Walt Disney Studios Motion Pictures
Marc Rothemund
Selbstzweifel und unbedingte Leidenschaft
Interview: Marc Rothemund ist kritisch
Marc Rothemund hat einige Erfolge vorzuweisen. Der Durchbruch gelingt dem Autodidakten mit der Komödie "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit". Mit "Sophie Scholl - Die letzten Tage" erreicht er früh einen ersten Höhepunkt seiner Karriere, das politische Drama wird mit dem Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film nominiert. Er dreht nicht des Erfolgs oder der Preise wegen, behauptet er. Seine Antriebsfeder sei vielmehr der Selbstzweifel und die unbedingte Leidenschaft zum Film. Wir befragen Rothemund anlässlich des Kinostarts seiner Teeniekomödie "Groupies bleiben nicht zum Frühstück".
erschienen am 28. 09. 2010
Walt Disney Studios
Groupies bleiben nicht zum Frühstück
Ricore: Herr Rothemund, Sie wurden einmal gefragt, was einen guten Film ausmacht. Sie antworteten, das Wichtigste sei die Überraschung.

Marc Rothemund: ...und der Zuschauer darf sich nicht langweilen.

Ricore: Sie zitierten in diesem Zusammenhang Billy Wilder...

Rothemund: Das Wichtigste ist das Drehbuch, das Drehbuch, das Drehbuch.

Ricore: Wo ist das Überraschungsmoment in "Groupies bleiben nicht zum Frühstück"?

Rothemund: Wenn sich das Publikum an die Erzählperspektiven hält und sich mit den Hauptdarstellern identifiziert, findet er so einige Überraschungsmomente. So verliebt sich Lila in einen jungen Mann und weiß nicht, dass er ein bekannter Musiker ist. Das ist der erste überraschende Wendepunkt für die Hauptfigur. Die zweite Überraschung: Lila und Chriz verbringen einen schönen Tag. Er darf im Zimmer von Lilas Schwester übernachten. Als er von dieser am nächsten Morgen in ihrem Bett entdeckt wird, gibt es erst mal ein Riesengeschrei. Dann merkt Lila, um wen es sich handelt. Eine größere Überraschung gibt es für eine Hauptfigur nicht. Sie erkennt, dass der Mann, in den sie sich verliebt hat, der größte Rockstar Europas ist.

Ricore: Der Ausgang der Films ist dagegen nicht überraschend...

Rothemund: Das ist eine romantische Komödie. Wenn einer stirbt oder das Paar nicht zusammenkommt, ist es auch keine romantische Komödie. In den größten Filmen des Genres finden die Liebenden immer zusammen. Mein Auftrag war, eine romantische Komödie zu machen. Deswegen finden die Protagonisten am Ende auch zusammen, nachdem sie viele Hürden überwunden haben. Was zählte war, dass die Hauptfiguren die Zuschauer überraschen und der Film dadurch spannend wird. Grundsätzlich denke ich auch, dass ein Zuschauer bei einer romantischen Komödie unterhalten werden will. Er will mit-fiebern, -lachen und -weinen. Gäbe es am Ende kein Happy End, würde mir das der Zuschauer niemals verzeihen.
Walt Disney Studios Motion Pictures
Marc Rothemund, Anna Fischer
Ricore: Ihr Film erinnert an "Notting Hill". Das Besondere an "Notting Hill" ist, dass er nach dem Vorbild von Screwball-Komödien die Geschlechterrollen vertauscht. Was ziehen Sie aus dem Konzept "famous boy meets girl"?

Rothemund: Ich fragte mich, was in Zeiten von Boygroups wie Tokio Hotel oder umschwärmten "Twilight"-Stars passiert, wenn sich ein Mädchen wirklich mal in einen berühmten Teenie-Star verliebt. Ich mag "Notting Hill" sehr gerne, aber der Film beschreibt nicht den Traum eines Mädchens, das sich in einen Rockstar verliebt. Außerdem spielt "Groupies" in der Musikszene. Es war eine Herausforderung, ein großes Rockkonzert zu verfilmen mit einem Riesenaufwand, mit mehreren Kameras und einer eigens für den Film komponierten Musik. Es ist ein Film, der durchaus Schauwerte hat. Es war eine Herausforderung, diesen Aufwand umzusetzen. Und dann ist der Film auch zeitgemäß. Es lag mir fern, mit Groupies das Kino neu zu erfinden. Ich wollte eine schöne und zeitgemäße Unterhaltung machen.

Ricore: Für "Sophie Scholl - Die letzten Tage" wurden Sie vielfach ausgezeichnet. Trotzdem war der Film nicht ganz so erfolgreich wie "Harte Jungs". Was ist Ihnen wichtiger, die künstlerische Wertschätzung oder mit ihren Filmen mehr Menschen zu erreichen.

Rothemund: Wenn ich einen Film mache, denke ich weder an Preise noch an das Publikum. Mein einziger Motor ist der Selbstzweifel. Der Film muss in erster Linie mir selbst gefallen. Ich könnte niemals einen Film machen, der eine bestimmte Anzahl von Zuschauern in die Kinos locken muss. Ich bin selbst ein kritischer Zuschauer, wenn ich ins Kino gehe und auch meinen eigenen Filmen gegenüber bin ich sehr kritisch. Das Wichtigste ist, dass ich den Film so gut wie möglich hinkriege. Alles andere, die Vermarktung des Films durch den Verleih etwa, ist sekundär. Ich habe lieber einen Film, mit dem ich super zufrieden bin, als einen Film, mit dem ich unzufrieden bin, der aber viele Zuschauer hat.

Ricore: Aber finden Sie es nicht schade, dass sie mit "Sophie Scholl" so kurz vor dem Oscar standen...

Rothemund: Nein, man macht ja keine Filme, um Preise abzuräumen. Es geht darum, mit großer Leidenschaft einen Film und die einzelnen Szenen mit einem Team wahrhaftig herzustellen. Das Leben ist voller Herausforderungen und voll von Geschichten, die man zu einem Film machen kann. Man muss nur schauen, dass man sich nicht wiederholt. Ich habe drei Jahre lang an "Sophie Scholle" gearbeitet und werde mit ziemlicher Sicherheit keinen Film mehr machen, der in den 1940er Jahren spielt.
X Verleih
Sophie Scholl - Die letzten Tage
Ricore: Der Film hatte damals auch einen familiären Hintergrund.

Rothemund: Mit Sicherheit. Meine Großeltern waren beide Nazis. Und ich habe die Arbeit an "Sophie Scholl" auch dazu genutzt, um mehr über meine Großeltern herauszufinden. Meine Oma war Diskuswerferin. Sie hat bis zu ihrem 70. Lebensjahr einen Teller als Diskus geworfen. Ihr größter Traum war es, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Für die Spiele 1936 war sie zu jung und so hat sie hart auf die Olympiade 1940 hingearbeitet. Alles andere hat sie nicht interessiert, sie hatte nur Augen für den Sport. Aus diesem Grund hat sie bedenkenlos Heil Hitler mitgeschrien. Das Thema des Wegschauens und Schönredens, das im Film angesprochen wird, war sicher auch eine persönliche Komponente.

Ricore: Womit haben Sie sich vor "Groupies" beschäftigt. Man hatte den Eindruck, dass Sie eine Pause eingelegt haben.

Rothemund: Ich hatte mal von der Villa Aurora ein Stipendium für Amerika bekommen, wo ich einige Monate gewesen bin. Von dort hatte ich ein paar Filmangebote, aber dort muss man sich meist erst von den C- über die B-Filme hocharbeiten. Außerdem arbeite ich seit Jahren an meinem eigenen amerikanischen Drehbuch über die Bürgerrechtsbewegung der 1950er Jahre. Es ist eine wahnsinnige Recherche-Arbeit, die mit diesem Stoff zusammenhängt. Außerdem habe ich einen Dokumentarfilm mitproduziert, der wahnsinnig schwer zu schneiden war. Der Film heißt "The Journey of an Olive Tree". Es geht darin um Juden, Christen und Moslem mit schweren Traumatas, die in einem Automobil von Jerusalem nach Tripolis fahren. Damit habe ich ein gutes Jahr verbracht. Als Regisseur kann man nur auf ein Pferd setzen. Wenn man Ideen für mehrere Filme hat, sollte man sich nur auf eine Geschichte konzentrieren. Wenn ein Film fertig ist, kann man sich der nächsten Geschichte annehmen.

Ricore: Sehen Sie sich langfristig eher in den USA oder in Deutschland?

Rothemund: Ich bin gerne in den USA. Das Wetter ist dort sehr schön und man trifft viele spannende Menschen. Es herrscht dort eine Wahnsinnsatmosphäre. Als ich für den Oscar nominiert war, war die Reaktion in Deutschland nach der Verleihung: Oh, nicht gewonnen. In Amerika hieß es: Wow, congratulations. Niemand wäre auf die Idee gekommen zu sagen, dass man leer ausgegangen ist. Trotzdem würde ich dort nicht leben wollen. Aber ich würde ob der Herausforderung willen gerne einen Film in Amerika drehen.
Ralf Hake/Ricore Text
Marc Rothemund
Ricore: Sie haben in ihrer Laufbahn politische Filme gedreht, wozu sicher auch "Sophie Scholl" gehört. Auf der anderen Seite haben sie reine Unterhaltungsfilme gemacht wie jetzt "Groupies". Werden Sie weiter zweigleisig fahren?

Rothemund: Unbedingt. Das war für mich schon immer klar. Der Film, der mich früher am meisten beeindruckt hat, war "Kramer gegen Kramer". Er hat mir gezeigt, wie man das Publikum emotional mitnehmen kann. Ich habe mir diesen Film mehrmals angesehen, weil ich es nicht glauben konnte, wie echt er die Problematik dargestellt hat. Für mich gibt es im Leben kein Lachen ohne Weinen. Darum könnte ich unmöglich nur Komödien machen. Genauso wenig könnte ich ausschließlich politische Filme drehen. Im wahren Leben schaue ich mir auch abwechselnd Komödien und Dramen an. So fahre ich auch mit meinen Filmen. Direkt nach "Harte Jungs" habe ich für das Fernsehen "Die Hoffnung stirbt zuletzt" gemacht. Ein Film über Mobbing, in dem so viel gemobbt wird, bis sich die Opfer am Ende erschießen. Die Leute zum Lachen zu bringen ist schwieriger als sie zum Weinen zu bringen. Auf der anderen Seite ist es schwierig, die Leute bei einem ernsten Film zum Nachdenken zu bringen. Aber Tatsache ist, dass ich beides machen muss.

Ricore: Was sind ihre nächsten Projekte?

Rothemund: Es gibt zwei Projekte, die ich anvisiert habe. Das eine ist die Verfilmung des Romans "Heute bin ich blond". Das andere ist auch eine Roman-Adaption, und zwar "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Es ist ein Buch aus den 1970er Jahren über eine jüdische Familie in Berlin 1933, das aus der Sicht eines neunjährigen Mädchens erzählt wird. Ich hoffe, dass eins dieser Projekte finanziert wird. Wenn keines von beiden zustande kommt, mache ich vielleicht noch eine Komödie. Damit kann ich Zeit gewinnen, um eines der Dramen auf die Beine zu stellen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. September 2010
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Als Lila (Anna Fischer) nach einjährigem USA-Aufenthalt nach Berlin zurückkehrt, steht die Stadt wegen der Band Kostja Ullmann) begegnet. Auch er ist von dem Mädchen angetan. Die beiden verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, welche Turbulenzen dies zur Folge hat. "Groupies bleiben nicht zum Frühstück" ist eine kurzweilige Komödie, deren Medienkritik zugunsten der Unterhaltung stark zurückgenommen ist.
Marc Rothemund beginnt seine Karriere als Regie-Assistent von Helmut Dietl, Dominik Graf und anderen Regisseuren. Als Regisseur pendelt der Autodidakt mit Bedacht zwischen leichten Komödien und ernsten Dramen. Seinen Durchbruch schafft er mit "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" (1998). Die Komödie "Harte Jungs" gehörte 1999 mit 1,7 Millionen Kinobesuchern zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. Die Hoffnung stirbt zuletzt" über das Schicksal einer..
2024