Constantin Film
Karoline Herfurth in "vincent will meer"
"Magersucht ist Gesellschaftskrankheit"
Interview: Körperbewusst: Karoline Herfurth
Karoline Herfurth hat sich in kurzer Zeit zu einer gefragten Kinodarstellerin entwickelt. Schon als 16-jährige gab sie ihr Leinwanddebüt neben Robert Stadlober in "Crazy". Inzwischen hat sie sich durch Werke wie "Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders" und "Im Winter ein Jahr" einen Namen als Charakterdarstellerin gemacht. In ihrem aktuellen Drama "vincent will meer" überzeugt sie in der schwierigen Rolle einer Magersüchtigen. Im Gespräch verrät uns Herfurth, ob sie für die Rolle hungern musste und was sie von Körperidealen hält.
erschienen am 22. 04. 2010
Constantin Film
Karoline Herfurth in "vincent will meer"
Ricore: In "vincent will meer" haben Sie eine magersüchtige Frau gespielt. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?

Karoline Herfurth: Ich habe das Drehbuch gelesen und das hat mich so beeindruckt, dass ich Teil der Geschichte sein wollte.

Ricore: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet, vor allem auch in körperlicher Hinsicht?

Herfurth: Ich habe versucht, während der Dreharbeiten auf Kohlenhydrate zu verzichten, um etwas knochiger zu wirken. Aber irgendwie ist da was schief gelaufen und ich habe sogar drei Kilogramm zugenommen. Aber zum Glück kann man im Film tricksen, mit Licht und Maske und so. Ich war am Ende richtig geschockt, wie mager ich im Film rüberkam. Und dann gibt es da noch eine Szene, in der man den Rücken sieht. Aber das hat ein Double gespielt. So dünn bin ich nicht.

Ricore: Haben sie sich mit dem Thema Magersucht in besonderer Weise auseinandergesetzt?

Herfurth: Ja, ich habe mich mit einer Psychologin unterhalten, die mich auch darüber aufgeklärt hat, wie individuell Magersucht als Krankheit ist, welche psychologischen Prozesse sich in der kranken Person entwickeln, was für verschiedene Strukturen es geben kann. Nach und nach bin ich dann in meine Rolle eingetaucht. Ich muss aber sagen, dass ich schon eine Art Selbstschutz hatte. Der Respekt vor einer solchen Krankheit hat mein Unterbewusstes eine Art Mauer aufbauen lassen, so dass mir lange Zeit der richtige Zugang zu der Rolle gefehlt hat. Nach einer Ausstellung von Alberto Giacometti in New York ist mir das dann leichter gefallen. Klingt komisch, ist aber so. Die von ihm inszenierten, mageren Figuren haben es mir ermöglicht, besser in die Welt der Magersüchtigen einzutauchen. Wenn man künstlerische Epochen mit dem Hintergedanken durchforstet, welche Beziehung man zu seinem eigenen Körper hat, ist das wirklich spannend. Ich habe mich dort dann richtig auf die Suche begeben, habe nach Bildern gesucht. Diejenigen, die für mich eine Aussage hatten, habe ich fotografiert und ausgedruckt und dann an die entsprechenden Stellen im Drehbuch geklebt. Dadurch war die emotionale Assoziation da.

Ricore: Können Sie sich jetzt, nach dem Film, besser in die Figur hineinversetzen, es eher nachvollziehen?

Herfurth: Ich glaube schon. Obwohl ich zwar kein Experte bin, kann ich das durchaus. Dennoch finde ich es unglaublich traurig, dass jemand so reagiert und sich dann nicht anders zu helfen weiß, als sich regelrecht zu vernichten. Man sieht es ja auch im Film. Als Marie mit Frau Dr. Rose spricht, erkennt man, dass es sich um eine extrem komplizierte Krankheit handelt. Die Betroffenen sind meist sehr klug und haben einen starken Willen, gerade deshalb zählt diese Krankheit auch zu denen, die am schwersten zu therapieren sind.
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Karoline Herfurth in "vincent will meer"
Ricore: Welche Rolle spielen die Medien in Bezug auf die Magersucht?

Herfurth: Magersucht ist auf jeden Fall eine Gesellschaftskrankheit. Ich glaube, dass die Art und Weise, wie Weiblichkeit und das Frauenbild in der Öffentlichkeit inszeniert werden, für alle Frauen problematisch ist. Wahrscheinlich trifft das mittlerweile auch auf viele Männer zu. Der Körper spielt heutzutage eine so wichtige Rolle, dass es sehr schwer ist, sich von solchen Idealen freizumachen. Die Gesellschaft ist total körperfixiert. Es ist ja normal, immer auf seine Figur zu achten. Was mir aber Sorgen macht, ist die Veränderung der körperlichen Silhouette in den Köpfen der Menschen. Es ist alles vorgegeben, man hat immer alle Stellen seines Körpers im Blick. Das ist doch verrückt, dass man alles, was eigentlich normal ist, als zu viel empfindet. Auf der Berlinale habe ich einen Film gesehen, in dem es um Fellini geht, der dem gut entgegen wirkt: "Nine". In dem Film gibt es eine Szene, in der eine italienische Frau von kleinen Jungen besucht wird, die ihnen die Weiblichkeit zeigt. Nach dem Film ärgert man sich schon fast, dass man selber nicht die Veranlagung zu so einer italienischen Vollfrau hat.

Ricore: Ist der Druck für junge Schauspieler besonders hoch, dem geltenden Schönheitsideal zu entsprechen?

Herfurth: Ich glaube, er ist nicht größer, als bei jeder anderen Frau auch. Ehrlich gesagt, habe ich darüber auch noch nicht nachgedacht. Ich glaube, momentan befinde ich mich noch im Luxus der Jugend, ich weiß nicht, wie es wird, wenn ich mal 40 bin. Ich mache mir hinsichtlich der vielen tollen Frauen im Film, die mir alle ein Vorbild sind, aber keinen so großen Kopf. Die spielen auch tolle Rollen, trotz ihres Alters. Julianne Moore und Annette Benning in "The Kids Are All Right" spielen zum Beispiel tolle Rollen.

Ricore: Durch "Der Vorleser" haben Sie Hollywoodluft geschnuppert. Wäre es interessant für Sie, weiter in diese Richtung zu gehen?

Herfurth: Wenn Hollywood mich interessant findet, dann finde ich es auch interessant. [lacht] Es ist natürlich eine Stätte mit vielen interessanten Menschen, Stoffen, Filmen und Rollen. Es ist aber vermutlich nicht so einfach für jemanden, der nicht akzentfrei Englisch spricht, dort Fuß zu fassen. Ich arbeite jetzt nicht gezielt daran, in Hollywood unterzukommen. Wenn sich mir allerdings die Möglichkeit bietet, eine Rolle zu spielen, würde ich diese natürlich auf keinen Fall ausschlagen.
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Karoline Herfurth in "Im Winter ein Jahr"
Ricore: Wie gehen Sie damit um, wenn Sie von Kritikern als "Retterin des deutschen Kinos" bezeichnet werden? Wächst das Selbstanspruch?

Herfurth: Ich will immer das Beste aus den Figuren machen, die ich spiele. Dennoch empfinde ich es natürlich als riesiges Kompliment, obwohl ich glaube, dass wir eine Menge großartiger Schauspielerinnen haben, viele auch in meinem Alter. Ich finde, wir tragen alle zum Erfolg des deutschen Films bei.

Ricore: Ihre letzten Rollen waren immer sehr zerbrechliche Charaktere. Fühlen Sie sich von solchen Rollen angezogen?

Herfurth: Vielleicht ist das die erste Assoziation, die andere haben, wenn sie mich sehen und mich dann für solche Rollen besetzen. Ich glaube, jeder Mensch weist eine gewisse Zerbrechlichkeit auf. Mir fällt wirklich keiner ein, bei dem das nicht der Fall ist. Überlegen wir mal...

Ricore: Jackie Chan wirkt nicht sehr verletzlich in seinen Filmen...

Herfurth: Das ist natürlich ein anderes Genre. Ich hätte natürlich große Lust mehr Genre-Filme zu machen, aber die werden hier nicht so oft produziert. Wenn man allerdings bei Dramen und Melodramen bleibt, dann ist die Verletzlichkeit automatisch vorhanden. Vielleicht sollte ich auch mal ein paar Ausflüge in andere Genres machen.

Ricore: Wie zerbrechlich sind sie persönlich?

Herfurth: Die Zerbrechlichkeit wird mit dem Alter geringer. Das ist zumindest meine Erfahrung. Man wird immer mehr für sich selbst verantwortlich, kann sich seine Wünsche selbst erfüllen. Eine Schlüsselerfahrung, die ich gemacht habe, drehte sich um Cornflakes. Als ich von zu Hause ausgezogen war, freute ich mich unheimlich darüber, mir endlich die Cornflakes kaufen zu können, die ich wollte. Ich glaube, wenn man nett zu sich selbst ist, kann man Dinge, die einem weh tun, viel besser abfangen. Und je mehr man sich selber verleugnet, desto verletzlicher wird man. Zu lernen, sich selbst nicht zu verletzen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben im Leben. Daran arbeite ich sehr hart.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. April 2010
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Vincent (Florian David Fitz) leidet am Tourette-Syndrom. Seine Mutter ist kürzlich verstorben. Sein Vater (Heino Ferch) konzentriert sich auf seine Karriere. Er ist es, der Vincent in eine Klinik einweist. Vincent freundet sich mit Marie (Karoline Herfurth) an. Die beiden schmieden einen Plan. Kurz darauf befinden sie sich im Fluchtauto gen Süden - zu dritt. "vincent will meer" ist Florian David Fitz ' Drehbuchdebüt. Ihm gelingt in Kombination mit Regisseur Ralf Huettner ein beschwingtes,..
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