Zorro Film
Susanne Schneider
Wenn die Chemie stimmt
Interview: Susanne Schneider auf Konflikt-Kurs
Die Dreharbeiten zu "Es kommt der Tag" waren für Regisseurin Susanne Schneider kein Zuckerschlecken, doch sie liebt es, an ihre Grenzen zu gehen. In Iris Berben und Katharina Schüttler hat sie für ihren zweiten Kinofilm zwei Gleichgesinnte gefunden. Mit großer Freude erzählt sie im Interview von den anstrengenden Dreharbeiten, dem Manko an politischen Filmen in Deutschland und ihren eigenen Erfahrungen als Zeitzeugin der 1968er Generation.
erschienen am 29. 09. 2009
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Es kommt der Tag
Ricore: Sie machen es dem Zuschauer nicht einfach, Partei für eine Person zu ergreifen…

Susanne Schneider: Das war die Absicht (lacht).

Ricore: Haben Sie das beim Drehbuchschreiben auch so strikt getrennt und die Distanz zu den Figuren gewahrt? Oder haben Sie für eine Figur mehr Sympathie empfunden als für eine andere?

Schneider: Ich habe versucht mich in beide reinzuversetzen, nicht die Distanz sondern eher die Nähe zu suchen. Was die Figuren bewegt so zu handeln wie sie handeln. In dem Moment, wo man einer Figur Recht gibt, ist im Grunde die Geschichte zu Ende. Es geht genau um dieses Dilemma, was ist richtig und was ist falsch. Und da müssen beide Recht haben. Ich kann die Argumentation von beiden Figuren nachvollziehen.

Ricore: Wenn Sie sich aber trotzdem entscheiden müssten?

Schneider: Das könnte ich nicht. Das wäre mir wirklich unmöglich.

Ricore: Können Sie sagen, wie Sie damals gehandelt hätten?

Schneider: Das ist lustig, dass Sie das fragen. Ich bin ja aus dieser Generation. Das war damals so eine Standardfrage, was würdest du tun, wenn's jetzt an der Türe klingeln würde? Eine Zeit lang war völlig klar, man würde die rein lassen. Dann ist das natürlich gebröselt, je weiter die Geschichte vorwärts ging, und dann wollte man einfach nichts mehr damit zu tun haben. Ich sympathisiere schon sehr damit, dass man seine Ideale, wenn man welche hat, ernst nimmt. Es ist nichts zu haben für nichts. Sonst ist es einfach bequem, was wir ja heute alle sind. Ich hab keine Kinder, deswegen kann ich mir nicht vorstellen, was das bedeutet, sein Kind wegzugeben. Aber da wäre für mich glaube ich eine Grenze erreicht gewesen, wo ich gesagt hätte, das kann ich nicht mehr. Auch wenn es darum ging, Leute zu gefährden, Leben zu gefährden.
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Jacques Frantz im Familiendrama "Es kommt der Tag"
Ricore: Wenn Sie sagen, heute sind die Menschen eher bequem. Ist das eher ein Problem oder ist das eine Art Aufarbeitung von dem, was im Laufe der Jahre so passiert ist?

Schneider: Beides wahrscheinlich. Die Instrumentarien sich zur Wehr zu setzen oder sich politisch zu äußern sind auf eine Art natürlich verbraucht. Das war damals noch nicht so. Man hat wirklich gedacht, wenn man dies und jenes macht, wenn man auf die Straße geht, oder wenn man mal ein Kaufhaus abfackelt, kann man wirklich was verändern. Dann tut sich was. Es ist ja auch nicht so, dass ich dadurch nichts getan hätte. Es hat sich ja ziemlich viel verändert im Laufe der Bewegung. Aber ich hab wirklich Verständnis, wenn die jungen Leute heute sagen, was soll das, warum sollen wir auf die Straße gehen, das interessiert ja doch keinen. Weil das die Erfahrung ist, die man gemacht hat.

Ricore: Aber ist es nicht auch ein Problem, dass sich die jungen Leute so distanzieren und gar nicht mehr politisch sind?

Schneider: Absolut, ja! Witziger Weise war das mit ein Ausgangspunkt für den Film. Dass ich wirklich dachte, wie gucken die Generationen aufeinander? Meine Generation sagt, Kinder, kriegt ihr euren Arsch nicht hoch? Warum rührt ihr euch nicht? Und die heute so 20-, 30-Jährigen sagen, ja was soll das? Wir gucken, dass wir irgendwie durchkommen, und das so gut wie möglich. Weil das, was ihr gemacht habt, bringt ja auch nichts.

Ricore: Was sollte Ihrer Meinung nach diese Generation der 20-, 30-Jährigen mehr machen?

Schneider: Bewusster sein. Zum Beispiel beim Abbau von Bürgerrechten, was wir heute als komplett selbstverständlich hinnehmen. Kein Mensch regt sich mehr drüber auf. Da würd ich mir schon wünschen, dass sich da mehr regt. Dass andere Willensäußerungen und Meinungsäußerungen kommen.
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Katharina Schüttler
Ricore: Also ganz im Gegensatz zu dem, wofür die 68er-Generation gekämpft hat, für mehr Bürgerrechte, mehr Freiheit, ist es heute wieder umgekehrt?

Schneider: Ja genau. Das ist wirklich so gekommen.

Ricore: Sind Sie politisch?

Schneider: Ich bin politisch im Sinne, dass ich mich für bestimmte Dinge engagiere. Man konnte in der Zeit nicht nicht-politisiert werden, das ging überhaupt gar nicht. Aber ich bin nicht in einer Partei. Ich unterstütze Greenpeace und Amnesty und versuche mich zu beteiligen. Meine letzte politische Aktion war bei der ersten Kandidatur von Gesine Schwan rundzuschreiben und alle Abgeordneten zu bombardieren, dass sie die wählen. Das war nicht sehr erfolgreich, wie Sie wissen (lacht)

Ricore: Das hat Sie aber hoffentlich nicht abgeschreckt, weiterhin aktiv zu sein?

Schneider: Nein. Aber wie gesagt, ich bin nicht aktivistisch. Wobei, so einen Film zu machen, das ist die Ecke, wo ich das dann versuche.

Ricore: Gerade im letzten Jahr sind viele Filme ins Kino gekommen, die versucht haben, diese Generation aufzuarbeiten. Ihr Film ist ja auch der Versuch, die Schuld einer Person aufzuarbeiten. Sehen Sie das als Fortschritt oder ist das eher ein Versuch, noch etwas für die Jugend von heute zu tun?

Schneider: Ich denke schon, dass man nochmal versuchen könnte Verständnis zu wecken, ein Interesse zu wecken für das, was da passiert ist. Es gibt einen Satz in dem Film, der mir sehr wichtig ist: "Es ist so verdammt einfach, die Dinge von ihrem Ende her zu betrachten". Und das ist es auch. Was anscheinend der Dutschke-Film von Stefan Krohmer sehr gut macht, dass man die Anfänge begreift. Da finde ich schon wichtig, was hat die Leute überhaupt dazu getrieben? Das hat mit einem historischen Bewusstsein zu tun. Kein Mensch unter 50 weiß heute, was es bedeutet hat, in der Adenauer-Ära zu leben. Wie diese Republik ausgesehen hat. Ich finde es wichtig, in einem Kontinuum zu denken und die Dinge daraus zu bewerten.
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Iris Berben
Ricore: Glauben Sie, dass politische Filme auf dem Vormarsch sind?

Schneider: Ich würd es mir sehr wünschen, ja.

Ricore: Also gibt es Ihrer Meinung nach zu wenige?

Schneider: Viel zu wenige, speziell in Deutschland.

Ricore: Nicht nur was die 68er Generation betrifft, sondern auch den Zweiten Weltkrieg?

Schneider: Beim Zweiten Weltkrieg würde ich Ihnen jetzt nicht zustimmen, weil da gibt's ein reichhaltiges Angebot. Aber überhaupt politische Filme, die sich auch mit der Gegenwart beschäftigen.

Ricore: Was gibt es in Deutschland sonst für Themen, die noch der Aufarbeitung bedürfen?

Schneider: Ich finde, wahnsinnig wichtige Themen sind innere Sicherheit und Korruption in der Politik. Alles, was mit Ökologie zu tun hat, finde ich wahnsinnig wichtig. Dass man darüber einfach mehr erzählt. Natürlich auch die ganzen Ost-West-Geschichten, diese ganzen Verstrickungen. Was da für Verwerfungen passiert sind, politisch und persönlich. Das sind unglaublich spannende Themen.

Ricore: Können Sie sich vorstellen, auch in dieser Richtung weiter zu arbeiten?

Schneider: Ja, schon. Vielleicht nicht in der Strenge. "Es kommt der Tag" ist ein sehr strenger Film mit einer ganz klaren Fokussierung auf dieses Thema. Jetzt zieht's mich grad zu anderen Ufern hin. Aber ich könnte mir schwer vorstellen, einen rein privaten Film zu machen.
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Iris Berben
Ricore: Was wäre privat für Sie?

Schneider: Zum Beispiel "Alle Anderen". Ohne das zu werten, aber das könnte ich mir grad ganz schwer vorstellen. Dazu finde ich passiert gerade viel zu viel. Zum Beispiel Hans-Christian Schmid "Der Sturm". Das sind Filme, wo ich denke, davon braucht es wirklich mehr.

Ricore: Was wären die anderen Ufer, wo es Sie gerade hinzieht?

Schneider: Bisschen verträumtere Sachen, die aber schon sehr mit Menschen zu tun haben. Aber schon auch bisschen spielerisch.

Ricore: Frau Berben und Frau Schüttler sind im Film sehr aggressiv und angespannt. Hat man das bei den Dreharbeiten gespürt?

Schneider: Ja, das hat man gespürt. Das hat das Team gespürt. Die beiden konnten sich nicht auslassen. Es gibt einen Punkt, da kommt man mit Spielen drüber, aber das ist nicht gegangen. Die mussten immer total in die Vollen gehen.

Ricore: Für Sie als Regisseurin ist das doch sicher Kräfte zehrend?

Schneider: Nein, ich liebe das.

Ricore: Sie lieben es, an ihre Grenzen zu gehen?

Schneider: Ich liebe das über die Maßen (lacht).
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Katharina Schüttler
Ricore: Was genau fasziniert Sie daran? Ist es nicht einfacher, einen einfachen Film zu drehen?

Schneider: Das weiß ich nicht. Es ist ja erst mein zweiter, und beim ersten war's auch nicht gerade harmlos. Das hat was mit meiner Sozialisation zu tun. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, da wurden Konflikte ausgetragen. Dann war's aber auch gut. Mir liegt es einfach mehr als diese Sublimationskultur, wo die Leute schweigen und wo das immer umschifft wird. Ich mag es mehr, wenn die Leute in den Ring steigen und zur Sache gehen.

Ricore: Dann kann man sich bei ihrem nächsten Film auch auf Konflikte gefasst machen, obwohl er eher träumerisch ist?

Schneider: Ja, natürlich. Auf jeden Fall. Film ohne Drama finde ich toll, wenn ich das sehe. Das bewundere ich sehr. Aber ich könnt's gar nicht.

Ricore: Wie haben Sie eigentlich Frau Berben kennen gelernt?

Schneider: Wir haben uns getroffen und über das Buch gesprochen. Ich hab sie gefragt, ob sie bereit wäre zum Casting zu kommen, was ja nach ihrer langen beruflichen Laufbahn auch nicht selbstverständlich ist. Das hat sie Gott sei Dank gemacht. Und dann ist das gleich supergut abgegangen mit den beiden, mit Katharina Schüttler und ihr. Aber es war ihr klar, das fand ich ganz toll und sehr professionell, weil ich gesagt hab, ich muss bei so einer Sache sehen, ob die Chemie stimmt, ob das geht mit diesen beiden Figuren. Das muss einfach vorher ausgearbeitet sein.
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Iris Berben
Ricore: Wenn die Chemie nicht gestimmt hätte, was hätten Sie dann gemacht?

Schneider: Dann wär's nicht gegangen.

Ricore: Hätten Sie dann nach anderen Schauspielern gesucht?

Schneider: Das hab ich ja. Bei Iris Berben kam wirklich alles zusammen. Die Schauspielerin mit ihrer Biografie, mit dem, was sie da rein geworfen hat, da hat einfach alles gestimmt.

Ricore: Sie haben sie ja quasi ungeschminkt in den Film gehen lassen. War das ein Problem?

Schneider: Gar nicht.

Ricore: Warum haben Sie sich entschieden, kein Make-Up einzusetzen?

Schneider: Weil die Frau in einer ganz einfachen Umgebung lebt. Das waren eh keine Frauen, die sich groß à la vogue geschminkt haben. Das war einfach kein Thema. Und es ist eine Frau, die körperlich arbeiten muss, die ist handfest. Am Anfang gibt es eine Sequenz, wo man sie arbeiten sieht. Es wäre völlig grotesk, da jemanden hinzustellen mit perfektem Make-Up. Das würde überhaupt nicht passen. Die Leute müssen schwer arbeiten, deswegen war das völlig klar.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 29. September 2009
Zum Thema
Die gebürtige Stuttgarterin studiert Kunst, bevor sie als Regie-Assistentin am Theater Fuß fasst. Auch das Schreiben wurde für Susanne Schneider zur Leidenschaft. Für ihr erstes Drehbuch "Fremde, liebe Fremde" wurde sie 1992 unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Fernsehfilme folgten, bei denen sie ebenfalls erste Regie-Erfahrungen sammelte. Mit "Es kommt der Tag" lieferte sie 2009 ihr Kinodebüt.
Was ist wichtiger? Das Wohl des Einzelnen oder das der Gesellschaft? Judith (Iris Berben) traf ihre Entscheidung vor rund 30 Jahren. Nun holt sie die Vergangenheit ein. Regisseurin Susanne Schneider entwirft in ihrem Regiedebüt ein beeindruckendes Portrait zweier Frauen, die nicht nur der Generationenkonflikt trennt. "Es kommt der Tag" mutet wie ein Kammerspiel an, vor allem dank der großartigen Darbietung von Iris Berben und Katharina Schüttler.
2024