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Heino Ferch in "Meine schöne Bescherung"
Wenn das Tragische komisch wird
Interview: Heino Ferch kann auch böse
Heino Ferch zählt zu den bekannten deutschen Filmschauspielern. Fernsehproduktionen wie "Der Tunnel", "Das Wunder von Lengede" und "Krupp - Eine deutsche Familie machten ihn dem breiten Publikum bekannt. Seine Vielseitigkeit bescherte ihm ein großes Rollenspektrum. In "vincent will meer" spielt Ferch einen unangenehmen Lokalpolitiker, der unfähig ist, seinem am Tourette-Syndrom leidenden Sohn Vincent das nötige Verständnis entgegenzubringen. Wir sprachen mit Heino über psychische Erkrankungen, die Tücken des Ruhms und seine Leidenschaft, den Polosport.
erschienen am 23. 04. 2010
Constantin Film
Heino Ferch in "vincent will meer"
Ricore: Wie kamen Sie zu Ihrer Rolle in "vincent will meer"?

Heino Ferch: Es fing damit an, dass die Olga Produktion mir das Buch schickte. Ich habe mit Olga schon gearbeitet und verfolge interessiert deren Arbeit.

Ricore: Es ist das Drehbuchdebüt von Florian David Fitz.

Ferch: Ich habe das Buch gelesen und mochte es. Ich fand die Mischung von Tragik und Komödie im Buch sehr ausgewogen. Regisseur Ralf Huettner und seine Filme kannte ich auch. Wir haben allerdings noch nie davor miteinander gearbeitet.

Ricore: "vincent will meer" rückt Menschen am Rande der Gesellschaft in unser Blickfeld. Kommt der Film zur rechten Zeit?

Ferch: In erster Linie soll der Film unterhalten. Er soll Menschen dazu bringen, nach der Arbeit noch ins Kino zu gehen. Wenn der Film anspruchsvoll ist, ist das umso besser.

Ricore: Psychische Krankheiten wie das Tourette-Syndrom werden im Film nicht verharmlost. Trotzdem erlaubt "vincent will meer" einen humorvollen Umgang mit dem Thema.

Ferch: Klar, es ist auch lustig. Für die Betroffenen ist es aber furchtbar, weil sie nicht wissen, wie sie durch das Leben gehen sollen, ohne ständig beobachtet zu werden.

Ricore: Es wird sehr anschaulich beschrieben, wie sich Tourette anfühlt. Wir Zuschauer können uns dennoch nicht vorstellen, was er wirklich durchmacht.

Ferch: Die Situation, in die Florian Fitz Vincent hineingestellt hat, in Kombination mit einer Bulimiekranken und einem Zwangsneurotiker, ist eine gute Basis, der Dramaturgie genug Humor hinzuzugeben. Was da aufeinander kracht! Das ist genau die richtige Mischung von einem Lachen, das einem im Hals stecken bleibt. Komödiantik hat nach meinem Geschmack immer etwas mit Tragik zu tun - und umgekehrt.
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Heino Ferch in "Meine schöne Bescherung"
Ricore: Wie sollte eine Gesellschaft mit psychisch Kranken umgehen?

Ferch: Am besten sind sie wahrscheinlich in der Familie aufgehoben, wenn eine funktionierende Familie da ist. Abgesehen davon, kann es mit professioneller Hilfe eine Linderung der Krankheit geben, aber Tourette ist ja nicht heilbar. Man kann nur versuchen, das Leben so zu gestalten, dass die Tics seltener auftreten.

Ricore: Gibt es in ihrem Bekanntenkreis seelisch Erkrankte?

Ferch: Nein, nicht in extremer Form. Ich kenne jemanden mit Depression.

Ricore: Es gibt ein Zitat aus einem Hollywoodfilm: 'Die Gesellschaft braucht eine Gruppe von Menschen, die sie als geisteskrank abstempeln und abschieben kann, um sich gesund und sicher zu fühlen'.

Ferch: Um sagen zu können "So sind wir nicht"? Kann sein. Das sind wohl kluge Leute, die das analysiert haben.

Ricore: Haben Sie sich für ihre Rolle als Lokalpolitiker an realen Personen orientiert?

Ferch: Ja, das habe ich.

Ricore: Darf ich fragen, an wem?

Ferch: Sie dürfen. Ich sage es aber nicht. Es gibt jemanden, mit dem ich zufällig im Flugzeug von München nach Berlin saß. Das war knapp vor Beginn der Dreharbeiten. Er saß zwei Reihen vor mir in angenehmen Abstand.
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vincent will meer
Ricore: Sind Sie politisch? Für welche Politik stehen Sie?

Ferch: Ich bin politisch interessiert. Ich stehe für die Mitte und für eine realistische Politik, nicht für die Extreme.

Ricore: Sie haben bewiesen, dass Sie ein vielseitiger Schauspieler sind. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

Ferch: Ich bekomme Drehbücher. Zu meinem Glück sind eine Menge dabei, die mich interessieren. Ich muss nach dem Lesen der Bücher das Gefühl haben, dass es etwas Besonderes ist. Wenn ich das Buch mehrmals lesen oder ich überzeugt werden muss, steckt der Wurm drinnen. Ich bin schon sehr privilegiert, mir Rollen aussuchen zu können.

Ricore: Sie mussten sich diesen Luxus verdienen.

Ferch: Wenn es gut läuft und ich meinen Job gut mache, wenn mich das Publikum mag und ich eine gewisse Präsenz besitze, wenn ich authentisch bin, dann funktioniert das schon. Es gehört aber viel Glück dazu, dass man gemocht wird und die Leute mich sehen wollen.

Ricore: Haben Sie während den Dreharbeiten das Publikum vor Augen?

Ferch: Nein. Ich konzentriere mich darauf, meine Figur nicht zu überzeichnen und mich auf einem Level zu halten, wo ich zwar Gas gebe aber auch glaubhaft bleibe. Sonst lehnt sich der Zuschauer zurück und die Nummer ist in der Schublade. Wenn ich an das Buch glaube und der Film gut gemacht ist, wenn wir eine tolle Kamera haben und der Regisseur ein gutes Näschen dafür hat, wie er das Schiff in den richtigen Hafen fährt, dann kann ich diese Rolle nur so authentisch und glaubhaft wie möglich spielen. Das ist das Einzige, woran ich denke.

Ricore: Werden Sie noch nervös?

Ferch: Bei Dreharbeiten werde ich vor großen Szenen nervös. Es gibt Szenen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie umsetze.
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Heino Ferch ist vielseitig. Hier in "Meine schöne Bescherung"
Ricore: Und außerhalb der Dreharbeiten?

Ferch: Ich schaue mir die Filme immer vor der Premiere an, damit ich weiß, was auf mich zukommt. Und wenn ich ausgebuht werde, kann ich auch nichts dafür. Dann hat der Film eben nicht gefallen. Das will ich natürlich nicht. Ich lese auch nicht gern, dass meine Rolle fehlbesetzt ist.

Ricore: Wie hat sich im Laufe der Zeit Ihre Leidenschaft für ihren Beruf gewandelt?

Ferch: Es hat sich natürlich verändert. Vor 25 Jahren wusste ich nicht einmal, ob mich überhaupt jemand interessant findet. Als Student mit Anfängerengagement wollen alle alles. Da weiß man noch nicht, wo es einen hintreibt oder wie die Fresse sich entwickelt, um es salopp zu sagen. Wird man gleich am Anfang in eine Schublade gesteckt und hat man die Kraft, da wieder herauszukommen? Es ist wichtig, sich ein Stück von sich wegzubewegen. Kinder sind das Beste, was einem Schauspieler passieren kann. Es geht dann nicht mehr um Dich selbst. Das ist das Allerbeste in solch einem ichbezogenen Beruf.

Ricore: Sind Sie kollegial oder ein Einzelgänger?

Ferch: Ich glaube schon, dass ich kollegial bin. Ich denke aber auch, dass mein Einzelgängertum sehr ausgeprägt ist. Ich hatte das Glück, viele Hauptrollen gespielt zu haben. Da war ich gefordert, die Gruppe zu ziehen. Ich sage immer "Der Held ist ein Held, weil er die Geschichte zusammenhält". Da kristallisiert sich dann ein Gefühl dafür heraus, wie ich mich mit der Geschichte zusammenhalte, damit die Arbeit funktioniert. Aber machen wir uns nichts vor. Film ist Teamarbeit. Der Regisseur braucht den Produzenten und den Hauptdarsteller sowie das ganze Team als Kollegen. Jemand, der das anders sieht, wird früher oder später scheitern.

Ricore: Würden Sie Ihre Kinder bei ihrem Wunsch, Schauspieler zu werden, unterstützen?

Ferch: Da halte ich es mit meinen Eltern, die gesagt haben "Was Du machst, musst Du aus Überzeugung tun". Ob Du nun Anstreicher oder Bildhauer, Bäckermeister oder Schauspieler werden willst, musst Du tun, was Dich glücklich macht.

Ricore: Sie wohnen in Bayern. Wie kommen Sie als Nordlicht mit der bayrischen Lebensart zurecht?

Ferch: So eine Art Kulturschock habe ich schon vor 25 Jahren gehabt, als ich von Bremerhaven nach Salzburg ging, um am Mozarteum zu studieren. Der Schock war schon groß. Dann verbrachte ich 20 Jahre in Berlin.
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Heino Ferch in "vincent will meer"
Ricore: Jetzt leben Sie am Ammersee.

Ferch: Wo die Liebe hinfällt. Aber ich mag den Süden wirklich sehr gerne. Ich kam vom drögen und etwas trockenen Norden in dieses saftige und sinnliche Leben. Das habe ich schnell lieben gelernt. Ich bin gerne hiergekommen.

Ricore: Sie spielen Polo. Was reizt Sie an dem Sport?

Ferch: Es ist ein sehr anspruchsvoller Sport. Ich habe ja als Jugendlicher in der Bundesliga geturnt. Dass ich 15 Jahre später noch einen Sport gefunden habe, der mich wieder so fordert, hat mich schon sehr gereizt.

Ricore: Besteht Ihr Bekanntenkreis überwiegend aus Filmschaffenden?

Ferch: Das hält sich im Gleichgewicht.

Ricore: Bewegen Sie sich gerne in den Szenekreisen?

Ferch: Also ich habe 20 Jahre lang in Berlin gelebt. Ich habe sicher mehr als genug gefeiert. Irgendwann erschöpft sich dieses Leben. Das Privatleben hat heute einen ganz hohen Stellenwert und das muss es auch, wenn man bedenkt, dass Schauspieler oft unterwegs sind. Dazu sind wir als Prominente immer den Fotografen ausgesetzt. Die kann man letztlich nie zufrieden stellen.

Ricore: Sie haben sich früh für Ihren Beruf entschieden. Haben Sie nie daran gezweifelt?

Ferch: Ich habe im Alter von 15 Jahren das erste Mal als Turner eine Bühne betreten. Ich musste Saltos machen und Mädels stemmen. Dann habe ich ein paar Jahre am Theater mitgearbeitet. Noch bevor ich das Abitur absolvierte, wurden so schon die Weichen gestellt. Als dann alle fragten "Und? Was machste dann?" hatte sich das Theater als Leidenschaft herausgestellt. Ich war glücklich.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. April 2010
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Der Sohn eines Kapitäns stand 15-jährig für "Can Can" zum ersten Mal auf der Bühne. Davor war er als Leistungsturner durch Europa gezogen. Sein Durchbruch im Filmgeschäft gelang Heino Ferch 1997 mit Hauptrollen in "Comedian Harmonists", "Das Leben ist eine Baustelle" und "Winterschläfer". Seitdem gilt Ferch als einer der vielseitigsten Charakterschauspieler des deutschen Kinos. Tom Tykwer beeindruckte er 1998 in der Rolle des Gangsters Ronnie in "Lola rennt". Ferch spielte mehrfach an der..
Vincent (Florian David Fitz) leidet am Tourette-Syndrom. Seine Mutter ist kürzlich verstorben. Sein Vater (Heino Ferch) konzentriert sich auf seine Karriere. Er ist es, der Vincent in eine Klinik einweist. Vincent freundet sich mit Marie (Karoline Herfurth) an. Die beiden schmieden einen Plan. Kurz darauf befinden sie sich im Fluchtauto gen Süden - zu dritt. "vincent will meer" ist Florian David Fitz ' Drehbuchdebüt. Ihm gelingt in Kombination mit Regisseur Ralf Huettner ein beschwingtes,..
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