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Tom Tykwer auf der Pressekonferenz zu "The International"
"Der Mensch lebt auf den Tod hin"
Interview: Tom Tykwer über Leben und Tod
Nach internationalen Großprojekten wie "Heaven" und "Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders" sowie der Hollywoodproduktion "The International" dreht Tom Tykwer mit "Drei" nach zehn Jahren wieder einen Film in deutscher Sprache. Darin erzählt der Regisseur, wovon er immer erzählt, von Menschen, die die Einschränkung ihrer Umwelt überwinden und zu einer neuen Existenzform aufbrechen. Im Gespräch mit Filmreporter.de sprach Tykwer über seine Ansichten über die Spezies Mensch und verriet, warum dieser für eine monogame Langzeitbeziehung einfach nicht gestrickt ist.
erschienen am 23. 12. 2010
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Drei
Ricore: Herr Tykwer, Sie gelten als großer Filmenthusiast, der nicht nur gerne Filme macht und sich Filme anschaut, sondern es auch mag, über Filme zu reden. Ist für Sie ist, anders als bei so manchen ihrer Kollegen, eine Interview-Situation auch ein Vergnügen?

Tom Tykwer: In der Regel schon. Ich bin froh, wenn ich immer ein bisschen abschweifen darf und mein Gegenüber das mitmacht, indem er das Referenzsystem erweitert und nicht immer die offensichtlichen Fragen stellt. Ich verstehe aber auch, dass solche Fragen oft einfach sein müssen. Ich rede gerne über Filme und die Tentakel, die sie in alle Richtungen ausstrecken

Ricore: Interessieren Sie sich dabei eher für formale oder inhaltliche Aspekte?

Tykwer: Das greift ineinander. Schließlich kann man nicht ernsthaft über visuelle Zeichen reden, wenn sie nichts bedeuten.

Ricore: Mit "Drei" haben Sie nach zehn Jahren wieder einen Film in Deutschland realisiert. Ist das Ausdruck einer Sehnsucht nach Zuhause oder Flucht vor internationalen Großproduktionen?

Tykwer: Das war ganz einfach der nächste Film. Über die Jahre lernt man, mehrere Kochtöpfe gleichzeitig auf den Herd zu stellen und es vor sich hin köcheln zu lassen. Man beobachtet immer sehr sorgfältig, welches Gericht essbar ist oder überhaupt nach irgendwas schmecken wird. Dann findet man die letzten Zutaten, bis man sagen kann, dass die Mahlzeit servierfertig ist. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, wie klein die deutsche oder wie groß die internationale Filmproduktion ist. Es kommt vielmehr darauf an, was mich anzieht und zu dem ich einen starken Impuls hin fühle. Es muss sich dabei nicht unbedingt um einen Stoff handeln, der einer Reflexion entspringt, sondern kann auch Dinge umfassen, die für mich einfach relevant sind, und das sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht. Ein anderer Aspekt ist die Tatsache, dass ich immer mit einer kreativen Familie Filme mache. Gegenüber meinem Mitarbeiterstab verspüre ich eine gewisse Verpflichtung. Letztlich bin ich der Master of the Ceremony einer kreativen Gruppe, der immer etwas Neues aufzutischen hat.
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Tom Tykwer
Ricore: Hatten Sie nicht dennoch den Eindruck, dass Sie als Künstler in internationalen Produktionen auf der Strecke bleiben?

Tykwer: Nein, gar nicht. "The International" ist exakt der Film, den wir machen wollten. Ich hatte schon immer einen starken Bezug zu Kinohistorischen Vorbildern. Anders als in "Drei", wo wir bemüht waren, alle erzählerischen Konventionen außen vor zu lassen, fand ich es toll, dass wir in "The International" bestimmte Muster und Regeln bedienen konnten. Wir konnten neue Wege gehen, ohne alles zertrümmern zu müssen. Das fand ich sehr aufregend. "The International" war zwar ein typisches Beispiel einer großen Studioproduktion. Dennoch ist es ein absoluter Fehlschluss zu glauben, dass man als Regisseur bei den amerikanischen Majors weniger Einfluss hätte. Im Gegenteil, man ist der absolut uneingeschränkte Boss eines Films. Es gibt geradezu eine Vertikalität, die auf den Regisseur zugeschneidert ist und die fast erschreckend ist. Man wird mit maximaler Macht ausgestattet. Es muss jedoch eine Bedingung erfüllt bleiben - nicht das Budget überziehen (lacht). Wenn man im Budget bleibt, kann man noch so verrückten Unsinn veranstalten, ohne dass man wirklich in Frage gestellt wird. Oft werde ich gefragt, ob ich mir meine Schauspieler aussuchen darf. Das ist eine groteske Frage. Gerade in Amerika würde niemand es wagen, mir eine Schauspielerin oder einen Schauspieler aufzuzwingen.

Ricore: Die Tatsache, dass Sie einen festen Mitarbeiterstab haben, bringt letztlich auch eine gewisse Konstanz in die Filme.

Tykwer: In dieser Gruppierung und Partnerschaft steckt das, was man allgemeinhin Stil nennt. Das gewährleistet mir auch eine Planungssicherheit, die ich einfach brauche, um meine Projekte vorzubereiten. Egal wie neu und aberwitzig ein Stoff ist, ich weiß, dass wir uns mit unserer Filmsprache über dieses Projekt hermachen werden. Durch diese Partnerschaft stehe ich allerdings auch manchmal unter dem Druck, immer etwas Neues und Ungewöhnliches aus dem Hut zaubern, damit ich meine Mitarbeiter dafür begeistern kann. Schließlich haben sie auch andere Angebote.
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Tom Tykwer
Ricore: Auch "Drei" ist ein Tom-Tykwer-Film. Wenn man ihn mit Ihren vorausgegangenen Filmen vergleicht, kann man durchaus thematische Parallelen ausmachen. Auch hier gehen die Figuren einen leidvollen Weg in Richtung Befreiung und Erlösung. Nur leben Hannah und Simon in vergleichsweise glücklichen Verhältnissen. Warum bedarf es da einer Erlösung?

Tykwer: Ich hatte nie gedacht, dass sie sich befreien müssen. Aber natürlich befinden Sie sich in einer Situation, die für viele Langzeitbeziehungen gültig ist und die der Film genau untersucht. Sie stehen in einem Verhältnis zueinander, das von großem Vertrauen und Sicherheit geprägt ist. Gleichzeitig werden sie von der gemeinsam gelebten Geschichte zusammengehalten. Trotzdem haben auch sie mit Problemen zu kämpfen, nämlich mit der Tatsache, dass der Befriedigungsfaktor und die Neugierde reduziert sind. Die Erotik hat in Langzeitbeziehungen einen anderen Stellenwert als bei Frischverliebten. Das aufgeregte Element verschwindet mit der Zeit. Wenn man von den Trieben ausgeht, ist der Mensch für eine monogame Langzeitbeziehung nicht gestrickt. Das ist biologisch unrealistisch, wenn man so will. Dennoch bezwingen wir diese Determinierung durch unser Bewusstsein. Schließlich sind wir Glaubensbrüder, die davon ausgehen, dass Beziehungen einen höheren Wert haben als eine konstante Triebabfuhr. Doch ändert das nichts daran, dass wir heimlich mit unseren Sehnsüchten und unerfüllten Wünschen brüten und das selbst in einer funktionierenden Beziehung wie der, die wir in "Drei" zeigen.

Ricore: Die Probleme sind kleiner geworden und liefern offenbar doch genug Stoff für einen ganzen Kinofilm.

Tykwer: Gerade das fand ich als Ausgangspunkt interessant. Man muss nicht unbedingt eine Beziehung mit fundamentalen Krisen zeigen, auch eine liebende Beziehung kann mit Problemen kämpfen. Hanna und Simon sind sich in der langen Zeit ihres Zusammenseins ähnlich geworden. Ihre Beziehung hat etwas Geschwisterliches. Das kennt man von vielen Paaren, die sich mit der Zeit physiognomisch angleichen, weil sie sich in eine Symbiose reingeworfen haben. Entsprechend ähnlich sind auch die Sehnsüchte bzw. die unerfüllten Wünsche. Das ist das Aberwitzige, das "Drei" erzählt. Hanna und Simon verlieben sich in dasselbe Objekt der Begierde. Sie sind sich so ähnlich geworden, dass das, was ihnen fehlt, auch ähnlich ist. Als Erwachsene stehen wir immer unter dem Druck, uns eine bestimmte ästhetische Folie auszuwählen, etwa einen Kleidungsstil oder einen bestimmten Beruf, die nichts anderes ausdrücken als: So bin ich. Im Innern lauert aber der Zweifel daran, ob man tatsächlich so ist und ob dieses Ich einem nicht durch Druck von außen aufgezwungen wurde. Viele Menschen leben in einer Situation, in der sie eigentlich ungern leben. Andere mögen mit ihren Entscheidungen zwar zufrieden sein, kommen dann aber doch irgendwann zu einem Punkt, wo sie ihre Situation als abgenutzt betrachten. Insofern handelt der Film nicht von schweren, sondern von ganz realen Krisen, die uns immer wieder ereilen.

Ricore: Braucht der Mensch das Neue und Unbekannte?

Tykwer: Das gehört zu unseren genetischen Dispositionen, dass wir Erneuerungsbedürfnisse haben. Wir haben immer das Bedürfnis nach Transformationen, weil uns die Gleichheit zwar Ruhe und Sicherheit gibt, uns aber auch regelmäßig panisch werden lässt, weil sie uns an das Ende erinnert. Man denkt zwangsläufig darüber nach, was noch kommt und stellt fest, dass nur noch der Tod kommen kann. Um der Endlichkeit zu entkommen, sehnen wir Neuanfänge herbei oder stellen uns diese wenigstens in der Fantasie vor. Das finde ich insofern faszinierend, weil selbst zufriedene Menschen irgendwann mit der Skepsis anfangen. Es gibt eine innere Nervosität, die mit dem Ablauf der Zeit zusammenhängt.
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Tom Tykwer auf der Pressekonferenz zu "The International"
Ricore: Das Wissen um den bevorstehenden Tod ist letztlich auch in "Drei" mitbestimmend für den Erneuerungsdrang der Figuren.

Tykwer: Die Figuren gehen gemeinsam durch die Stürme des Lebens. Da stirbt die Mutter, es gibt die Diagnose einer schweren Erkrankung. So skandalös und dramatisch diese Sachen auch sind, so gewöhnlich sind sie auch zugleich. Eltern sterben nun mal irgendwann, insofern muss man früher oder später da durch. Der Tod ist das Natürlichste auf der Welt und doch die größte Katastrophe, die man sich ausmalen kann. Er ist der Grund dafür, dass wir mit einer solchen Kraft aus der Bahn geworfen werden, dass wir am nächsten Morgen nicht wie jeden Tag ins Büro gehen können. Dass das Leben nicht die Dramaturgie hat, wie es sie im Film gibt. Die Linienbewegung des Films folgt den chaotischen Wellenbewegungen des Lebens.

Ricore: Das Motiv des Todes hat in Ihren Filmen somit auch etwas Positives an sich.

Tykwer: Ich finde, der Tod ist die größte Unverschämtheit, die es gibt. Trotz der ganzen Natürlichkeit, die der Tod an sich hat, ist er dennoch schrecklich. Die Leichtigkeit, mit der ich in "Drei" auf den Tod blicke, liegt höchstens in seiner Natürlichkeit und daran, dass er nun mal zum Leben gehört.

Ricore: Spielt das Thema Tod in Ihrem Leben eine Rolle, setzen Sie sich damit auseinander?

Tykwer: Ja, sonst würde ich keine Filme darüber machen. Wer sich mit Mitte 40 keine Gedanken über den Tod macht, ist es die höchste Eisenbahn (lacht). Denn der Tod kann jeden Moment passieren. Die Quote geht gerade rapide nach oben. Es gibt einen Punkt im Leben, wo man erkennt, dass man nicht mehr von der Geburt weg lebt, sondern auf den Tod hin. Manche Menschen haben mit 30 diese Erkenntnis, andere mit 40 oder 50. Ab diesem Moment geht eine gewisse Unschuld verloren. Man erkennt, dass jeder verstrichene Tag ein Tag weniger im Leben ist. Das verändert die Haltung eines Menschen grundsätzlich.

Ricore: Ihre Filme werden immer wieder von religiösen Motiven durchzogen. Kann man ihr Werk religiös interpretieren und sind sie selbst religiös?

Tykwer: Ich hoffe, dass man meine Filme religiös interpretieren kann. Aber ich selbst bin konsequent agnostisch.
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Tom Tykwer
Ricore: Sie zeigen oft Figuren in festgefahrenen und die Freiheit einengenden Verhältnissen. Sie sind oft gefangen in einer lethargischen Welt. Andererseits räumen Sie Ihnen am Ende die Möglichkeit einer Erlösung und Befreiung ein. Sind Sie ein Fatalist oder doch ein Romantiker?

Tykwer: Die Lebensverhältnisse sind in meinen Filmen ja nicht immer schlecht. Es gibt komplizierte und es gibt gute Verbindungen. Es gibt liebevolle Verhältnisse und weniger liebevolle. Ich versuche, das ganze Spektrum des Lebens zu zeigen. Es stimmt, in "Der Krieger und die Kaiserin" gibt es dieses Irrenhaus des Alltags. Trotzdem ist es kein Ort, an dem nur gelitten wird. In "Heaven" ist die Ausgangssituation sehr dramatisch. Dagegen steht aber der junge Mann, der in einem sehr zugewandten und fürsorglichen Elternhaus lebt. D.h. die Verhältnisse sind nicht so eindeutig desolat. In "Drei" haben die Figuren ein tolles Leben. Sie arbeiten an verschiedenen Orten, kriegen beide viel von der kulturellen Gegenwart Deutschlands mit. Sie sind beide auf die Welt bezogen. Gleichzeitig sind sie von ihrer Mannigfaltigkeit überfordert. Auch das faszinierte mich in "Drei".

Ricore: Ein anderes großes Thema Ihres Werks ist die medial vernetzte Welt.

Tykwer: Ja, die Medien haben sich in den letzten Jahren derart entwickelt, dass wir in der Lage sind, vieles gleichzeitig wahrzunehmen. Doch können wir alle diese Informationen absorbieren und verarbeiten? Können wir damit etwas anfangen? Wenn man von den persönlichen Schicksalsschlägen überschattet ist, wiegen die Katastrophen auf der Welt geringer, obwohl sie objektiv gesehen viel schlimmer sind. Obwohl diese Ereignisse in der Zeitung stehen und im Fernsehen gezeigt werden, ändert das nichts daran, dass wir einen Großteil unseres Lebens mit unseren kleinen und persönlichen Sorgen verbringen. Dieser Druck, uns immer wieder zu reorganisieren ist ein großes Unterthema in "Drei".

Ricore: In "Drei" gibt es Szenen eines tanzenden Paares, dessen Thema auf das Thema des Films verweist. Sowohl Simon als auch Hanna arbeiten in der Kunst- und Kulturszene. Welche Bedeutung hat die Kunst- und Kulturpräsenz für "Drei"?

Tykwer: Ich finde es faszinierend, dass wir es so selbstverständlich finden, uns über Kultur auseinanderzusetzen. Kultur ist das Referenzsystem des Menschen beim Kennenlernen. Über die Membran der Kultur und kulturellen Ereignisse findet heute das Leben statt. Wenn man jemanden in einer Kneipe kennenlernt, dann läuft diese erste Begegnung immer über das Gespräch über ein wichtiges Buch. Und wenn man selber das betreffende Buch nicht mag, dann ist das schon ein Grund, auf Distanz zu gehen. Viele Menschen teilen Ihr Leben nach kulturellen Events ein. Diese Woche gehe ich ins Kino, in der nächsten ins Theater oder auf ein Konzert, usw. Das sind die Eckpunkte, in denen wir unsere Monate und Jahre einteilen. Durch die Kultur definieren wir uns zunehmend. In Facebook gibt es die Rubrik "Wer bin ich", und dann werden die Lieblingsbücher, die Lieblingsfilme und die Lieblingsmusik aufgezählt Die Kultur ist also ein zentrales Kriterium für unsere Begegnungsformen und ein Referenzsystem unserer Persönlichkeit. Trotzdem kommt sie im Kino so selten vor. Manchmal spielt sie etwa bei Woody Allen oder Pedro Almodóvar hinein. Ansonsten geht es im Film immer direkt um den Konflikt, der mit dem Plot zu tun hat.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 23. Dezember 2010
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