Tatjana Niezel/Ricore Text
Bong Joon-ho
"Mütter sind etwas Mystisches"
Interview: Bong Joon-ho über verrückte Mütter
Bong Joon-ho ist auf Festivals in Berlin, Venedig oder Cannes schon lange kein Unbekannter mehr. 2010 besuchte der südkoreanische Regisseur mit seinem verstörenden Film "Mother" auch das Filmfest München. Wir trafen uns mit dem sympathischen Filmemacher und befragten ihn unter anderem zur Farbe Lila, die in seinem Drama eine wichtige Rolle spielt. Wir sprechen auch über Mütter, die in Korea starke Persönlichkeiten sind und sehr geschätzt werden. Dabei enthüllt er so manche Verrücktheiten.
erschienen am 5. 08. 2010
MFA+
Mother
Ricore: Waren Sie schon einmal in München?

Bong Joon-ho: Ja, ich bin jetzt schon zum dritten Mal hier. Ich habe im Jahr 2001 bereits meinen Film "Hunde, die bellen, beißen nicht" beim Filmfest präsentiert. 2009 habe ich eine Europareise gemacht, die mich auch nach München geführt hat.

Ricore: Gefällt Ihnen die Stadt.

Joon-ho: Ja sehr. Auch das Essen mag ich sehr.

Ricore: Wann ist Ihnen die Idee zu "Mother" gekommen?

Joon-ho: Die erste Idee kam mir bereits vor sechs Jahren. Schauspielerin Hye-ja Kim war der Anlass dazu. Damals dachte ich mir, ich möchte sie in der Rolle einer verrückten Mutter sehen.

Ricore: Zuvor hat Hye-ja Kim nur traditionelle Mutterrollen verkörpert...

Joon-ho: Sie hat lange Zeit die Rolle einer liebevollen Mutter in einer Fernsehserie gespielt. Ich wollte das Gegenteil aus ihr machen. Sie sollte gewissermaßen explodieren.
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Bong Joon-ho am Set von "Mother"
Ricore: Sie zeigen hier ein extremes Bild einer Mutter, beinahe ein Negativbeispiel.

Joon-ho: Die Mutterschaft ist in Korea etwas Heiliges, geradezu Mystisches. Groß und aufopferungsvoll. Aber die Realität einer Mutter kann auch anders sein. Das wollte ich durch zum Teil extreme Situationen darstellen. Alle Geschehnisse im Film beruhen auf der Liebe der Mutter zu ihrem Sohn. Aber diese Mutterliebe kann eben auch in einer Art Verrücktheit ausarten. Der Grat zwischen Liebe und Verrücktheit ist oft sehr schmal.

Ricore: Diese Liebe nimmt beinahe schon gefährliche Ausmaße an.

Joon-ho: Ja, in extremen Situationen kann Liebe zu Wahnsinn führen. Und diese Liebe kann auch eine schwere Bürde bedeuten.

Ricore: Warum sind Sie Regisseur geworden?

Joon-ho: Als ich in der neunten Klasse war, habe ich mir überlegt, dass ich gerne Filme machen möchte. In unserer Familie bestimmte der Fernseher das Leben, er lief jeden Tag viele Stunden. Ich habe schon früh sehr viele Filme im TV gesehen. Der Fernseher ist zu meiner Videothek geworden.

Ricore: Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen Fernsehen und Kino.

Joon-ho: Ins Kino bin ich nicht so häufig gegangen. Henri-Georges Clouzots "Lohn der Angst" mit Yves Montand hat mich sehr beeindruckt.
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Bong Joon-ho am Set von "Mother"
Ricore: Wann haben Sie ihn gesehen?

Joon-ho: Ich war ungefähr zehn Jahre alt. Der Film hat mich echt umgehauen, ich habe zum ersten Mal erkannt, was für eine Macht Filme haben können.

Ricore: Was hat Sie fasziniert?

Joon-ho: Das kann ich nicht genau sagen, aber ich war so überwältigt, dass ich nicht mehr auf die Toilette gehen konnte, weil ich so nervös und angestrengt war. Ich saß allein vor dem Fernseher und war einfach nur sprachlos.

Ricore: Sie wollten also nie Schauspieler werden?

Joon-ho: Ich bin im Laufe der Zeit immer neugieriger auf die Leute hinter der Kamera geworden. Wer macht diese Filme? Was sind das für Leute hinter der Kamera?

Ricore: Abgesehen von Clouzot, welche Regisseure bewundern Sie sonst noch?

Joon-ho: Vor allem Alfred Hitchcock und Sam Peckinpah. Insbesondere die Filme von Peckinpah sind sehr gewalttätig. Im Fernsehen werden diese Szenen aber herausgeschnitten. Habe ich die Filme gesehen, habe ich in meinem Kopf die fehlenden Szenen nach meiner Vorstellung ergänzt.
Tatjana Niezel/Ricore Text
Bong Joon-ho
Ricore: Haben Sie denn auch asiatische Vorbilder oder bewundern Sie nur amerikanische und europäische Regisseure?

Joon-ho: Für das asiatische Kino habe ich mich erst während meiner Studienzeit begeistert. Zum Beispiel Shohei Imamura, oder die Horrorfilme von Kiyoshi Kurosawa. Aber ich bewundere auch viele amerikanische und russische Regisseure.

Ricore: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen asiatischem, amerikanischem und europäischem Kino?

Joon-ho: Ich kann den Unterschied nicht genau festmachen. Was amerikanische Filme angeht, ist die Genretradition sehr viel ausgeprägter. Obwohl ich ein asiatischer Regisseur bin und asiatische Filme mache, mache ich genreartige Filme. Ich selbst verstehe mich als eine Mischung aus asiatischem, amerikanischem und europäischem Kino.

Ricore: In "Mother" spielen Sie mit den Versatzstücken des Kriminalfilms.

Joon-ho: Ich habe eine gespaltene Beziehung zu Genrefilmen, sozusagen eine Hassliebe. Jedes Mal wenn ich einen Genrefilm mache, möchte ich die Regeln dieses Genres auch brechen. Das koreanische Leben und die Kultur sind natürlich anders als die amerikanische. Ich möchte diese Unterschiede hervorheben, indem ich mich nicht ganz an die Regeln halte. Ich bin zwar Koreaner, aber ich bin mit amerikanischen Filmen aufgewachsen.

Ricore: Die Kleidung der Mutter in "Mother" ist sehr auffällig. Sie trägt fast nur violette und lila Kleider. Was ist der Grund?

Joon-ho: Die Farbe Lila symbolisiert Verrücktheit. Am Anfang ist ihre Kleidung noch in rosa und violett gehalten, aber im Verlauf des Films wird die Kleidung immer mehr zu einem dunklen Lila. In Korea ist Lila eine sehr starke Farbe, man ist sehr mutig, wenn man sie trägt. Ich habe mit der Produktionsdesignerin besprochen, dass wir die Farbe stetig verändern, um den Zustand der Mutter auch auf dieser Ebene aufzuzeigen. Wenn man genau hinsieht, erkennt man in ihrem lilafarbenem Kleid ein Blumenmuster. Koreanische Frauen tragen ab einem bestimmten Alter dieses Muster sehr gerne.
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Mother
Ricore: Wie ist die Beziehung zwischen Mutter und Sohn im Film? Es wird zwar nur angedeutet, aber ist sie auch sexueller Natur?

Joon-ho: Ich weiß es nicht. Ich war selbst neugierig darauf, ob die beiden miteinander Sex haben. Mit dieser Neugierde habe ich den Film gemacht. Die Beziehung ist sehr eng und es finden viele Berührungen statt.

Ricore: Es macht den Eindruck, als sei der Sohn nicht nur Sohn, sondern auch Lebenspartner.

Joon-ho: Als Hye-ja Kim das Drehbuch gelesen hatte, sagte sie zu mir: Der Sohn bedeutet für die Mutter alles. Er ist Sohn, Freund und auch Ehemann. Weil er für sie mehr als nur Sohn ist, klammert sie sich noch fester an ihn. Die Schlüsselszene für ihre Beziehung für mich ist jene, in der sie ihm hinterherläuft und ihn mit seiner Medizin füttert, während er uriniert. Das ist grotesk.

Ricore: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Joon-ho: Es wird ein Science-Fiction-Film. Die Geschichte beruht auf einem französischen Comic.

Ricore: Worum geht es?

Joon-ho: Auf der Erde ist wieder eine Eiszeit ausgebrochen und die Überlebenden befinden sich in einem Zug. Quasi eine Arche Noah im Zug.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. August 2010
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Der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho wusste schon früh, dass er Regisseur werden will. In seiner Familie lief von frühmorgens bis spätabends der Fernseher, so dass er schon als kleiner Junge mit Filmen unterschiedlicher Art groß geworden ist. Später besuchte er die koreanische Filmakademie und feierte mit der Horrorkomödie "Hunde, die bellen, beißen nicht" im Jahr 2000 sein Regiedebüt. 2003 wurde er für "Memories of Murder" mit dem Grand Bell Award der koreanischen Filmindustrie..
Mother (Kinofilm)
Wie weit geht eine Mutter, um die Unschuld ihres Sohnes zu beweisen? Yoon Do-jun (Won Bin) sitzt im Gefängnis, weil er ein Schulmädchen brutal ermordet haben soll. Seine Mutter Yoon Hye-ja (Kim Hye-ja) kann sich nicht vorstellen, dass er zu so einer Tat fähig ist. Mit allen Mitteln versucht sie, seine Unschuld zu beweisen und den wahren Täter zu finden. "Mother" ist der vierte Kinofilm des koreanischen Regisseurs Joon-ho Bong.
2024