Senator
Regisseur Andreas Dresen
Perfektionist Andreas Dresen
Interview: Kein Freund des großen Bahnhofs
Nach den Erfolgen von "Nachtgestalten" und "Halbe Treppe" verfilmt Andreas Dresen einen Roman von Christoph Hein. Mit wirklichkeitsnahem und gesellschaftskritischem Blick schildert der ostdeutsche Regisseur den Niedergang eines wohlhabenden Autohändlers. Ricore Medien traf Andreas Dresen einen Tag nach der Weltpremiere von "Willenbrock" auf der Berlinale 2005. Der ambitionierte Filmemacher gab uns einen Einblick in sein Schaffen, seine allgemeine Lebenseinstellung und seiner dezidierten Meinung zum roten Teppich.
erschienen am 16. 03. 2005
Dresens Lieblingsschauspieler: Axel Prahl
Ricore: Sie mögen Charakteren, denen es im Leben erst gut ergeht, die aber früher oder später abstürzen. Spiegeln diese Figuren etwas von ihrer eigenen Persönlichkeit wieder?

Andreas Dresen: Mich interessieren Menschen, die in widersprüchliche Situationen geraten. Mit solchen Menschen kann man sich am besten identifizieren. Keiner läuft ständig mit strahlendem Gesicht herum. Jeder benimmt sich mal daneben. Ich habe eine Sympathie für Figuren, die sich menschlich, manchmal auch abgründig verhalten. Unsere Gesellschaft ist sehr erfolgsorientiert. Unser Wertegefühl orientiert sich an unserem Einkommen und beruflichen Errungenschaften. Wenn mal etwas daneben geht, ist das dann gleich eine Tragödie. Dabei ist Scheitern menschlich und gehört zum Alltag dazu. Ich mag Figuren, die ambivalent sind.

Ricore: Ist Ihr Beruf für Sie auch eine Art Therapie?

Dresen: Ich mag meinen Job und erzähle gerne Geschichten, die mich auch selbst interessieren. Ich hoffe nicht, dass ich Therapie benötige. Ich setzte mich einfach gerne mit der Welt, in der ich lebe und den Menschen, denen ich begegne auseinander. Natürlich kommt in meinen Filmen auch einiges vor, was mich selber betrifft. Als ich das Drehbuch zu "Willenbrock" zum ersten Mal las, war ich mit meiner Freundin in Griechenland. Nachts um vier wurde ich wach. Die Gardine wehte wie in einem Hitchcock-Film, vor mir stand eine dunkle Gestalt. Ich sprang auf und lief splitternackt hinter dem Eindringling her. Es konnte nie aufgeklärt werden, wer der Einbrecher war. Die Folge dieses Erlebnisses war, dass wir den Rest des Urlaubs und auch noch danach schlecht schliefen. Ein derartiges Erlebnis greift ins eigene Leben ein, dadurch sieht der Alltag plötzlich ganz anders aus. Der Einbruch verunsicherte mich sehr. Deshalb interessiere ich mich auch für Willenbrocks Verunsicherung - ein Gefühl, dass fast jeder verdrängt. Auch in politischer Hinsicht verdrängen die Menschen viel. Unser Reichtum ist auf Kosten anderer entstanden. Anderswo in der Welt, geht es Menschen lange nicht so gut wie uns.

Ricore: Haben Sie und Willenbrock sonst noch etwas gemeinsam?

Dresen: Nein, eigentlich nicht. Ich komme aus einem ganz anderen Milieu als Willenbrock. Ich bin auch nicht so ein Frauenheld wie er. Mit Autos habe ich auch nicht viel am Hut. Ich finde mich in ihm aber insofern wieder, dass ich auch manches aus meinem Alltag verdränge. Verdrängensmechanismen sind für Menschen wahrscheinlich überlebenswichtig, sonst steht man bestimmte Dinge nicht durch. Von Zeit zu Zeit meldet sich dann das schlechte Gewissen. Man nimmt viele Angelegenheiten nicht wahr, weil man sie eigentlich nicht wahrhaben will, ob das nun soziale Spannungen in der Gesellschaft sind oder kleine Unglücke im Freundes- und Familienkreis. Wenn sich diese Probleme dann in den Vordergrund schieben, ist das eine eklatante Erfahrung. Willenbrock ist sehr lange nur Betrachters des Unglücks. Am Anfang des Filmes fährt er an einem Unfall vorbei, macht sich darüber aber keine großen Gedanken. Plötzlich wird er selber überfallen und steht auf der anderen Seite der Barrikade.
Delphi Filmverleih
Erfolgreicher Frauenheld: Willenbrock (Axel Prahl mit Anne Ratte-Polle)
Ricore: In "Willenbrock" und auch Ihren vorherigen Filmen halten Sie stets eine feine Balance zwischen Komik und Melancholie, Schein und Wirklichkeit, Zuversicht und Angst. Wie schwierig war der Drahtseilakt bei "Willenbrock" herzustellen?

Dresen: Ich erzähle gerne tragisch-komische Geschichten, denn auch im wahren Leben liegen Lachen und Weinen oder Bitteres und Absurdes oft dicht beieinander. Im Entstehungsstadium des Filmes überlegte ich gemeinsam mit Drehbuchautorin Laila Stieler, wie man die etwas schwere Romanvorlage von Christoph Hein mit Humor auflockern kann. Wir wollten den Figuren Wärme einhauchen, damit das Publikum eine "Beziehung" zu unseren Figuren bekommt. Willenbrock ist teilweise ein richtiges Arschloch, deshalb muss ihn jemand so spielen, dass die Zuschauer ihn trotz seiner Fehler leiden können. Der Akt der richtigen Balance setzte sich beim Drehprozess fort bis hin zur Bildmontage.

Ricore: In "Willenbrock" kommen mehr erotische Szenen vor als in Ihren vorherigen Filmen. Woran liegt das?

Dresen: Das ergibt sich aus Willenbrocks Lebensweise. Er ist ein Schürzenjäger. Nachdem er mit einer fremden Frau geschlafen hat, will er trotzdem mit seiner eigenen schlafen. Er kann einfach nicht genug kriegen. Dieser Drang immer alles haben zu wollen, führt dazu, dass er am Schluss alles verliert - das ist wie die Geschichte vom "Fischer und seiner Frau".

Ricore: Die Russen kommen in dem Film nicht immer so gut weg. Haben Sie keine Angst vor der Russenmafia?

Dresen: Nein. Ich finde auch nicht, dass die Russen so schlecht dargestellt werden. In dem Film fällt der wichtige Satz eines Staatsanwalts. Er erzählt von einem Russen, der lieber in ein deutsches Gefängnis geht als zurück in seine Heimat. Denn in der hiesigen Haftanstalt verdient er mehr, als daheim auf Arbeit. Diese Aussage ist sehr wichtig, denn sie benennt das Motiv dieser Leute, die nach Deutschland kommen und kriminell werden. Ihnen geht es nämlich daheim viel beschissener als uns. Wir leben gerne auf Kosten von anderen, denen es nicht so gut geht wie uns. Willenbrock hat einen polnischen Schlosser, dem er sicher weniger Kohle zahlen muss als einer deutschen Kraft. Ganz selbstverständlich verscherbelt er eine Reihe von Autos nach Russland. Mir ist wichtig, Kriminalität, die an unserer Wohlstandgesellschaft kratzt, von einer anderen Seite zu zeigen. Sie hat ihre Ursache in dem starken sozialen Gefälle unserer Welt. Es wird uns wenig nützen Alarmanlagen zu bauen und das Justizministerium zu bemühen, so lange wir nicht die Ursache der Probleme beheben.
Alles in Butter? Willenbrock nach dem Überfall
Ricore: In der Romanvorlage von Christoph Hein spielt die Handlung fünf Jahre früher als in der Verfilmung. Wieso?

Dresen: Der Roman erzählt eine Nachwendegeschichte, die Mitte der 1990er Jahre spielt. Es geht um das allmähliche Ankommen eines Menschen im neuen Deutschland und den florierenden Automarkt der damaligen Zeit. Die Leute aus dem Osten waren alle ganz scharf auf ein neues Auto. Deshalb war der Autohandel nach der Wende ein goldenes Geschäft. Wenn man es clever anstellte, konnte man damit relativ schnell reich werden. Für uns war die Nachwendegeschichte im Bezug auf die DDR weniger interessant. Wir wollten eine Gegenwartsgeschichte erzählen, die etwas mit unserem Hier und Jetzt zu tun hat. In Deutschland gibt es derzeit einen großen Mittelstand. Die Ostdeutschen haben sich schon gut an die sozialen Gefälle der westlichen Welt angepasst. Für uns war die Verunsicherung der Gesellschaft über diese sozialen Gefälle interessant. Viele von uns saßen lange in ihren schicken Häuschen zwischen gelben Entsorgungstonnen in ihren Legolandsiedlungen und fühlten sich wohl. Plötzlich legt sich aber auch über ihr vermeintlich sicheres Leben ein dunkler Schatten. Wir alle machen uns auf trügerische Weise vor, dass unsere Welt in Ordnung wäre. Dadurch entstehen Kurzschlussreaktion wie der Irakkrieg.

Ricore: Kann man Ihren Film auch politisch einordnen?

Dresen: Ganz klar, der Film ist auch politisch gemeint. Ich will aber kein politisches Statement verkünden, sondern die Geschichte eines kleinen Mannes schildern. Obwohl die Thematik an sich ernst ist, soll der Film auch einen Unterhaltungswert haben. Das Publikum soll lachen dürfen. Lachen ist immer eine souveräne Art mit der eigenen Welt und Wirklichkeit umzugehen.

Ricore: Nicht viele deutsche Regisseure legen Wert auf Humor.

Dresen: Komik zu erzeugen ist schwierig. Es ist megapeinlich wenn man in seinem Film einen Gag einbaut und keiner darüber lacht. Vor der Premiere dachte ich mir auch: "Hoffentlich klappt auch alles" Es ist schwer Drama und Komik miteinander zu mischen. Die Gags müssen perfekt sitzen. Mein Humor ist kein Schenkelklopf-Humor, sondern fein stilisierte Alltagsbeobachtungen. Viel hängt von den Schauspielern ab. Jemand wie Axel Prahl trifft für mich den richtigen Ton. Wenn man sich gut kennt, kann man auch ganz kleine Pointen gut herausarbeiten. Nach einem Drehtag setzten wir uns oft noch gemeinsam hin und überlegen uns neue Clous für die nächsten Szenen.
Tragik und Komik: Dresen schafft eine feine Balance
Ricore: Auf der Pressekonferenz erwähnten Sie, dass Sie der Gang über den roten Teppich amüsiert. Warum?

Dresen: Ich bin kein Freund des großen Bahnhofs. Mit "Nachtgestalten" nahm das erste Mal einer meiner Filme am Berlinalewettbewerb teil. Der Film spielt im sozialen Milieu von Obdachlosen. Ich weigerte mich über den roten Teppich zu gehen, ich fand das irgendwie pervers. Es gab einen riesigen Aufstand. Der Festivaldirektor wurde sogar eingeschaltet. Mein Produzent kam schließlich zu mir und riet mir das Ganze einfach mit Humor zu sehen. Mittlerweile habe ich mich an die Regeln des Festivals gewöhnt. Wenn die Leute wüssten, wer da manchmal über den roten Teppich geht, würden sie nur lachen. Als Peter Rommel (Produzent von "Nachgestalten") und ich für "Nachtgestalten" über den roten Teppich latschten, waren wir beide pleite. Ein Jahr lang hatten wir umsonst gearbeitet. Unsere finanzielle Lage war eine einzige Katastrophe.

Ricore: Sind Sie ein risikofreudiger Mensch?

Dresen: Wenn man einen Film produziert, muss man risikobereit sein. Wenn was schief geht, dann geht halt mal ein Film daneben. An sich bin ich aber schon ein ängstlicher Mensch. Ich bin nicht so gestrickt, dass ich direkt ins offene Messer rein rennen würde. Meine Angst führt aber leider auch dazu, alles nach Plan machen zu wollen. Kurz vor "Nachtgestalten" stellte ich fest, dass es für mich tödlich ist, nach Plan zu arbeiten. Ich muss mir selber instabile Situationen schaffen, um qualitative Filme machen zu können. Ich verunsichere mich quasi selbst, um nicht zur Ruhe zu finden.

Ricore: Sind sie ehrgeizig?

Dresen: Auf jeden Fall. Ich bin ein Perfektionist. Wenn ich einen Film mache, versuche ich immer alles unter Kontrolle zu haben. Ich bin immer mit im Schneideraum. Ich versuche meine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ich will die Leute, die ins Kino gehen, nicht enttäuschen.
erschienen am 16. März 2005
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Sie passen gut zusammen, Andreas Dresen und seine Filme. Auf den ersten Blick eher unscheinbar, erweisen sie sich dem genaueren Beobachter rasch als mutig, klug, zugleich bodenständig und fantasievoll, zudem von einem feinen Sinn für die Abgründe und Absurditäten des Alltäglichen durchzogen. Andreas Dresen ist ein Abenteurer - einer, der seine Schwächen und Ängste gut genug kennt, um sie immer wieder neu herauszufordern. Seit "Nachtgestalten" hat Dresen nicht nur das Publikum begeistert,..
2024