Eiryan/Ricore Text
Christoph Maria Herbst mit seinen zwei Regisseuren Jesper Møller und Tony Loeser
Flucht in das Mullewapp-Universum
Interview: Animateure sind wahre Götter
Tony Loeser und Jesper Møller haben eine genaue Vorstellung davon, was sie als Regisseure von Kinderanimationsfilmen zu tun haben. Der größte Fehler ist, Kinder zu unterschätzen. Das größte Glück ist, bei Kinovorstellungen die Reaktionen ihrer kleinsten und schärfsten Kritiker zu beobachten. Stimmen diese mit ihren Vorstellungen überein, haben die Regisseure ihre Aufgabe erfüllt. Bei Helme Heines Bücher "Freunde" standen Loeser und Møller vor einer ganz besonders schwierigen Herausforderung. Denn schließlich wächst kaum ein Kind Deutschlands ohne die beliebten Kinderbücher des Schriftstellers auf. Mit "Mullewapp - Das große Kinoabenteuer der Freunde" starteten sie einen Versuch.
erschienen am 25. 07. 2009
Kinowelt Filmverleih
Mullewapp - Das große Kinoabenteuer der Freunde
Ricore: Herr Loeser und Herr Møller, Sie haben gemeinsam den Film gemacht. Gab es je Unstimmigkeiten zwischen Ihnen?

Tony Loeser: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Das ist schon so lange her.

Jesper Møller: Es gibt immer kreative Differenzen, wenn man gemeinsam an etwas arbeitet. Tony und ich hatten natürlich dieselbe Vision, aber unterschiedliche Arten, diese zu verwirklichen. Zwei Regisseure beinhalten natürlich auch zwei Geschmacksrichtungen. Wir hatten keine Streitigkeiten, aber kreative Diskussionen. Das ist für einen Film gut, denn daraus entstehen wieder neue Ideen.

Ricore: Sie haben das Mullewapp-Universum vorher nicht gekannt…

Møller: Nein, Helme Heines Kinderbuch "Freunde" ist in Dänemark nicht so bekannt. Aber dann hat mich Tony in diese Welt eingeführt, die mich sofort gepackt hat. Eine neue Welt hat sich für mich geöffnet. Ich habe auch gleich gemerkt, warum diese Bücher so erfolgreich waren.
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Regisseur Jesper Møller
Ricore: War es schwierig, mit jemanden zu arbeiten, der die Materie noch gar nicht kannte?

Loeser: Nein. Wir haben ihm zur Vorbereitung die Bücher und die Fernsehserie gezeigt, die wir früher schon mal gedreht haben. Er ist sofort darauf angesprungen. Wir haben uns auch seine Filme angeguckt und uns im Vorfeld viel unterhalten. Wir wollten herausfinden, ob wir dieselbe Sicht auf die Welt und denselben kreativen Ansatz haben. In einem solchen Prozess sind viele kreative Menschen beteiligt, das heißt natürlich unterschiedliche Meinungen und Ideen. Letztendlich ist es eine runde Sache geworden.

Ricore: Muss man als Regisseur eines Kinderfilms besonders viel Phantasie haben?

Møller: Ja. Man muss sich vor allem in die Köpfe der Kinder hineinversetzen können. Das erfordert zusätzlichen Aufwand. Denn es ist eine Sache, Kinder groß zuziehen und ihnen zu sagen, was sie zu tun haben. Eine andere Sache ist, herauszufinden, was Kinder wirklich interessiert, was ihnen gefällt. Es ist wichtig, die Phantasie der Kinder zu respektieren. Sie haben hohe Ansprüche, gerade was das Geschichtenerzählen betrifft. Das muss man erkennen und respektieren. Das kommt zuallererst, wenn man solche Filme macht. Ich finde daher schon, dass gute Kinderfilme schwerer zu machen sind, als beispielsweise Erwachsenenfilme.

Loeser: Ich stimme dem zu, was Jesper sagt, aber wir als Männer haben auch den Vorteil, dass wir immer Kinder bleiben. Daher fühlen wir uns in dieser Altersgruppe sehr wohl.

Møller: Genau!
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Tony Loeser auf der Münchner "Mullewapp"-Premiere
Ricore: In diesem Sinne: welches Tier in der Mullewapp-Welt wären Sie am liebsten?

Loeser: Das Fahrrad! Am liebsten? Das ist schwierig. Als Regisseur baut man zu jeder Figur eine Beziehung auf und versetzt sich in sie hinein. Jede Figur hat einen eigenen Lebenslauf. Aber so kurz nach dem Film ist dies schwer zu beantworten. Ich sympathisiere sehr mit Franz von Hahn. Waldemar hat wiederum viele Züge, die mir auch gefallen. Johnny Mauser und seine Probleme hingegen kann man gut verstehen.

Møller: Ich muss sagen, dass mir Johnny am besten gefällt. Ich denke auch, dass der Großteil des Publikums so denkt. Es ist einfach, sich mit ihm zu identifizieren. Als er zu Beginn des Films auftaucht, ist er bestürzt, weiß nicht genau, was er will und wohin er soll. Er ist alles andere als perfekt. Während des Films zeigt er dann aber menschliche Charakterzüge, mit denen wir uns identifizieren können. Er erkennt, was wirklich wichtig ist im Leben, wie Freundschaft.

Ricore: Haben Sie während des Produktionsprozesses Ihre Kinder um Meinung gefragt?

Møller: Sowohl Tony als auch ich sind schon lange im Bereich Kinderfilm tätig. Ich glaube, Tonys Kinder sind etwas älter als meine… (lacht)

Loeser: Das ist wahr.

Møller: Nicht viel, natürlich. Klar diskutiere ich einige Handlungspunkte mit meinen Kindern. Sie sagen mir dann ihre spezifische Meinung oder geben manchmal allgemeine Ansichten preis. Ich bin immer gespannt auf ihre Reaktionen. Denn dadurch können wir vielleicht einige Probleme im Skript ausmerzen. Wenn wir beispielsweise mit 600 Kindern in einem Kino sitzen und ihnen einen Film vorführen, sind wir auf ihre individuellen Reaktionen gespannt. Wir wollen natürlich, dass sie lachen oder traurig sind, dass sie uns ihre Gefühle zeigen.

Loeser: Wenn die Kinder jene Emotionen aufnehmen, die man sich vorgestellt hat, ist das toll für einen Regisseur. Man muss ja nicht immer lachen, sie können auch mal weinen. "Mullewapp" hat viele emotionale Facetten. Es gibt traurige oder spannungsgeladene Momente, vor allem zwischen den drei Freunden. Wie Jesper schon sagt, wir sind schon lange in diesem Metier und beobachten unsere Kinder: Was mögen sie, worüber lachen sie, womit kommen sie nicht klar. Das ist ein Prozess, den man als Elternteil miterlebt. Das versuchen wir natürlich auch im Filmprozess mitspielen zu lassen. Nicht überall. Aber jene Teile, die man für wichtig hält und die für die Dramatik eine Rolle spielen.
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Johnny Mauser trifft erstmals auf seine neuen Freunde
Ricore: Verlieren Sie nie den Überblick?

Loeser: Nun ja, ein Animationsfilm ist ein sehr komplizierter Prozess, der sehr kleinteilig ist. Ein einzelner, weder Kind noch Erwachsener, kann dies nicht immer durchschauen. Für uns, welche diese Prozesse zusammenhalten, ist es wichtig, die unterschiedlichen Reaktionen zu beobachten. Wir müssen ja schließlich wissen, ob die Geschichte funktioniert.

Møller: Unsere Ambition als Kinderfilm-Regisseure ist es, Kinder wie Erwachsene zu respektieren. Kinder sind oftmals sensibler als der Großteil der Erwachsenen. Wir haben bemerkt, dass Kinder manchmal viel mehr aufnehmen können. Wir versuchen dies natürlich einfließen zu lassen. Der Film soll gleichzeitig ein guter Unterhaltungsfilm sein, aber auch all jene Konfliktelemente enthalten, die im wahren Leben vorkommen. Denn damit können sich Kinder identifizieren.

Ricore: Ist das für Sie eine Möglichkeit, in eine Art von Phantasiewelt zu entfliehen?

Møller: Ich weiß nicht. Für mich ist das die reale Welt (lacht). Klar ist unser Film Phantasie, er ist animiert und es kommen Tiere vor. Aber auch ein Realfilm besteht aus Illusion. Gute Realfilme sollten die Wirklichkeit darstellen, auf unterhaltsame Art und Weise. Auch wenn solche Filme in Phantasiewelten spielen wie "Mullewapp", handeln sie dennoch über reale Dinge.

Ricore: Gefällt es Ihnen, in solche Welten einzutauchen?

Møller: Ich kann nur für mich sprechen, aber ich liebe es, solche Welten zu kreieren. Meine Phantasiewelt ist eine Kreation, die ich an andere abgebe und mich darüber freue, dass sie sich unterhalten. Ich sehe dies nicht als Flucht.

Loeser: Die Möglichkeit, eine solche Welt zu erschaffen, finde ich toll. Das macht Spaß. Man hat alles in der Hand, man kann von den Figuren, über die Geräusche bis hin zur Geschichte alles selbst erschaffen. Das ist phantastisch. Und das kann nur der Animationsfilm. Beim Realfilm bin ich angewiesen auf bestimmte reale Welten. Wir haben, ähnlich wie Gott, nichts vor uns, und schaffen eine Welt. Und das ist toll.

Møller: Nur, dass wir uns nicht am siebten Tag ausruhen (lacht).

Ricore: Vielen Dank für das tolle Schlusswort.
erschienen am 25. Juli 2009
Zum Thema
Johnny Mauser (Benno Fürmann) ist ein erfolgloser Schauspieler und wird von den Bewohnern des Mullewapp-Bauernhofs freudig aufgenommen. Nur der eingebildete Franz von Hahn (Christoph Maria Herbst) sträubt sich zunächst gegen den Eindringling. Die Kinoversion der beliebten "Mullewapp"-Bücher von Helme Heine erzählt die Entstehungsgeschichte einer lebenslangen Freundschaft zwischen Franz von Hahn, Schweinchen Waldemar und Johnny Mauser.
1953 in Manchester geboren, macht Tony Loeser erst eine Ausbildung zum Fotograf. Aber schon bald entdeckt er seine Vorliebe für die Welt der Animation, produziert mehrere Filme und arbeitet als Koregisseur. 1998 gründet er die Produktionsfirma MotionWorks GmbH. Bevor er 2009 seinen ersten Kinospielfilm "Mullewapp - Das große Kinoabenteuer der Freunde" inszeniert, sammelt er in Fernsehserien Erfahrungen mit Helme Heines "Mullewapp"-Universum.
Jesper Møllers ist in mehreren Bereichen aktiv. Er ist Animator, Storyboard- und Clean-up-Zeichner sowie Regisseur. Im Jahr 2006 inszenierte er mit "Asterix und die Wikinger" an der Seite von Stefan Fjeldmark seinen ersten Kinofilm.
2024