Prokino
Dany Boon am Set von "Nichts zu verzollen"
Zwischen Religion und Kultur
Interview: Dany Boon belächelt Absurdes
Mit "Willkommen bei den Sch'tis" inszenierte Dany Boon den erfolgreichsten Film der französischen Filmgeschichte und spielte darin eine Hauptrolle. Wie bewältigt man als Künstler ein solches Erfolgserlebnis? Mit welcher Einstellung geht man an das nächste Projekt heran? Im Gespräch mit Filmreporter.de zu seiner neuen Komödie "Nichts zu verzollen" hatte der Franzose mit algerischen Wurzeln eine einfache Antwort parat. Man soll zu dem Wirbel um die eigene Person möglichst auf Abstand gehen und sich nicht allzu ernst nehmen. Außerdem sprach der 45-Jährige mit uns über die Gründe seiner Konvertierung zum Judentum und wie diese Entscheidung von seiner Familie aufgenommen wurde.
erschienen am 30. 07. 2011
Prokino
Nichts zu verzollen
Ricore: "Nichts zu verzollen" thematisiert den alltäglichen Rassismus. Wurden Sie selbst damit konfrontiert?

Dany Boon: Mein Vater stammt aus Kabylien, einem Gebirgsland in Algerien. Die Kabylen sind eine Volksgemeinschaft, die ihre eigene Sprache und Kultur hat. Mein Vater war stolz auf seine Herkunft. Als er nach Frankreich emigrierte, gehörte Algerien noch zu Frankreich. Er war 18 Jahre alt und Boxer. Als er den Sport nicht mehr ausüben konnte, wurde er Lastwagenfahrer. Mit 34 oder 35 Jahren hat er meine Mutter kennengelernt, die damals 17 Jahre alt war. Erfahrung mit dem Rassismus habe ich zum ersten Mal in meiner Familie gemacht. Meine Großeltern waren wegen des katholischen Glaubens meiner Mutter gegen die Beziehung meiner Eltern und wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Meinen Opa habe ich nur einmal in meinem Leben gesehen, obwohl er nicht weit weg von meinem Zuhause lebte. Mit 15 Jahren beschloss ich, ihn zu besuchen. Er war schwer krank und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Trotzdem stand er während meines Besuchs auf und lief mir entgegen. Es war ein sehr aufregender Moment, weil ich nicht wusste, was er tun würde. Plötzlich blieb er vor der Tür stehen und schlug sie vor meiner Nase zu. Ich war so überrascht und schockiert, dass ich lachen musste.

Ricore: Wie ist es mit Ihrer Oma?

Boon: Auch meine Oma habe ich nicht sehr oft gesehen. Wenn ich sie dann mal traf, hat sie nur Schlechtes über meinen Vater erzählt.
Pathé Films AG
Regisseur und Darsteller Dany Boon
Ricore: Wie verhalten Sie sich, wenn Sie Zeuge von Rassismus werden?

Boon: Ich würde den Menschen zu verstehen geben, dass sie mit ihren Ansichten falsch liegen. Der Rassismus, mit dem ich in meiner Jugend konfrontiert war, ist jedoch eine komplizierte Sache. Da gab es Anfeindungen seitens der Franzosen gegen meinen Vater, weil sie dachten, dass er Araber sei. Kabylen waren zugleich Anfeindungen seitens der Araber ausgesetzt. Umgekehrt hatten die Kabylen etwas gegen Araber. Das ist eine endlose Geschichte. Mein Vater war ein sehr weiser Mann und wurde von den Franzosen insgesamt doch sehr herzlich aufgenommen. Deshalb liebe ich so sehr die Region in Nordfrankreich, aus der ich stamme.

Ricore: Trotzdem hatten es Ihre Eltern nicht leicht in ihren Anfängen.

Boon: Nein. Meine Eltern lebten in einer kleinen Hütte, in der es kein fließendes Wasser, keine Elektrizität und keine Küche gab. Die Hütte stand unweit einer Kirche. Meine Mutter war damals 17 und schwanger. Sie war sehr religiös und der Priester der Kirche bat meine Eltern, das Häuschen zu beziehen.

Ricore: Hätten Sie selbst etwas dagegen, wenn etwa Ihre Kinder Mitglieder einer ethnischen Minderheit heiraten würden.

Boon: Nein, ich wäre sogar glücklich darüber. Ich will, dass meine Kinder glücklich sind und ihr Leben genießen. Ich hoffe, dass sie wissen, was sie wollen und jede ihrer Entscheidungen sie glücklich macht. Wichtig ist, dass sie die richtige Wahl treffen. Problematisch wäre es allerdings, wenn sie sich entscheiden, ultraorthodox zu werden. Das wäre etwas heikel (lacht). Nein, ich bin weder Rassist, noch bin ich voreingenommen. Mir sind meine Mitmenschen wichtig. Vielleicht ist das auch der Grund für meinen Erfolg. Ich bin erfolgreich, weil ich die Menschen liebe. Ruhm ist für mich irrelevant.
Prokino
Dany Boon in "Nichts zu verzollen"
Ricore: Trotzdem sind Sie extrem populär in Frankreich. Wie gehen Sie mit dem Rummel um Ihre Person um?

Boon: Ich habe mich dafür entschieden und habe die Kontrolle behalten. Schwieriger ist es für meine Kinder. Sie sehen mich in der Öffentlichkeit und glauben, dass alle Menschen, mit denen ich Umgang habe, mich kennen. Dabei ist die Kommunikation mit den Menschen das Material für meine Arbeit. Durch den Kontakt mit ihnen komme ich auf Ideen für einen Film oder andere Projekte.

Ricore: Glauben oder hoffen Sie, dass Sie mit Filmen wie "Nichts zu verzollen" bei den Menschen eine Bewusstseinsänderung in Sachen Voreingenommenheit und Rassismus bewirken können?

Boon: Ich mache meine Filme in erster Linie, um zu unterhalten. Ich möchte die Menschen zum Lachen bringen. Gleichwohl kriege ich manchmal Briefe von Menschen, in denen sie mir schreiben, dass sie traurig oder deprimiert waren und nach meinem Film fröhlich wurden. Das Lachen habe ihnen in schweren Momenten geholfen. So etwas macht mich glücklich. Mehr erwarte ich nicht. Ob meine Filme allerdings die Welt zum Besseren verändern können, weiß ich nicht.

Ricore: Die Figuren in Ihren Filmen sind oft zurückhaltend und nett. Steckt in Ihren Charakteren einiges von Ihrer Persönlichkeit?

Boon: Ja, das ist mein bevorzugter Film-Charakter. Aber in meinem nächsten Film bin ich der Böse! (lacht)
Prokino
Dany Boon in "Nichts zu verzollen"
Ricore: "Willkommen bei den Sch'tis" war auch international ein Riesenerfolg. Standen Sie danach unter großem Erfolgsdruck?

Boon: Nein, ich habe den Druck an meine Mitarbeiter weitergegeben (lacht). Man muss meine Karriere in die Zeit vor und nach "Willkommen bei den Sch'tis" unterteilen. Davor musste meine Stimme schon mal laut werden, damit ich von den Produzenten und anderen Verantwortlichen überhaupt wahrgenommen werde (lacht). Sich durchzusetzen war nicht einfach. Erst nach einer Weile bekam meine Stimme etwas Gewicht. Nach den "Sch'tis" brauchte es nur kleine Gesten und meine Wünsche wurden umgesetzt. Das war so kurios, dass ich nicht anders konnte, als Scherze darüber zu machen. Man muss den Erfolg analysieren und Abstand zu ihm gewinnen. Ich habe mich oft selbst nicht ernst genommen. Wenn ich zu Hause ins Bad ging, dann sagte ich zu meiner Frau oft scherzhaft: "So, der König der Kinokassen geht jetzt aufs Klo". Zwei Monate lang fing ich fast jeden Satz mit "der König der Kinokassen" an (lacht).

Ricore: Wie haben die Belgier "Nichts zu verzollen" aufgenommen?

Boon: Sie haben ihn sehr gut aufgenommen. Der Film war dort ein großer Erfolg. Ich machte mir überhaupt keine Sorgen darüber, wie die Belgier auf den Film reagieren würden.

Ricore: Das liegt vielleicht auch am zweiten Hauptdarsteller Benoît Poelvoorde?

Boon: Wissen Sie, dass er tatsächlich ein Rassist ist? In einem Interview anlässlich "Nichts zu verzollen" wurde mir auch mal die Frage gestellt, ob ich in Belgien mit Rassismus konfrontiert wurde. Ich erzählte dabei die Geschichte, die ich in einem kleinen belgischen Städtchen nahe der französischen Grenze erlebte. An einer Bar sah ich ein Schild mit der Inschrift "Eintritt für Hunde und Franzosen verboten". Wissen Sie, wie die Reaktion Benoîts darauf war? "Oh, das muss aber hart für die Hunde sein." (lacht)
Pathé Films AG
Aufsteiger Dany Boon
Ricore: Ihre Frau ist Jüdin und Sie sind ihr zuliebe zu diesem Glauben konvertiert. Wie kam das in Ihrem familiären Umfeld an?

Boon: Meine Familie fand das in Ordnung, mit der Ausnahme vielleicht meiner alten Tante. Als sie meiner Frau zum ersten Mal begegnete, stolperte sie schon über ihren Vornamen. Meine Frau heißt Yael. Als meine Tante den Name hörte, fragte sie verwundert, woher er denn komme. Ich sagte ihr, dass das ein typischer israelischer Name und meine Frau Jüdin sei. "Oh", sagte sie. "Wissen Sie, während des Zweiten Weltkrieges haben wir viele Juden gerettet". Später sagte sie etwas ganz Furchtbares. Sie erzählte von einer Bekannten, die nach Afrika ging, um schwarze Seelen zu retten. Zurückgekehrt ist sie dann mit einem Afrikaner. "Das war widerlich", sagte meine Tante. "Was ist denn daran so widerlich?", fragte ich sie. "Ich weiß nicht, die Haut?" Sie war der Meinung, dass die Haut der Afrikaner der von Schlangen ähnelt. Das ist natürlich Unsinn und nur der blühenden Fantasie einer alten Frau zu verdanken. Man kann das auch freudianisch deuten. Die Schlange steht für das Phallische. Außerdem wird mit diesem Tier im christlichen Glauben von jeher das Verbotene und Tabuisierte assoziiert. Meine Schlussfolgerung nach ihrer Geschichte war folgerichtig: "Tante, du wolltest schon immer mit einem schwarzen Mann schlafen. Das ist deine erotische Fantasie". Irgendwann ließ sie durchblicken, dass da wohl etwas dran ist (lacht).

Ricore: Wie war die Reaktion Ihrer katholischen Mutter auf Ihre Konvertierung?

Boon: Meine Mutter wusste, dass ich es aus Liebe mache und fand das darum in Ordnung. Sie hat sogar die Kippot für alle Männer auf der Hochzeit genäht. Das war sehr nett von ihr. Sie zeigte viel Verständnis für meine Entscheidung. Letztendlich sind der Islam, das Judentum und das Christentum monotheistische Glaubensrichtungen. Sie haben den gleichen Gott und einige andere Gemeinsamkeiten. Ich selbst bin in gewisser Weise das Produkt aller drei Religionen.

Ricore: Wir reden viel über Religion. In Ihren Filmen lassen Sie das Thema aber außen vor. Wieso?

Boon: Der Grund ist einfach. Würde ich einen Film über Juden, Katholiken oder Moslems machen, dann wäre das keine Komödie mehr, sondern ein Drama.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. Juli 2011
Zum Thema
Dany Boon wird am 26. Juni 1966 in Frankreich geboren. Seine Karriere beginnt der französische Kabyle mit algerischer Abstammung als Komiker. Nach Auftritten auf kleinen Bühnen ist er schon bald mit einem eigenen Kabarettprogrammen im französischen Fernsehen zu sehen und erfolgreich. Seine kulturelle Herkunft aus der Region Nord-Pas-de-Calais im Norden Frankreichs würdigt er nicht nur in einzelnen Sketchen, er bestreitet ganze Programme in seinem Heimatdialekt. Willkommen bei den Sch'tis" ein..
Zollbeamter Ruben (Benoît Poelvoorde) hasst die Franzosen. Als mit dem Schengener Abkommen die Zollkontrollen an den Grenzen abgeschafft werden, bricht für ihn eine Welt zusammen. Franzose Mathias plagen andere Sorgen. Er ist in Rubens Schwester verliebt und fürchtet, dass ihre Zukunft am übersteigerten Patriotismus des Bruders scheitern könnte. Er fasst einen Plan, mit dem er Ruben für sich gewinnen will. Der dritte Film des französischen Komikers Dany Boon wartet zwar mit einigen witzigen..
2024