugend
Marlon Kittel, Tom Schilling, Jessica Schwarz und Robert Stadlober in "Verschwende deine Jugend"
Filmreporter.de: Haben Sie ein Lieblingslied vom Soundtrack?

Schilling: Mein Lieblingstitel aus dem Soundtrack ist "Death Kills".

Filmreporter.de: Welche Musik hören Sie sonst?

Schilling: "Element of Crime" hat auf jeden Fall viel Platz in meinem Plattenschrank. Ich glaube, ich habe alle Platten von denen. Sonst mag ich Bob Dylan und Nick Cave. Ich mag auch neue Sachen, wie White Stripes und Babyshambles.

Filmreporter.de: Sie haben jetzt das zweite Mal mit Leander zusammengearbeitet. Was ist das Besondere an ihm als Regisseur?

Schilling: Er hat eine unglaublich anarchistische Arbeitsweise. Er ist sich für nichts zu schade, er probiert unglaublich viel aus. Er ist ein sehr inspirierter Regisseur, der eine unendliche Phantasie und einen großartigen Sinn für Humor hat.

Filmreporter.de: Gesteht er diese Freiräume auch den Schauspielern zu?

Schilling: Ja, ich hab mich nie beengt gefühlt. Aber er macht auch ein bisschen seine One-Man-Show. Das ist richtig so. Denn die Filme, die er macht, haben seine eigene Handschrift. Mir macht dieser Stempel Spaß, ich bin auch gerne dieser Abdruck für ihn.

Filmreporter.de: Ist es Ihnen beim Schauspielen lieber, dass Sie genaue Anweisungen des Regisseurs bekommen, oder sind Sie lieber ein bisschen freier und probieren gerne Neues aus?

Schilling: Das ist unterschiedlich. Mal so, mal so.
Delphi Filmverleih
Discoszene aus "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe"
Filmreporter.de: Nach welchen Kriterien wählen Sie einen Film aus?

Schilling: Ich wähle danach aus, ob mich das Buch und die Geschichte interessiert, ob die Figur interessant ist, die ich spiele und ob mich der Regisseur oder die Regisseurin interessieren. Das wägt man dann ab. Wenn der Regisseur mich interessiert, würde ich auch eine Rolle spielen, die ich eigentlich uninteressant finde. Weil ich dann mit dem Regisseur arbeiten möchte. Weil man weiß, dass da noch eine Schippe darauf gelegt wird, bei dem was im Buch steht.

Filmreporter.de: Gab es bei Ihnen schon einmal so einen Fall?

Schilling: Ja, beim Arbeiten mit Oskar Roehler. Das war keine interessante Rolle. Das war nur eine kleine Nebenfigur. Aber das mache ich dann deswegen, weil ich die Filme von Oskar toll finde. Und ich habe mich auch geschmeichelt gefühlt, dass er mich angerufen hat und an mich denkt.

Filmreporter.de: Welche Rolle würden Sie am liebsten spielen?

Schilling: Ich würde gerne einmal einen klassischen Aufstiegs- und Fall-Film machen, im Stil von "Boogie Nights". Ein Film oder eine Figur, die eine große Reise macht und vielleicht eine Epoche erzählt oder so. Solche Filme mag ich.

Filmreporter.de: Gibt es Rollen, die Sie nicht spielen würden? Sie haben beispielsweise ja auch Hitler verkörpert. Eine Rolle, die vielleicht nicht jeder machen würde.

Schilling: Für mich gibt es nicht generell eine Rolle, die ich nicht spielen will. Es gibt nur Rollen, die schlecht geschrieben sind. Man kann allem was Interessantes abverlangen. Es gibt kein Thema, dass langweilig ist - es gibt nur langweilig erzählte Themen.
Delphi Filmverleih
Tom Schilling in "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe"
Filmreporter.de: Sie haben schön öfter beim "Tatort" mitgespielt. Warum kehren Sie dahin immer wieder zurück? Schwingt da vielleicht ein bisschen Nostalgie mit?

Schilling: Nein, das ist keine Nostalgie. Es liegt daran, dass für das Fernsehen immer weniger Spielfilme gedreht werden, es gibt immer mehr Shows, Doku-Soaps oder sehr billig produzierte Sachen, eingekaufte Serien aus Amerika oder billige Adaptionen, die die Briten oder Amerikaner viel besser machen als wir. Und "Tatort" ist ein Format, das seit Jahren eine gewisse Qualität wahrt. Es gibt immer wieder interessante Konflikte. Kürzlich habe ich diesen "Tatort" gemacht, in dem ich so einen jungen Mann spiele. Er verliert zum zweiten Mal sein Baby und verdächtigt seine Frau, dass sie die Kinder getötet hat. Das ist ein schöner Konflikt - so komisch das klingen mag. Deswegen kehre ich zu "Tatort" zurück, weil es da meistens spannende Konflikte und interessante Figuren gibt. Nicht immer, ich habe jetzt vielleicht vier "Tatorte" in acht Jahren gespielt. Das ist nicht besonders viel, ein "Tatort" von 56 im Jahr.

Filmreporter.de: Warum ist das deutsche Fernsehen im Vergleich so mies?

Schilling: Ich glaube, weil man den deutschen Autoren und Talenten nicht vertraut. Ich glaube, dass Deutsche auch gute Serien entwickeln können. Zum Beispiel "The Office". Da machen wir die englische Ausgabe nach, wir machen eine Kopie. Wenn man den Leuten die Möglichkeit und die finanzielle Unterstützung geben würde, so etwas selber zu entwickeln, würde auch etwas entstehen. Aber da geht man dann ein gewisses Risiko ein. Da kauft man lieber Serien ein, bei denen man weiß, dass es in anderen Ländern schon funktioniert hat. Das macht das Risiko kalkulierbarer. Das ist traurig, ich finde es fast armselig.

Filmreporter.de: Welche Filme finden Sie gut?

Schilling: Das ist unterschiedlich. Aber ich bin ein großer Fan des neuen Hollywood-Kinos, Filme aus den 70ern, wie "Der Pate" oder die früheren Scorsese-Filme und Coppola.

Filmreporter.de: Planen Sie wieder ein Projekt mit Robert Stadlober?

Schilling: Ich habe noch nie ein Projekt mit ihm geplant. Es steht auch nichts an. Eventuell wollte Oliver Rihs, der Regisseur von "Schwarze Schafe", eine Fortsetzung davon machen, aber für das Theater. Aber ob wir da gemeinsam spielen, das steht noch in den Sternen.
Constantin Film
Napola - Elite für den Führer (2004)
Filmreporter.de: Der erste Teil von "Schwarze Schafe" war Ihnen ja ein bisschen unangenehm, weil der Film insgesamt doch sehr krass ist. Jetzt würden Sie es sogar im Theater spielen?

Schilling: Peinlich war er mir nicht - so ein schamvoller Mensch bin ich dann auch nicht. Aber ich war überrascht, was bei diesem Film noch im Verborgenen war. Das wusste ich nicht, als ich die Episode für den Film drehte. Oliver Rihs hatte uns nur unsere Episode gegeben, den Rest kannten wir nicht. Es war dann dementsprechend überraschend, den Film zu sehen. Aber ich bin nach wie vor froh, bei diesem Film mitgespielt zu haben. Auch meine Eltern, die alles andere als freigeistig sind, fanden den Film gut. Das sagt eine Menge.

Filmreporter.de: Sind die Dreharbeiten zu "Mein Kampf" schon fertig?

Schilling: Ein Drehtag fehlt noch.

Filmreporter.de: Wie waren die Dreharbeiten? Haben Sie für die Rolle abgenommen?

Schilling: Ja, ich habe abgenommen. Die Dreharbeiten waren anstrengender als alle anderen Filme zusammen, die ich bis jetzt gemacht habe.

Filmreporter.de: Was war anstrengend?

Schilling: Psychisch war es absolut anstrengend. Anstrengend waren die Arbeitsbedingungen an sich. Einige Leute hatten ständig Angst, was das für ein Film sein könnte und was die daraus machen. Ich habe auch gespürt, dass die Leute Angst hatten, vor der Naivität, mit der ich an die Rolle heranging, oder die Selbstverständlichkeit, mit der ich die Rolle gespielt habe. Sie konnten das nicht genau definieren. Mal hatte man Angst davor, dass ich Hitler als ständigen Grantler spiele, der schon damals ein unangenehmer, verrückter Typ war. Oder man hatte Angst davor, dass ich ihn zu weich, zu nachvollziehbar, zu schwach spiele, sodass man als Zuschauer das Gefühl hat, man müsse ihn beschützen. Oder dass man versucht, als Filmemacher diese Gräueltaten durch Küchenpsychologie zu erklären und zu sagen "Ja, das ist alles passiert, weil er damals so schlecht behandelt wurde". Dieser Druck von außen, der war für mich schwer zu ertragen. Von der Presse wird es viel Gegenwind geben, und den habe ich schon während des Drehs gemerkt.
Constantin Film
Der sensible Albrecht (Tom Schilling)
Filmreporter.de: Ist es für Sie nachvollziehbar, dass mit dem Thema immer noch so verkrampft umgegangen wird?

Schilling: Ich kann das schon verstehen. Das ist ja unser Erbe und das sind unsere Großväter gewesen. Das hat viel mit uns zu tun. Man muss sich ständig damit auseinandersetzen. Ich kann es nachvollziehen. Ich bin nur kein Mensch, der anderen diktiert, wie sie mit diesem Thema umgehen müssen. Ich respektiere es, wenn jemand auf heitere Art oder auch auf verkrampfte Art damit umgeht. Deswegen kann ich mich weder über "Der Untergang" noch über "Der Führer" echauffieren. Beide Filme haben ihre Berechtigung, auch "Mein Kampf" wird seine Berechtigung haben.

Filmreporter.de: Gibt es schon ein nächstes Filmprojekt?

Schilling: Nein.

Filmreporter.de: Kommt es auch vor, dass Sie nach einem Dreh erst einmal nichts machen?

Schilling: Kann passieren, ja. Wenn nicht die passenden Angebote da sind.

Filmreporter.de: Bekommen Sie da nicht ein bisschen Panik?

Schilling: Hatte ich früher mal, mittlerweile bin ich ein bisschen gelassener. Ich erkenne eine gewisse Struktur. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen keine Angebote kommen, oder in der es keine interessanten Drehbücher gibt. Besonders im Winter wird fast nichts gedreht. Da hat man sich früher auch immer verrückt gemacht, wenn man seit fünf Monaten keinen Film gedreht hat. Aber jetzt mache ich mich nicht mehr verrückt. Durch die Routine lernt man, dass das normal ist, als Filmschauspieler so lange Zeiten zu haben, wo man nichts macht.
erschienen am 23. August 2008
Zum Thema
Tom Schilling hat bereits eine steile Karriere gemacht. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungstars startete Schilling seine Ausbildung auf der Bühne. Als Zwölfjähriger erwarb er sich bei "Im Schlagschatten des Mondes" erste Schauspielerfahrung beim Berliner Ensemble. Weitere Bühnenrollen folgten. Mit "Crazy" kam 2000 auch der Durchbruch auf der Leinwand. In der Rolle des Jakob zeigt Schilling, dass er nicht nur ein großes Talent hat, sondern auch die nötige Leinwandpräsenz hat.
Den Anblick einer jungen Frau an der Seite eines deutlich älteren Mannes ist man gewohnt, nach einem solchen Paar dreht sich kaum einer um. Aber wie sieht es im umgekehrten Fall aus? Was, wenn eine Frau Mitte vierzig sich mit einem zwanzigjährigen Jüngling paart? Rund um diesen Konflikt baut Leander Haußmann seine Komödie auf und geht sehr spielerisch, beinahe märchenhaft mit dem Thema um.
2024