sperl+schott Filmproduktion
Hans Steinbichler
Hans Steinbichlers Psychodramen
Interview: Ein Schritt in die Helligkeit
Bisher bestach Regisseur Hans Steinbichler mit Psychodramen wie "Hierankl" oder "Winterreise", bei denen er stets das Drehbuch selbst verfasste. Warum er mit seinem neuesten Film "Die zweite Frau" einen Schritt aus dieser Dunkelheit wagt, erzählt er uns bei einem gemütlichen Gespräch in seiner Mittagspause. Auch hier ist es wieder ein Drama, allerdings stehen im Zentrum der Geschichte einfach gestrickte Figuren seines Drehbuchautors Robert Seethaler.
erschienen am 19. 11. 2008
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Szene aus "Die zweite Frau"
Filmreporter.de: Der Film beginnt mit einer etwas seltsamen Szene…

Hans Steinbichler: Ja, Mutter und Sohn sitzen beim Frühstück, er will sich hinausschleichen, aber sie sieht ihn in letzter Sekunde. Er sagt zu ihr: "Es ist die Krankenschwester geworden". Dann weiß man, dass sie vorher schon darüber gesprochen haben. Sie ist also involviert in seinen Plänen. Ich würde das so interpretieren, die Mutter lässt durchblicken, dass ihr Sohn etwas tun muss.

Filmreporter.de: Waren Sie selbst in Rumänien, um die Hochzeitsagentur ausfindig zu machen, an die sich die Hauptfigur wendet?

Steinbichler: In Rumänien sind Heiratsagenturen besonders stark vertreten. Ich habe mir da tatsächlich welche angesehen. Ich habe dort recherchiert um zu wissen, wie so etwas abläuft.

Filmreporter.de: War es schwierig, Ihre gesammelten Erfahrungen umzusetzen?

Steinbichler: Nein, es ist ja eine Geschichte, die sich stark auf die Figuren konzentriert. Ich war gar nicht so verpicht auf den Realitätssinn, sondern ich wollte die Figuren eins zu eins darstellen.
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Maria Popistasu
Filmreporter.de: Um Ihre Figuren mehr herauszuheben, haben Sie eine elliptische Erzählweise gewählt. Man ist sich nicht immer ganz sicher, was schon passiert ist…

Steinbichler: Ja, das stimmt. Aber das ist diese bestimmte Eigenheit und wenn beispielsweise Erwin sagt "meine Frau", dann bedeutet das auch, dass er langsam erwachsen geworden ist.

Filmreporter.de: Gut gefallen hat mir auch die Szene in der Wiese. Wie viele Windmaschinen wurden dafür verwendet?

Steinbichler: Was da passiert ist, ist unglaublich. Ich wollte natürlich Windmaschinen einsetzen. Aber dann gab es dieses Gewitter, wir waren alle auf unseren Positionen und haben gesagt "Jetzt!". Dann ging der Wind los. Es war wie eine Erscheinung. Es war unglaublich.

Filmreporter.de: Die Szene wirkt beinahe unreal…

Steinbichler: Es spielte so viel zusammen. Wir haben den Moment genutzt. Das war super.
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Hans Steinbichler und Matthias Brandt
Filmreporter.de: Gab es sonst Platz für Improvisation?

Steinbichler: Nur sehr wenig, es war alles relativ strikt. Aber da alle drei so kluge Schauspieler sind, haben wir schon teilweise etwas mit hineingenommen. Sie hatten oft tolle Ideen und diese auch angeboten, so kam es dann auch zu unseren Improvisationen. Zum Beispiel die Szene mit dem Wind. Wir haben vorher viel mit Matthias Brandt und Maria Popistasu darüber gesprochen, aber dann kam der Moment und sie sind hinein. Sie haben viel mehr Emotionen hineingepackt, als wir das eigentlich geplant haben, das war toll.

Filmreporter.de: Wie war die Zusammenarbeit mit Matthias Brandt? Er ist ja die zentrale Person des Films.

Steinbichler: Matthias ist jemand, der sich sehr in die Figuren hineinarbeitet und während des Drehens fast nicht mehr herauskommt. Er fühlt mit seiner Figur mit und verinnerlicht sie regelrecht. Das betrifft den Gang, die Gesten, den Blick, einfach alles. Wir nannten es Pinguin-Gang, da er mit seinen Latschen so dahin tappt. Das war sehr lustig, wir haben sehr viel gelacht.

Filmreporter.de: Das Drehbuch stammt ja nicht von Ihnen, sondern von Robert Seethaler. Das ist etwas außergewöhnlich…

Steinbichler: Ja, bei den meisten meiner Filme habe ich das Drehbuch selbst geschrieben. Man bekommt ja oft Bücher zugeschickt, die einem nicht wirklich gefallen. Hier war es so, dass ich das Buch bekommen habe und mir dachte, dass es für mich eine riesige Möglichkeit ist, einen Schritt in die Helligkeit zu tun. Meine ersten zwei Filme waren sehr düster und depressiv. Hier kann man auch mal lachen und weinen, auch das Ende ist eher offen. Es ist hier alles möglich.
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Regisseur Hans Steinbichler ("Die zweite Frau")
Filmreporter.de: Wollen Sie diesen ersten Schritt bei Ihren zukünftigen Filmen weitergehen?

Steinbichler: "Schritt in die Helligkeit" ist ein gutes Stichwort für mich, da ich ja nicht abonniert bin auf Psychodramen. Daher mochte ich auch die Figuren von Robert und habe sein Drehbuch gewählt. Die Figuren funktionierten sehr einfach, ohne große Psychoresonanz. Ich glaube nicht, dass Erwin frühkindliche Schädigungen oder einen ödipalen Komplex hatte. Aber es gibt einen Unterschied, ob man darüber reflektiert, so wie wir, die aus der Stadt kommen, oder ob man das lebt. Es ist halt mal so. Dieser Mann ist für mich kein gestörter Neurotiker, sondern er kam einfach nie dazu, richtig zu leben. Ich kenne solche Leute vom Land, die gibt es tatsächlich. Wo die Abspaltung einfach später von sich geht.

Filmreporter.de: Manche vertreten ja die Meinung, die Abspaltung gäbe es nie, denn Familie ist ja schließlich Familie. Können Sie sich noch an Ihre Abspaltung vom Elternhaus erinnern?

Steinbichler: Bei Jungs ist es manchmal sehr klar definiert. Als ich mein Jura-Studium angefangen habe, bin ich weg von zu Hause. Aber mich beschäftigt dieses Thema sehr, da ich mit meinem Zuhause sehr verbunden bin. Das ist meine Heimat. Ich gehe immer zurück. Für mich ist Heimat ein Schollending, der Ort, wo ich herkomme. Das hat mit meinem Herzen nicht viel zu tun. Mein Herz irrt umher, aber Heimat ist das, woher ich komme. Erwin ändert sich im Laufe des Films. Anfangs ist er festgehalten von ödipalen Kräften, aber diesen bietet er zum Schluss Einhalt, mit einer kleinen Geste. Und das finde ich sehr schön. Es hat zwar keine große Symbolik, zeigt aber immerhin, dass Erwin bereit ist, weg zu gehen, einen Schritt über sich hinaus zu machen. Bei mir ist es auch so. Ich habe diesen Schritt zwar in meinem Studium vollzogen, aber ich gehe immer wieder zurück und will dort auch sein.

Filmreporter.de: Die Verwurzelung mit der Heimat ist ja nicht zwangsläufig negativ…

Steinbichler: Im Gegenteil, für mich hat das etwas hoch Positives an sich. Ich glaube, die Welt wäre in einem viel besseren Zustand, wenn sich viele Leute darauf besinnen könnten und nicht aus ihrer Heimat, ihrem Zuhause weg müssten.

Filmreporter.de: Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 19. November 2008
Zum Thema
Mit seinem Erstlingswerk "Hierankl" schockierte der bayerische Regisseur Hans Steinbichler das Publikum. In der scheinbar heilen Welt innerhalb des Heimatfilms demaskiert er ein Netz aus Lügen und Intrigen, das eine Familie in den Abgrund stürzt. Ähnlich düster ging es mit "Winterreise" weiter. Erst mit seinem vierten Film wagt er sich an ein etwas heiteres Thema heran. Mit "Die zweite Frau" verfilmt er ein Drehbuch von Robert Seethaler. Das ist ungewöhnlich, denn bisher drehte Steinbichler..
Die zweite Frau (Kinofilm)
Erwin (Matthias Brandt) ist 40 Jahre alt, wohnt bei seiner Mutter (Monica Bleibtreu) in einer abgeschiedenen Tankstelle. Eine Frau an seiner Seite gibt es nicht. Als er beschließt, eben diese über eine rumänische Hochzeitsagentur zu finden, löst er, beziehungsweise seine zukünftige Frau Irina (Maria Popistasu) Unruhe aus. Ein ausgezeichnetes Schauspielensemble, passende Musik und Hans Steinbichlers Stil sorgen für gutes, klischeefreies deutsches Kino.
2024