Constantin Film
Regisseur Marcus H. Rosenmüller
Marcus H. Rosenmüller mit Lokalkolorit
Interview: "Der Moment der Lüge"
Der neue Film von Marcus H. Rosenmüller heißt "Die Perlmutterfarbe". Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Maria Jokl, in der sich ein Schuljunge in eine Lügengeschichte verstrickt. Auch diesmal bleibt Rosenmüller der bayerischen Kulisse treu. Im Interview erzählt er von den Dreharbeiten mit seinen jungen Darstellern und macht seinem Ärger über die deutschen Gesetze Luft.
erschienen am 10. 01. 2009
Constantin Film
Die Perlmutterfarbe
Ricore: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie zum ersten Mal den Roman "Die Perlmutterfarbe" von Anna Maria Jokl lasen?

Marcus H. Rosenmüller: Ich erinnere mich noch genau, was mich fasziniert hat. Das war der Moment der Lüge, wenn man merkt, dass Alexander den Zeitpunkt verpasst, die Wahrheit zu sagen. Das konnte ich nachvollziehen. Außerdem hat mir gefallen, dass es eine Bandengeschichte ist, wie bei "Der Krieg der Knöpfe".

Ricore: Mochten Sie "Krieg der Knöpfe"?

Rosenmüller: Ich habe "Krieg der Knöpfe" geliebt. Immer wenn der im Fernsehen lief, habe ich ihn angeschaut. Und so wollte ich schon immer eine Geschichte im Bandenmilieu erzählen.

Ricore: Autorin Anna Maria Jokl sagte, dass ihr Buch für Kinder und Erwachsene sei. Hatten Sie für den Film den gleichen Plan?

Rosenmüller: Wenn ich etwas lese oder sehe, das mir gefällt, überlege ich nicht, für wen das passen könnte. Ich denke immer, das passt für alle. Man darf das Kind in sich nicht verlieren. Ich gehe die Dinge mit einem kindlichen und kindischen Gemüt an.

Ricore: Immer oder nur speziell bei "Die Perlmutterfarbe"?

Rosenmüller: Immer. Schon bei "Wer früher stirbt, ist länger tot" und auch beim "Räuber Kneißl". Obwohl sich vielleicht Leute, die den Film ohne Kinder anschauen, fragen, wo die politische Aussage bleibt.
Constantin Film
Brigitte Hobmeier
Ricore: Meinen Sie?

Rosenmüller: Jedenfalls ist es wichtig, dass man die Freiheit hat, bei einer Geschichte mitzugehen und sich verführen zu lassen.

Ricore: "Die Perlmutterfarbe" ist kein unpolitischer Film…

Rosenmüller: Nein, ganz und gar nicht. Kinder können einfach in die Geschichte eintauchen und Erwachsene können den Inhalt dekodieren und das Politische dahinter verstehen. Kinder nehmen den Film vielleicht etwas anders wahr, aber dennoch spüren sie unterschwellig die politische Aussage. Auch wenn sie nicht wissen, wie die Zeit des Nationalsozialismus war.

Ricore: Zum Beispiel die Bücherverbrennungen?

Rosenmüller: Davon wissen die meisten Kinder nichts, aber sie spüren, dass es schlimm ist, Bücher zu verbrennen.

Ricore: Haben Sie diese ganze Symbolik deshalb nur unterschwellig in den Film einfließen lassen?

Rosenmüller: Ich muss keinen Film über den Nationalsozialismus machen, denn wie kann ich mir anmaßen zu erzählen, wie es damals war. Was ich mir aber sehr genau vorstellen kann ist, wie schnell man zum Mitläufer werden kann. Man muss doch ständig darüber reflektieren, ob man in der richtigen Gruppe ist und wie man andere bewertet. Es geht sehr viel um das Mitlaufen in der Gemeinschaft. Jeder denkt von sich, dass er alles richtig macht.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Marcus H. Rosenmüller
Ricore: Ihr Film sollte gewissermaßen zeitlos sein?

Rosenmüller: Ja. Einige Bezüge zu der damaligen Zeit habe ich gelassen, damit man erkennt, dass es sich um den Roman von Anna Maria Jokl handelt. Aber ich wollte auch einen aktuellen Bezug ermöglichen. Deswegen gibt es bei mir die Kitzelmaschine.

Ricore: Und den Papagei.

Rosenmüller: Im Film gibt es auf der einen Seite die Guten und die Bösen. Aber den Guten gehört die Kitzelmaschine, mit der sie aber genauso foltern. Der Papagei hat als Symbol nochmal eine andere Bedeutung.

Ricore: War es schwierig beim Schreiben, die neuen Dinge mit dem Buch zu verknüpfen und gleichzeitig auch die Vorstellungen der Produzenten zu erfüllen?

Rosenmüller: Ich habe versucht, zuerst die Kernaussage des Romans herauszuarbeiten. Es geht um Mitläufer. Ich wollte dem Buch nicht schaden, indem ich irgendetwas auf Effekt haschende Art erzähle, sondern hab das immer im Auge behalten. Dann überlegte ich, worum es mir geht und wie ich einen Bogen dazu schaffen kann. Zum Beispiel wollte ich von solchen Sehnsüchten wie mit der Cremeschnitte erzählen.

Ricore: Was noch?

Rosenmüller: Wegen dieser Perlmutterfarbe musste der Film auch unbedingt im Winter spielen, damit sich die Farbe in der Landschaft wiederspiegeln kann. Der Produzent war sehr stark in alles involviert und die Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert.
Constantin Film
Brigitte Hobmeier
Ricore: Hat er Sie nicht unter Druck gesetzt?

Rosenmüller: Robert Marciniak ist keiner, der einen unter Druck setzt. Sondern er arbeitet mit einem. Er macht Vorschläge und manchmal kann ich davon etwas umsetzen und manchmal eben nicht.

Ricore: In Sachen Schauspieler gibt es bei Ihrem neuen Film einige Veränderungen. Zum ersten Mal spielt keiner der Brückner-Brüder mit, dafür aber Josef Hader. Ist das Zukunft weisend?

Rosenmüller: Dass keiner von den Brückner-Brüdern mitspielt ist mit Sicherheit nicht zukunftweisend. Ich hoffe, ich werde noch viele Filme mit ihnen drehen. Ich bin ein großer Fan von Josef Hader und habe mich sehr über die Zusammenarbeit mit ihm gefreut. Seine Zusage hat mich sehr stolz gemacht.

Ricore: Wie war die Zusammenarbeit?

Rosenmüller: Er gibt der Rolle das Maximum, was ich mir vorgestellt habe. Es ist ja nur eine kleine Rolle, dafür aber super besetzt.

Ricore: Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Rosenmüller: Ich wollte jemand, der für die Rolle des Herrn Ametsbichler passt. Josef Haders Gesicht und seine Art passen einfach.

Ricore: Wie war es am Set mit den vielen Kindern. Deren Arbeitszeit darf ja fünf Stunden nicht überschreiten.

Rosenmüller: Mit den deutschen Gesetzen ist es wirklich schwierig, einen anständigen Kinderfilm zu drehen. Das hat mich und das Team vor große Herausforderungen gestellt. Vor allem die Produktionsleiter waren fast am verzweifeln. Dabei haben die Kinder wahnsinnig Spaß an der Sache. Das sollte differenzierter gehandhabt werden. In der Schule müssen sie ja auch teilweise acht Stunden langweiliges Zeug lernen. Beim Film machen sie spannende Erfahrungen.
Filmfest München 2008
Marcus H. Rosenmüller
Ricore: Hat das den Drehplan beeinträchtigt?

Rosenmüller: Es ist einfach schwierig, innerhalb von fünf Stunden etwas hinzukriegen. Allein schon wegen der Kostüme. Wir haben an der Grenze zu Österreich gedreht. Wären wir auf der anderen Seite der Salzach gewesen, wäre alles viel lockerer gegangen. Das hat mich schon gewurmt.

Ricore: Und abgesehen von den äußeren Umständen?

Rosenmüller: Die Arbeit mit den Kindern war toll. Wir hatten viel Spaß. Und natürlich waren für die Kinder auch Lehrer und Betreuer dabei. Die haben einen sehr guten Job gemacht.

Ricore: Muss man als Regisseur manchmal auch durchgreifen, dass es ein bisschen ernster am Set zugeht. Oder machen Sie das alles eher spielerisch?

Rosenmüller: Ich nehm die Kinder ernst. Deswegen behandele ich sie auch ernst. Zum Beispiel sage ich, wenn ich der Meinung bin, dass sie sich nicht ordentlich anstrengen und noch mal alles geben sollen, damit die Szene dann im Kasten ist.

Ricore: Im Sommer lief "Krabat", jetzt kommt "Tintenherz" in die Kinos. Gibt es gerade einen Trend bei Jugendbuchverfilmungen?

Rosenmüller: Das kann ich so nicht sagen. Mir fällt immer im Nachhinein auf, dass es ähnliche Filme gibt. Bei "Räuber Kneißl" gab es noch "Die Geschichte vom Brandner Kaspar" mit historischem Hintergrund. Da gibt es von meiner Seite aber kein Kalkül. Wenn mir ein Drehbuch gefällt, mache ich den Film, egal welche Filme sonst gerade gedreht werden.

Ricore: Ihre bisherigen Filme spielen alle in Bayern. Wie würde ein Film aussehen, der nicht dort gedreht wird?

Rosenmüller: Der würde genauso aussehen. Beim Setting nehme ich ja nicht urbayrische Landschaftsbilder, sondern ganz normale Orte. Da würde sich also nur die Sprache ändern. Der Dialekt macht die Geschichte nur authentischer.

Ricore: Wie sieht es mit "Beste Chance" aus? Wird die Fortsetzung von "Beste Gegend" und "Beste Zeit" bald gedreht?

Rosenmüller: Karin Michalke arbeitet noch am Drehbuch. Ich wollte aber, dass ein wenig Zeit vergeht, damit sich die Charaktere und die Schauspieler weiter entwickeln können. Ich weiß allerdings noch nicht, wann es mit den Dreharbeiten losgeht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.

Rosenmüller: Ich danke.
erschienen am 10. Januar 2009
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