Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Tom Schilling
Spaß an zerrissenen Figuren
Interview: Tom Schilling mag's abgründig
Tom Schilling hat seine Schauspielkarriere einem Zufall zu verdanken. Als Zwölfjähriger wird er von einem Theaterregisseur auf dem Schulhof entdeckt. Ein Glücksfall, wie sich in den folgenden Jahren zeigt. Mit 18 hat er in dem Jugend-Drama "Crazy" seinen Durchbruch auf der großen Leinwand. Seitdem überzeugt der junge Darsteller immer wieder in schwierigen Rollen. Das ist auch in "Eisfieber" nach Ken Folletts Roman der Fall. Wir sprachen mit Schilling über seine Rolle, seine Vaterschaft und seine Darstellung des jungen Adolf Hitlers.
erschienen am 27. 01. 2010
ZDF/Graeme Hunter
Heiner Lauterbach und Kollege Tom Schilling in Ken Folletts "Eisfieber"
Ricore: Was hat Sie an Ihrer Figur in "Eisfieber" besonders gereizt?

Tom Schilling: Der Konflikt der Figur wird im Film eigentlich nicht erzählt. Die Verhaltensweise des Charakters muss auf den also Zuschauer einigermaßen befremdlich wirken. Insofern reizte mich eher die Vorgeschichte. Ich fragte mich: "Was kann dazu führen, dass jemand so seine Familie verrät und zu einer Judas-Figur wird?" Auch das Handeln der Figur interessierte mich. Es macht Spaß, diese zerrissenen, abgründigen Figuren zu spielen.

Ricore: War die Vorgeschichte der Figur im Drehbuch angelegt?

Schilling: Es wird erzählt, dass er spielsüchtig ist und sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Aber man musste sich überlegen, was in der Vergangenheit dazu geführt hat. Für mich ähnelt der Charakter in seiner Struktur einem jungen Amokläufer, der eine gewisse Demütigung oder Zurückweisung erfahren hat. Dabei staut sich so viel Frust auf, dass sich ab einem gewissen Punkt eine Allmachtsfantasie entwickelt, die einen zu solchen Taten befähigt.

Ricore: Können Sie es nachvollziehen, wenn junge Menschen Amok laufen?

Schilling: Natürlich. Ich denke, niemand wird zum Amokläufer geboren. Da kommen viele Faktoren zusammen. Oft fehlt ein soziales Netz, diese jungen Leute werden zurückgewiesen. Sie ziehen sich dann zurück und entwickeln im Kopf ihren ganz eigenen Rachefeldzug, den sie in ihrer Isolation dann irgendwann aus einem Realitätsverlust heraus ausleben. Das ist sehr traurig. Es ist ein kompliziertes Thema, bei dem die Schuldfrage nicht einfach zu klären ist. Als Schauspieler muss ich es natürlich nachvollziehen können. Mein Charakter ist zwar kein Amokläufer, aber es gibt ähnliche Strukturen. Daher muss ich ihn verstehen, um ihn spielen zu können.

Ricore: Können Sie sich mit der Unsicherheit Ihres Charakters identifizieren?

Schilling: Unsicherheit entsteht immer wieder. In meinem Beruf resultiert sie daraus, dass man ständig bewertet wird. Man kann nicht aus sich allein heraus arbeiten oder kreativ werden, denn man ist auch immer darauf angewiesen, dass die Leute einem die Möglichkeit dazu geben. Da gibt es dann Monate, in denen man sich besser und Monate, in denen man sich schlechter fühlt. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Die meiste Zeit oszilliert es zwischen diesen zwei Polen. Für den Schauspielberuf ist es charakteristisch, dass man sich extrem geliebt fühlt oder eben nicht.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Tom Schilling
Ricore: Wie gehen Sie mit den Phasen um, in denen Sie sich nicht geliebt fühlen?

Schilling: Mal so, mal so. Manchmal lässt man sich in seiner Depression etwas gehen und genießt sie sogar. Manchmal macht sie keinen Spaß. Dann versucht man sich mit anderen Dingen abzulenken. Es hängt von der Tagesform ab.

Ricore: Was war das für ein Gefühl, als Sie Ihren Durchbruch mit "Crazy" hatten?

Schilling: Die Erfolgswelle kam in meiner Spätpubertät. Ich dachte damals, mir kann keiner mehr was. Ich hatte gezeigt, dass ich den Beruf ansatzweise beherrsche. Von dieser Welle kommt man aber auch relativ schnell wieder runter.

Ricore: Hatte der Erfolg auch Nachteile?

Schilling: Ich glaube nicht, dass es ein Nachteil ist, aber damals hat es sich so angefühlt, als diese Begeisterung langsam verebbte. Es ist klar, dass man so ein Level nicht halten kann. Man ist ja nicht ewig die neue Entdeckung. Wenn es dann darum geht, sich zu etablieren und beständig Qualität abzuliefern, ist es in den ersten Monaten und Jahren nach so einem Hype erst mal schwierig, wieder Fuß zu fassen. Aber diese Erdung ist natürlich auch wichtig, um diesen Beruf zu verstehen und mit den beiden Polen gut umgehen zu können. Wenn es gut läuft, bedeutet das nicht, dass man der Allercoolste ist. Man ist aber auch nicht gleich verloren oder der letzte Arsch, wenn es mal nicht so gut läuft. Es geht immer weiter, wie in jedem anderen Beruf auch.

Ricore: Wie ist Ihr Leben als Vater mit dem Schauspielberuf zu vereinbaren?

Schilling: Auch das funktioniert. Mit Vorbereitung und Dreh bin ich etwa die Hälfte eines Jahres beschäftigt und in der anderen Hälfte bin ich da. Wenn ich nicht anwesend bin, ist das natürlich schade für meinen Sohn. Dafür versuche ich ihm viel zurückzugeben und mich intensiv um ihn zu kümmern, wenn ich zu Hause bin.
Constantin Film
Der sensible Albrecht (Tom Schilling)
Ricore: Wie hat die Vaterschaft generell Ihr Leben verändert?

Schilling: Ich geh nicht mehr so oft aus. Ich kann es mir nicht mehr erlauben, die Abende oder das ganze Wochenende in irgendwelchen Clubs zu verbringen, weil ich früh morgens aufstehen muss. Wenn man sich am Abend gehen lässt, spürt man das am nächsten Tag viel deutlicher in den Knochen, als wenn man bis mittags schlafen und sich dann den ganzen Tag ausruhen kann. Es geht dabei um Verantwortung. Da ist nun jemand in meinem Leben, der voll und ganz auf mich zählt. Das ist aber auch keine Schwierigkeit. Ich glaube, wir sind dazu gemacht, Kinder zu bekommen, Verantwortung zu tragen und seine Kinder so gut wie möglich auf das Leben vorzubereiten. Insofern ist es keine Anstrengung.

Ricore: Vermissen Sie dennoch die Freiheiten, die Sie vorher hatten?

Schilling: Das Ausgehen, Feiern und sich abschießen vermisse ich nicht so. Wenn man sehr jung Vater wird, ist es manchmal schwierig, dass die Freunde keine Kinder haben. Das Leben in meinem Freundeskreis hat nun nicht mehr so viel mit dem Leben zu tun, das ich jetzt habe. Manchmal wünschte ich, ich wäre freier und könnte abends einfach zum Essen ausgehen. Es muss aber immer jemand zu Hause sein. Das vermisse ich: die Flexibilität, die man braucht, um Freundschaften zu pflegen.

Ricore: Zurück zum Film: Kannten Sie die Buchvorlage von Ken Follett, als Sie die Rolle annahmen?

Schilling: Ich habe Sie während des Filmens gelesen.

Ricore: Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung?

Schilling: Ich finde, der Film ist gelungen. Er ist handwerklich gut gemacht und funktioniert als Genre-Film. Es ist ordentlich gemachte Fernsehunterhaltung.

Ricore: Was halten Sie generell von deutschen TV-Produktionen?

Schilling: Es gibt da immer wieder Großprojekte, die sich mit geschichtlichen Ereignissen befassen, wie "Die Flut" oder "Dresden". Die interessieren mich eigentlich nicht so richtig. Ich schaue nicht so viel Fernsehen. Aber ich glaube, es ist ganz gut gemacht. Den Zuschauern scheint es ja zu gefallen.

Ricore: Was für Bücher lesen Sie?

Schilling: Ganz unterschiedliche Sachen. Meistens lese ich die großen Meister. Es gibt nur wenige zeitgenössische Schriftsteller, die ich lese und von denen auch nur die Perlen. Es gibt ja so viel gute Literatur, da kann man alles in seinem Leben gar nicht lesen. Insofern konzentriere ich mich da auf die Klassiker. An modernen Sachen lese ich zum Beispiel Michel Houellebecq. Neulich habe ich auch "Die Straße" von Cormac McCarthy gelesen. Ansonsten mag ich Autoren wie Dostojewski oder Hermann Hesse.
ZDF/Graeme Hunter
Tom Schilling in Ken Folletts "Eisfieber"
Ricore: Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Rollen aus?

Schilling: Die Rolle muss irgendein Geheimnis oder einen Konflikt haben. Als Schauspieler gibt es eigentlich nur ein Problem, wenn man keine Idee zu einer Rolle hat und sie nicht greifen kann. Irgendwelche Extreme oder einen besonderen Aspekt muss es in der Rolle immer geben. Davon abgesehen ist das ganze Paket wichtig: wer Regie führt, wer mitspielt und das Drehbuch an sich.

Ricore: Eine schwierige Rolle ist die des jungen Adolf Hitler. Was hat Sie daran besonders gereizt?

Schilling: Zunächst einmal ist diese Rolle eine große Herausforderung. Sie ist mit sehr vielen Erwartungen verknüpft. Wichtig ist, dass die Rolle einen Erkenntnisgewinn bringt, denn keiner will einen weiteren Hitler-Film sehen, der einem nichts Neues erzählt. Ausschlaggebend waren in diesem Fall auch das Drehbuch und die Vorlage von George Tabori, die davon erzählt, wie Hitler zu dem wird, was er letztlich geworden ist. Sie spielt in Wien zu einer sehr spannenden Zeit, die Hitler sehr geprägt hat. Die Einflüsse, die er da mitbekommen hat, waren maßgeblich für seine Politik, wenn man es so nennen will.

Ricore: Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Schilling: Da ist die Liste der Literatur zu dem Thema natürlich endlos. Ich habe mich auf die wesentlichen Biographien beschränkt, beispielsweise auf die von Ian Kershaw. Ich habe mir auch Bildmaterial angeschaut und an der Sprache gearbeitet.

Ricore: Denken Sie, dass die Rolle in Deutschland Kontroversen auslösen wird?

Schilling: Ja.

Ricore: Inwiefern?

Schilling: Das bleibt abzuwarten. Jeder Film über Hitler hat bislang Kontroversen ausgelöst. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Ricore: Was halten Sie von diesen Kontroversen?

Schilling: Ich finde es richtig, dass darüber diskutiert wird. Auch wenn man nicht zu der damaligen Generation gehörte, ist es ein Thema, das mit unserer Identität zu tun hat. Die Auseinandersetzung damit finde ich richtig und wichtig. Und was kann man sich besseres für einen Film wünschen, als dass er so hitzig diskutiert wird? Bei Hitler stellt sich immer wieder die Frage, wie man ihn darstellen soll. Darf man ihn vermenschlichen, wie in "Der Untergang"? Darf man ihn karikieren? Das sind spannende Themen.
Delphi Filmverleih
Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe
Ricore: Welchen Ansatz wählten Sie bei der Interpretation der Figur?

Schilling: Egal, ob man satirisch oder realitätsnah arbeitet, man muss immer die Beweggründe einer Figur verstehen. Dann macht es auch keinen Unterschied, ob man einen fiktiven Charakter oder den größten Massenmörder der Geschichte spielt. Alles, was ich in dem Film mache, muss ich in dem Moment, in dem ich es tue, nachvollziehen können. Insofern war es ein sehr figurennaher Zugang, zu verstehen, woher der ganze Hass kommt, die Ablehnung einer ganzen Volksgruppe und die psychopathische Führer-Struktur in der Figur. Das erfährt man auch aus den Biographien und spielte eine Rolle, als ich den Film machte. Taboris Vorlage ist natürlich sehr überhöht, aber im Kern werden genau die Mechanismen beschrieben, die ihn zu dem gemacht haben. Die Satire kommt eher durch die Überhöhung des Drehbuchs.

Ricore: Glauben Sie, dass die Rolle Ihrer Karriere schaden könnte, wenn sie bei der Kritik durchfällt?

Schilling: Es ist nicht "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs", sondern im Prinzip ein Theaterfilm, da die Vorlage ja auch ein Bühnenstück ist. Ich glaube nicht, dass der Film eine so große Aufmerksamkeit kriegen wird wie "Der Untergang". Deshalb glaube ich auch nicht, dass die Rolle so an mir kleben wird. Sie besitzt nicht so eine naturalistische Herangehensweise, wie bei Bruno Ganz, der dir Figur brillant gespielt hat. Ihm hat die Rolle auch nicht geschadet, wobei ich mich mit ihm auch gar nicht vergleichen will, da unser Film wohl in einem viel kleineren Rahmen in die Kinos kommen wird. Es wird bloß eine von vielen Rollen sein, die ich spiele.

Ricore: Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Schilling: Ich nehme Kritik sehr ernst und lese sie manchmal leider zu gewissenhaft. Eine positive Kritik nimmt man natürlich immer gut auf, doch eine schlechte zieht einen runter. Am Ende des Tages gehört es aber zum Beruf dazu und man muss lernen, damit umzugehen. Ich versuche einfach, die Kritiken nicht zu ernst zu nehmen und nicht zu nah an mich heranzulassen.

Ricore: Sie wurden mit zwölf Jahren auf dem Schulhof entdeckt, kamen also eher zufällig zur Schauspielerei...

Schilling: Meine Mutter war der Meinung, dass ich ein gewisses Talent für die Schauspielerei haben könnte. So hatte ich schon vor dieser Entdeckung eine Filmerfahrung gemacht. Als ich sechs war, hatte ich in der ehemaligen DDR in einem Film mitgespielt. Vielleicht war das der Grund, dass ich dann in der siebten Klasse die Einladung des Theaterregisseurs angenommen habe und zum Berliner Ensemble gegangen bin. Das war im Prinzip der Anfang meiner schauspielerischen Laufbahn.

Ricore: Wie wäre Ihr Leben wohl verlaufen, wenn Sie an dem Tag nicht entdeckt worden wären?

Schilling: Bis ich 16 oder 17 war, wollte ich immer Malerei studieren. Das wäre der Plan gewesen, den ich wahrscheinlich auch umgesetzt hätte. Ich hatte bis dahin viel gemalt und war, glaube ich, auch ganz gut. Da hätte ich mich wohl wiedergefunden. Wahrscheinlich hätte ich in Leipzig Malerei studiert und würde jetzt für 500.000 Euro Bilder verkaufen. (lacht)

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 27. Januar 2010
Zum Thema
Tom Schilling hat bereits eine steile Karriere gemacht. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungstars startete Schilling seine Ausbildung auf der Bühne. Als Zwölfjähriger erwarb er sich bei "Im Schlagschatten des Mondes" erste Schauspielerfahrung beim Berliner Ensemble. Weitere Bühnenrollen folgten. Mit "Crazy" kam 2000 auch der Durchbruch auf der Leinwand. In der Rolle des Jakob zeigt Schilling, dass er nicht nur ein großes Talent hat, sondern auch die nötige Leinwandpräsenz hat.
Eisfieber (Kinofilm)
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