Koch Media
Richard Eyre
Liam Neeson sieht rot
Interview: Richard Eyre ist eifersüchtig
Kinozuschauern ist Richard Eyre vor allem durch seine sensibel inszenierten Dramen "Iris" und "Tagebuch eines Skandals" ein Begriff. In seiner Bernhard Schlink-Verfilmung "Der Andere" schickt der Regisseur einen verzweifelten Liam Neeson auf die Suche nach dem heimlichen Liebhaber seiner Ehefrau. Im Interview spricht Eyre über Eifersucht, sexuelle Begierde und unkonventionelle Liebesbeziehungen. Zudem verrät uns der Filmemacher, was er in der Situation seines Protagonisten getan hätte.
erschienen am 2. 07. 2010
Koch Media
Der Andere
Ricore: Was hat Sie an Bernhard Schlinks Kurzgeschichte besonders interessiert?

Richard Eyre: Es sind vor allem die moralischen Aspekte. Zudem ist es eine spannende Geschichte über Trauer und Versöhnung.

Ricore: Haben Sie auch noch andere Geschichten von Schlink gelesen?

Eyre: Ich kenne seine Kurzgeschichten-Sammlung "Liebesfluchten".

Ricore: In welchen Aspekten unterscheidet sich ihr Film "Der Andere" von Schlinks Vorlage?

Eyre: Die beiden Werke unterscheiden sich vor allem in ihrer Struktur. In Schlinks Geschichte ist der Clou der Geschichte von Anfang an klar. Ich hingegen verheimliche es dem Publikum bis zum Schluss. Dadurch wollte ich den Film interessanter machen.

Ricore: Im Buch ist die Frau Musikerin. Warum haben Sie aus ihr eine Schuhdesignerin gemacht?

Eyre: Die Leute, die den Film finanziert haben, wollten etwas, dass alltäglicher ist und besser zur kommerziellen Welt passt. Daher entschied ich mich für diese Änderung.

Ricore: Hatten Sie Liam Neeson, Antonio Banderas und Laura Linney schon im Hinterkopf, als sie das Drehbuch geschrieben haben?

Eyre: Nein, höchstens Liam Neeson, aber nicht direkt. Sie waren aber sehr nah an den Charakteren dran.
Koch Media
Laura Linney und Antonio Banderas in "Der Andere"
Ricore: Neeson und Banderas sind sehr unterschiedliche Typen. Wie wichtig war dieser Unterschied für die Geschichte?

Eyre: Die Entdeckung, dass der Liebhaber ein schwacher Charakter ist, ist ein sehr wichtiges Element der Geschichte. Neesons Figur fragt sich, wie seine Frau so einen Mann lieben konnte.

Ricore: Der Film hat Elemente aus verschiedenen Genres. Welchem Genre würden Sie ihn am ehesten zuordnen?

Eyre: Ich fühle mich nicht sehr wohl mit der Einteilung in Genres. Doch ja, der Film hat etwas von einer Romanze, einem Thriller und von einem Drama. Eigentlich hoffe ich aber, dass der Film etwas ganz Eigenes darstellt.

Ricore: Wieso mögen Sie die Einteilung in Genres nicht?

Eyre: So würde ich das nicht sagen. Es hat vielmehr mit der Kategorienbildung und den Marketingstrategien der Kinos zu tun. Man stempelt die Projekte einfach als Thriller, Liebesgeschichten oder sonst was ab. Ohne diese Etiketten finde ich es besser.

Ricore: Welche Rolle spielt das Schachspiel im Film?

Eyre: Das Schachspiel fasziniert die beiden Hauptcharaktere. Zudem ist es eine Metapher für die Spiele, die Neesons Charakter spielt. Er denkt, dass er das Spiel kontrolliert.

Ricore: Woran liegt es, dass eine Frau, die mit zwei Männern zusammen ist, skeptischer betrachtet wird, als ein Mann, der mit zwei Frauen zusammen ist?

Eyre: Ich glaube das liegt an einer Art latentem Sexismus. Bei Männern ist das normal, bei Frauen dagegen schockierend. Genau darin liegt auch das Problem des Ehemannes im Film. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass Frauen die gleichen Gefühle haben können wie Männer. Niemandem fällt es schwer zu glauben, dass Männer zwei Frauen lieben können, aber anders herum ist es genauso möglich. Der umgekehrte Fall müsste genauso akzeptiert werden.
20th Century Fox
Tagebuch eines Skandals
Ricore: Wie wichtig sind starke weibliche Charaktere für Sie?

Eyre: Das ist sehr wichtig für mich. Auch in meinen vorherigen Filmen "Iris" und "Tagebuch eines Skandals" waren starke weibliche Charaktere.

Ricore: Woran liegt es, dass starke weibliche Film-Charaktere nach wie vor so selten sind?

Eyre: Im englischsprachigen Bereich liegt das am Einfluss Hollywoods. Das Problem bei vielen Filmen ist, dass sie in den USA vermarktbar sein müssen.

Ricore: Was kann man gegen diese Marketing-Mechanismen tun?

Eyre: Ich bin nicht sicher. Ab und zu gibt es Filme wie "Slumdog Millionär", die sich den Hollywood-Regeln vollkommen widersetzen und erfolgreich sind. Dazu muss man Glück haben, denn man kann das nicht planen. Ansonsten muss man einen Film mit sehr geringem Budget realisieren.

Ricore: In "Der Andere" spielt Peter mit dem Gedanken, Ralph aus Eifersucht umzubringen. Für wie gefährlich halten Sie sexuelle Begierde?

Eyre: Für unglaublich gefährlich. Sexuelle Begierde und Eifersucht können Hand in Hand gehen. Die Besessenheit, die daraus entstehen kann, betrifft beide Geschlechter gleichermaßen.

Ricore: Ist dieser Beziehungs-Aspekt etwas, das Sie als Filmemacher besonders interessiert?

Eyre: Ja, ich bin fasziniert davon und beschäftige mich sehr leidenschaftlich damit. Das kommt wohl daher, dass mich menschliche Handlungen interessieren, die nicht rational und kontrolliert sind.
Koch Media
Liam Neeson verfolgt Antonio Banderas in "Der Andere"
Ricore: Halten Sie es denn für möglich, dass eine Beziehungen mit zwei Partnern zugleich funktionieren kann?

Eyre: Ich denke, es ist möglich, dass man zwei Menschen liebt, aber nicht unbedingt, dass man in beide gleichzeitig verliebt ist. Nichtsdestotrotz führen viele Leute solche Beziehungen.

Ricore: Woran könnte es liegen, dass unsere Gesellschaft grundsätzlich ein Problem mit nicht-monogamen Beziehungen hat?

Eyre: Das liegt wohl an unseren jüdisch-christlichen Moralvorstellungen und Gesetzen. Das ist unser historisches Erbe.

Ricore: Ihr Film verurteilt die Handlungen der Figuren zu keinem Zeitpunkt.

Eyre: Ja, ich halte mich grundsätzlich daran, nicht zu urteilen. Das überlasse ich dem Publikum. Manche Zuschauer fühlen sich wohl unbehaglich, wenn der vermeintlich Böse nicht bestraft wird. Das liegt daran, dass wir die Dinge in der Fiktion oft simpler haben wollen, als sie im wahren Leben sind. Doch die Welt kann man nicht einfach in Schwarz und Weiß einteilen.

Ricore: Mit welcher Figur aus der Geschichte können Sie sich am meisten identifizieren?

Eyre: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es ist Liams Figur. Ich kann seine Trauer und Wut gut verstehen. Ich mag an seinem Charakter, dass er, trotz seines Wunsches nach Rache, in gewisser Weise Erlösung findet.

Ricore: Was würden Sie tun, wenn Sie eine nahestehende Person so betrogen würde?

Eyre: Ich wäre zunächst unglaublich wütend. Dann würde ich hoffen, dass ich diesen Menschen so sehr liebe, dass ich in der Lage wäre, ihn zu verstehen und ihm zu vergeben.

Ricore: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?

Eyre: Ich arbeite gerade an einem Theaterstück für das National Theatre in London. Zudem arbeite ich an einer Geschichte über ein medizinisches Wunder.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. Juli 2010
Zum Thema
In seiner britischen Heimat gilt Richard Eyre als einer der renommiertesten Theaterregisseure. Für seine Inszenierungen wird der am 28. März 1943 im englischen Barnstaple geborene Künstler mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhält er 1998 für seine Aufführung von William Shakespeares "König Lear" am Iris" und "Tagebuch eines Skandals" einen Namen bei Publikum und Kritik.
Der Andere (Kinofilm)
Nach der Romanverfilmung "Der Vorleser" von Bernhard Schlink kommt mit "Der Andere" eine seiner Kurzgeschichten auf die Leinwand. Regisseur Richard Eyre realisiert ein packendes Drama mit Topbesetzung. Vor allem eine reife, wunderschöne Laura Linney kann überzeugen, und das, obwohl sie die wenigsten Auftritte hat. Liam Neeson und Antonio Banderas hingegen liefern sich eine regelrechte Psycho-Schlacht, an deren Ende es eigentlich keinen Sieger gibt.
2024