Constantin
Dennis Gansel
Die Wirklichkeit sieht anders aus
Interview: Dennis Gansel über den subtilen Prozess der Verführung
Mit "Napola - Elite für den Führer" begibt sich der 31 Jahre alte Regisseur Dennis Gansel ("Mädchen Mädchen!") auf dünnes Eis. Denn auch wenn viele - etwa der Parlamentarier Rüdiger von Wechmar, "Zeit"-Herausgeber Dr. Theo Sommer oder Publizist Dr. Hellmuth Karasek - die Kaderschmieden des Dritten Reiches durchliefen, wurde über die Vorgänge in Hitlers Eliteschulen lange geschwiegen. Vor dem Hintergrund einer Coming-of-Age-Geschichte versucht Gansel nun die Verführung von damals begreifbar zu machen. Beim Interview in Berlin erklärte er uns seine Beweggründe.
erschienen am 13. 01. 2005
Constantin Film
Trimmt seine Schüler zu harten Kerlen (Michael Schenk)
Ich bin selbst ganz baff
Ricore: Herr Gansel, gestern waren Sie noch bei der Premiere Ihres neuen Films in New York, heute geben Sie im Berliner Hotel Adlon Interviews. Der Regisseur von "Mädchen Mädchen!" hat sich etabliert.

Gansel: Ja, ich bin selbst ganz baff. Die internationalen Kritiken von "Napola" sind fantastisch, genauso wie die Publikumsreaktionen. Eine jüdische Zuschauerin beglückwünschte mich dazu, dass ich als junger deutscher Regisseur nicht nur die Schuld-, sondern auch die Opferfrage aufwerfe. Laut ihrer Aussage ist es der erste Film, der auf emotionaler Ebene nachvollziehen lässt, warum sich damals so viele Deutsche von Hitlers Versprechungen in den Bann ziehen ließen. Solche Aussagen freuen mich natürlich besonders.

Ricore: Auf internationalen Filmfestivals gewann der Film zahlreiche Auszeichnungen, in Deutschland dagegen sind die Kritiken eher verhalten. Woran mag das liegen?

Gansel: Offenbar ist es hierzulande immer noch ein Tabu, als deutscher Regisseur die Verführung von damals begreiflich zu machen. Trotzdem bin ich über die hiesigen Kritiken überrascht, auch ein bisschen verärgert: Warum befürchten die Deutschen hinter einer solchen Thematik immer gleich Beifall von der falschen Seite? Unser Standpunkt wird am Ende des Films doch mehr als klar! Die 80 Millionen Deutsche waren damals doch nicht per se schlecht, sie wurden mit ganz simplen Mitteln verführt. Durch Reden, Gesang und Aufstiegschancen. Durch simple Appelle an die Grundbedürfnisse. Plötzlich bekamen Jugendliche Anerkennung, durften fliegen und Uniformen tragen. Das Böse bzw. die Verführung hatte damals eine sehr smarte und eloquente Form. Vor Filmstart habe ich den Film insgesamt 3500 Zuschauern im In- und Ausland gezeigt, mit ca. 800 Menschen habe ich mich danach persönlich unterhalten. Vom 14-jährigen Hauptschulabsolventen bis hin zum 39-jährigen israelischen Filmproduzenten war jede Bevölkerungsschicht vertreten. Kein einziger konnte die Argumente der deutschen Kritik nachvollziehen. Im Gegenteil: Der Film sensibilisiert für sie die tückische Gefahr der Verführung.

Ricore: Sie sind 31 Jahre alt, haben Deutschlands Nazi-Vergangenheit nie persönlich miterlebt. Woher kommt das Interesse an der Thematik?

Gansel: Obwohl ich das Dritte Reich in der Schule bis ins Detail durchexerziert hatte, war mir nie verständlich, warum mein eigener Großvater eine Nazi-Karriere gemacht und "Sieg Heil" gerufen hat. Ich begann mich damit zu beschäftigen, führte zwanzig Interviews mit ehemaligen Napola-Schülern und stieß dabei auf ihre Vorbilder, die deswegen so teuflisch waren, weil sie als Überzeugungstäter nichts mit dem typischen Nazi-Bösewicht gemein hatten. Lehrer waren oft sympathische Menschen, denen man damals gerne gefolgt ist. Momente wie in "Die weiße Rose" wird man in diesem Film daher vergeblich suchen, auch wenn viele das gerne gehabt hätten. Aber es ist einfach nicht wahr, dass wir damals alle Widerständler gewesen wären. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In dieser Verstrickung vordergründiger Verlockung wollte ich moralische Dispositionen und Widersprüche aufzeigen. Etwa, wenn der Schwächste des Internats in einem kritischen Moment Mut beweist. Das stellt dann das ganze System in Frage.
Constantin Film
Dennis Gansel und Max Riemelt am Set
Laune des Schicksals
Ricore: In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Heldenbegriff stark gewandelt. Wie würden Sie heute einen Helden definieren?

Gansel: Als jemanden, der sich auf extraordinäre Weise für etwas Gutes einsetzt, das auch der Allgemeinheit nützt. Gandhi zum Beispiel war wohl das Musterbeispiel eines modernen Helden, ein Mann, der sich trotz schwerster persönlicher Konsequenzen für den Frieden eingesetzt hat. Für mich greift der Heldenbergriff aber schon, wenn ein normaler Mitbürger Zivilcourage zeigt. Wenn jemand am Arbeitsplatz aufsteht und sich für den Außenseiter ausspricht. Wenn jemand in der U-Bahn eine Schlägerei verhindert. Kurzum: Wenn jemand seine Meinung sagt, obwohl er Schaden davontragen könnte. Auch Deutschlands "Nein" zum Irakkrieg war heldenhaft. Trotz schwerster wirtschaftlicher und diplomatischer Schäden haben wir uns gegen das Unrechte ausgesprochen.

Ricore:: Bernd Eichinger trumpf mit "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs", Volker Schlöndorff ("Der Neunte Tag") baut auf Rededuelle zwischen Juden und Gestapo-Priestern, Chaplins "Der große Diktator" wird wiederaufgeführt und nach "Napola" kommen "Sophie Scholl - Die letzten Tage" ins Kino. Ist die derzeitige politische Lage mit ein Grund für das wieder entdeckte Interesse an Filmen über die NS-Zeit?

Gansel: Meiner Meinung nach ist das purer Zufall. Bernd Eichinger hat schon zwanzig Jahre an "Der Untergang" gearbeitet, und "Sophie Scholl - Die letzten Tage" wurde deswegen verfilmt, weil vor kurzem neue Originaldokumente entdeckt wurden. Dass alles jetzt zusammenkommt, ist eine Laune des Schicksals.

Ricore: Haben Sie sich mit Ihrem Großvater über die damaligen Ereignisse unterhalten?

Gansel:: Schon mit dreizehn Jahren war ich Mitglied einer anarchischen Truppe in Hannover und lieferte mir heftige Auseinandersetzungen mit ihm. Überhaupt erlitt meine Familie durch seine Vergangenheit einen großen Bruch. Seine drei Söhne, unter anderem mein Vater, stellten sich gegen ihn, verweigerten den Kriegsdienst und stritten mit ihm über das ideologische Gedankengut. Derweil war mein Großvater nicht schlecht oder rassenfeindlich, er wollte einfach Teil einer großen Bewegung sein. Er war Fähnrich auf der Reichskriegsschule in Hannover und später selbst Ausbilder auf einer Artillerieschule und wurde einfach mit in den Sog gezogen. Heute kann ich verstehen, warum er so gehandelt hat. Deshalb habe ich ihm den Film auch gewidmet.
erschienen am 13. Januar 2005
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2024