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Hannelore Elsner
Sucht nach Leben: Hannelore Elsner
Interview: Dann tauch' ich einfach unter
Hannelore Elsner ist Kult und Phänomen zugleich. Obwohl seit nunmehr 45 Jahren im Geschäft, hatten die Rollenangebote oft nicht die Tiefe und Qualität, nach der sie sich sehnte. Künstlerischen Durststrecken überbrückte sie mit Engagements am Theater, gab die Hoffnung auf Traumrollen beim Film aber nicht auf. Heute fliegen ihr diese Rollen zu, so etwa in Oskar Roehlers "Die Unberührbare" oder Oliver Hirschbiegels "Mein letzter Film". Entsprechend gelassen wirkt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, als sie unsere Suite im Münchner Hotel Bayerischer Hof betritt. Attraktiver denn je strahlt die 60-Jährige von innen heraus, spricht offen von Höhen und Tiefen, von Ängsten und Wünschen und über ihren neuen Film, Dani Levys "Alles auf Zucker!".
erschienen am 29. 12. 2004
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Ganz nach ihrem Geschmack: Eine Rolle mit Tiefe und Qualität
Ricore: Frau Elsner, angeblich spielen Sie nur Rollen, die Sie nicht zu weit von Ihrer eigenen Persönlichkeit entfernen. Was haben Sie also mit der blonden Berlinerin Marlene gemeinsam?

Hannelore Elsner: Für mich sind Rollen nur dann zu weit entfernt, wenn sie mich nicht interessieren. Bei Marlene gab es einige Anknüpfungspunkte: Die Wärme, das Verzeihende, das Mütterliche und Liebende - das alles sind Eigenschaften, die ich in mir habe. Doch darauf musste ich erst einmal kommen. Zuerst dachte ich mir auch: Warum soll gerade ich eine DDR-Mieze spielen, die in einem Änderungsladen arbeitet und mit Berliner Akzent spricht?

Ricore: Wo Sie doch im schönen bayerischen Burghausen aufgewachsen sind!

Elsner: Genau deswegen habe ich mich am Anfang auch stur gestellt und behauptet, dass ich diesen Akzent nie und nimmer hinbekommen würde. Aber Dani Levy hat mir in seiner Gutmütigkeit einfach eine Trainerin engagiert, die mir alles beibrachte. Ich lernte den Akzent wie eine Fremdsprache, schrieb mir den Wortlaut ins Drehbuch. Irgendwann hat es dann funktioniert.

Ricore: Suchen Sie sich bewusst immer unterschiedliche Charaktere aus?

Elsner: Die Rollen finden mich. Sie kommen zu mir. Das meiste wird an mich herangetragen, ich entscheide.

Ricore: Kritiker behaupten jedoch, dass die Blütezeit Ihrer Karriere trotz jahrelanger Berufserfahrung erst vor ein paar Jahren begonnen hat.

Elsner: Ich habe für meine Entwicklung lange gebraucht, das stimmt. Ich habe keine Ahnung, warum man mich im Verlauf meiner Karriere nicht häufiger in guten Filmen besetzt hat. Mein Werdegang lief ja super an, man denke nur an Will Trempers "Die endlose Nacht" von 1963. Der Film war phantastisch, wir bekamen damals den Bundesfilmpreis und ich dachte, nichts könnte mich mehr stoppen. Doch dann kam alles etwas anders.
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Fürsorglich und mütterlich - so ist die Schauspielerin auch privat
Ricore: Woran mag das liegen? In Frankreich würde man eine Frau mit Ihrem Werdegang als glamouröse Diva umgarnen!

Elsner: Mag sein. Vielleicht liegt es an der Egomanie der Deutschen, dass jeder seinen eigenen Star finden möchte. Eine kleine Anekdote zur Verdeutlichung: In den Siebzigern drehte ich einem Film mit Edgar Reitz. Da erfuhr ich, dass die gefeierte Autorenfilmerin Ula Stöckel, die ich privat sehr gut kannte, unbedingt einen Film mit mir machen wollte. Aber sie konnte leider aus persönlichen Gründen nicht. Wissen Sie warum? Weil ich jetzt der Star von Edgar Reitz war. Der eine hat es dem anderen geneidet. Auch als ich mit Alf Brustellin gedreht habe, wollten mich die anderen plötzlich nicht besetzen. Derweil sehnte ich mich nur nach einer Filmfamilie, in der jeder von jedem profitieren kann.

Ricore: Komödien wie "Alles auf Zucker!". werden in Deutschland nach wie vor eher abschätzig kommentiert, Auszeichnungen bekommen meist nur Dramen und großes Gefühlskino.

Elsner: Sie haben Recht, aber es ist Ihre Aufgabe als Journalist, das zu ändern. Ich mache meinen Mund auf, wo es eben geht. "Alles auf Zucker" zum Beispiel war ursprünglich nur als TV-Film geplant und wurde erst nach einer Testvorführung für das Kino freigegeben. Es besteht eigentlich großer Bedarf an Komödien. Gezeigt werden aber dann meistens Beziehungsklamotten, die natürlich schon ihre Berechtigung besitzen, aber auf Dauer vielleicht etwas eintönig sind. "Alles auf Zucker" dagegen ist eine echte Komödie mit jüdischem Humor. Wo man vor Schrecken dauernd lachen muss.

Ricore: Dani Levy meinte dazu, dass "alles, was nicht mehrheitsfähig ist, im deutschen Kino einfach totgeschwiegen wird".

Elsner: Ich kann mich sogar erinnern, dass jemand im Zusammenhang mit "Alles auf Zucker!" von einem Minderheitenprogramm gesprochen hat, und dass das einfach niemanden interessieren würde. Inzwischen ist das aber einfach nicht mehr richtig: Man denke nur an den Erfolg von "Gegen die Wand". Außerdem müsste die heutige Jugend sofort auf die Barrikaden springen, wenn jemand von Berührungsängsten schwafelt. Was ist denn die Mehrheit? Mittlerweile hat sich zum Glück alles so vermischt, dass man das nun wirklich nicht mehr so pauschal sagen kann.

Ricore: Sehen Sie sich gerne Ihre Arbeiten an oder halten Sie es mit Woody Allen, der seine Werke grundsätzlich zur Seite legt?

Elsner: Natürlich schaue ich mir meine Filme an! Beim ersten Sichten bin ich natürlich schrecklich eitel, achte auf dieses und jenes, das gebe ich zu. Aber beim zweiten Mal kann ich es schon meistens mit einem gesunden Abstand betrachten.
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Hannelore Elsner erlebt Liebe, Leidenschaft und Hass auf der Leinwand
Ricore: Zusammen mit Dieter Wedel haben Sie einen 23 Jahre alten Sohn, Dominik. Wie bleiben Sie am Puls der Zeit?

Elsner: Am Puls der Zeit? Süß! Können Sie mir die Frage höflicherweise stellen, wenn ich achtzig oder auch hundert werde? (lacht) Ich wage zu behaupten, dass ich ziemlich up-to-date bin. Ich befinde mich ziemlich nah am Puls der Zeit. Immerhin habe ich vor, 120 Jahre alt zu werden. (lacht)

Ricore: Bei Ihrem Terminkalender glauben wir das gerne. Neben zig TV- und Kinorollen veranstalten Sie auch noch Lesungen von Patrick Süsskinds "Das Parfüm".

Elsner: Wenn ich lese, befinde ich mich wie in Trance. Für den Text bin ich wie ein Medium, habe hochsensible Sensoren und spüre die Energie im Raum. Wenn all die Szenen, Gebäude und Gefühle, die ich während dieser zwei Stunden in meinen Gedanken aufeinander türme, auf einer Leinwand gezeigt werden könnten, würde das Ergebnis mit Sicherheit ein guter Film.

Ricore: Woher rührt Ihre ungebrochene Faszination fürs Kino?

Elsner: Von der Kamera, der Fantasie, dem Mut, dem Wahnsinn und dem Außergewöhnlichen. Das Kino ist vielleicht das letzte Refugium der Menschheit, in dem man all die archaischen Gefühle wie Liebe, Leidenschaft und Hass unmittelbar erleben kann - wenn man sich nur darauf einlässt.

Ricore: Wo liegen Ihre Grenzen?

Elsner: Da, wo es mir persönlich zuviel wird. Wenn ich merke, dass ich zuviel gereist, zu viel gearbeitet oder zu viele Menschen getroffen habe, tauche ich einfach unter. Dann kann ich einen ganzen Tag lang aus einem Hotelzimmer starren, ohne dass es mir langweilig wird. Ich meditiere, um mich wieder zu entleeren. Ich gehe viel spazieren, um einen freien Kopf zu bekommen. Ich lese dann noch nicht einmal Zeitung, sondern lebe sehr asketisch. Das liegt an meiner immensen Sucht, die mich ständig verfolgt. Ich bin süchtig nach allem. Wenn ich mich dann mal in die Askese begebe, ziehe ich es also auch bedingungslos durch. Wie eine Nonne.

Ricore: Und wie halten Sie Ihre gute Figur? Auch mit Meditation?

Elsner: (lacht) Nein, viel einfacher: Ich vermeide es schonend, mich zu überfressen. Ich will ja, dass es mir gut geht.
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Herausforderungen fürchtet sie nicht
Ricore: Sind Sie deswegen auch so radikal in Ihren Beziehungen? Eigenen Aussagen zufolge haben Sie Ihre Partner immer sofort dann verlassen, "wenn die Liebe weg war".

Elsner: Für mich war es immer ziemlich normal, in diesem Moment zu gehen. In "Alles auf Zucker!" läuft es anders - und das symbolisiert für mich eine perfekte Beziehung. Da fliegen die Fetzen, sie schmeißt ihn raus, er kommt wieder. Warum? Weil sie sich trotz allem lieben.

Ricore: In "Frau fährt, Mann schläft!", einem Ihrer letzten Kinofilme, müssen Sie sich mit dem Schicksal eines todkranken Sohnes auseinandersetzen. Wie nah lassen Sie solche Rollen an sich heran?

Elsner: Ich brauchte die Rolle gar nicht heranlassen, sie war bereits in mir. Ich habe einen Sohn und kann mir das Schicksal auf der Stelle vorstellen. Ich kann alles steuern, muss mir nur etwas denken und schon wird es sichtbar. Es mag sein, dass manche Leute bestimmte Türen lieber nicht aufstoßen sollten. Aber ich fürchte mich nicht davor. Ich glaube, dass ich eine sehr gesunde Persönlichkeit habe, gut damit umgehen kann. Ich will nicht leugnen, dass es mir bei den Dreharbeiten psychisch sehr schlecht ging, und unmittelbar nach jedem Drehtag verkroch ich mich auf meinem Zimmer. Aber als der Film abgedreht war, konnte ich all das wieder beiseite legen.

Ricore: Hat sich Ihr Anspruch an die Schauspielerei über die Jahre verändert?

Elsner: Ich freue mich zunehmend, dass ich den Menschen mit meinem Spiel etwas schenken kann, dass sie mit mir etwas erleben, sich nicht so alleine fühlen. Allmählich fühle ich fast schon eine gewisse Verantwortung. Barbara Sukowa hat auf dem Hessischen Filmpreis eine Laudatio für Margarethe von Trottagehalten. Sie war der Meinung, dass kein guter Schauspieler psychisch und mental wirklich vollkommen gesund sein kann. Ihrer Meinung nach müsste man einen Hau oder aber eine ganz tiefe Wunde haben, die man durch sein Spiel immer wieder zu heilen versucht. Sie meinte, Margarethe von Trotta hätte die Begabung, den Finger auf diese Wunde zu legen und Wunder zu vollbringen. So schön es klingt, aber ich weiß nicht, ob ich so etwas von mir selbst zugeben würde. Außerdem ist jedes Wort vergänglich - und man verändert sich ja doch wieder ständig.

Ricore: Sie kommen immer wieder auf Veränderung zu sprechen. Wollen Sie mit Ihrem Tempo etwa so weitermachen?

Elsner: Ich hätte zumindest nichts dagegen. Ich nehme mir ja meine Auszeiten, wenn ich sie brauche. Und mein Job ist nicht nur ein Job. Ich liebe ihn und ich bekomme so unermesslich viel zurück. Manchmal fürchte ich mich davor, dass das alles plötzlich aufhört. Dann könnte ich nur noch Bücher lesen. Und dann?
erschienen am 29. Dezember 2004
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