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Michael Fassbender auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
Faszination für Grauzonen
Interview: Michael Fassbenders Begierden
Sexbesessener, Ehebrecher, Superschurke. Michael Fassbender schlüpft gerne in schwierige Rollen. Nachdem er in "X-Men: Erste Entscheidung" und "Shame" Publikum und Kritik überzeugt hat, spielt er in "Eine dunkle Begierde" Psychoanalytiker Carl Gustav Jung. Im Interview mit Filmreporter.de spricht Fassbender über Therapiesitzungen, seine deutschen Wurzeln und Sex. Zudem berichtet er, wie er Keira Knightley den Hintern versohlt hat.
erschienen am 10. 11. 2011
Universal Pictures (UPI)
Eine dunkle Begierde
Ricore: In Ihren letzten Filmen haben Sie Charaktere gespielt, die besessen oder verstört sind. Wie kommt das?

Michael Fassbender: Ich weiß nicht. Als ich im Fernsehen anfing, bekam ich überwiegend Charakterrollen. Seitdem ich weiß, dass ich diesen Beruf ausüben will, haben mich Charaktere interessiert, die einen inneren Konflikt austragen müssen. Ich mag Charaktere, bei denen nicht ganz klar ist, ob es sich um den Guten oder Bösen handelt. Ich will lieber die Grauzonen ausloten, weil man so dem Leben und echten Menschen gerechter wird.

Ricore: Können Sie sich mehr mit den Ideen von Carl Jung oder Sigmund Freud identifizieren?

Fassbender: Ich denke, dass ich mehr mit Jung anfangen kann, da ich die mystischen und spirituellen Aspekte schätze. Doch es gibt bei beiden Männern Elemente in ihrem Werk, die ich nachvollziehen kann. Ich bin nicht ganz sicher, woran ich selbst glaube, doch ich schließe nichts wirklich aus. Ich denke, alles ist möglich.

Ricore: Wie schwer war es in schauspielerischer Hinsicht, einen Zugang zu Carl Jung zu finden?

Fassbender: Es war nicht allzu schwer, da es sehr viele Informationen über ihn gibt, um dem Charakter Leben einzuhauchen. Zudem hat Christopher ein wundervolles und erhellendes Stück geschrieben.

Ricore: Haben Sie Jung auf Deutsch gelesen?

Fassbender: Ich würde es versuchen, doch es ist schon auf Englisch kompliziert genug. Zudem bin ich in den letzten Monaten von Film zu Film gegangen, so dass die Vorbereitungszeit ohnehin nicht immer ideal war. Daher habe ich es auf Englisch gelesen.
20th Century Fox
Michael Fassbender beim Shooting zu "X-Men: Erste Entscheidung"
Ricore: Inwiefern spielen Ihre deutschen Wurzeln eine Rolle in Ihrem Leben?

Fassbender: Viele Mitglieder meiner Familie sind nach wie vor hier in Deutschland, daher komme ich so oft wie möglich zurück. Mein Vater ist Deutscher, so dass es in meinem Leben immer eine Rolle spielt. Ich würde sagen, dass ich mich sehr europäisch fühle. Ich habe einen Trip durch Europa gemacht und bin sehr stolz, Europäer zu sein. Nachdem wir uns in Europa jahrelang gegenseitig die Scheiße aus dem Leib geprügelt haben, verstehen wir uns in gewisser Weise endlich. Ich genieße es, von Land zu Land zu reisen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Italienern, Deutschen, Iren, Engländern und Franzosen zu erleben.

Ricore: Sind Sie auch öfter in Ihrem Geburtsort Heidelberg gewesen?

Fassbender: Ja, ich war schon öfters dort. Wenn ich Verwandte besuche, mache ich auch in Heidelberg halt. Es ist eine romantische und schöne Stadt, die auch für meine Eltern viele schöne Erinnerungen bietet, denn sie haben dort in einem Schloss gewohnt und ihre Familie gegründet. Daher hat der Ort einen festen Platz in meinem Herzen.

Ricore: Bleibt Ihnen angesichts der vielen Rollen, die Sie in letzter Zeit gespielt haben auch Zeit für andere Dinge?

Fassbender: Im Juli habe ich die Arbeit an "Prometheus" abgeschlossen und werde den Rest dieses Jahres keine weitere Rolle übernehmen. Zurzeit arbeite ich mit einigen Autoren zusammen, um mit meiner Produktionsfirma eigene Stoffe zu entwickeln und nehme mir eine kleine Auszeit von der Schauspielerei.

Ricore: Was machen Sie in Ihrer freien Zeit, um sich zu entspannen?

Fassbender: Ich habe mit meinem Vater eine Tour gemacht. Wir sind zwei Monate lang mit Motorrädern durch Europa gefahren, was sehr viel Spaß gemacht hat. Ich reise gerne und mache gerne Musik.
20th Century Fox
Michael Fassbender in "X-Men: First Class"
Ricore: Sie spielen Musik?

Fassbender: Ja, ich spiele Gitarre. Ich spiele nicht sehr gut, doch es ist entspannend.

Ricore: Welche Musik spielen Sie?

Fassbender: Manchmal Heavy Metal. Wobei ich häufiger Akustik-Gitarre als E-Gitarre spiele. Ich spiele unter anderem Stücke von Jimi Hendrix, den Rolling Stones und den Beatles. Ich mag den Rock'n'Roll der 1960er.

Ricore: In "Eine dunkle Begierde" spielt Sex eine zentrale Rolle. Wie würden Carl Jung und Sigmund Freud wohl die allgegenwärtige Kommerzialisierung von Sex in unserer heutigen Gesellschaft bewerten?

Fassbender: Das ist schwierig zu beurteilen. Im Grunde ändern sich die Dinge nicht allzu sehr. Doch ich denke, dass es in unserer heutigen Gesellschaft viel Unsicherheit gibt, da wir mit enorm viel Informationen gefüttert werden, nicht nur sexueller Art. Uns wird erzählt, dass wir bestimmte materielle Dinge besitzen müssen, um glücklich zu sein und uns mit bestimmten Leuten umgeben müssen, um Erfolg zu haben und attraktiv zu erscheinen. Wir müssen eine Menge Informationen verarbeiten. Das kann dazu führen, dass Menschen dem zu entfliehen versuchen und dabei Abhängigkeiten entwickeln. Zudem steht uns alles irgendwie jederzeit zur Verfügung, nicht nur in sexueller Hinsicht. Wenn man vor 20 Jahren in den Supermarkt gegangen ist, um sich eine Tafel Schokolade zu kaufen, gab es 30 zur Auswahl und heute sind es 300. Als in Island der Vulkan ausgebrochen ist und wir auf einmal nicht fliegen konnten, waren wir fassungslos, da wir es als selbstverständlich erachten, dass uns alles einfach zur Verfügung steht.
20th Century Fox
Michael Fassbender beim Shooting zu "X-Men: Erste Entscheidung"
Ricore: Wie war es, Keira Knightley den Hintern zu versohlen?

Fassbender: [lacht] Ich war nervös. Es gab eine Markierung, die ich treffen musste, die aber nicht an ihr angebracht war. Ich musste nur darauf achten, dass ich diese treffe. Keira ist großartig, sie macht es einem einfach, mit ihr zu arbeiten. Sie ist hervorragend vorbereitet und hat einen tollen Sinn für Humor.

Ricore: Wie schwierig ist die Herangehensweise bei der Interpretation eines Charakters, der auf einer realen Person basiert?

Fassbender: Bei einem Charakter, den es wirklich gegeben hat, ist es sehr hilfreich, dass es bereits eine Biographie gibt, auf die man zurückgreifen kann. Bei einem fiktiven Charakter muss ich die Biographie selbst entwickeln. Allerdings ist man unter Druck, da es eine loyale Anhängerschaft gibt, die man respektiert und gleichzeitig außer Acht lassen muss, um mutige Entscheidungen treffen zu können.

Ricore: Wie schwer ist bei besonders schwierigen Charakteren wie in "Eine dunkle Begierde" und "Shame", sich von der Rolle loszulösen, wenn man nach Hause geht?

Fassbender: Das kommt auf die Vorbereitungszeit an, die man hat. Bei "Shame" drehten wir fünf Wochen, bei "Eine dunkle Begierde" waren es drei Monate. Bei "Eine dunkle Begierde" war ich an einem bestimmten Punkt dort angelangt, wo ich hin wollte. Von da an konnte ich mich entspannen. Ich bereite mich gut vor, so dass ich während des Drehs meine Arbeit mache und loslassen kann, wenn ich nach Hause gehe. Ich will bei Treffen mit Freunden nicht über meinen Charakter reden und jeden damit langweilen. Andernfalls hätte ich wohl bald nicht mehr allzu viele Freunde [lacht]. Nichtsdestotrotz trägt man ein wenig davon mit sich herum.

Ricore: Sind Sie schon mal zum Psychologen gegangen?

Fassbender: Ich hatte einmal eine Sitzung, was gut war. Therapien sind eine gute Sache. Ich denke, dass sich bei Therapien ein Fortschritt ergeben muss. Wenn man sie Jahr für Jahr immer wieder macht, ohne einen Schritt nach vorne zu gehen, halte ich sie nicht für so sinnvoll.
20th Century Fox
Michael Fassbender in "X-Men: First Class"
Ricore: Wieso haben Sie nur eine einzige Sitzung gemacht?

Fassbender: Ich war in einer Beziehung und wir sind zusammen dahingegangen. Die Beziehung hat nicht gehalten und manchmal braucht es wohl einen Therapeuten, der das ausspricht [lacht].

Ricore: Für sich allein würden Sie also nicht zum Psychologen gehen.

Fassbender: Nein, um ehrlich zu sein, erübrigt sich das durch meine Arbeit. Ich bin ziemlich ehrlich zu mir selbst. Wenn ich versuche, Charaktere die ich spielen werde zu verstehen, stelle ich mir eine Menge Fragen, ähnlich wie bei der Psychoanalyse. Es sind Fragen wie "Warum verhalten wir uns auf eine bestimmte Weise?" Speziell bei "Eine dunkle Begierde" stellt sich die Frage, welche Verhaltensweisen die Gesellschaft von uns erwartet und was sich in Wirklichkeit unter dieser Oberfläche verbirgt.

Ricore: Was können Sie uns über kommende Filmprojekte erzählen?

Fassbender: Es gibt mehrere Projekte, zu denen ich momentan aber nicht wirklich etwas sagen kann, weil erst die Drehbücher geschrieben werden müssen. Doch ich hoffe, dass ich für zwei Projekte im April die Drehbücher haben werde. Zudem muss ich zwei Autoren für zwei weitere Ideen finden.

Ricore: Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für die Schauspielerei entdeckt?

Fassbender: Das war im Alter von 17. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte. Zunächst dachte ich daran, Musiker zu werden, doch ich war nicht gut genug. In der Schule und den meisten anderen Dingen war ich nur durchschnittlich. Dann hat ein ehemaliger Schüler Kurse an unserer Schule gegeben. Ich habe daran teilgenommen und gemerkt, dass es das Richtige war.
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David Cronenberg und Michael Fassbender auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
Ricore: Wie gehen Sie mit den hohen Erwartungen um, die inzwischen an Sie gestellt werden?

Fassbender: Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mich momentan in dieser Position befinde. Druck kommt von außen. Heutzutage wird sehr darauf geachtet, ob man erfolgreich ist oder scheitert. Dass ich mal falle, ist unvermeidlich. Entscheidend ist, wie ich dann wieder auf die Beine komme. Ich möchte so viel ausprobieren und lernen, wie ich kann und außerhalb der Komfortzone arbeiten. Darauf konzentriere ich mich - auf die Arbeit. Alles andere ergibt sich von selbst.

Ricore: Was ist das Besondere an der Arbeit mit David Cronenberg?

Fassbender: Er ist ein Meister darin, die menschliche Natur und Psyche zu ergründen. Was passiert hinter verschlossenen Türen? Jeder spielt etwas vor, weil man nicht unsicher und verletzlich wirken will. Doch was passiert, wenn man einen Charakter in einem privaten Moment erlebt? Was motiviert ihn wirklich und warum? Ich denke, David Cronenberg ist überaus neugierig, wodurch es sehr interessant ist, mit ihm zu arbeiten.

Ricore: Würden Sie gerne mal mit einem deutschen Regisseur drehen?

Fassbender: Sicher, wenn das Drehbuch passt. Auch das Theater in Deutschland hat einen hohen Standard. Oliver Hirschbiegel ist ein guter Freund von mir und wir haben uns bereits über einige Sachen unterhalten, aus denen bislang noch nichts geworden ist. Doch ich bin für alles offen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 10. November 2011
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Michael Fassbender ergattert 2003 seine erste Filmrolle in "Carla". Zuvor ist der gebürtige Heidelberger in der Serie "Band of Brothers - Wir waren wie Brüder" zu sehen. Spätestens seit seiner Rolle als Erik Lehnsherr in "X-Men: Erste Entscheidung" im Jahre 2011 wird er dem breiten internationalen Publikum bekannt.

Aufgewachsen ist er im irischen Killarney, wo er ab dem zweiten Lebensjahr unter der Obhut seines deutschen Vaters Josef Fassbender und seiner irischen Mutter Adele lebt...
David Cronenbergs Drama basiert auf dem 2002 uraufgeführten Theaterstück "Die Methode" von Christopher Hampton. Diesem liegt wiederum eine wahre Begebenheit aus dem Jahre 1914 zugrunde. Der von Michael Fassbender gespielte Psychiater Carl Gustav Jung leitet zu der Zeit eine Klinik in Zürich. Als er die Patientin Sabina Spielrein (Keira Knightley) behandeln soll, verliebt sich der verheiratete Mediziner in die attraktive Russin und gerät in eine Krise. Daraufhin bittet er den Psychoanalytiker..
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