Neue Visionen
Katharina Schüttler in "Die Eisbombe"
"Ich mag Dinge, die mich fordern"
Interview: Katharina Schüttler liebt radikale Rollen
Die Rolle einer verlassenen Tochter, deren Mutter plötzlich verschwand und als RAF-Aktivistin in den Untergrund ging, war für Katharina Schüttler eine der anstrengendsten ihrer Karriere. Im Interview berichtet die gefeierte junge Schauspielerin über die Dreharbeiten mit Iris Berben zu "Es kommt der Tag", den Widerstand der 68er-Generation und das sinkende politische Engagement der heutigen Gesellschaft.
erschienen am 30. 09. 2009
Neue Visionen
Katharina Schüttler mit Gips
Ricore: Sie verkörpern in dem Film eine sehr radikale Person mit sehr viel Wut und viel Enttäuschung. Wie ging es Ihnen dabei?

Katharina Schüttler: Es war wahnsinnig anstrengend. Es war so anstrengend, weil diese Figur nie entspannt ist. Völlig absurd. Sie hat immer einen Stock im Rückgrat, ist immer auf Spannung. Sie ist immer wachsam, ist immer total gespannt. Sie hat so eine Grundspannung. Das ist total anstrengend. Sonst spielt man ja immer normale Menschen, die dann in brenzlige Situationen kommen. Aber im Grunde haben sie ja eine Entspannung wie du und ich. Dadurch, dass sie immer wie ein Tier auf der Lauer ist, war das total anstrengend. Es war auch anstrengend, diese Konzentration zu halten. Das ging so einher. Einerseits dieser mentale Fokus, den sie hat, aus dem heraus ja auch diese physische Haltung kommt, diese physische Grundspannung. Das hat dazu geführt, dass es kontraproduktiv war, in der Pause abzuschlaffen. Ich hab auch bei keinem Film so wenig mit Teamkollegen gescherzt oder Späße gemacht am Set. Auch Iris Berben und ich haben uns nicht sehr angenähert. Wir haben das immer benutzt. Wir konnten in der Pause nicht zusammen Tischtennis spielen und dann eine Szene drehen.

Ricore: Dann ging das fast schon in Richtung Method Acting?

Schüttler: Das weiß ich nicht genau. Vielleicht ist es ein Teil davon. Zumindest so, dass man gemerkt hat, man braucht gerade wahnsinnig viel Raum und Konzentration um überhaupt diese Spannung so zu halten. Man kann nicht von morgens um 7 bis abends um 9 konstant unter Spannung sein, sechs Wochen. Das ist ja absurd.
Zorro Film
Katharina Schüttler
Ricore: Sie haben eine Vorliebe für radikale Rollen. Was fasziniert Sie so an diesen außergewöhnlichen Figuren?

Schüttler: Am Schauspielern ist ja das Tolle, in Leben zu springen, Dinge zu tun und auszuloten. Je extremer, desto mehr passiert, desto mehr gibt's zu entdecken. Bei sich selbst, in einem Menschen, in einer Figur. Desto mehr hat man zu spielen, und desto abenteuerlicher und aufregender wird es. Das ist wahrscheinlich so wie ein Reisejournalist, der entweder nur Berichte über Süddeutschland macht oder aber der sagt, ich würde auch gerne mal nach Übersee.

Ricore: Dann sind Sie in dem Sinne eine Abenteurerin, eine Entdeckerin?

Schüttler: Ja, vielleicht. Ich weiß gar nicht, ob das so das passendste Bild ist, aber auf jeden Fall mag ich mich nicht ausruhen auf Dingen. Ich mag gerne Dinge, die mich fordern. Ich mag auch manchmal gerne, fast überfordert zu sein und an Grenzen zu kommen, weil das Gefühl so toll ist zu merken, dass man Grenzen auch überschreiten kann und verschieben kann. Und sich in Bereiche zu begeben, die unbekannt sind.

Ricore: Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie so eine Grenze überschritten haben und dann nicht mehr zurück konnten?

Schüttler: Nee, das gar nicht. Es ist eher so, dass sich Räume öffnen, die Möglichkeiten größer werden, oder das Verständnis von Dingen. Man kann es gar nicht so in Worte fassen.
Zorro Film
Katharina Schüttler
Ricore: Haben Sie sich im Vorfeld mit dem Thema der 68er Generation auseinander gesetzt?

Schüttler: Ja. Ich hab eh vorher schon viel gelesen gehabt. Ich wollte eher was kapieren über die gedankliche Struktur, wie das funktioniert hat. Davon ist viel in Alice drin, da setzt sich eigentlich was fort. Deswegen fand ich das unheimlich spannend. Ich habe von Gudrun Enßlin Briefe, die sie am Ende ihrem Bruder und ihrer Schwester geschrieben hat, gelesen. Aber auch von Kindern gelesen, die selbst ihre Eltern nicht mehr miterlebt haben, weil die entweder im Knast waren oder im Untergrund. Ich habe einen Dokumentarfilm über einen Terroristen gesehen, der lange im Untergrund war und jetzt in Frankreich lebt. Also schon relativ viel. Aber gar nicht, weil ich dachte, ich will die Geschichte von Judith verstehen, sondern ich will verstehen, mit was man als Kind konfrontiert war, mit was für Eltern.

Ricore: Können Sie den Satz verstehen oder nachvollziehen, den Judith im Film gesagt hat "Die heutige Generation macht es sich einfach, das zu verstehen"?

Schüttler: Klar macht man sich's einfach, wenn man etwas nicht aus dem Kontext der Zeit heraus sieht, sondern immer von seinem Standpunkt. Es war halt eine andere Zeit.

Ricore: Wie hätten Sie denn in der damaligen Zeit reagiert?

Schüttler: Gute Frage. Das weiß man ja auch nicht. Ich kann mir schon vorstellen, dass ich irgendwie sympathisiert hätte. Es war ja damals Mode.
Zorro Film
Katharina Schüttler
Ricore: Widerstand hat ja auch immer etwas Romantisch-Verklärtes.

Schüttler: Oder etwas Verpopptes. Es ist halt Mode. Wie eine neue Jacken, die schick ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie radikal ich dann gewesen wäre. Sowas hat auch oft mit Freunden zu tun, die man zufällig hat, Begegnungen, die sich zufällig ergeben. Daraus ergibt sich plötzlich sowas und man landet irgendwo, wo man sonst auf einem anderen Weg vielleicht nicht gelandet wäre. Was ich wirklich nicht nachvollziehen kann ist, dass jemand ein Leben in die Welt setzt und es verlässt. Egal wofür.

Ricore: Sie vertreten da also die Position ihrer Filmfigur Alice?

Schüttler: Ich finde das, was Judith gemacht hat, falsch. Und trotzdem stimmt es natürlich auch, wenn Judith sagt, wenn nicht Menschen politische Ideale und Ziele über ihr privates Glück gestellt hätten, wären wir heute noch in der Steinzeit. Man kann aber auch politisch kämpfen und kein Kind kriegen. Da hat Alice dann auch wieder Recht, die sagt, sich für Kinder in der Dritten Welt stark machen und die eigenen vor die Hunde gehen lassen. Im Moment glaube ich, wenn man ein Leben in die Welt setzt, hat man eine Verantwortung. Der muss man, finde ich, gerecht werden. Das tut man nicht, indem man seine dreijährige Tochter auf die Stirn küsst und sagt, schlaf gut, Süße, wir sehen uns morgen früh, und dann kommt man nie wieder. Das ist so schlimm, das find ich auch unvorstellbar. Da kann ich Alice sehr verstehen, dass das eine wahnsinnige Verletzung ist. Ein wahnsinniges Trauma. Und dann noch irgendwann zu kapieren, meine Mutter hat mich nicht verlassen, weil sie musste, oder weil sie jemand gezwungen hat, sondern sie wollte das.
Zorro Filmverleih
Es kommt der Tag
Ricore: Haben Sie das Gefühl, dass unsere Generation sich zu wenig damit auseinandersetzt, was 68 passiert ist?

Schüttler: Es wird ja gerade immer mehr. Man merkt ja, wie viele Filme gerade laufen. Ich bin selbst immer unsicher, weil es war ja auch wichtig, was da passiert ist. Man muss eher sehen, was ist daraus gewachsen oder wo stehen die heute? Wie vereinbar ist das mit der Gesellschaft, in der wir heute Leben? Oder vielleicht ist es auch so, dass man heute eigentlich viel mehr politisch Stellung beziehen müsste. Aber dazu muss man natürlich sagen, die Form von Politischsein, die die 68er hatten, hatte ein ganz klares Feindbild. Das war letzten Endes ja auch persönlich. Das hat ganz konkret mit den Elternhäusern zu tun, aus denen die kamen. Mit der Vergangenheit der Eltern, mit dieser ganzen post Dritte Reich Geschichte. Dass man da noch ganz andere Wände einreißen musste und noch Professoren hatte, die unter den Nazis auch schon Professoren waren. Im Grunde ist dann politisches Bewusstsein erwachsen, das ja eigentlich persönlich begründet war. Und das Feindbild war viel klarer. Ich glaube heute wäre es auch wahnsinnig wichtig, zu kapieren, was in der Welt ist und zu versuchen, da viel mehr zu tun.

Ricore: Sind Sie politisch aktiv?

Schüttler: Ich muss zu meiner Schande gestehen, gar nicht. Ich bin auch nicht zur Europawahl gegangen, da war ich krank. Als ich dann die Wahlergebnisse gelesen habe, hab ich mich so geschämt und gedacht, mann, das darf doch nicht sein. Aber das Feindbild ist halt viel schwieriger auszumachen. Man kapiert die Welt ja viel weniger. Diese globalisierte Welt, das ist viel weiter weg.

Ricore: Glaube Sie, dass der politische Film einen neuen Aufschwung erlebt, gerade jetzt?

Schüttler: Weiß ich nicht genau. Ich fände es auf jeden Fall spannend. Ich finde es richtig und wichtig, diesen Film so persönlich zu erzählen. Natürlich kann man ein Bombenattantat zeigen und wie man den Sprengstoff kauft, aber was hat das eigentlich mit dem Menschen gemacht, die Geschichte drumrum. Was heißt das für das konkrete Leben von den Menschen. Das finde ich wirklich spannend. Dass man plötzlich merkt, da ist so eine Frau bei der RAF und dann gibt's da so ein Kind. Was is dann mit dem. Wo diese Politik ins Leben fließt, ganz konkret und physisch, mit Emotionen und Gefühlen und Verletzungen. Ich glaube, dass man im Film etwas nur wirklich begreift, wenn es einen berührt. Wenn da was ausgelöst wird in irgendeiner Form und dann ein eigener Denkprozess angeht.

Ricore: Welche Themen berühren Sie denn sonst noch so stark emotional?

Schüttler: Das hab ich mich noch nie gefragt. Es gibt ja auch so viel, von dem man nichts weiß. Das ist ja auch das Tolle an dem Beruf, dass man in Welten taucht, in Leben, in Welten, in Möglichkeiten, in Biografien, in ausgedachte, aber mögliche Biografien und merkt, wie viel es eigentlich gibt. Aber es gibt nichts Konkretes.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. September 2009
Zum Thema
Schon im Kindesalter sammelt Katharina Schüttler erste Erfahrungen bei Film und Fernsehen. Da liegt es nahe, nach dem Schulabschluss auf eine Schauspielschule zu gehen. 2002 macht sie in "Sophiiiie!" auf sich aufmerksam und erhält auf dem Filmfest München eine Auszeichnung als beste Nachwuchsschauspielerin. Seitdem ist sie regelmäßig in TV- und Kinofilmen, aber auch weiter auf Theaterbühnen zu sehen, wo sie am liebsten anspruchsvolle Rollen übernimmt.
Was ist wichtiger? Das Wohl des Einzelnen oder das der Gesellschaft? Judith (Iris Berben) traf ihre Entscheidung vor rund 30 Jahren. Nun holt sie die Vergangenheit ein. Regisseurin Susanne Schneider entwirft in ihrem Regiedebüt ein beeindruckendes Portrait zweier Frauen, die nicht nur der Generationenkonflikt trennt. "Es kommt der Tag" mutet wie ein Kammerspiel an, vor allem dank der großartigen Darbietung von Iris Berben und Katharina Schüttler.
2024