Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Dominik Graf
Dominik Graf über München
Interview: "Eine Stadt muss hässlich sein"
Der Münchner Regisseur Dominik Graf offenbarte uns im Interview seine Liebe zu seiner Heimatstadt. Vielleicht mit ein Grund, warum er die Regie zum zweiten Teil der Fernsehreihe "Kommissar Süden und der Luftgitarrist" drehte. Eines seiner letzten Kino-Projekte war der Episoden-Film "Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation", bei dem er den Abschnitt "Der Weg, den wir nicht zusammen gehen" inszenierte.
erschienen am 22. 04. 2009
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Produzentin Caroline von Senden mit Regisseur Dominik Graf
Ricore: Wie frei waren Sie bei der Verfilmung dieser zweiten Folge von "Kommissar Süden", nachdem der erste Teil von Martin Enlen verfilmt wurde?

Dominik Graf: Wir haben uns mit Oliver Berben und Martin Enlen zusammengesetzt und uns überlegt, wie das Dezernat aufgebaut ist, wer wie besetzt werden soll. Wir besprachen auch, wie wir eine einheitliche Atmosphäre gestalten wollten. Wir wollten eine korrekte Literaturverfilmung umsetzen.

Ricore: Herr Berben meinte, es sei nicht das Ziel gewesen, eine korrekte Adaption des Romans zu leisten.

Graf: Das sehe ich anders. Auch habe ich Oliver Berben anders verstanden. Er sagte dies in Zusammenhang mit der Besetzung der Rolle des Kommissars Süden. Was meiner Meinung nach nicht austauschbar ist, ist die Atmosphäre, die Art der Dialogführung und jenes Gefühl von dem, was der Friedrich Ani als "Empathie" bezeichnete. Ich würde letzteres eher "Solidarität" nennen. Das alles muss bleiben, damit Süden als Person und Lebenswelt erhalten bleibt.

Ricore: Für Oliver Berben war es von Anfang an klar, dass Ulrich Noethen den Süden spielt. Haben Sie ihn auch von Anfang an gesehen?

Graf: Nein, beim Lesen nicht. Oliver Berben hat mich aber auch nicht von Anfang an damit beworfen. Er sagte, dass ich das lesen soll. Ich war sofort begeistert. Dann meinte er: "Jetzt sage ich Ihnen, wen ich im Kopf habe." Dann habe ich erst einmal geschluckt, weil ich mir den Hauptkommissar anders vorgestellt habe. Die Vorgehensweise des Süden, seine Methode, sich quasi durch Handauflegen den Personen zu nähern, all das konnte ich mir beim Uli vorstellen. Das gilt auch für den trockenen Humor und die Melancholie. Indem sich Uli äußerlich von der Romanfigur unterscheidet, haben Martin und ich uns bei der Gestaltung des Dezernats sehr an den Roman gehalten. Die Rolle des Kommissars Martin Heuer habe ich mir auch anders vorgestellt, doch durch diese Kombination kam das ganze wieder ins Gleichgewicht. Ich finde es interessant, wenn ein Produzent so klare Vorstellungen hat. Ich wollte nicht rumnörgeln, sondern wollte mir diese Vorstellung einverleiben.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Urmünchner Regisseur Dominik Graf
Großen Respekt voreinander
Ricore: Wie kreativ konnten Sie sein, nachdem Herr Berben so klare Vorgaben gab?

Graf: Er hat nur zur Besetzung Vorgaben gemacht und dazu, welchen Roman wir ins Auge fassen. Ich hätte auch sagen können, dass ich einen anderen Süden will. Das erste Drehbuch war von einem anderen Autor geschrieben worden. Der war nicht schlecht. Ich glaube aber, dass Romanautoren immer noch etwas zu ihren Figuren in Peto haben, dass sie noch nicht geschrieben haben. Daher fragte ich Ani selbst, ob er nicht das Drehbuch verfassen wolle. Einiges musste man für den Film im Vergleich zum Roman dramatisch verschärfen, wie die Tsunami-Handlung. Ich hörte, wie das echte Münchner Vermissten-Dezernat in diesem unglückseligen Januar 2005 arbeitete. Da dachte ich mir, dass man das doch einmal zeigen müsse. Angesichts dieses Unglücks kann man nicht von einem Triumpf des Vermissten-Dezernats sprechen. Diese Szene gibt es im Roman nicht.

Ricore: Hat Friedrich Ani stark eingegriffen?

Graf: Wir kennen uns schon lange, weil wir beide in München arbeiten und er viele Drehbücher schrieb. Irgendwann wollten wir beide zusammen arbeiten. Wir kamen aufeinander zu, gaben uns die Hand und hatten großen Respekt voreinander. So war auch die Zusammenarbeit. Auf Nachfragen von mir oder der Redaktion hat er mit einer Engelsgeduld am Drehbuch gefeilt.

Ricore: Wie geht es mit Ihnen und Tabor Süden weiter?

Graf: Das ist eine Frage der Zeit. Ich habe nicht nur gefragt, ich habe mich fast aufgedrängt mit der Aussage, dass ich gerne noch einen weiteren der verbleibenden acht Süden-Krimis verfilmen würde. Das ist eine Frage der Zeit, der Termine, der Verfügbarkeit aller, besonders jener der Schauspieler natürlich. Man muss sehen, ob man noch einmal zusammenkommt. Am besten wäre es, wenn wir noch sechs Stück machen würden, dann wären wir weg von der Straße und wüssten, was wir tun müssen.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Das Trio bestehend aus Dominik Graf, Friedrich Ani, Oliver Berben
Ricore: Sind Sie sehr kritisch sich selbst gegenüber?

Graf: Davon können Sie ausgehen.

Ricore: Wissen Sie nach dem Dreh, dass Sie gute Arbeit geleistet haben?

Graf: Nach dem Dreh weiß man meist nicht mehr, wo hinten und vorne ist. Wenn der Film zusammengesetzt ist, braucht man einem Abstand von zwei Jahren, bis man ihn mit einem anderen Blick ansehen kann. Dann kann man sehen, ob man das, was die anderen wollten, hinbekommen hat.

Ricore: Der Dreh hier in München muss Ihnen als Münchner gelegen gekommen sein. Das Dezernat liegt an der Donnersberger Brücke…

Graf: Da ist seit Jahren schon mein Lieblingstreffpunkt.

Ricore: Warum?

Graf: Da ist München am großstädtischsten. Dort befindet sich die meist befahrenste innerstädtische Autobahnbrücke Europas, soweit ich weiß. An diesem Punkt wird München ein Drehkreuz und hat eine Gewaltigkeit und Größe. Diesen Charakter unter der Brücke habe ich schon immer sehr geschätzt.
ZDF/Erika Hauri
Kommissar Süden und der Luftgitarrist
Finster, düster, kriminell?
Ricore: Es hat etwas finsteres, düsteres, sogar kriminelles…

Graf: Das empfindet Ihre Generation so. Für uns ist es ein Fluchtort vor der Nachkriegsgesellschaft, die einen ständig mit ihren Ordnungsvisionen verfolgt. Wir flohen dahin, auch wenn wir nicht kriminell waren. Diese Fluchtorte waren die attraktivsten in München. In solchen Unterführungen, Fußgängerzonen und Nebenbereichen habe ich oft gearbeitet. Daher ist es für mich auch schlimm, wenn diese Bereiche mit Sandstrahlgebläse ausgerottet werden sollen. Die Stadt will immer alles architektonisch aufräumen. Aber die Gesellschaft ist so geworden und viele fürchten sich vor solchen Ecken. Die wollen das am liebsten alles bepflanzen. Eine Stadt muss hässlich sein und hässliche Orte haben, denn nur da können sich Menschen vor der aufdringlichen Welt einer Großstadt verstecken.

Ricore: Ist "Kommissar Süden und der Luftgitarrist" ein Portrait über München?

Graf: Ich habe schon viele Portraits über München gemacht. Ein Film dreht sich nur über München, den habe ich allerdings in meiner Kindheit gedreht. Alle meine Krimis und Tatorte waren Portraits über München.

Ricore: Ihr Herz schlägt für München?

Graf: Absolut. Nachdem ich gerade vier Monte am Stück in Berline drehte, hatte ich von dieser Stadt die Schnauze voll. Es war so kalt dort.

Ricore: Warum?

Graf: Berlin macht genau das, was ich hoffe, dass es in München nicht so extrem passiert. Alle dunklen Ecken werden ausgeräuchert. Alles, was das alte West- oder Ost-Berlin ausmacht, muss weg. Es muss ein neues Hauptstadt-Berlin her, wo die großen Kisten durchfahren, wo Staatsgäste von A nach B fahren können, eine schreckliche Stadt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. April 2009
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Dominik Graf ist seit Mitte der 1970er Jahre im Film- und Fernsehgeschäft erfolgreich tätig. Neben Kinofilmen drehte er unter anderem mehrere Folgen für "Tatort", "Polizeiruf 110" und "Der Fahnder". Immer wieder tritt Graf in Nebenrollen eigener Filme auf.Robert Graf. 2008 drehte er eine Episode zum Kinofilm "Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation". 2013 dreht er das Familiendrama "Die geliebten Schwestern" mit Hannah Herzsprung in einer tragenden Rolle.Caroline Link ("Nirgendwo..
Die Hauptkommissare Tabor Süden (Ulrich Noethen) und Martin Heuer (Martin Feifel) arbeiten im Vermisstenbüro der Kripo München. Als eine Leiche gefunden wird, und bei ihr das Foto einer seit zehn Jahren vermissten Frau, führt sie die erste Spur nach Italien. Die neue ZDF-Krimiserie basiert auf den Romanvorlagen des Münchner Autors Friedrich Ani. Die Serie hebt sich vor allem durch das ungewöhnlich gemächliche Erzähltempo, die besondere Figurenkonstellation und die überzeugenden Hauptfiguren..
Im zweiten Fall der Münchner Kommissare Tabor Süden (Ulrich Noethen) und Martin Heuer (Martin Feifel) geht es um einen verschwundenen Luftgitarristen. Auch hier herrscht dieselbe Grundstimmung wie in "Das Geheimnis der Königin", trotz dem Regisseur- und Autorenwechsel. Das Skript schrieb Romanautor Friedrich Ani dieses Mal selbst. Das gemächliche Tempo aus dem ersten Teil wurde zwar beibehalten, wird allerdings - vielleicht aufgrund der menschlichen Gewohnheit - nicht mehr als so auffällig..
2024