Shaxaf Haber/Pandora Film
Ari Folman (Regisseur von "The Congress")
Erste animierte Dokumentation
Interview: Ari Folman über Krieg und Tod
Der israelische Regisseur und Drehbuchautor Ari Folman sorgt mit seinem erschütterten animierten Dokumentation "Waltz with Bashir" seit Anfang des Jahres 2008 für Aufsehen. Nicht nur aufgrund des Inhalts, sondern auch wegen der außergewöhnlichen Art, eine Dokumentation als Animation zu realisieren. Warum er den Film als eine Art Therapie sieht und wie viel seines Erinnerungsvermögens tatsächlich zurückgekehrt ist, das erzählt uns der müde und etwas ausgelaugte Regisseur beim Gespräch in einem Münchener Hotel.
erschienen am 5. 11. 2008
Pandora Film
Waltz with Bashir
Ricore: Sie kommen gerade aus Paris, nicht wahr?

Ari Folman: Ja, und ich freue mich schon auf morgen, dann wird es nämlich etwas entspannter. Ich habe nämlich gerade einen Interviewmarathon hinter mir. Morgen findet dann in Paris die Premiere statt. Darauf freue ich mich schon.

Ricore: Sind Sie vor Premieren immer noch nervös?

Folman: Ich mache das nun schon seit mehr als einem Monat, also bin ich jetzt nicht mehr so nervös. Es wurde schon zur Normalität.

Ricore: Sie waren mit Ihrem Film auch in Cannes. Dort wurde er vom Publikum und den Kritikern gleichermaßen gut aufgenommen. Waren Sie überrascht, überwältigt?

Folman: Es war schon eine Überraschung, da wir den Film mit wenig Geld realisiert haben. Wir hatten eigentlich keine Ahnung, was wir da machten und welche Reaktionen der Film hervorrufen würde. Dann kamen wir nach Cannes, der weltgrößten Plattform, die ein Film haben kann. Nach dem Screening standen wir fast unter Schock, denn es gab nur großartige Reaktionen. Nach diesem wunderbaren Screening kann ein Film dennoch leben und sterben, das hängt immer vom jeweiligen Publikum ab.

Ricore: Wie viel hat der Film gekostet?

Folman: Zwei Millionen Dollar.
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Waltz with Bashir
Ricore: War das wenige Geld der Grund, das Projekt als Animation zu realisieren?

Folman: Nein, wir haben die Form der Animation gewählt, weil es keinen anderen Weg gegeben hätte, diese Geschichte zu verfilmen. Unser Film ist eine Mischung aus Drama und Dokumentation. Darin eingebettet sind Interviews, Tag- und Nachtträume, Halluzinationen und eigene Erfahrungen. Anders als mit Animationen hätten wir das nicht machen können.

Ricore: Es war also von Beginn an klar, dass es eine Animation werden würde?

Folman: Ja.

Ricore: Wie lange haben Sie recherchiert und wie lange brauchten Sie für die Interviews?

Folman: Das dauerte rund ein Jahr. Danach habe ich mit dem Drehbuch angefangen. Später kam das Sound-Studio. Dort wurden zuerst alle Charaktere aufgezeichnet und bearbeitet. Und so entwickelte sich alles. Insgesamt hat die gesamte Produktion vier Jahre gedauert.

Ricore: "Waltz with Bashir" ist eine Autobiografie…

Folman: Ja, es ist alles so geschehen, wie wir es beschrieben haben.
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Waltz with Bashir
Ricore: Kam Ihre Erinnerung während des Produktionsprozesses zurück?

Folman: Es ist keine verlorene Erinnerung im Sinne von Amnesie. Es ist vielmehr so. als hättest du eine Geschichte in deiner Vergangenheit und einige Fragmente daraus sind verloren gegangen.

Ricore: Haben Sie nun Ihr gesamten Erinnerungsvermögen wieder erlangt?

Folman: Nein, nicht das gesamte. Aber an den Großteil der Geschehnisse kann ich mich wieder erinnern.

Ricore: War der Film auch eine Art Therapie für Sie?

Folman: Ja, in gewisser Weise schon. Aber ich denke, jeder Film ist eine Art Therapie für den Filmemacher, speziell die autobiografischen Werke. Natürlich ist es Therapie, da man sich ja mit sich selbst beschäftigt und in sich rein hören muss.

Ricore: Nach Ihrer Militärzeit sind Sie sehr viel herumgereist. Das machen Sie auch jetzt. Ist auch das eine Art Therapie für Sie, um das Erlebte zu verarbeiten oder zu vergessen?

Folman: Eine gute Frage, aber im Moment reise ich zu viel, als dass es noch therapeutische Wirkung haben könnte. Ich reise bereits sechs Monate mit dem Film um die ganze Welt. Klar transportiert er eine große Botschaft, aber ich beginne erst jetzt, das alles zu realisieren. Ich habe meinen Terminkalender und richte mich danach, und manchmal, wenn ich Zeit habe, komme ich noch zum Nachdenken.
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Waltz With Bashir
Ricore: Glauben Sie, dass der Film etwas verändert?

Folman: Ich glaube, wenn junge Menschen den Film ansehen, könnte er durchaus bewirken, dass sie bestimmte Entscheidungen nicht treffen oder gerade deshalb treffen. Hoffentlich! Hoffentlich sagen sie, dass sie nicht in den Krieg ziehen wollen, oder diesen nicht mit tragen wollen. Hierzulande weiß man oft nicht viel über Krieg in Israel oder Palästina, und vielleicht bietet der Film ja auch die Möglichkeit, sich mehr mit den Fakten auseinander zu setzen und zu hinterfragen, was eigentlich geschehen ist.

Ricore: Warum haben Sie sich entschieden, das Ende des Films nicht zu animieren?

Folman: Ich dachte, wenn wir das Ende mit realen Bildern zeigen, würde der gesamte Film in rechtes Licht gerückt. Ich wollte vermeiden, dass das Publikum aus dem Kino herausgeht und sagt, "Wow, das ist ein wirklich cooler Animationsfilm mit guter Musik". Ich will den Menschen sagen, dass Tausende Menschen getötet wurden, Kinder, Frauen, alte, junge und hilflose Menschen.

Ricore: Auch Ihr nächster Film wird Animationen erhalten, nicht wahr?

Folman: Teils, teils. Mein nächster Film wird eine Adaption von Stanislaw Lems Science-Fiction-Roman "Solaris". 2002 gab es bereits eine Verfilmung von Steven Soderbergh. Meine Version wird allerdings ein wilder Science-Fiction-Spaß mit Realfilm- und Animationselementen.

Ricore: Es wird also eine Pause geben von Kriegsfilmen?

Folman: Ich habe einen gemacht, ich glaube das reicht. Ich muss das nicht noch mal durchmachen. Allerdings habe ich einen Kurzfilm über dieses Thema gemacht, im Jahr 1991, das ist aber eher eine ironische Komödie, ein lustiger Film.
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Waltz With Bashir
Ricore: Sie haben drei Kinder. Sehen Sie Ihre Familie oft?

Folman: Tatsächlich ist es so, dass ich noch heute nach Hause fahre, um sie zu sehen. Aber dann geht es gleich weiter zu den nächsten Festivals. Ich habe geplant, noch dieses Jahr nach Australien zu reisen, aber das ist definitiv zu weit und ich habe keine Zeit.

Ricore: So bekommt der Begriff "Heimat" eine neue Bedeutung für Sie?

Folman: Auf jeden Fall. Heimat sind für mich meine Kinder und die Liebe meiner Frau.

Ricore: Wie alt sind Ihre Kinder?

Folman: Sie sind fünf, drei und ein Jahr.

Ricore: Können Sie sich vorstellen, einen Kinderfilm zu machen?

Folman: Ich habe schon mal einen gemacht. Mein erster Spielfilm "Saint Clara" ist ein Teenagerfilm. Ich bin nicht sicher, ob er auch für Kinder ist, aber auf jeden Fall für Teenager. Das ist auch mein Lieblingsfilm.

Ricore: Sind Sie mit "Waltz with Bashir" nicht zufrieden?

Folman: Doch natürlich, aber jeder Film ist anders. Jeder wird irgendwann zu deinem Lieblingsfilm.

Ricore: Wann haben Sie das nächste Mal ein paar Tage frei?

Folman: Hmm…, ich glaube Sommer 2009.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. November 2008
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Als junger Mann erlebt Ari Folman hautnah den Ersten Libanon-Krieg. Er kämpft auf israelischer Seite und muss mit ansehen, wie die verbündete Phalange-Miliz grausame Massaker in zwei palästinensischen Flüchtlingslagern verübt. Jahrelang verdrängt er das Erlebnis, dreht Dokumentarfilme und eine Animationsserie fürs Fernsehen. 2004 vereint er seine Fähigkeiten im animierten Dokumentarfilm "Waltz with Bashir". Eine der Figuren ist er selbst, wie er sich auf die Suche nach den verschütteten..
Die Fertigung des animierten Dokumentarfilms war wie eine Therapie für Regisseur und Veteran Ari Folman. Er verarbeitet in comicartigen Bildern seine Erlebnisse während des Ersten Libanon-Feldzugs Israels. Initiiert wird das Projekt durch seinen Freund Boaz, der ihm seinen wiederkehrenden Albtraum schildert. Ari selbst kann sich kaum an diese Zeit erinnern. Um die Lücke zu schließen, begibt er sich auf eine schmerzliche Reise in die Vergangenheit.
2024