Kinowelt
Regisseur Cédric Klapisch ("Mein Stück vom Kuchen")
Kritischer Metaphoriker
Interview: Cédric Klapischs Finanzkrise
Französische Alltags-Komödien mit ernsthaftem Hintergrund sind Cédric Klapischs Spezialität. Auch "Mein Stück vom Kuchen" bietet neben viel Witz eine tragische Geschichte. Es geht um eine Französin, die durch die weltweite Finanzkrise unverschuldet verarmt ist. Im Interview mit Filmreporter.de erläutert Klapisch, weshalb die Protagonistin France heißt. Außerdem erklärt er, was ihn mit Frank Capra verbindet und wieso es besser ist, bei einem Film für Regie und Drehbuch verantwortlich zu sein.
erschienen am 14. 09. 2011
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Mein Stück vom Kuchen
Ricore: Was ist den gegensätzlichen Charaktere France und Steve gemein?

Cédric Klapisch: Beide sind sowohl Täter, als auch Opfer. Allerdings auf unterschiedliche Weise. Sie haben ein starkes Temperament. Darüber hinaus haben sie vermutlich nichts miteinander gemein.

Ricore: Was kann man Steve Positives abgewinnen?

Klapisch: Nicht sehr vieles, da er einen wirklich schlechten Charakter hat. Aber Steve sollte auch Charisma ausstrahlen, damit es glaubwürdig ist, dass France sich von ihm verführen lässt. Auf dieselbe Art können auch Zuschauer von ihm angezogen werden. Jemand, der in dem was er tut sehr erfolgreich ist, kann trotz einer schlechten Persönlichkeit verführerisch wirken. Das wollte ich anhand von Steve zeigen. Es ist wie mit Don Juan. Er ist verführerisch und teuflisch gleichzeitig.

Ricore: Wie charakterisieren Sie "Mein Stück vom Kuchen"?

Klapisch: Der Film ist ein Portrait unserer Zeit. Die soziale Situation ist derzeit sehr schwierig. Es gibt eine große Schere zwischen Industriearbeitern und Menschen, die im finanziellen Bereich arbeiten. Ich wollte zeigen, dass es nach der Finanzkrise eine soziale Krise gab. Beides hängt zusammen, obwohl dies verschwiegen werden soll. Der Film versucht zu zeigen, dass es tatsächliche eine Verbindung zwischen der Finanz- und der Realwelt gibt.

Ricore: Weshalb setzen sich Menschen nicht mit diesen Themen auseinander?

Klapisch: Ich glaube, dass wir uns nicht damit beschäftigen, weil wir es nicht verstehen. Aber ich halte es für wichtig, dass man zumindest versucht, etwas zu verstehen. Für jeden sollte klar sein, dass wir kurz vor einer neuen Finanzkrise stehen. Wir wissen, dass etwas wirklich Grausames passieren kann. Ich glaube, dass derzeit etwas noch Schlimmeres passiert, als vor fünf Jahren. Vermutlich ist die Finanzkrise noch nicht mal zu Ende. Mal sehen was in den nächsten Jahren passiert. Sehr optimistisch bin ich jedoch nicht.
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Karin Viard in "Mein Stück vom Kuchen"
Ricore: Dazu passt auch die Enten-Metapher des Films.

Klapisch: In Frankreich haben wir einen großen Gerechtigkeitsbegriff. In allen anderen europäischen Ländern gibt es diesen ebenfalls. Derzeit funktioniert er jedoch nicht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, dass alles, was zur Überwindung von Ungerechtigkeiten getan werden könnte, nicht umgesetzt wird. Deswegen verhält sich unsere Gesellschaft immer ablehnender und gewalttätiger.

Ricore: In Frankreich gehen immer wieder junge Bürger auf die Straße, um gewalttätig zu demonstrieren. Es ist sehr schade, dass sie nur so die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre Probleme lenken können.

Klapisch: Genau. Auf dem Land und in den Fabriken ist es genau so. Menschen werden entlassen und müssen etwas Gewalttätiges tun, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist wirklich traurig. Aber leider funktioniert es, dass Gewalt zu einem erfolgreichen Mittel wird.

Ricore: Wie haben Sie sich auf das Thema Ihres Film vorbereitet?

Klapisch: Ich musste in der Tat sehr viel recherchieren, weil ich vorher von dem Thema wenig wusste. Speziell mit Finanzen musste ich mich beschäftigen. Ich habe einen ganzen Monat Experten getroffen, um mich in das Thema einzuarbeiten.

Ricore: Haben Sie das Fach-Chinesisch der Finanzprofis verstanden?

Klapisch: Es war ziemlich schwierig. Aber es gab viele Leute die mir geholfen haben. Ich bin im Prinzip einen Monat zur Schule gegangen.
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Gilles Lellouche in "Mein Stück vom Kuchen"
Ricore: Woher kommt Ihr Bedürfnis. Alltags-Geschichten mit ernsthaftem Hintergrund zu erzählen?

Klapisch: Ich denke, das ist etwas, was wir speziell in Europa machen. In Hollywood muss immer etwas Extravagantes wie eine Zugentgleisung oder eine Explosion passieren, damit es eine Geschichte funktioniert. Ich hingegen glaube, dass man interessante Geschichten über Züge erzählen kann, die nicht entgleisen oder explodieren. Mich interessiert, was im normalen Leben passiert. Das ist die typische Art des europäischen Filmemachens: Einfach zu beobachten, was um die Ecke passiert. Es ist unsere Spezialität, aus alltäglichen Situationen interessante Geschichten zu schaffen.

Ricore: Was bedeutet es Ihnen, in Personalunion als Regisseur und Drehbuchautor für einen Film verantwortlich zu sein?

Klapisch: Für mich ist es sehr wichtig, dass ich beides miteinander verbinde. So wie ich "Mein Stück vom Kuchen" machen wollte, war es wichtig, nicht nur über die Geschichte Bescheid zu wissen, sondern auch über den Look der Bilder. Ich wusste, dass ich etwas über London und die Finanzwelt drehen wollte. Um die Geschichte optimal ausarbeiten zu können, musste ich meine visuellen Vorstellungen in den Film einbringen.

Ricore: Können Sie sich vorstellen, nur ein Drehbuch zu schreiben, oder nur Regie zu führen?

Klapisch: Ich glaube, dass es eine Frage der inneren Verbundenheit ist. Wenn ich für beides verantwortlich bin, fühle ich mich einem Film gegenüber stärker verpflichtet. Viele Regisseure und Drehbuchautoren kommen gut damit zurecht, auf die Arbeit eines anderen zurückzugreifen. Ich glaube jedoch, dass viele Regisseure besser sind, wenn sie sich ihrem Projekt enger verbunden und verpflichtet fühlen. Man verbringt ja sehr viel Zeit an einem Film. Oft eineinhalb bis zwei Jahre. Deswegen ist es wichtig, dass man an jedes Bild glaubt, dass man schafft.

Ricore: Sie benannten mal Ken Loach und Frank Capra als Ihre Regie-Vorbilder. Was verbindet Sie mit ihnen?

Klapisch: Es sind einfach zwei Regisseure die ich mag. An Menschen wie Capra und auch Chaplin schätze ich sehr, dass sie humorvolle Elemente mit politisch relevanten Themen verbinden. In "Moderne Zeiten" von Charles Chaplin, war es für mich beeindruckend und beeinflussend, wie er die Welt der Reichen sowie die der Arbeiter darstellt. Man lacht, aber im Kopf bleibt der Eindruck, wie es ist, in einer Fabrik zu arbeiten. Genauso ist es für mich mit Capra. Er schafft es mit Hilfe seines Humors einen anderen Blickwinkel auf die Realität zu schaffen. Loach und Capra sind dafür gute Beispiele.
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Gilles Lellouche in "Mein Stück vom Kuchen"
Ricore: Was bedeutet Musik für den Film, speziell am Ende?

Klapisch: Am Ende gibt es ein Gefühl der Aufruhr, welches sehr aufbauend ist. Die Empörung ist sehr groß. Das Gefühl aufgewühlt zu sein, ist nicht negativ, sondern eher erbauend. Ich glaube die Musik symbolisiert dies. Man denkt: "Ok, da geht etwas schief. Aber lasst uns zusammenhalten und dagegen kämpfen." Ich finde das sehr aufbauend.

Ricore: Weshalb heißt die Protagonistin France?

Klapisch: Für mich war es am Anfang eigentlich nur ein Name. Allerdings habe ich dann festgestellt, dass er deutlich mehr Symbolik hatte, als ich zunächst vermutete. Ich musste mich deshalb entscheiden, ob ich den Namen belasse oder ändere. Ich habe es am Ende belassen, da ich glaube dass France symbolisch für die Frankreichs Bürger steht. Sie war vor der Krise nicht gerade arm und gerät nun durch die Finanzkrise unverschuldet in eine finanzielle Misere. Es geht auch um die Würde, die diese Personen verloren haben. Das ist ein guter Indikator für die gesellschaftliche Revolution, die derzeit in Europa geschieht. Vor 100 Jahren waren beinahe 90 Prozent der Menschen Bauern. Später wurden sie zu Arbeitern. Heute werden die Arbeiter immer weniger. Es gibt also einen weiteren gesellschaftlichen Wandel.

Ricore: Wie war es, zum ersten Mal mit digitalen Mini-Kameras zu drehen?

Klapisch: Es war echt gut. Wir haben die Canon EOS 1D-Kameras benutzt. Sie waren sehr schmal und klein. Die Tatsache, dass wir die Nachtszenen in den Straßen ohne zusätzliches Material und Beleuchtung drehen konnten, war wirklich angenehm. Das hat die Arbeit erheblich erleichtert. Außerdem war es schön, dass wir mit der Kamera in Cinemascope drehen konnten.

Ricore: Könnten Sie sich vorstellen, in Hollywood zu arbeiten?

Klapisch: Ich glaube Hollywood wäre ein schlechter Arbeitsort für mich, da ich mich dort zu sehr von mir selbst entfernen müsste. Ich wüsste nicht, ob ich dort ein guter Regisseur wäre. Mir wurden schon oft romantische Komödie vorgeschlagen. Wenn ich es auf meine Art machen könnte, wäre es eine gute Sache. Befolge ich aber den Willen der Produzenten, wäre es für mich zu kitschig. Ich würde gerne mit amerikanischen Darstellern drehen, aber nicht auf eine amerikanische Arbeitsweise.

Ricore: Welche Darsteller haben Sie dafür im Kopf?

Klapisch: Es gibt über 1.000 gute amerikanische Schauspieler. Deswegen geht es nicht um einzelne Personen. Vielmehr gefällt mir ihre Art des Schauspielens.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. September 2011
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2024